23.03.2008

Zur deleuzianischen Logik II

Wer die etwas seltsamen Texte von Deleuze, die er in der Spätzeit geschrieben hat, nachvollziehen möchte, tut vor allem gut daran, sich mit der Ablehnung der Negation zu beschäftigen.
Deleuze argumentiert folgendermaßen: da die Negation nur dann reine Negation sein kann, wenn das Ding oder der Begriff schon vorher existiert, bleibt die Negation diesen äußerlich. Wenn die Negation aber äußerlich bleibt, kann sie nicht Bestandteil des Dinges oder Bestandteil seiner Verhältnisse sein; es sei denn, es handelt sich um Repräsentationen, die sich einerseits auf eine vorausgehende Identität stützen, sich andererseits von anderen Repräsentationen unterscheiden müssen und schließlich sich selbst in ihrer Eigenständigkeit leugnen.
Wenn aber die Negation gebraucht wird, dann vor allem, um Differenzen plattzuwalzen, die sinnlich, vor allem vielfältig sinnlich sind:
Nicht die Differenz setzt den Gegensatz voraus, sondern der Gegensatz die Differenz; und weit davon entfernt, sie aufzulösen, d. h. auf einen Grund zu führen, entstellt und verfälscht der Gegensatz die Differenz. Wir behaupten nicht nur, die Differenz an sich sei nicht "schon" Widerspruch, wir behaupten vielmehr, sie lasse sich nicht auf den Widerspruch reduzieren und bringen, weil dieser weniger tief, und nicht etwa tiefer ist als sie. Denn unter welcher Bedingung wird die Differenz derart in einen ebenen Raum überführt und projiziert? Eben dann, wenn man sie gewaltsam in eine vorgängige Identität gezwängt hat, wenn man sie auf jenen Abhang des Identischen gestellt hat, der sie notwendig dorthin trägt und sie sich dort reflektieren lässt, wo das Identische sie haben will, nämlich im Negativen. [...] Dasselbe geschieht jedesmal in der Vermittlung oder Repräsentation. Der Repräsentant sagt: "Alle Welt anerkennt, dass ...", aber es gibt stets eine nichtrepräsentierte Singularität, die nicht anerkennt, eben weil sie nicht alle Welt oder das Universale ist. "Alle Welt" anerkennt das Universale, da sie ja selbst das Universale ist, das Singuläre aber erkennt es nicht an, das tiefe sinnliche Bewusstsein nämlich, das jedoch dessen Unkosten tragen soll. Das Unglück beim Sprechen besteht nicht im Sprechen, sondern darin, für die anderen zu sprechen oder etwas zu repräsentieren. Das sinnliche Bewusstsein [...] bleibt verstockt. Man kann stets vermitteln, zur Antithese übergehen, die Synthese arrangieren, die These aber folgt nicht, verharrt in ihrer Unmittelbarkeit, in ihrer Differenz, die an sich die wahre Bewegung vollzieht. Die Differenz ist der wahre Inhalt der These, die Eigensinnigkeit der These. Das Negative, die Negativität fängt nicht einmal das Phänomen der Differenz ein, sondern erhält bloß deren Phantom oder Epiphänomen, und die gesamte 'Phänomenologie' ist eine Epiphänomenologie.
Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung

7 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Ich finde das gar nicht so unlogisch, wie es auf den ersten Blick vielleicht anmutet. Für mich hat das etwas mit Sprachtheorie zu tun, nämlich dem Umstand, dass ein Wort aufgrund einer Vereinbarung über den Code eine Assoziation im Kopf hervorruft, die es mit dem Ding-an-sich verbindet. Es herrscht also von jedem Ding, das zu benennen ist, eine Vorstellung. Um ein Ding zu negieren, brauchen wir erst eine Vorstellung davon. Haben wir aber eine Vorstellung davon, können wir es nicht negieren, weil es in der Vorstellung als Ding weiterhin existiert. Ich finde dahingehend die Idee Walthers und Morungens spannend, die in ihrem Gedichten erkannt haben, dass die von ihnen besungenen Minnedamen Produkte ihrer Phantasie sind, über deren Geschicke allein der formende Autor entscheidet, der sie ebenso sterben lassen kann, wenn er nicht mehr von ihnen schreibt. Spannende Sache das.

ps.: Deine Kommentarfunktion ist scheiße. Dieses kleine Fenster und die Radiobuttons und dieses Capcha nerven total. :(

Frederik Weitz hat gesagt…

Hallo Lev!
Dein Kommentar ist zwar richtig, was die Positivität der Vorstellung angeht, trifft hier aber nicht die Argumentation von Deleuze.
Es gibt in der Philosophie eine ganze Diskussion über die herstellende und die begrenzende Negation. So sagt Hegel, erst der auf die Spitze getriebene Widerspruch führe zur Pulsation der Lebendigkeit. Und behauptet, der Unterschied sei schon Widerspruch.
Bei dir geht es um die sprachliche Verfassung der Negation, bei Deleuze aber um zwei verschiedene Vorstellungsarten: hier ist zum einen der grundlegend heterogene Assoziationsreichtum, der durch eine Art automatisches Erkennen zustandekommt und Sinnesdaten aneinander koppelt, ohne dass diese schon Dingcharakter haben. Es sind reine Qualitätsmischungen, also zum Beispiel rot+eckig. Dann gibt es die Abgrenzungen, die erst nachher vorgenommen werden und die sich unter einem Namen bündeln, ohne aber die Qualitätsmischungen ganz einzuschließen.
Das heißt, dass die Negation hier auf der ersten Ebene, der der Mischungen, gar keinen Platz hat. Hier geht es um die reine Bejahung, um das Lied von den qualitativen Vielfältigkeiten. Und auf der zweiten Ebene ist die Negation eine abgeleitete, da sie zuallererst die Dinge aus den Qualitätsmischungen produzieren muss, um sie dann von anderen abzugrenzen. Erst auf einer dritten Ebene kann dann eine Vorstellung grammatikalisch abgelehnt werden. Auf dieser Ebene gibt es dann die Aufforderung: "Denke nicht an grüne Elefanten!" - und man bricht diese prompt. Womit man gezeigt hat, dass diese Negation keinerlei grundlegenden Charakter hat, sondern etwas Aufgesetztes ist. Hierhin gehört auch die Regel, Arbeitsanweisungen grundsätzlich positiv zu formulieren.
So gesehen sind die Minnedamen Walthers und Morungens auf der ersten Ebene - der der Qualitätsmischungen - immer noch sehr real, auf der zweiten Ebene zum freien Gebrauch dieser Mischungen kontrahiert, und auf der dritten Ebene nicht negiert, aber in ein anderes Reich überwiesen, dem der Phantasie. Spannend an der ganzen Sache ist vor allem die Emanzipation der dichterischen Phantasie zu einer Zeit, in der man die Realität als weitestgehend ungeschieden zu einer Innerlichkeit annehmen darf. Das sind Züge, die wohl die ganze mittelalterliche Dichtung problematisieren, und die zu der Selbstbehauptung der Renaissance-Schriftsteller gehört. Zumindest habe ich das mal so bei Eco gelesen.
Heute darf man wohl getrost sagen, dass wir uns nicht nur unsere Mitmenschen erfinden, obgleich aufgrund realer Qualitätsmischungen, aber dieses Zusammenziehen zu einer Person ist eben immer noch abgeleitet aus den Eigenbewegungen des Geistes, seinem Selbstgenuss, seiner Eigenmächtigkeit, und nicht von der tatsächlichen Person. Luhmann schreibt, die Reflexion sei vor allem Selbstsimplifizierung; und Deleuze sagt, die Frage des Ichs sei falsch gestellt, wenn man dieses als Grund der Negation sehen wolle (wie bei Hegel oder Marx): stattdessen sei die Negation Grund des Ichs, und die Negation streng genommen nur abgeleitet von der Einheit einer Qualitätsmischung, hier dem Wort ICH. Deleuze zufolge kommt hier ein Paralogismus zum Vorschein: durch die Präferenz einer Qualitätsmischung vor allen anderen werde hier ein Realitätsfragment als grundständig extrapoliert, wird das Ich zum Dreh- und Angelpunkt der Welt gesetzt, während doch der betrachtende Mensch sich in einer Art Assoziationsstrom genießt, dem jeglicher intellektueller oder metaphysischer Überbau fehle. Der Mensch ist dieser Assoziationsstrom selbst.
Insofern muss man sogar die Phantasie ins Reich der Phantasie verweisen: auch sie trennt die grundsätzliche Bewegung der Qualitätsmischungen durch eine harte Grenze zwischen Realität und Phantasie. Anders gesagt: auch die realen Minnedamen sind nur phantastische Wesen, zumindest aber intellektuelle Konstrukte.
Frederik

Anonym hat gesagt…

Hm, ich verstehe den unterschied zwischen herstellender und begrenzender Negation und auch die Qualitätsmischungen noch nicht recht. Vermutlich liegt es daran, dass Versprachlichung und Denken für mich denselben Prozess darstellen. Ich habe darüber schon oft und lange mit meinen Mann debattiert, weil er es anders sieht, aber unsere Argumente sind erstaunlicherweise die gleichen. Eventuell bin ich etwas betriebsblind oder meine Definition von Sprache ist einfach weiter gefaßt oder beides. Aber die Sache mit dem grünen Elefanten ist doch genau die, auf die meine Antwort hinauslief, oder nicht?

Ich glaube nicht, dass die Minnedamen die Mittelalterdichtung grundlegend problematisieren. Sie zeigen nur, dass sie nicht so homogen ist, wie wir oft annehmen möchten. Auf der anderen Seite gab es keinen Knall, der es plötzlich hat Renaissance werden lassen. Es gab bereits im Mittelalter einige Humanisten und ich denke, das habe ich auch oft in Arbeiten betont, dass es hier um die Erkenntnis des Selbst geht, also quasi die geistige Loslösung des Selbst aus der Ursuppe der materiellen Welt und dieser Prozess geht natürlich auch mit einem Sprachwandel, also einer Versprachlichung der Individualität einher. So jedenfalls meine Theorie, aber ich glaube, das führt uns von Deleuze zu weit weg.

Frederik Weitz hat gesagt…

Liebe LeV!
Zur herstellenden und begrenzenden Negation kommt später mal mehr.

Was die sprachliche Verfasstheit des Denkens angeht, so kann man sagen: ja und nein. Damit Denken sich zuallererst reflektieren kann und bewusst werden kann, muss es natürlich distinkte Einheiten prozessieren. Distinkte Einheiten müssen noch keine Sprache sein, sind aber zumindest schon Codierungen; wenn auch auf der sinnlichen Ebene. Das heißt, die Nähe ist da, aber noch nicht die Gleichheit.
Was die grünen Elefanten angeht: natürlich ist die grammatische Negation eine sehr schwache Negation. Und deshalb kann sie kaum gegen eine fröhliche Vorstellung angehen. Meine Argumente liefen eher auf Negationen hin, die nicht grammatisch sind, sondern "morphologisch", oder virtuell.

Was die Minnedamen angeht: so habe ich nicht mit den problematisierenden Minnedamen argumentiert, sondern nur mit einer grundsätzlichen Verfassung phantasierter und realer Minnedamen. Ob die Minnedamen sich selbst problematisch fanden, weiß ich natürlich nicht.

Anonym hat gesagt…

Um den Faden mit dem Knall der Renaissance hier nochmal aufzunehmen:

Deleuze und Guattari hatten doch auch die Vorstellung, dass sich unterschiedlich Schichten verschieden schnell entwickeln, oder?

Das Selbst der Minnedamen (oder der sie beschreibenden Minnesänger) mag ja ähnlich wie das Auftauchen humanistischer Gedanken schon an gewissen Punkten weiter waren als etwa die Entwicklung des herrschaftlichen Staatsapparates, der ja noch klar ständisch organisiert war. Zu einem gewissen Zeitpunkt kulminieren dann in einem neuen Niveau der Gesellschaftsorganisation. Als Beispiel dient mir da immer auch die Französische Revolution, die im Effekt vor allem eine juridische war und sich erst vollzog, als das Bürgertum schon weitgehend die zentralen Produktionsmittel und Positionen in Verwaltung, Wissenschaft und Künste in der Hand hatte, während das Bauerntum ja vor allem mit tatsächlichen Verlusten zu rechnen hatte (Rechte auf die Allmende, Erntefallausgleich durch den Herrn, Nutzung seiner Weiden usw.), also ganz anders organisiert (nicht schnell genug?) war.

Probleme habe ich mit dem Argument des Selbst als reflexive Loslösung von der materiellen Welt. Das klingt in meinen Ohren zu sehr nach der Kulturtheorie Simmels, der sie als Veredelung des Einzelnen im Gang durch das Allgemeine dachte, welches beide qualitativ auf ein neues Niveau hebe. Es gibt in der Debatte um die historischn Ursprünge des Selbst die unterschiedlichsten Einschätzungen, die eben von den Minnesängern und Ritterturnieren (als Zivilisierung des Mannes durch die Frau) bis zu den Tagebüchern und Journalen im 17. Jahrhundert reichen. Da kommt es dann jeweils darauf an, an welchen konkreten Qualitäten man diese reflexive Bewegung festmacht (Z.B. an der Entwicklung einer kohärenten Biographie oder an der Einbindung des Einzelnen in dauerhafte Verpflichtungsgefüge?)

Frederik Weitz hat gesagt…

Ja, es gibt diese Unterscheidung. Sie ist allerdings keine Funktion der zeitlichen Synthese, denn diese funktioniert dadurch, dass sie sich ihre Gegenwart immer so herstellt, wie sie es "braucht": insofern hat sie keine "Geschwindigkeit". Erst durch die analytische Synthese werden dann Geschwindigkeiten festgestellt, indem verschiedene Gegenwarten zueinander in Bezug gesetzt werden. Luhmann schreibt ja ähnlich, dass eine Gegenwart so lange dauert, so lange eine Entscheidung zurückgenommen werden kann.
Durch diese unterschiedlichen Gegenwarten entstehen dann die Schichten oder Plateaus. Relativ gesehen nehmen diese dann an Geschwindigkeit auf oder verlangsamen, je nachdem, in welches Milieu sie geraten. So führte der kurz gehaltene Steigbügel bei Pferden zu einer rasanten Deterritorialisierung, einem Über-Schwemmen in andere Codierungsgebiete, während man heute eher von einem Stillstand in Bezug auf Steigbügel sprechen kann.

Die französische Revolution mag ein ähnlicher Fall sein (ich weiß es nicht). Jedenfalls dürften auch hier Beschleunigungen zu beobachten sein, ob nur des Bürgertums bleibt fraglich. Denn der Witz der Geschichte ist ja, dass die Gegenwart an sich keine Geschwindigkeit hat. Nur in Bezug auf andere Gegenwarten anderer Schichten kann man von Geschwindigkeiten reden. Deshalb mag es sogar so sein, dass sich eine Schicht gleichzeitig verlangsamt und beschleunigt, jeweils in Bezug auf verschiedene andere Schichten.

Was Simmel angeht, so muss man hier gleich mehrfach widersprechen: erstens arbeitet sich das Deleuzesche Selbst nicht durch eine Kultur hindurch, vor allem nicht, um sich zu veredeln; zweitens qualifiziert sich zwar die Seele durch ihr Wahrnehmen, doch ist diese Qualifizierung flach und nicht - wie beim Veredeln - hierarchisch gedacht. Drittens geht es nicht um reflexive Loslösung, die ja auch ein Beherrschen der Kultur impliziert: eher muss man, wie bei Luhmann, so bei Deleuze, die Reflexion als ein Funktionalisieren sehen. Bei Luhmann gilt die Reflexion der Stabilisierung von Kern-Leistungen, also Mechanismen, die anderen Systemen als verlässlich angeboten werden. Bei Deleuze könnte man Reflexion eher als ein Umreißen einer eigenen Geschwindigkeitsebene definieren (in Bezug auf andere Ebenen), bzw. als ein Prozessieren der eigenen Gegenwart. Die Gegenwart ist dabei vital mit anderem verknüpft, löst sich aber im Prozessieren ebenso vital von diesem anderen ab. - Nur: das ist zur Zeit mein Stand der Dinge. Sicher bin ich mir dabei nicht. Es werden weitere Einsätze zur deleuzianischen Logik folgen.

Anonym hat gesagt…

Der Simmel war auf folgenden Satz von Lev gemünzt, nicht auf Deleuze:

"also quasi die geistige Loslösung des Selbst aus der Ursuppe der materiellen Welt und dieser Prozess geht natürlich auch mit einem Sprachwandel, also einer Versprachlichung der Individualität einher."