27.06.2008

Nietzsche und der Fußball

Da ich mich zur Zeit mit dem Kulturbegriff beschäftige und dabei meinen Zettelkasten durchwühle, habe ich zum Fußball auch ein hübsches Zitat gefunden. Es stammt aus Nietzsches David Strauss, der Bekenner und Schriftsteller und ist eigentlich auf den Krieg 1870/71 gemünzt:
Trotzdem sei es gesagt: ein großer Sieg ist eine große Gefahr. Die menschliche Natur erträgt ihn schwerer als eine Niederlage; ja es scheint selbst leichter zu sein, einen solchen Sieg zu erringen, als ihn so zu ertragen, dass daraus keine schwerere Niederlage entsteht. Von allen schlimmen Folgen aber, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbreiteter, ja allgemeiner Irrtum: der Irrtum der öffentlichen Meinung und aller öffentlich Meinenden, dass auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Kränzen geschmückt werden müsse, die so außerordentlichen Begebnissen und Erfolgen gemäß seien. Dieser Wahn ist höchst verderblich: nicht etwa weil er ein Wahn ist - denn es gibt die heilsamsten und segensreichsten Irrtümer - sondern weil er im Stande ist, unseren Sieg in eine völlige Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Exstirpation des deutschen Geistes zu Gunsten des "deutschen Reiches". Einmal bliebe immer, selbst angenommen, dass zwei Kulturen mit einander gekämpft hätten, der Maßstab für den Wert der siegenden ein sehr relativer und würde unter Verhältnissen durchaus nicht zu einem Siegesjubel oder zu einer Selbstglorifikation berechtigen. Denn es käme darauf an, zu wissen, was jene unterjochte Kultur wert gewesen wäre: vielleicht sehr wenig: in welchem Falle auch der Sieg, selbst bei pomphaftestem Waffenerfolge, für die siegende Kultur keine Aufforderung zum Triumphe enthielte. Andererseits kann, in unserem Falle, von einem Siege der deutschen Kultur aus den einfachsten Gründen nicht die Rede sein; weil die französische Kultur fortbesteht wie vorher, und wir von ihr abhängen wie vorher. Nicht einmal an dem Waffenerfolge hat sie mitgeholfen. Strenge Kriegszucht, natürliche Tapferkeit und Ausdauer, Überlegenheit der Führer, Einheit und Gehorsam unter den Geführten, kurz Elemente, die nichts mit der Kultur zu tun haben, verhalfen uns zum Siege über Gegner, denen die wichtigsten dieser Elemente fehlten: nur darüber kann man sich wundern, dass das, was sich jetzt in Deutschland "Kultur" nennt, so wenig hemmend zwischen diese militärischen Erfordernisse zu einem großen Erfolge getreten ist, vielleicht nur, weil dieses Kultur sich nennende Etwas es für sich vorteilhafter erachtete, sich diesmal dienstfertig zu er weisen. Lässt man es heranwachsen und fortwuchern, verwöhnt man es durch den schmeichelnden Wahn, dass es siegreich gewesen sei, so hat es die Kraft, den deutschen Geist, wie ich sagte, zu exstirpieren - und wer weiß, ob dann noch etwas mit dem übrig bleibenden deutschen Körper anzufangen ist!
Zugegeben mag ich den Ton nicht, mit dem Nietzsche die deutsche Militärleistung preist; sie ist rassisch und trägt Rassistisches in sich. Auf der anderen Seite aber führt Nietzsche eine so schöne Polemik durch die Trennung militärischer und kultureller Erfolge, dass hier die Beziehung zwischen (Militär-)Geschichte und (Volks-)Kultur an sich schwierig wird. Und das ist ja schon was.
Was den Fußball angeht, so gilt hier ähnliches wie für den Kriegserfolg. Ein Sieg eignet sich nicht zur Selbstglorifikation.

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