14.07.2008

Intellektuell

Ich gestehe, dass ich mit diesem Wort arge Probleme habe.
Bisher konnte mir kein Mensch erklären, was es bedeutet. Trotzdem werde ich immer wieder als "zu intellektuell" bezeichnet, oder behauptet, ich würde "zu sehr intellektualisieren".

Meine Lieblingsunterscheidung dagegen ist abstrakt/konkret, oder, wenn man will: sinnlich/ideell.
Nimmt man zum Beispiel Bücher zum Schreiben lernen, so fallen einem sofort viele Abstraktionen ins Auge, die nicht weiter aufgelöst werden. Auflösen, das heißt: dem Leser Werkzeuge an die Hand geben, mit denen er konkret etwas üben kann.
Um einem Leser allerdings diese Werkzeuge an die Hand zu geben, muss man zunächst analysieren. Das scheint vielen Autoren (von Büchern zum Schreiben lernen) arge Kopfschmerzen zu machen. Deshalb unterlassen sie es lieber gleich.
Umgekehrt scheinen die Leser sich oftmals lieber mit Wischi-waschi-Behauptungen abspeisen zu lassen, hinter denen nichts steht. Schon mehrmals habe ich das für solche Begriffe wie Szene oder Spannung oder Charakterisierung durchexerziert. An diese Diskussionen mag ich garnicht denken.
Die Verbindung zwischen Theorie und Praxis bleibt meist so diffus, so unausgegoren, dass dieser Raum abstrakt, ja furchterregend erscheint.

Dabei gibt es ganz einfache Mittel, um sich diesen Raum zu gestalten: Beobachtungen, Zusammenfassungen, Verbindungen, Funktionen, die man nach und nach klärt. Das heißt, man steigt langsam, nach und nach, vom Konkreten zum Abstrakten auf und füllt diesen Weg mit Begriffen. Oder man nimmt sich einen problematischen Begriff - wie zum Beispiel Szene, wie zum Beispiel Spannung - und prüft, welche Phänomene man diesem Begriff zuordnen kann. Dass sich der Begriff dabei notwendig wandelt, versteht sich von selbst.
Um diesen Weg vom Konkreten zum Abstrakten zu klären, braucht es ein gutes Maß an Darstellung. Man muss - will man dies anderen Menschen verdeutlichen - den Weg nachvollziehbar machen. Das heißt, dass man vieles immer wieder aufgreift und noch einmal sagt. Vielleicht ist das hin und wieder langweilig. Aber für einen guten Begriff ist ein etwas größerer Aufwand immer sinnvoll, oder?

Ich kenne also keine intellektuellen Menschen. Ich kenne aber viel zu viele Menschen, die sich mit abstrakten Begriffen zufrieden geben, ohne sie konkretisieren zu können.
Wenn ich eine Sache bei meiner Literaturprofessorin Marianne Schuller gelernt habe, dann die dichte Arbeit am Text. Dicht an den Phänomenen, immer wieder dieses: hier, dieses Wort, das hier steht. Und zugleich darüber hinaus dieses: alles steht in irgendeiner Verbindung. Es gibt kein Phänomen, kein Wort ohne eine Struktur, die "mitmacht". Aus diesen Strukturen zieht man sich Begriffe.
Wer meine Begriffe kennt, weiß, dass ich sie sehr flüchtig benutze. Morgen sind es andere Begriffe, die mir gefallen. Aber ich möchte auch immer wieder Übungen anbieten, durch die man die Begriffe benutzen lernt und bestimmte Texte zum Beispiel besser schreiben kann.
Letztlich führt mein Weg von Begriffen, die darstellen, zu Begriffen, die man zur Herstellung nutzen kann. Zu Werkzeugen eben. Analysen gehören notwendig dazu. Ob man sie so ausführlich machen muss, bleibt dahingestellt.


Im übrigen mache ich auch immer wieder die Erfahrung, dass Menschen vor Begriffen erstarren wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange. Das ist mir bei Kommilitonen aufgefallen, die Luhmann verstehen wollen. Luhmann ist eigentlich ganz einfach. Wenn man Luhmann nicht versteht, dann liegt das oft daran, dass man versucht, ein Mehr an Bedeutung hinter seinen Aussagen zu lesen, wo doch ein Weniger an Bedeutung angebracht wäre.
Wenn Luhmann zum Beispiel schreibt, Integration sei die Einschränkung an Freiheitsgraden, bzw. Entscheidungsmöglichkeiten, dann ist genau dies und nicht mehr gemeint. An den einfachsten Beispielen muss sich dieser Begriff dann bewähren. Ich kann zum Beispiel sagen, dass ein Bäcker, der zwei Brötchensorten anbietet, mir weniger Entscheidungsmöglichkeiten lässt, als einer, der zehn Brötchensorten anbietet. Das heißt, ich bin bei dem ersten Bäcker mehr integriert als beim zweiten. - Natürlich hat Luhmann seine Begriffe dafür nicht entworfen. Sie sind weiterreichend, als dieses Beispiel deutlich macht. Aber selbst hier muss der Begriff funktionieren.
Wenn man also einen Begriff findet, oder einen Begriff erfindet, sollte man sich dringend folgende Haltung zulegen: Schick! Den probiere ich mal aus und sehe, was ich mit seiner Hilfe entdecken kann.

Wer mehr Begriffe besitzt, um Texte zu schreiben, wer mehr Begriffe besitzt, um Texte zu analysieren, wer mehr Begriffe vorweisen kann, um schlagfertige Antworten zu produzieren, der hat mehr Handlungsspielraum in dieser Welt. Und wer - bitte schön - möchte sich nicht mehr Handlungsmöglichkeiten und mehr Entscheidungsspielraum gönnen?
Alles andere ist doch Käse!

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