31.08.2008

Besucher

Meine kleine monatliche Selbststreichel-Rubrik. Ein seltsamer Monat übrigens. Ich dachte, die Sommerzeit würde mir flaue Besucherzahlen bescheren, aber das Gegenteil war der Fall: Etwas über 3.800 Besucher und eine sichtbare Rekordbesuchszeit von 10.000 Minuten, also mehr als zweieinhalb Minuten pro Besucher. Das ist das doppelte an Besucherzahlen gegenüber dem Vormonat und das dreifache an Zeit, in der mein Blog geöffnet war (niemand sagt allerdings, dass er gelesen wurde).
Seltsam an den Besucherzahlen war aber auch, dass an drei Tagen des Augusts über 1.400 Besucher, also mehr als ein Drittel, verzeichnet wurden. An einem Tag hatte ich auch mal fünfzehn Besucher.
"Sinnentnehmendes Lesen" bleibt vor "Metonymie" weiter wichtigstes Stichwort (obwohl mein Blog zum sinnentnehmenden Lesen ja gerade mal einen Artikel hat). Unter den ersten zwanzig Stichworten taucht auch - was ich seltsam finde - die Hypotypose auf, ein Wort, dass ich erst dieses Jahr kennen gelernt habe. Neue Stichwörter sind eindeutig "rhetorische mittel", "rhetorische figur", "metapher" und "Charakterisierung beispiele".
Die meisten Verweise kommen immer noch über wikipedia. Dort bin ich bei Kai Meyer und beim kreativen Schreiben verlinkt. Sehr fleißig sind aber auch Blogleser anderer Blogs.

25.08.2008

Das Projekt von Alice Gabathuler

Musste ich lesen. Und habe eine halbe schlaflose und durchgegruselte Nacht verbracht. Ein hervorragendes Buch, Thriller und Entwicklungsroman in einem. Sehr empfehlenswert.
Vor allem schafft Alice, die Geschichte aus vier Perspektiven zu schreiben, und damit eine der komplexesten Herausforderungen des fiktiven Schreibens zu meistern. Und das tadellos. Wahrscheinlich ihr bestes Buch; bis ihr nächstes erscheint.

22.08.2008

Kleiner Zwischenbericht

Ich existiere noch, keine Angst. Und ich schreibe noch. Derzeit fülle ich allerdings meinen Zettelkasten wieder auf, den Zettelkasten, den Daniel Lüdecke programmiert hat. Es sind die gleichen Fragen und Probleme wie bisher, die mich umtreiben. Und zur Zeit schleife ich alle soft-skills über die Lernzieltaxonomie von Bloom und eine Liste mit pädagogischen Prinzipien, die ich während meiner Zeit im Referendariat entworfen haben.
Diese Liste mit pädagogischen Prinzipien stützt sich vor allem auf die systemischen Ansätze und ist - man verzeihe mir, wenn ich das so freimütig äußere - wesentlich sinnvoller, als die pädagogischen Prinzipien, die ich bis dahin kennen gelernt habe.
Beides, die Lernzieltaxonomie und die pädagogischen Prinzipien, sind natürlich Modelle und müssen als solche, keinesfalls als umfassende Realität behandelt werden. Zu Modellen hatte ich ja schon einiges geschrieben.
Aus der Arbeit mit den pädagogischen Prinzipien leite ich dann Suchfelder ab: knappe Schriften, die ich nach und nach in Richtung anderer Theorien erweitere, so zum Beispiel in Richtung Nietzsche, der mich gerade wieder sehr beschäftigt.

Ungelesen, und das piekst mich langsam richtig, liegen die Bücher von Frank und Alice auf meinem Lesesofa. Aber am Wochenende werde ich mich ihnen endlich widmen können. - Heute Abend bin ich allerdings erstmal unterwegs und werde keinen Finger krumm machen, außer um ein Bierglas zu halten.

15.08.2008

Rezensionen

Gerade habe ich noch späten Besuch erhalten: zwei Bücher und hintendran die beiden Nachbarinnen, die die Sendung entgegengenommen haben.
Die Bücher sind von media-mania, meinem online-Rezension-Portal und reihen sich in die anderen sieben Bücher ein, die ich noch hier liegen habe.
Besonders gefreut hat mich aber, dass ich hier mal wieder zwei Romane bekommen habe, einmal Das Projekt von Alice Gabathuler, und einmal Landeplatz der Engel von Frank Reifenberg. Ich werde mich noch ein wenig gedulden, denn erstmal muss ich noch zwei Rezensionen schreiben für die Exemplare, die seit demnächst online gestellt werden müssen. Dann werde ich mich aber ganz den beiden Thienemann-Autoren widmen. Bin ja auch schon gespannt wie ein Flitzebogen.

12.08.2008

Souveränität wahren

Souveränität ist eigentlich ein politischer Begriff. Das vergisst man heute häufig. Er wird mittlerweile eher im Bereich des Alltags und Berufslebens gebraucht.

Was versteht man unter dieser alltäglichen und beruflichen Souveränität?

Vier Aspekte
Zunächst teilt diese sich in vier Bestandteile oder Aspekte auf: Selbstsicherheit, Unabhängigkeit, realistisches Selbstbild, Zugewandtheit. Die vier Aspekte überschneiden sich und bedingen einander (was auch immer sie nun konkret bedeuten mögen: denn letzten Endes wird hier ja ein undefinierter Begriff durch vier andere, undefinierte Begriffe ersetzt, wobei undefiniert heißt: weder leiten diese Begriffe das Handeln, noch strukturieren sie das diagnostische Wahrnehmen).

Selbstverständliche Fehler
Statt sich Fehler vorzuwerfen, kann man diese "Fehler" als selbstverständlich ansehen. Wieso das? - Nun, nicht, weil diese Fehler gut sind, sondern zunächst, um kausale Ketten aufzubrechen.
Kausale Ketten sind natürlich nicht wirklich kausal: die Welt ist komplex, und in der Gesellschaft entstehen Wirkungen häufig durch vielfältige Beeinflussungen und durch kreisförmiges Aufschaukeln, so dass man keine Ursachen isolieren kann. Gerade aber Fehler rufen immer wieder einen Automatismus hervor: eine Suche nach dem Schuldigen, einem Vorausgreifen der Folgen.
Das "selbstverständlich" isoliert nun den Fehler, bricht mit den Kausalitäten.
"Selbstverständlich konnte ich mit der Arbeit erst so spät beginnen: ich hatte ja vorher etwas anderes zu tun."
Und ein Fehler, der als selbstverständlich angesehen wird, ist nicht mehr so ganz der Fehler, der sein Gewicht in dem Schuldig-sein findet.
Sagen Sie sich also häufiger: Selbstverständlich musste ich das so und so machen ... - und ergänzen Sie: ..., denn ... (Seien Sie dabei ruhig erfinderisch.)

Emotionale Intelligenz
Ein Schlagwort, zugegeben. Trotzdem: seine Gefühle wahrzunehmen (und nicht: ihnen nachzugeben) ist ein wichtiger Bestandteil des realistischen Selbstbildes. Vermutlich kennen Sie auch Personen in Ihrer Umgebung, die sich gerne ihren Gefühlen hingeben und diese mehr oder weniger ungebremst ausleben, aber zugleich kaum eine realistische Selbsteinschätzung haben. Sie können ihre Gefühle nicht als Mitwirkung begreifen.
Deshalb ist die Selbstbeherrschung eine der Grundlagen der emotionalen Intelligenz. Selbstbeherrschung heißt nicht, die Gefühle zu verdrängen und immer rational, unterkühlt, emotionslos durch die Gegend zu laufen. Selbstbeherrschung heißt zuallererst, dass man die Gefühle so lange zurückhält (oder es zumindest versucht), bis man diese wahrgenommen hat und sich ein Stück Freiheit erobert hat, eine Wahlmöglichkeit, mit diesen umzugehen. Nicht also Verdrängung, sondern Wahrnehmung und Entscheidungsfreiheit sollen durch die Selbstbeherrschung erzielt werden. Die Gefahr der Blockade ist natürlich gegeben. Aber mit dem Bewusstsein dieser Gefahr kann man diese gut umgehen.

Entschluss
Der Weg zur Souveränität führt über den Entschluss, souverän zu werden.

Reaktion/Behandlung
Nach Luhmann ist das Verstehen die Einheit von Information und Mitteilung und die Entscheidung für die eine oder die andere Seite. Die Information sagt etwas über die Welt, bzw. führt in sie einen Unterschied ein. Die Mitteilung sagt etwas über den Sprechenden. Wenn also jemand sagt: Du bist ein dummer Trottel!, dann ist die Information, dass der Angeredete ein dummer Trottel ist, die Mitteilung, dass der Sprechende sich ärgert (zum Beispiel).
Nun gilt für einen souveränen Umgang: Nicht auf die Information reagieren, sondern die Mitteilung behandeln.
Wer souverän werden will, sollte sich in einer Situation oder spätestens nach einer Situation fragen, was der Sprechende mitteilen wollte, nicht, worüber er uns informieren wollte. Zwar ist hier Vorsicht geboten, denn man soll sein Gegenüber ja nicht in eine Schublade stecken, aber zumindest kann man mit einer hypothetischen Persönlichkeit rechnen und hat das Recht darauf, sich auf diese eine Zeit lang zu stützen.

Mit Rahmen spielen
Jede Situation hat ihre Rahmen. Rahmen in sozialen Situationen sind Hintergrundannahmen und wie diese in eine Situation mit eingebracht werden. Sagt jemand: "Das ist so und so!" oder "Das bedeutet dieses und jenes!", dann ist die Hintergrundannahme dieses Menschen, dass er das Recht hat, etwas genau so zu interpretieren.
Es ist zwar nicht immer angebracht und manchmal extrem konfliktträchtig, an solchen Rahmen mitzuwirken, aber es zeugt nicht von Souveränität, wenn man die Rahmendefinition aus der Hand gibt und den oder die anderen machen lässt.
Hier vier Techniken, an dem Rahmungen mitzuwirken:
  • Antithese: Ich sehe das genau gegenteilig ...; Andererseits ist aber ...
  • den Suchraum erweitern: Du vergisst, dass ...; Hier muss man trotzdem beachten, dass ...
  • den Suchraum verengen: Bleib bei der Sache! Wir müssen die Situation erörtern, nicht die Welt!
  • das Thema metonymisieren, das heißt, das Hauptthema trivialisieren, ein nebenan liegendes Thema dagegen fokussieren: Das ist schon ganz richtig, allerdings ist hier vor allem der Aspekt xxx wichtig.

Das eigene Urteil
Vertrauen Sie dem eigenen Urteil. Sie müssen sich ja nicht endgültig darauf festlegen, aber solange es Ihnen als eine naheliegende Wahrnehmung oder eine praktikable Lösung erscheint, können Sie ruhig daran festhalten, auch wenn andere Menschen anderer Meinung sind.
Dazu gehört allerdings auch, mit diesem eigenen Urteil umgehen zu können. Man sollte sich überlegen, was dieses Urteil bewirkt. Wer könnte dafür, wer dagegen sein? Wie notwendig ist dieses Urteil? etc.
Und natürlich gehört auch dazu, dem Anderen seine Sicht der Dinge zu lassen: Missionieren Sie nicht! Strafen Sie nicht! Fragen Sie lieber nach.

Stärken und Schwächen
Zur Souveränität gehört
, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen. Ab und zu tut es ganz gut, sich hier eine Liste anzulegen: Eigenschaften, die man an sich schätzt und Fähigkeiten, die man genießt; aber auch Eigenschaften, die man an sich nicht schätzt und Fähigkeiten, die man nicht mag.
Diese Liste kann man einteilen: die Schwächen kann man ordnen nach dem, was man an sich am meisten und am wenigsten verändern will und nach dem Aufwand der Veränderung; die gesamte Liste kann man ordnen nach der eigenen Einschätzung, wie realistisch/unrealistisch man sich wahrnimmt und wo man sich zu mehr Realismus verhelfen möchte, eine bessere Selbsteinschätzung erreichen möchte.

Gelassenheit im Spiel
Souverän ist, wer das Spiel zwischen Selbst- und Fremdbild gelassen sehen kann und gelassen damit umgeht. Bleiben Sie neugierig und offen, empfinden Sie sich als einen Menschen, der sich selbst überraschen kann und den man ernst genug, aber nicht bierernst nehmen muss. - Haben Sie eine drollige oder skurrile Seite an sich (wieder-)entdeckt, nehmen Sie das mit Humor. Sagen Sie sich: Das ist halt so, basta!

Interesse
Bleiben Sie interessiert am anderen, aber dosieren Sie dieses Interesse auch. Nehmen Sie den anderen wahr, aber spionieren Sie ihn nicht aus. Was auch immer Sie von einem Menschen wissen: er wandelt sich sowieso und kann Ihr Wissen zu einem kleineren oder größeren Teil hinfällig machen. Insofern sparen Sie sich die Mühe, jemanden möglichst intensiv und tiefgründig zu kennen und genießen Sie es, ihn einfach auch mal Oberfläche sein zu lassen. (Paul Valéry hat mal gesagt: Das Tiefste ist die Haut.)

siehe: Nöllke, Matthias: Schlagfertig. Die 100 besten Tipps. Planegg bei München 2007

11.08.2008

Tausend Plateaus

Vor etwa zehn Jahren hatte ich mich intensiver mit Gilles Deleuze auseinandergesetzt. Neben Niklas Luhmann war das der Theoretiker, der mich am meisten fasziniert hat. Zunächst war dies die dunkle Sprache, die mir Sätze geliefert hat, die ich nicht vergessen konnte. Dann war es nach und nach das Modell seines Denkens, das ich mir erschlossen habe.
Worte wie Milieu, Konnexion, Distribution, Konjunktion, aber auch ähnlich klingende Begriffe wie die Metonymie sind in meine Sprache eingewandert. Jetzt beginne ich gerade wieder, dieses Denken neu zu erschließen.
Ich hatte schon einiges dazu in diesem Blog geschrieben. Jetzt haben mich Begriffe wie Resonanz und Empathie wieder auf die Spur der Nomadologie gebracht. Es gab noch ein paar andere Einflüsse. So hat mein einer Chef - Kolja - eine ausgeprägte Vorliebe für klassische Filme, Akuro Kurosawa, Fritz Lang ...
Und schon immer hatte ich die vage Fantasie im Hinterkopf, dass Romane wie die von Stephen King oder Joan Rowling mit einem differenzierteren Handwerkszeug betrachtet werden müssen als der klassischen Rhetorik.
Mir hat bisher weniger die Muße als vielmehr der Mut gefehlt, hier noch einmal den Einstieg zu wagen. Doch jetzt, nachdem so vieles mich dahin gedrängt hat, lese ich Deleuze wieder intensiv.
Zur Zeit: Tausend Plateaus; und dort vor allem das vierte Kapitel. - Eine Schrift zu Stephen Kings "In einer kleinen Stadt" ist am Entstehen. Nebenbei: Aufzeichnungen zu Mayröcker, zum Coaching (aus dem Bereich kamen die Wörter Resonanz und Empathie).

08.08.2008

Zirkuläres Fragen

Und noch ein Aufreger!
Zirkuläre Fragen fragen den Zirkel der sich wechselseitig bedingenden Ereignisse ab.
Lang, Anne M.: Systemische Frage-Intervention, in: Rauen, Christopher (Hrsg.): Coaching-Tools, Bonn 2004
Nein, nein, nein.
Denn was Anne Lang als zirkuläre Frage vorstellt, ist in Wirklichkeit nur eine Frage nach der Möglichkeit, die Frage nach einer Hoffnung oder einer Befürchtung:
"Was geschieht dann, wenn Sie so vorgehen, weiter in der Kommunikation?"
Nicht nur ist das keine zirkuläre Frage, sondern sie ist auch so unkonkret gestellt, wie eine zirkuläre Frage niemals vorgehen darf. Es sei denn, man weiß schon, worüber man spricht.

Was also ist eine zirkuläre Frage?

Mehrere Perspektiven

Zirkuläre Fragen werden immer in Mehrpersonensystemen angewendet. Familien sind dafür ein Beispiel. Der Therapeut oder Coach bringt durch die zirkuläre Frage neue Informationen in ein System aus mehreren Perspektiven.
Deshalb kann ich eine zirkuläre Frage nie anwenden, wenn ich als Coach einem einzelnen Klienten gegenüber sitze.

Hypothesen als (un-)heimliche Mitspieler
Eine zirkuläre Frage fragt immer nach Hypothesen einer Person über eine andere Person des Systems. Solche Hypothesen fragen
  1. nach dem, was das Verhalten des Befragten beim anderen auslöst: "Herr Conradi, was glauben Sie, denkt Frau Stievke über Ihr Beharren auf eine Zusammenlegung der Abteilung A mit Abteilung B?";
  2. nach dem, was das Verhalten einer Person B bei einer Person C auslöst: "Herr Kornappel, was glauben Sie, was Frau Stievke über Herrn Conradis Beharren denkt, Abteilung A und B zusammenzulegen?"
Das heißt auch, dass die Fragen immer nur die anwesenden Personen betreffen. Damit aber werden die heimlichen Mitspieler einer sozialen Situation ins Spiel gebracht, aufgedeckt, verhandelbar. Manchmal sind da ganz fantastische Aufreger dabei. So könnte Herr Kornappel sagen:
"Frau Stievke denkt eigentlich: Was für ein Mist, dass Herr Conradi auf diese Idee gekommen ist. Jetzt werfe ich dem aber mal ordentlich Knüppel zwischen die Beine!"

Zirkuläre Gesprächsführung
Zirkuläre Gesprächsführung heißt, dass nicht ein einzelner Mensch befragt wird, sondern dass der Coach oder Therapeut zwischen den Beteiligten wandert und dabei sozusagen das Netzwerk aus Hypothesen aufdeckt, das hinter dem Symptom liegen könnte. Liegen könnte: denn eigentlich stellt der Coach/Therapeut dieses Netzwerk erst her. Es gibt hier einen deutlichen Unterschied zwischen dem Unbewussten der Psychoanalyse, das ja schon vorher immer da war, laut Psychoanalyse, und der Latenz der Systemtheorie, die eine Strukturmöglichkeit eines Systems ist. Die Latenz wird sozusagen zur gleichen Zeit entdeckt, in der sie verschwindet, oder - anders gesagt -: eine mögliche Struktur wird erst wahrgenommen, wenn sie eine reale Struktur geworden ist, und damit natürlich nicht mehr nur möglich ist.

Die Kunst des zirkulären Fragens ...
besteht darin, die Fragen so zu stellen, dass am Ende des Interviews eine konstruktive Lösung steht. Bringt man zu rasch Aufreger hinein, knallt das dem Coach/Therapeut um die Ohren. Das heißt, der Coach muss abschätzen können, wie belastbar ein Mehrpersonensystem im Moment ist, welche Themen es gerade noch aushält. Im Unterschied zu Familiensystemen, die oftmals bis zum Zerreißen dramatisieren und einen massiven Symptomträger ausbilden, sind Berufsgruppen durch allerlei Anpassungen, Hinterbühnen und angstvolle Rituale des Verschweigens vergiftet.
Wer hier gräbt, bringt diese Angst hervor; und wenn hier mehrere Personen entdecken, dass sie sich selbst aus dem Spiel raushalten können, indem sie einen Buhmann finden, einen, der bisher falsch gespielt hat, dann kann das zirkuläre Fragen statt zu einer Lösung zu einer Symptomidentifikation führen, die einen Mitspieler rasch rauskickt. Dadurch wird zwar das Symptom nicht gelöst, aber man gönnt sich für eine gewisse Zeit eine Entlastung.
Man kann dieses Verhalten ja manchmal bei Lehrern beobachten: ein bestimmter Schüler ist der Buhmann; sobald dieser die Klasse verlässt, entwickelt sich ein anderer Schüler zum Buhmann und Symptomträger, möglicherweise einer, der bisher garnicht auffällig war.

Wenn man doch mit einer Person ein zirkuläres Interview führen möchte, dann vielleicht so, wie ich es HIER vorgeschlagen habe.

07.08.2008

Solution-Talk (grrr ....)

Wie ich dieses Wort hasse! Wie ich es verabscheue! Wie es mich anekelt!
Problem-Talk schaffe nur noch mehr Problemorientierung, Solution-Talk dagegen Lösungsorientierung. Stimmt natürlich irgendwo: wenn man nur über Probleme redet, kann man sich herrlich in seiner Suhle einigeln; ob man dies nun für sich alleine oder mit anderen zusammen macht. Insofern natürlich: hurra, Solution-Talk und hin zu kreativen und konstruktiven Lösungen.
Aber: wenn man ein Problem nicht ausdifferenziert hat, wenn man nicht die Reichweiten, Wirkungsweisen und Strukturen eines Problems abgeschmeckt hat, dann baut der Solution-Talk auf dünnem Fundament.

Folgendes also: ein Problem braucht zwei Seiten, um gelöst zu werden: einmal eine gute Wahrnehmung des Problems, einmal gute Auswege aus dem Problem.
Für die gute Wahrnehmung des Problems ist ein Problem-Talk unablässig. Man nennt das dann auch Diagnostik, Analyse, oder - wenn man dies mal in gutem Coaching-Deutsch formulieren möchte - Abchecken der Symptomlandschaft.
Denn das Problem eines Problems ist meist, dass es nicht differenziert und systemisch wahrgenommen wird, sondern aufgrund unterschiedlicher Perspektiven ausagiert wird und dieses Ausagieren dann in Teufelskreise mündet. Solche Teufelskreise werden dann meist dadurch ausgehebelt, dass ein oder mehrere Mitglieder des Konfliktsystems entweder innerlich oder real aussteigen.

Ausagieren kann sich einen professionellen Anstrich geben: und der Solution-Talk ist dazu geeignet, die Farbe und den Pinsel dazu zu liefern. Aber genau hier sollte jeder Professionelle in der Lage sein, ein Stück zurückzutreten, sich von seinem eigenen Engagement einen Moment lang zu verabschieden und zu sehen, ob sich hier nicht andere Interpretationen ziehen lassen, als man sie im "heißen" Tagesgeschäft zieht.
Er muss also seine Schublade verlassen und sich fragen: haben wir dem Problem genug Raum gegeben, haben wir es ausreichend diagnostiziert, oder sind wir zu rasch zu Lösungen übergegangen und können jetzt dabei zusehen, wie das schöne Gebäude teils oder ganz in sich zusammenstürzt, und wir stehen mittendrin?

05.08.2008

Schriftsteller werden

Liege etwas vergrippt darnieder. Da man aber nicht die ganze Zeit schlafen kann, googelte ich in der Gegend herum. Dabei bin ich über einen tollen Blog gestoßen: Schriftsteller werden. Da ist jemand nicht nur mit Begeisterung sondern auch mit analytischem Verstand bei der Sache. Begeisterung findet man ja häufig bei Jungautoren. Analytischer Verstand dagegen ist eher rar. Die Blogautorin Jaqueline Nagel aber hat beides; nun, sie studiert ja auch Astrophysik, da sollte man zur Analyse schon fähig sein.

04.08.2008

Literarischer Kanon

Mit den sauber gesetzten Quellen hat man es übrigens auch an den Uni zu tun, bzw. erschreckenderweise nicht zu tun. Das scheint vielerlei Ursachen zu haben.
Eine der wichtigsten ist, dass der literarische Kanon aufgelöst gilt, und man mit Klassikern so seine Mühe hat. Selbst in gebildeten Schichten findet man eine mittlerweile so große Unkenntnis der klassischen deutschen Literatur, geschweige denn älterer lateinischer, kirchengeschichtlicher oder griechischer Klassiker, dass man sich schütteln kann. Ich meine, zumindest sollte man doch wissen, dass die Metamorphosen von Ovid sind, die Göttliche Komödie von Dante und die Bekenntnisse von Augustinus.
Damit einher geht aber auch Geschichtsunbewusstsein; und - in der logischen Form - ein Unbewusstsein der Ableitung, der Quelle, des Zitats. Dabei sollte es gerade heute, im computerisierten Zeitalter, möglich sein, sich eine Sammlung an Zitaten und Quellen zusammenzustellen, die genügend differenziert ist und mit der man systematisch arbeiten kann. Aber viele Professoren scheinen ja nicht mal mehr einen Zettelkasten zu führen und ein solch enormer Zettelkasten, wie Niklas Luhmann hinterlassen hat, wird als Unikum und Tat eines genialen Wahnsinnigen betrachtet.
Es ist vielleicht das Zeichen einer maroden Zeit, dass der Quellenverweis durch den Markenschutz ersetzt wird.

Vielleicht liegt mein Bewusstsein für Quellen - und nicht, wie Herr Muskatewitz schrieb, für Recht - einfach daran, dass ich kein Trainer oder Berater bin, sondern mich immer noch als Literaturwissenschaftler verstehe.
Und vielleicht liegt dieses Selbstverständnis auch darin begründet, dass ich einen Text als Struktur verstehe, die man untersuchen kann und von der es sich zu lösen gilt. Ich weiß also, dass ich nur zu lesen brauche, um mein Eigenes ins Spiel zu bringen und habe damit nicht das Problem der Originalität. Und damit gehen ja Berater und Trainer gerne hausieren.

Schließlich gehört in diesen Dunstkreis auch der Vorwurf des name-dropping und des Zitierens: als ob es eine Schande sei, zu zitieren, oder den Urheber eines Gedankens, eines geistreichen Bonmots offen zu legen. Ja, als müsse man alles frisch wie ein Neugeborenes und ganz aus sich heraus in die Wiege des Gesprächs einbringen; Zwang zur Authentizität, zur "geistigen" Unabhängigkeit, zur Geschichtslosigkeit.
Was für ein bodenloser Unsinn!

Unrechtsbewusstsein

Na, solche Mails freuen mich doch:
Sehr geehrter Herr Weiz,

vielen Dank für Ihren Hinweis bzw. Ihre Frage, ob Sie den Ausschnitt aus Bernd Schmids Beitrag in Coaching-Tools so in Ihrem Blog zitieren können.
Ihre Rückfrage ehrt Sie, in der Regel bin ich anderes gewohnt, da die Zunft der Trainer/Berater leider häufig nur ein recht schwach ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein im Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer hat ...

Die von Ihnen verwendete Passage ist ein fraglos sauberes Zitat mit Quellenverweis. Sie können es bedenkenlos so einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen
Ralf Muskatewitz

managerSeminare Verlags GmbH

Sehnsucht und Intention

Ich habe heute auch noch, ganz nebenbei, Zitate zum Thema Emotion herausgeschrieben.
Folgende sind mir - unter vielen anderen - in die Hände gefallen:
Als Sehnsucht ist das Meinen emotional, als Intention logisch, dieses Ineinander an der Wurzel des Meinens gibt den Grund ab, weshalb legitim gesagt werden muss: das Nicht im Nicht-Haben hält es auch logisch nicht bei sich aus. Weshalb auch weiterhin jeder logische Bezug, statt in der Luft zu schweben oder gar tautologisch leer zu sein, in der Auseinandersetzung eines Emotional-Intensiven sich befindet.
Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung in die Philosophie, Frankfurt am Main 1996, S. 244
Im Meinen also liegt eine Dialektik zwischen Sehnsucht und Intention, zwischen Emotionalität und Logik, die unaufhebbar ist, also keine klassische Synthese bilden kann. Hier haben wir eine ähnlich stolpernde Bewegung, die Erstarrung in der Logik, das Wischiwaschi der reinen Sehnsucht (von Bloch als "verfaulter Subjektivismus" geziehen), und dessen Ineinander im Meinen:
Denn eben das Meinen als Nicht-Haben ist das Meinen als Sehnen und zugleich logisch fassbar als Intendieren.
ebd.
Bloch macht dies an dem Urteil (S ist P) deutlich. Gras ist grün, das heißt nicht, dass dieses Urteil wahr oder falsch sein kann, sondern es ist, wie Bloch schreibt, begründet in dem "ist" als "erste Wegbildung", als "versuchte Bestimmung". In dem "ist" steckt mehr Sehnen als die logische Form glauben macht.
So schreibt Bloch auch spöttisch wie mahnend:
Derart ist alles Logische so auf Intensives bezogen, wie dieses das Logische zu seiner Erschließung braucht. Wer in den feinen Strichen der Logik nicht die Unruhelinien der Sehnsucht aufgezeichnet sieht, wer in dieser scharfen Seismographie nicht das Beben unter der Rinde, die Spannungen des Umtreibenden hört, verwechselt die Logik mit einem Herbarium von Redeblumen oder auch nur, positivistisch, von Tautologien.
ebd., S. 245
Darin findet sich noch der Beginn, den Bloch setzt:
Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.
ebd., S. 13
Im Meinen findet man dieses Emotionale, Herausgehende und dieses Intentionale, Hineinholende als einen fortlaufenden Prozess. Blochs existentielle Kategorie darin ist das Nicht-Haben, in dem das Nicht sich zwischen das Existieren und das Sich-selbst-Besitzen stellt und so die Bewegung nach außen, das Sehnen bewirkt. Zugleich intendiert der Mensch im Haben, im Etwas-anderes-haben, sein Sich-selbst-haben, und insofern ist jeder Besitz nur auf zweideutige Weise zur Selbstdefinition geeignet.
Nicht nur das Wer, auch das Was, insgesamt also: die Urbeziehung Subjekt-Objekt, sind im Nicht als Nicht-Haben angelegt; intensives, tendentielles Nicht-Haben also ist der dynamisch-materielle Ursprung alles zeiträumlich Gehabten. Und das Nicht bleibt dem Gehabten; gerade bewegte Materie ist nicht das, was liegt und besitzt, sondern was sich dauernd in Prozess befindet, dauernd bis auf weiteres in ihm umgebildet wird und umgebildet werden kann. Bewegung setzt und verändert den Stoff der Natur, Arbeit an ihm setzt und verändert den Stoff der menschlichen Geschichte.
ebd., S. 248

03.08.2008

Selbstbeherrschung

Eine der wichtigsten Voraussetzungen der emotionalen Intelligenz, so schreibt Nöllke in Schlagfertig. Die 100 besten Tipps ist die Selbstbeherrschung:
Selbstsichere Menschen lassen sich nicht so schnell von ihren Gefühlen mitreißen. (S. 12)

Damit ist nicht gesagt, dass man Gefühle unterdrücken soll. Es gilt hier eher die Feinheiten eines Gefühls abzuschmecken, so wie man die Herkunft der Kräuter nach und nach abschmecken kann, sogar die Bestandteile des Bodens herausschmeckt, wie ein Weinkenner.
Den Gefühlen Widerstand entgegenzusetzen heißt auch, dass man sie für sich selbst deutlicher, schärfer fasst.

Tatsächlich hat Herbart das Gefühl als Streben und den Widerstand gegen das Gefühl als ein anderes Gefühl beschrieben (Erster problematischer Entwurf der Wissenslehre). Dort fasst er sehr gut zusammen, wie sich das strebende Gefühl und das zwingende Gefühl zu einer diskursiven Bewegung ergänzen:
Der Zwang im Ich, dieses Übergehn — das des Strebens — zu setzen, ist dem Zwange, jenes — das des Widerstandes — zu setzen, entgegengesetzt. Beides hebt sich auf. Damit also nicht im Ich auch Ruhe entstehe, muss es zuerst gezwungen sein, Eins, dann das Andre zu setzen. Aber das gibt ein Hin- und Hergehn; der Widerstand muss zugleich sein mit dem Streben. Seine Richtung kann nicht zugleich sein mit der des Strebens; aber ein andrer Zwang, ein Gefühl also, das zu einer ändern Zeit mit seiner Richtung verbunden ist, dessen Setzen also mit dem Setzen der letztern nur Eins ausmacht und auch in der Erinnerung es mit sich verbindet: dieses muss mit dem Uebergehn des Strebens zugleich sein. Doch damit diesem Gefühle der Widerstand nicht zufällig gesetzt werde, muss er selbst sich gegenwärtig zeigen. Er kann das Übergehn zum Teil aufheben; denn es ist der Vermehrung und Verminderung fähig; es besteht in der Verknüpfung des Von und Zu; je verknüpfter, je näher beide sind, also, — da beide Zeitmomente sind, je schneller das Übergehn von statten geht, desto vollkommener ist es. Von diesem schnelleren und langsameren Erfolg müssen also mehrere Erfahrungen vorhanden sein.
Herbart, Johann Friedrich: Sämmtliche Werke Band 11, S. 45
In dem Streben und dem Widerstand liegt also ein Hin- und Herpendeln, welches möglichst rasch vonstatten gehen muss, um "vollkommen" zu sein. - Das ist ein wenig wie Gehen lernen: man fällt nach vorne, bremst den Sturz und fängt sich ab, fällt wieder, fängt sich erneut, und so fort, bis man den Rhythmus des Gehens so beherrscht, dass man nicht ans Fallen und Auffangen denkt, sondern eben ans Gehen. Und vielleicht ist es ebenso mit den Gefühlen, eben weder zu fallen, noch stehen zu bleiben, sondern dieses dichte Aufeinanderfolgen von Gefühl und Widerstand zu kultivieren.

Nöllke, Matthias: Schlagfertig. Die 100 besten Tipps, Planegg bei München 2007

Wenn man schon Moden mitmacht, ...

dann natürlich richtig. Dazu gehört, dass man fleißig an den Wörtern herumbastelt und ständig neue erfindet. Neologismen sagt man klassischerweise dazu. Der Spunk ist ein klassischer Neologismus; klassisch natürlich deshalb, weil er aus einem klassischen Buch stammt: Pippi Langstrumpf. Sexperte ist ein anderes (eine Erfindung des Spiegels), metrosexuell, la lalangue (von Lacan geprägt, indem er den Artikel an langue vorne dranhängte und dann einen weiteren Artikel hinzufügte), das Wu-Wei (bei Roland Barthes, aus dem Japanischen übernommen), oder die Interpenetration (womit Luhmann die Tatsache bezeichnet, dass zwei geschlossen operierende Systeme sich gegenseitig über Strukturen und Ereignisse ihre Komplexität zur Verfügung stellen).
Eine andere Möglichkeit des Neologismus besteht in dem beigefügten Adjektiv: emotionale Intelligenz - ein Wort, das so viel Begeisterung ausgelöst hat, dass man glatt nicht mehr weiß, was es bedeutet. Aber emotionale Intelligenz ist natürlich gut.
Das Coaching hat wieder eine ganz eigene Sprache. Man spricht von Follow-ups, statt von anschließenden Methoden, oder anschließenden methodischen Möglichkeiten. Statt ganzheitlichem Ausgleich spricht man vom Holistic Rebalancing, und statt vom Tagebuch schreiben wird die an Valéry angelehnte Cahier-Methode
® angepriesen: diese ist zwar thematisch geführt, und wird vom Coach begleitet, aber ob man dafür dann gleich ein ® braucht? - Ich bin mir nicht sicher.
Im übrigen beschreibt Julia Cameron in ihrem Buch Der Weg des Künstlers zahlreiche ähnliche Interventionsformen; zwar meist im Sinne einer Selbstbehandlung, aber eben rasch übertragbar.
Ich kann mir nicht helfen: aber all diese neuen Begriffe haben keinen wirklich neuen Inhalt. Ja, sie sind noch nicht einmal pfiffig. Der bei Valérys Arbeitstagebüchern abgelauschte Begriff dürfte diesen grausen machen. Wenn er denn noch lebte.
Viel hübscher und kreativer finde ich die Arbeitsmethoden, die mit Metaphern bezeichnet sind: Detektivarbeit, Hirnentleerung, Jagdschätze - für das Aufspüren verborgener zerstörerischer Sätze, dem meditativen, freien Schreiben und der Suche nach zwanzig auffälligen Dingen während eines Spazierganges. Vergessen wir also nicht die Metapher.

Die Cahier-Methode® ist markenrechtlich geschützt durch die Perspektivenwechsel-GmbH.

Bloganbieter

Ich habe jetzt zwei Tage damit verbracht, mir diverse andere Bloganbieter anzuschauen. Und ich kann nur sagen: Sch***, sch***, sch***. - Mich hat ja dieser Blog durch die interne Verlinkung in den Artikeln ziemlich genervt. Jedesmal, wenn ich einen internen Link gesetzt habe, haut mir das Blogprogramm die gesamte Internetadresse rein, was dann eine Fehlermeldung gibt, sobald man den Artikel veröffentlicht hat.
Und da einige Besucher schon an dem schmalen Kommentarfenster herumgekrittelt haben, dachte ich mir, dass es Zeit wird, einen neuen Blog einzurichten. Pustekuchen. Erstmal ist es recht schwierig, neue Bloganbieter zu finden, und entweder sind diese unkomfortabler, oder sie haben Werbung inside. Die größte Katastrophe war aber WordPress. Nicht WordPress selbst, sondern als ich eine Datenbank für WordPress anlegen wollte. Der MySQL hat gestreikt und mir den ganzen Bildschirm mit Fehlermeldungen vollgestellt. Und dann wollte ich nicht mehr und habe erstmal alles deinstalliert.

Souveränität

Mal wieder sind zwei Rezensionsexemplare bei mir eingetrudelt. Das eine - Schlagfertig. Die 100 besten Tipps von Matthias Nöllke - ist wirklich brauchbar (ins andere habe ich noch nicht reingeschaut). Nöllke beginnt sein Buch mit der Frage nach der Souveränität. Souveränität sei das Ziel der Schlagfertigkeit. Diese Betrachtungsweise fand ich interessant, vor allem deshalb, weil ich schon einmal eine ähnliche Meinung geäußert hatte, aber noch nicht so klar gesehen habe, wie sich Unabhängigkeit zur Schlagfertigkeit verhält. - Unabhängigkeit hatte ich es genannt, Souveränität bei Nöllke.

Da ich mich diese Woche mit einer Vorgesetzten gekabbelt hatte, war dieses Thema für mich besonders interessant. Diese Vorgesetzte habe ich immer als sehr fair, sehr offen, ruhig, strukturiert und kompetent wahrgenommen. Unser Gespräch drehte sich um einige vorangegangene Gespräche, in denen ich mich, nun, unwohl gefühlt hatte.
Und hier haben wir zum ersten Mal aneinander vorbei geredet. Bisher war immer ein sehr intuitives Vertrauen von meiner Seite da, da ich immer die Erfahrung gemacht habe, dass diese Vorgesetzte mich intuitiv versteht. Und an diesem Punkt haben wir uns nicht einigen können. Es ging um folgendes:
Ich habe die Gespräche nach Punkten durchforscht, bei denen ich meine Lerndefizite gesehen habe. Die Vorgesetzte fand, dass ich mich zu schlecht bewerte und mir dadurch selbst Knüppel zwischen die Beine werfe.
Meine Antwort darauf war Ja und Nein. Ich kenne diese Phasen von mir, in denen ich mit solchen "Lerndefiziten" hadere; in denen ich auf der Suche bin; in denen ich alle kreativen Möglichkeiten nutze, dieses Lerndefizit auszugleichen. Je nachdem, wie tief mich das berührt, kann ich da schon mal dünnhäutiger sein.
Andererseits bin ich ein sehr hartnäckiger Lerner. Eines der schönsten Komplimente, die ich in meinem Leben erhalten habe, war folgendes: "Du willst das nicht nur wissen, du willst das auch leben." Und das trifft es vielleicht sehr gut. Ein gewisser Perfektionismus, eine gewisse, sehr undiplomatische Ehrlichkeit, ein Misstrauen gegen alle Menschen, die sich nur positiv verkaufen.
Schließlich musste ich das Gespräch mit der Vorgesetzten sogar abbrechen. Ich habe einfach konstatiert, dass wir im Moment aneinander vorbei reden. Womit ich übrigens sehr zufrieden war.
Nun scheint diese Situation der Vorgesetzten aber Mühe zu bereiten. Mir ist zum ersten Mal aufgefallen, dass diese hochintelligente Frau tief unter ihrer tollen Kompetenz auch unsicher ist.
Damit kam ein ganz anderes Thema wieder hoch: dieses Alles-positiv-sehen. Diese Haltung habe ich noch nie gemocht. Ich bin ein Problemlerner. Probleme ziehen mich an und müssen lange und gründlich umgewälzt werden. Ich kann nicht ohne Probleme, auch wenn sie mich manchmal umwerfen. Auf der anderen Seite ermöglicht mir diese Haltung, eigentlich, zu meinem Nicht-Wissen, zu meinen Fehlern zu stehen (was immer auch Fehler heißt: es ist ein Begriff, den ich nicht sonderlich ernst nehme). - Die Vorgesetzte hat nun, wohl mit sehr viel Disziplin und Einsatzbereitschaft, eine geradezu perfekte Berufsrolle aufgebaut. Eine, der ich lange eine tiefe Bewunderung entgegengebracht habe. Jetzt hat sie ein wenig Risse bekommen. Es menschelt dann doch irgendwo, tief untendrunter. Was ja sehr sympathisch ist.
Aber es ist ganz klar: diese Vorgesetzte, die sich mit so viel Engagement, mit Zärtlichkeit um ihre Mitarbeiter kümmert, kann sich selbst Fehler wohl nicht verzeihen und hatte deshalb Probleme damit, dass ich so mit meinen eigenen Schwächen umgegangen bin. Vielleicht kann ich hier sogar einen kleinen Teil dessen zurückgeben, was ich bei ihr gelernt habe.

So konnte ich auch nur nicken, als ich bei Nöllke las:
Positives Denken verträgt sich nicht gut mit Souveränität. Zwanghafte Zweckoptimisten sind nun geradewegs das Gegenteil von souverän.
Nöllke, Matthias: Schlagfertig. Die 100 besten Tipps, Planegg bei München 2007, S. 18

02.08.2008

A propos Goethes Pudel

Im Jahr 1816 hat ein dressierter Pudel in einem Melodram solche Begeisterungsstürme hervorgerufen, dass dieser Pudel samt seinem Stück nach Berlin ging. Die Berliner verballhornten dann: den Hund auf's Theater bringen, heißt, das Theater auf den Hund bringen.
Als das Stück nach Weimar kommen sollte, weigerte sich der dortige Intendant, der Herr Goethe, musste aber angesichts des Pudels weichen. Goethe ging nach Jena, der Pudel folgte und Goethe wich erneut.
Schiller dichtete dazu (allen Ernstes):
Es soll die Bühne nie dem Hundestalle gleichen,
Und kommt der Pudel, muss der Dichter weichen.

Besucher

Über all den Tätigkeiten der letzten Tage habe ich ganz vergessen, meine Besucherzahlen anzuschauen. Wie erwartet gingen diese im Juli etwas zurück, auf knapp 2000 für den ganzen Monat. Durchschnittlich ist aber jeder Besucher eineinhalb Minuten auf meinem Blog gewesen; das ist gegenüber den Vormonaten eine deutliche Steigerung. Da waren es etwas über eine Minute pro Besucher.
Am 20. Juli hatte ich etwas über dreihundert Besucher. Dementsprechend ist die Zahl an den anderen Tagen niedrig gewesen, meist zwischen zwanzig und dreißig Besuchern.
Häufigster Suchbegriff ist neben dem "sinnentnehmenden Lesen" die "Metonymie"; danach folgen "Dschungelwelt" und "ywriter".

Metaphern

Metaphern sind ein wichtiges Werkzeug im Coaching und der systemischen Beratung. In diesem Beitrag erörtere ich zunächst linguistische Begriffe wie Zeichen, Metapher, Vergleich & Analogie, Symbol, Pictura, Inscriptio/Subscriptio/Emblem. Diese Abschnitte habe ich durch Übungen ergänzt. Von diesem Grundgerüst aus kritisiere ich die Unschärfe des Metaphern-Begriffs in der Coaching-Literatur. In zwei Beispielen nehme ich anschließend auf Techniken des Coachings bezug.


Eine ausführlichere Ausführung finden Sie in meinem E-Book Metaphorik. Strategien der Verbildlichung.









Metaphern werden heute - in der therapeutischen und in der Coaching-Literatur - gerne mit anderen rhetorischen Mitteln verwechselt, zum Beispiel der Analogie, oder der Pictura oder dem Symbol. Verwechseln ist vielleicht nicht das richtige Wort: übermäßig zusammengefasst trifft es eher. Denn die Metapher ist die Grundlage dieser anderen Figuren.
Da Metaphern ein hervorragendes Mittel sind, um etwas zu verbildlichen, sollte man sich mit ihnen etwas genauer beschäftigen. Da Metaphern aber auch sehr abgedroschen sein können, ist eine etwas genauere Beschäftigung mit ihnen sinnvoll, um sie besser einsetzen zu können.
Verbildlichungen sind deshalb so nützlich, weil sie auf die synthetischen Funktionen des Gehirns zugreifen und so analytische und synthetische Bereiche zusammenbringen. Das Bild überrascht, erhöht die Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit und kann eine angespannte Situation spielerisch oder humorvoll auflockern.

Zeichen

Metaphern basieren auf Zeichen. Die Formel für die Metapher lautet: ein Zeichen für ein anderes.
Was aber ist ein Zeichen? - Zunächst besteht ein Zeichen aus drei Komponenten: Signifikant, Signifikat und der Relation zwischen beiden. Der Signifikant ist zum Beispiel der Ausdruck "Tisch", den ich in einem Zusammenhang äußere, um jemanden darauf hinzuweisen, dass er sich an den Tisch setzen soll. Man bezeichnet den Signifikanten im Falle des Sprechens auch als Lautbild. Beim Schreiben heißt er dementsprechend Schriftbild (und nicht, wie oft gesagt, Schriftzeichen). Das Signifikat dagegen ist das Vorstellungsbild, also das, was man sich unter einem /Tisch/ vorstellt.
Vorstellungbild und Lautbild, Signifikat und Signifikant zusammen bilden ein Zeichen. Die Beziehung zwischen beiden Teilen ist sehr unterschiedlich geregelt, meist aber durch eine kulturelle Gewohnheit. Denn zwischen dem Lautbild "Tisch" und der Vorstellung eines Tisches gibt es keine Ähnlichkeit und auch keine Notwendigkeit. Die Beziehung ist rein willkürlich; und kann trotzdem nicht so ohne weiteres geändert werden, da unsere Sprache sich auf diese Gewohnheit stützt. Käme ich in eine Bäckerei und würde mit der Ansage "Sieben Tische" in Wirklichkeit drei Schrippen haben wollen, würde ich nur auf Unverständnis stoßen.

Metaphern

Metaphern ersetzen ein Zeichen durch ein anderes. "Achilles, der Löwe" - das klassische Beispiel für eine Metapher - ist in Wirklichkeit schon eine Gleichsetzung, die durch die syntaktische Form ausgedrückt wird. Trotzdem ist natürlich auch das eine (erweiterte) Metapher. Wie man sich Achilles vorzustellen hat, ist ein wenig schwierig. Vermutlich so, wie man dies durch den Troja-Film kennt, Brad Pitt mit Brustpanzer und Beinschienen und markig zusammengekniffenen Augen. Und ein Löwe ist eben ein Löwe.
Da sich aber Achilles und Löwe weder durch ihr Lautbild noch durch das Vorstellungsbild ähneln, spricht man von einer Ersetzung oder eben einer Metapher.
Nun ist die Frage, was eine Metapher leistet. Denn ersetzen kann man vieles und das mit durchaus unterschiedlichem Erfolg.
Eine Metapher bildet einen heimlichen Oberbegriff, bzw. stützt sich auf eine unausgesprochene Eigenschaft. Für Achilles und seinen Löwen ist diese Eigenschaft die Stärke, die Achilles hat und die durch den Löwen "illustriert" wird. Heute würde man vielleicht sagen: Achilles, der LKW.
Oder wenn man zu seinem Kind sagt: "Na, du Hummel?", weil es von einer Ware zur anderen im Supermarkt fliegt, wie eine Hummel von Blüte zu Blüte. Wobei man hier schon merkt, dass manche Metaphern nur eine gemeinsame Eigenschaft evozieren, andere Metaphern ganze Bilderfolgen und damit in den Bereich der Analogie oder der Pictura übergehen.

Übung I

Suchen Sie sich einige Personen aus Ihrem Umfeld, schreiben Sie einige ihrer Eigenschaften auf und suchen Sie zu diesen Eigenschaften andere Lebewesen, Dinge oder Ereignisse, die auch diese Eigenschaften besitzen. Bleiben Sie dabei auf der spielerischen Ebene, lassen Sie also auch Absurdes zu.
Beispiel: Peter → verschwiegen → Bankgeheimnis, Grab, Orion (der Stern, nicht der Versandhandel), ...
Am besten, Sie legen zu jeder Person eine kleine mind-map an. Von der Person weg gibt es dann eine erste Stufe mit deren Eigenschaften, und eine zweite Stufe mit anderen Lebewesen, Dingen und Ereignissen.
Der zweite Teil der Aufgabe besteht darin, diese Verbindungen in Sätze zu verwandeln. Schreiben Sie zu jeder Verbindung einen Satz, wobei Sie die Eigenschaft nicht erwähnen.
Beispiel: "Peter ist unser Orion."
Hier wie auch bei allen folgenden Übungen kommt es nicht so sehr auf die Tauglichkeit an. Beim Produzieren von Ideen sind 95% immer Mist und können kurz darauf in den Papierkorb wandern. Trotzdem hat diese Übung den Effekt, Metaphern leichter zu bilden: ihre Wirkung entfaltet sich also zunächst nicht im Ergebnis, sondern im Einschleifen von Denkmustern.

Übung II

Suchen Sie sich eine Eigenschaft und notieren Sie dazu Lebewesen, Personen, Ereignisse und Gegenstände, die dazu passen. Dazu passen heißt zunächst nur, dass diese für Sie passen, nicht für andere. Gerade bei emotional gefärbten Eigenschaften wie "lästig", "erotisch", "kauzig" sind das meist sehr subjektive Einschätzungen.
Beispiel: lästig → Mücken, Straßenlärm, pöbelnde Betrunkene, ...
Auch diese Beispiele verpacken Sie in Bilder: "Mücken sind die pöbelnden Betrunkenen des Finnlandherbstes." (Keine Angst: unter all solchen schrägen und teilweise holprigen Sätzen finden sich dann auch ein paar echte Knüller.)

(Metaphorischer) Vergleich/Analogie

Vergleiche und Analogien setzen Metaphern an mehreren Punkten. Zu einem Schüler, der immer wieder Probleme hatte, die Buchstaben zu einem Wort zusammenzuziehen, sagte ich: "Du kennst dich ja gut mit Flugzeugen aus. Bei einem Flugzeug ist das doch so: Es fährt, hebt ein wenig vom Boden ab, fällt auf den Boden zurück, hebt ein bisschen länger ab, fällt auf den Boden zurück und das noch zwei-, dreimal, bis es schließlich ganz abhebt und fliegt." (Dem Schüler habe ich das Bild dann natürlich näher erläutert: dass es ein Bild des Lernens ist und dass er sich keine Sorgen machen muss, wenn sein "Flugzeug" noch einmal den Boden berührt und er selbst sich kräftig durchgeschüttelt fühlt.)
Die Formel für den Vergleich lautet: a verhält sich zu b wie x zu y. - Im metaphorischen Vergleich wird der zweite Teil meist nur angedeutet: a verhält sich zu b (wie x zu y).
Bei Matthias Pöhm findet man eine ganze Menge solcher Vergleiche, unter anderem folgende:
(Tony Blair besetzt nach einer "Wahlniederlage" etliche Ministerposten neu) → "Was Blair hier macht, ist das bloße Umstellen der Liegestühle auf der Titanic."
(Angelika Merkel feiert sich drei Monate vor der Bundestagswahl als Siegerin) → (Joschka Fischer:) "Gegenwärtig kommen Sie mir mit Ihren Umfragen wie ein wunderbar anzuschauendes Souflé im Ofen vor. Wir werden sehen, was von der Größe in den letzten drei Wochen übrig bleibt, wenn der Souverän da hineinpiekst."
Solche Vergleiche werden aus allen Bereichen der Kultur herangezogen: aus Klassikern (Titanic), aus der Küche (Souflé), aus der Tierwelt, der Technik, etc.
Hier muss man schon etwas trickreicher mit allen möglichen Formen der Metapher arbeiten; so wie Joschka Fischer die Umfrageergebnisse als Souflé bezeichnet, damit schon andeutet, dass da viel Luft drinnen ist, und das Hineinpieksen als Metapher für die echte Wahl dann zu einer nur sehr andeutungsvollen Verbildlichung nutzt: was bleibt davon übrig? recht wenig, wenn es zusammengefallen ist. Das ist dann eine Mischung aus Metapher, Personalisierung und Anspielung.
Man unterscheidet hier auch zwischen dem bildspendenden Bereich (z.B. Backen eines Souflé) und einem bildempfangenden Bereich (z.B. Wahlkampf).
→ Übrigens ist die Bibel voller Gleichnisse (falls jemand das nicht weiß), und insofern auch für die Rhetorik ein großartiges Buch: man denke nur an das Gleichnis vom Sämann, vom verlorenen Sohn oder vom barmherzigen Samariter. Das Gleichnis (rhetorisch: Parabol) erweitert den Vergleich und ähnelt der Pictura.

Übung III

Mit diesen zahlreichen Möglichkeiten, einen bildspendenden und einen bildempfangenden Bereich zu kombinieren, müssen Sie jetzt auch spielen.
Beschreiben Sie einen Vorgang, einen technischen Ablauf, einen berühmten Abschnitt aus einem Film. Lassen Sie möglichst zwischen den Zeilen ein wenig Platz. Dann ergänzen Sie diesen Ablauf durch Umdeutungen auf den Büroalltag, die Kultur, die Politik, die Wirtschaft, das Liebesleben, die Kindererziehung, usw. Natürlich nicht auf alle gleichzeitig. Suchen Sie sich hier einen oder zwei Bereiche aus.
Spielen Sie mit den Metaphernmöglichkeiten, aber schaffen Sie keine fertigen Analogien. Denn was für den Schüler und seinem Lesenlernen gilt, gilt, auf anderer Ebene, für Sie, wenn Sie sich die Technik des Analogisierens erarbeiten wollen. Denn zum einen müssen Sie Ihre Aufmerksamkeit für die metaphorischen Möglichkeiten realer Vorgänge erhöhen; zum zweiten eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit der Wirklichkeit entwickeln (die Wirklichkeit ist nicht nur "wirklich", sondern auch "bildlich"); zum dritten braucht man eine gute Allgemeinbildung für das Analogisieren, und vor allem eine gut verbundene Allgemeinbildung, also eine, die sich rasch hervorholen lässt und regelmäßig genutzt wird; zum vierten aber ist es eine Gewöhnung an diese Technik und fünftes hat man selbst dann noch nicht eindeutig überzeugende Ergebnisse, sondern oft genug Ausschuss dabei.
→ Kreative Techniken sind extrem wichtig: was diese in Verruf gebracht hat, war der Glaube, jede geistige Blähung müsse schon gefeiert werden. In Wahrheit ist eine scharfe Auswahl erst das, was die kreative Phase nützlich macht. Kreative Ergebnisse müssen auf ihre Funktionalität überprüft werden.

Übung IV

Ein nettes Spiel, das man mit Freunden und Kollegen spielen kann: jeder bringt eine Tageszeitung mit - das muss keine ganz aktuelle sein -, man liest daraus einen kurzen Abschnitt vor oder fasst einen Abschnitt zusammen und schließt mit den Worten: "das ist wie ..."
Jetzt sind die anderen dran, diesen Bereich mit einer Metaphorisierung zu versorgen. Wer sich meldet und eine solche Metaphorisierung vorbringen kann (auch diese muss nicht "gut" sein), gibt das nächste Thema vor.
Hier sollte man ein wenig geduldig sein und eventuell dann in der Gruppe an dem Bild noch ein wenig herumbasteln. Und natürlich sollte man es sich ein wenig plauschig machen, und guten Wein bereitstellen. Oft wird nach einer Anfangsphase, die etwas zäher läuft, die Stimmung gelöst und man beginnt, wirkliche Ideen zu produzieren, die teilweise sehr skurril ausfallen, so dass man viel zu lachen hat.

Symbole

Im Prinzip sind Symbole nichts anderes als Vergleiche. Sie kommen meist aus einem klassischen Bereich; so zum Beispiel der Ausspruch "Das also war des Pudels Kern.", der anzeigt, dass hier etwas zum Vorschein gekommen ist, was vorher verborgen war (wobei die meisten nicht wissen, was dann folgt, aber nachzulesen ist im ersten Teil von Faust ab Vers 1324).
Symbole sind also kondensierte und hinreichend bekannte Anspielungen aus dem Zitate- und Sprücheschatz.

Übung V

Sammeln Sie Zitate und Sprüche. Notieren Sie sich den Sinngehalt und eine Situation, in der man diesen Spruch anwenden kann. Zitate und Sprüche gibt es haufenweise und billig. Deshalb ist es wichtig, diese - und wenn auch nur als Trockenübung - mit einem praktischen Gebrauch, einer Situation zu versorgen. Nutzen Sie dazu vor allem bekannte Klassiker (auch wenn diese heute niemand mehr kennt) und gehen Sie diese systematisch durch: den Faust, die Balladen von Schiller, Kleists Käthchen von Heilbronn oder den Prinzen von Homburg, die Effie Briest usw.

Übung VI

Symbole wirken auch dann besonders gut, wenn sie ein wenig verfremdet werden. Verfremden heißt hier, dass ein Klassikerzitat aus dem originalen Bereich in einen aktuellen Bereich übertragen wird. So zum Beispiel: "Zu Petra, der Tyrannin, schlich / Karl-Heinz, die Beschwerde im Gewande ..."; wenn man eine Situation auflockern möchte. Oder, wie ich mal (zu meiner eigenen Überraschung übrigens) in einem Referat sagte: "Das war die Nachtigall, noch nicht die Lerche."; denn die Studenten hatten den Satz, den ich davor geäußert hatte, als Schlusssatz verstanden (typisch Student: sobald man meint, etwas sei der Schlusssatz, wollen alle davonrauschen).
Hier also Ihre Aufgabe: verfremden Sie Klassiker, bekannte, unbekannte, möglichst solche mit einem ordentlichen Versmaß, in aktuelle Situationen. Ersetzen Sie so viele Wörter wie nötig, aber so wenig Wörter wie möglich, um hier ein Zusammentreffen zwischen Aktuellem und Klassischem plastisch zu machen. (→ wiki der geflügelten Worte)

Pictura

In dieser Bezeichnung steckt unverhohlen das Bild. Eine Pictura deutet nur noch an, dass es eine metaphorische Übertragung gibt. Typisches Beispiel ist wiederum ein mittlerweile Symbol gewordenes Bild: "Da geht eher das Kamel durchs Nadelöhr."
Nehmen wir das Beispiel von Joschka Fischers Souflé, dann hätte er eine pictura geschaffen, wenn er gesagt hätte: "Nun, so ein Souflé sieht im Ofen sehr prall und appetitlich aus. Sobald man aber hineinsticht, bleibt wenig davon übrig." - Die Übertragung in die aktuelle Situation hat dann der Hörer / Leser zu besorgen.
Meist steckt in solch einer Pictura eine feine oder grobe Ironie, eine indirekte Provokation. Sie kann analogisierend sein, wie bei dem Souflé, oder kontrastierend wie bei dem Kamel im Nadelöhr.

Inscriptio, Subscriptio → das Emblem

Klassischerweise werden solche Picturas dann mit einem Titelzitat und einer allgemeinen Weisheit versehen; die Herkunft der Pictura ist wörtlich zu lesen: dies war früher ein Bild, das meist einen Bibelspruch illustriert hat, so wie das Kamel im Nadelöhr, das aus dem Markus-Evangelium stammt (Markus 10,25).
Die Inscriptio bestand dann aus dem Bibelspruch, den die Pictura verbildlicht hat. Oder die Inscriptio bestand aus einem bekannten Klassikerzitat.
Die Subscriptio bildet die Übertragung in die aktuelle Situation. So wird in einem mittelalterlichen Flugblatt ein Kamel abgebildet, welches durch ein Nadelöhr geht und darunter findet sich folgender Spruch: "Was du nit glaubtest / das geschiht. / Wie? sol nicht ein Camel durch eine Nadel gehn? / Wann du den Teütschen Fried jetzt wider sihst entstehn."
Später wurde die Pictura meist schriftlich dargestellt:
PHÄNOMEN
Wenn zu der Regenwand
Phöbus sich gattet,
Gleich steht ein Bogenrand
Farbig beschattet.
Im Nebel gleichen Kreis
Seh' ich gezogen,
Zwar ist der Bogen weiß,
Doch Himmelsbogen.
So sollst du, muntrer Greis,
Dich nicht betrüben:
Sind gleich die Haare weiß,
Doch wirst du lieben.
(Goethe, GW II S. 13)
Die Inscriptio ist hier zu einem Titel zusammengezogen (Phänomen), die Pictura wird aus den ersten acht Versen gebildet, und die Subscriptio aus den letzten vier Versen.
Eine solche Pictura mit Inscriptio und Subscriptio nennt man auch Emblem oder, wenn die Pictura schriftlich ist, Goethe-Symbol.

Übung VII

Nehmen Sie eine Analogie, trennen Sie die Pictura und die Subscriptio und schreiben Sie zu beiden einen separaten Text, oder, wenn es Ihnen Spaß macht, ein Gedicht in klassischem Versmaß. Fügen Sie dann noch einen Titel oder einen Titel mit einem klassischen Zitat hinzu, wenn Sie ein passendes finden.
Gerade bei längeren Texten sollten Sie auf die Satzmelodien achten. Ein holpriger Text wird nicht so schnell als ein Gefüge aus komplexen Metaphern gelesen. Das Melodisieren allerdings verlangt viel Übung und Sprachgefühl. Probieren Sie das aus, aber überfordern Sie sich nicht.

Coaching-Begriffe

Die Coaching-Literatur finde ich verstümmelnd, was solche linguistischen Einheiten angeht. Dabei sind sie nicht schwierig gegeneinander abzugrenzen und insofern kann man sich auch dieser Begriffe auf eine saubere Art und Weise bedienen. Das Wischiwaschi mancher Trainer führt dann zum Beispiel dazu, dass keine richtige Erklärung mehr stattfindet, die dem Klienten ein sauberes Einüben von Techniken ermöglicht.
Neben einer klaren Begriffsbildung ist eine genaue Operationalisierung aber wichtig.
Man fängt begriffliche Unsicherheiten heute zum Beispiel auch mit dem Verweis auf die Unsicherheit kreativer Leistungen auf. Und das ist ja richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob ich keine Metapher herstellen kann, oder ob ich keine passende Metapher herstellen kann. Metaphern kann man immer herstellen. Nur passen tun sie eben selten. Aber auch da mache ich einen Unterschied: es geht nicht um das kreative Genie, sondern zunächst um das Einschleifen eines Musters, eines Denkmusters, das Metaphern leicht produziert. Deshalb ist Üben das A und O auch bei kreativen Techniken. Hat man diese ordentlich eingeübt, wirken sie längst nicht mehr so kreativ, sondern entfalten einen eher technischen Charakter.

Coaching-Tool I: Die provozierende Pictura

Marc Minor hat im Buch Coaching-Tools mit seinem Aufsatz Metaphorik noch eine recht vorsichtige Anwendung des Begriffs geliefert. Im Grunde bietet er eine Mischung aus Traumreise und provozierendem oder evozierendem Bild an.
Die Coaching-Technik bietet ein Bild an, an dem sich, durch den Coach gelenkt, der Klient abarbeitet, indem er die einzelnen Elemente des Bildes nach und nach metaphorisiert. So stellt Minor als eine sehr fruchtbare "Metapher" die "Ladenmetapher" vor (die eigentlich Ladenpictura heißen sollte): Anhand eines Ladens werden vom Klienten konkrete Elemente assoziiert, die Lage des Ladens, das Schaufenster, die angebotenen Waren, ecetera., so dass sich hier eine konkrete, aber zugleich metaphorische Mischung aus Wünschen, Ist-Zuständen und Symptomen bietet.
Diese Technik hat etwas von einer Traumreise, wie sie früher, in den 80er-Jahren häufig praktiziert wurde und zum Teil auch heute noch üblich ist - deutlich nüchterner, denn man strickt hinterher keine Socken mehr und häkelt keine Hosen.
Im Gegenteil wird diese Pictura dazu verwendet, den Klienten herauszufordern und insofern ist sie provozierend. Minor spricht davon, dem Klienten die Ausgangssituation "möglichst plastisch, untheoretisch und verdichtet darzustellen". Das ist natürlich auch eine Funktion einer provozierenden Pictura. Wichtig bleibt dabei aber auch ein ganz anderer Aspekt: eine unmetaphorische Sprache klebt an den Dingen, als seien diese in der Sprache verdoppelt und darin genau so real wie in der Wirklichkeit. Der Einsatz von metaphorischen Techniken dagegen öffnet eine Kluft, die auf der einen Seite spielerisch ist, auf der anderen Seite den Raum der Wunschvorstellungen, Ängste, Symptome öffnet.
Die Pictura wirkt also nicht nur diagnostizierend, sondern irrealisierend. Sie entfernt die Klebrigkeit des Realen, sie macht Denkweisen des Möglichen erfahrbar, und erschließt damit natürlich den Raum für neue Handlungen und neue Wege.

→ Der Aufsatz von Marc Minor ist übrigens hervorragend; nur die Begrifflichkeiten hätten anders gewählt werden dürfen.

Coaching-Tool II: Insistierende Bilder klären

Manchmal bedrängen uns Bilder und kehren immer wieder und wieder, wie eine Art Vorstellungszwang. Dass man an solchen Bildern arbeiten sollte, scheint uns selbstverständlich.
Viel wichtiger aber sind solche Bilder, die nicht offen insistieren, sondern die verdeckt ihre Wirkungen ausüben. Diese gilt es wieder ins Spiel zu bringen: indem der Coach sie mehr oder weniger systematisch abklopft. Dabei fragt der Coach zunächst nach einer allgemeinen Verbindung ("Welches Hobby haben Sie seit Jahren aufgegeben?"), lässt den Klienten dann ein Wunschbild imaginieren ("Wie sähe Ihr Leben aus, wenn Sie dieses Hobby zu Ihrem Beruf gemacht hätten?"), und dann eine Bewertung fantasieren ("Was würde Ihr Verkaufsleiter/Ihre Frau/ein Kunde X zu einem solchen Leben sagen?"). Hier erkennt man schon in der Dreiteilung das Emblem: Titel, Bild, Sinnspruch.
Tatsächlich liefert Bernd Schmid in seinem Artikel Sinn stiftende Hintergrundbilder professioneller Szenen ein mustergültiges Emblem (aus: Coaching-Tools, S. 110):
Frage: "Was wollten Sie als Kind werden?"
Antwort: "Schäfer! Das hab ich mal im Kino gesehen." (Titel/Inscriptio)
Frage: "Angenommen, Sie wären Schäfer geworden. Ihr Leben 'X, der Schäfer' wäre verfilmt worden und dieser Film läuft im Programmkino und draußen im Schaukasten hängt ein Szenenfoto: Was ist da zu sehen?"
Antwort: "Da sitzt der Schäfer in der Abendsonne vor seinem Wagen, streichelt seinen Hund und schaut auf gerade geborene Schäfchen." (Pictura)
Frage: "Angenommen, ein Mann und eine Frau kommen auf ihren Abendspaziergang vorbei und betrachten das Szenenfoto. Im Weitergehen hört man sagen: Da sieht man mal, dass ..."
Antwort: "... ein besinnliches Leben glücklich macht!" (Sinnspruch/Subscriptio)
Hier haben wir also in der ersten Antwort die Inscriptio, in der zweiten die Pictura und in der dritten Antwort die Subscriptio. - Die Technik beruht auf einer Art Titel, nach der der Coach fragt, dem konkreten und sinnlichen Auskleiden dieses Titels und der Moral aus der Geschichte. Der Coach stößt im Prinzip nur die Denkbewegung an, während der Klient halbbewusste oder unbewusste Bilder emblematisiert, das heißt in einen größeren Zusammenhang packt.

Diese Technik macht vorbewusste Bilder zugänglich und regt zu deren Verarbeitung an.
Das Problem dieser vorbewussten Bilder ist, dass sie wirken, aber wir nicht die mindeste Handhabe besitzen, diese Wirkung zu kontrollieren. Natürlich sind nicht alle diese vorbewussten Wirkungen schlecht und es ist sogar wahrscheinlich, dass die meisten eher positiv zu werten sind. Doch im einen wie im anderen Falle spricht nichts dagegen, die Wirkungen in einen bewussteren Bereich zu heben.
Die Metaphorisierung dieser Bilder durch Inscriptio und Subscriptio geht nun gerade nicht auf Symptome zu, verengt also nicht den Bedeutungsbereich auf (vermutlich) pathologische Prozesse, sondern schafft einen Spielraum. Man muss diesen Spielraum nicht so eng anlegen und auf so eine starke Führung Wert legen, wie Bernd Schmid das tut. Aber es ist ein gutes Beispiel, wie ein recht komplexes rhetorisches Muster auch im Coaching-Bereich aufzufinden ist und wie man dieses professionell einsetzt.

Schluss

Es gibt eine strenge, klassische Definition der Metapher und zahlreiche weitere rhetorische Techniken, die auf die Metapher aufbauen. Eine bessere Kenntnis dieser Muster kann nicht nur Coaching-Techniken klären, sondern diese rascher handhabbar, schärfer und leicher vermittelbar machen.
Der Begriff der Metapher ist in der Praxis allzusehr verwässert worden, und das fast zeitgleich zu einer umfangreichen Diskussion in der Philosophie, was denn die Metapher eigentlich sei (ich erinnere an Paul Ricoeurs Buch La métaphore vive, an Derridas La mythologie blanche, an Lacans Le discours de Rome, oder an Anselm Haverkamps Anthologie Die paradoxe Metapher).
Man muss ja nicht den ganzen Wendungen und Streitpunkten der Sprachphilosophie folgen. Da aber scharfe Begriffe ein scharfes Handwerkzeug liefern, sowohl bei der Diagnose als auch bei der Durchführung, ist eine differenziertere Behandlung metaphorischer Phänomene sinnvoll und notwendig.