11.02.2007

Mein Sohn sagt und fragt:

1. Wir haben gerade den 2. Teil von Herr der Ringe gesehen. Darin gibt es eine kleine Szene, in der Eowyn (Miranda Otto) aus der Goldenen Halle stürmt und über die Weiten von Rohan schaut. Dabei löst sich im Hintergrund eine der Fahnen und trudelt im Wind davon. Dazu sagt mein Sohn: "Dass die Fahne abreißt, soll sagen, dass Edoras [der Berg, auf dem die Goldene Halle steht] fallen wird." - Kann man besser, deutlicher beschreiben, was ein Symbol macht? Es fasst ein komplexes psychosoziales Phänomen in einem kurzen, dichten Moment zusammen. Nebenbei bemerkt überlege ich mir, ob das Symbol nicht so etwas ist wie das Gegenteil von einer Erzählung. Diese entfaltet ja - zumindest, wenn sie gut ist - ein komplexes psychosoziales Phänomen und breitet es über Seiten und Seiten aus. Wie seltsam, dass viele dicke Romane von Symbolen durchzogen sind. Es ist, als bräuchte diese Kunstform hier ihr Gegenteil, um überhaupt genießbar zu sein?

2. Später sagte mein Sohn etwas unvermittelt zu mir: eigentlich sei es seltsam, dass man nur in einer Stimme denken könne und dass diese Stimme genau wie die Stimme sei, mit der man spricht. Was er aber genau wissen wollte, ist, ob man, wenn man erwachsen wird, seine Kinderstimme als Denkstimme beibehält, oder ob die Denkstimme dann auch erwachsen werden würde. - Ich habe ihm dann erklärt, dass ich nicht nur mit einer Stimme denke, sondern auch oft die Schrift vor mir sehe. Mein Sohn meinte dazu: "Ja, aber das geht nur, wenn man viel und gut schreibt."

3. Eragon sei langweilig, sagt mein Sohn. Ich finde, dass er zumindest dahingehend Recht hat, dass Eragon mit viel Überflüssigem aufgefüllt ist. So steht zum Beispiel dort, dass Brom gedankenversunken ist und er ein Grasbüschel streichelt (oder so etwas ähnliches). Ich weiß nicht mehr ganz genau die Stelle - ich glaube, im Kapitel, das "Warnungen" hieß -; jedenfalls ist mein Sohn sofort darüber gestolpert und fragte mich, warum das da stehen muss. Auch ich war über diese Stelle angenervt. Ich erklärte meinem Sohn, dass dieser Satz dort nicht stehen müsste, sondern eine Ergänzung sei. Mein Sohn schloss daraus folgerichtig, dass der Satz überflüssig wäre.

Das war also wieder einer der Nachmittage, an denen ich das Gefühl hatte, dass mein Sohn mir immer wieder neue Perspektiven eröffnet.
Nicht, dass andere Kinder dies nicht auch könnten. Sogar an der Lernbehindertenschule war ich überrascht, wie selbstverständlich manche der Kinder neue Denkwege öffneten. Man kann daraus, wenn nicht sowieso schon früher, die Lehre ziehen, dass Vernunft keine psychische Kompetenz ist, sondern sich in der Interaktion herausbildet. Fraglich ist dann nur noch, wer hier die größere Deutungsmacht hat, das heißt, wer hier seine Beobachtung und seine Nicht-Beobachtung durchsetzen kann. Wie dies an der Schule läuft, ist wohl jedem klar. Und zeigt auch, wie verantwortungsvoll Lehrer mit solchen Begriffen wie Vernunft und Intelligenz umgehen sollten.
Vernunft kann, nachdem dieser Begriff vielfach konstruiert, destruiert und dekonstruiert worden ist, kaum noch an kulturellen Vorgaben gemessen werden. Die alten Normen sind verabschiedet, auch wenn es immer noch Menschen gibt, die nichts davon gehört haben oder diese Erkenntnis auf die Tätigkeit des Nachplappern-Könnens reduzieren. Wenn man die Vernunft heute knapp definieren will, dann muss man dies vielleicht so tun: sie entsteht in der sozialen Interaktion (das heißt: sie ist "emergent") und führt dort neue Unterscheidungen ein, die neue Felder der Aufmerksamkeit vorgeben (so wie mein Sohn sein Beispiel für Symbole dann gleich noch auf andere Symbole angewendet hat). In diesem Fall hatte ich natürlich einen gewissen Wissensvorsprung. Im Falle der inneren Stimme nicht.