28.05.2009

Zensur (Zitate)

Damit sind die Mechanismen der Zensur nicht nur aktiv an der Subjektproduktion beteiligt; sie definieren auch die gesellschaftlichen Parameter für den sagbaren Diskurs, dafür, was im öffentlichen Diskurs zulässig sein wird und was nicht. Dass die Zensur daran scheitert, das betreffende Sprechen vollständig zu zensieren, liegt nun besonders daran, dass sie (a) daran scheitert, eine vollständige oder totale Subjektivierung mit rechtlichen Mitteln zu erreichen, und (b) daran scheitert, den gesellschaftlichen Bereich des sagbaren Diskurses effektiv zu umschreiben.
Butler, Judith: Hass spricht

Die transzendentale Theologie bleibt demnach, aller ihrer Unzulänglichkeit ungeachtet, dennoch von wichtigem negativen Gebrauche, und ist eine beständige Zensur unserer Vernunft, wenn sie bloß mit reinen Ideen zu tun hat, die eben darum kein anderes, als transzendentales Richtmaß zulassen.
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft

Die intellektuelle Arbeit sollte sich auf die sekundäre Sexualität und insbesondere auf die Sexualität der Sprache beziehen. Die Sprache als sexueller oder erotischer Raum hat nichts mit der Erotik der Massenkultur zu tun. Die avantgardistische Arbeit besteht darin, das erotische Verbot aufzuheben, das die politisierten oder gegen-ideologischen Sprachen leider durchdringt und aus ihnen trübselige, schwerfällige, sich wiederholende, obsessionelle und langweilige Diskurse macht.
Barthes, Roland: Die Körnung der Stimme

Während im Aufbau der gesellschaftlichen Differenzierung, in Reichsbildung, städtischer Vorherrschaft, Stratifikation auf hierarchische Ordnung gesetzt wird, arbeiten die Verbreitungsmedien bereits parallel dazu an deren Delegitimation, oder genauer: an einem Alternativprojekt. Bei Hierarchien genügt es, die Spitze zu beobachten bzw. zu beeinflussen, weil man, mehr oder weniger mit Recht, davon ausgehen kann, dass sie sich durchzusetzen vermag. Heterarchien beruhen dagegen auf der Vernetzung unmittelbarer, jeweils an Ort und Stelle diskriminierender (beobachtender) Kontakte. Noch die Erfindung des Buchdrucks lässt diesen Gegensatz von Hierarchie und Heterarchie als unentschieden erscheinen. In China und Korea dient die Druckpresse als Verbreitungsinstrument in Herrschaftsbürokratien. In Europa, das von Anfang an auf eine wirtschaftliche Ausnutzung und marktmäßige Verbreitung von Druckwerken gesetzt hatte, versucht man, den Konflikt über Zensur zu lösen. Der Misserfolg, der bei einer Vielzahl von Druckorten in unterschiedlichen Territorien und auch bei rasch zunehmender inhaltlicher Komplexität gedruckter Kommunikation unvermeidlich war, zwingt letztlich alle Hierarchien, auch die der Politik und die des Rechts, sich mit einer prinzipiell heterarchisch kommunizierenden Gesellschaft anzufreunden. Seit dem 18. Jahrhundert feiert man diesen Zustand als Oberhoheit der »öffentlichen Meinung«. Was Differenzierungsformen betrifft, so entspricht dem der Übergang zu funktionaler Differenzierung. Die moderne Computertechnologie führt einen wichtigen Schritt darüber hinaus. Sie greift auch die Autorität der Experten an.
Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft


Landeplatz der Engel

Nein, diese Konstellation (siehe Artikel vorher) ist rein zufällig.
Große Freude hier, ich lese nämlich gerade, dass Frank Reifenbergs Buch Landeplatz der Engel in die Auswahlliste der White Ravens aufgenommen wurde. Ich habe in den letzten Jahren kein Jugendbuch gelesen, dass es mehr verdient hätte.

27.05.2009

Zitat (Einfühlung)

Heute eine sehr hübsche Stelle bei Ernst Bloch gefunden (den ich lange nicht mehr gelesen habe):
So wenig macht doch gerade unmittelbares Erleben das scheinbar so einfache Drinnen hier, Draußen dort mit. Ein früheres Befinden geht diesem Zweierlei: der Haut als unserer Wand, dem Auge als Fenster, eigen vorher, wirkt nach. Dieses Frühere und doch nicht Verschwundene ist zweifellos trüber als das sauber gekommene Zweierlei, und trotzdem hat es ein eigenes Beleuchten. Auch liegt die Trübe nicht in seinem Akt selber; dieser ist vielmehr deutlich benennbar: nämlich als einfühlender, als einer der Einfühlung. Wobei ein Aufschließendes so weit zu gehen scheint, als wäre ein sonst Äußeres nicht nur empfunden, sondern, wie man sagen kann, empfühlt und so selber, dem Menschen verwandt, auf ihn zurückblickend. Menschlich, allzu menschlich und doch unausweichlich ergibt sich so als Eindruck: Der See »lächelt«, der Wind »seufzt«, und das nicht nur langgezogen, sondern sogar einsam, die Säule »strebt« in die Höhe. (Th. Lipps hat sich sehr mit dergleichen abgegeben, zwar leider nur als Psychologe, doch dadurch gerade den eigenen Aktvorgang des Einfühlens kenntlich machend, wenn es etwa aus dem Wedeln des Hundes Freude »herausfühlt«). Die Sprache, nicht nur die dichterische, sondern die alltägliche, ist voll solcher eingespielter Einfühlungen. Ihr Innen-Außen, Außen-Innen begleitet die Sprache vom dümmsten Kitsch (»Dieser Film ist eine wirbelnde Wolke pikanter Heiterkeit«) bis zu der »reinen Wolken unverhofftes Blau«, bei George. Eingespielt ist dergleichen gewiss auch deshalb, weil hier so viel Atavistisches noch mitklingt, so viel animistische Belebung von einst. Was dem Einfühlen zweifellos nichts Solides gibt, vielmehr dauernd Prüfung verlangt und es trotzdem, mutatis mutandis, so neben, besser: unter der geprüften Einsicht bestehen lässt, wie die Angabe, der Himmel sei »heiter«, zusammen mit der schlichteren weiterbesteht, die Sonne »gehe im Osten auf«.
Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung in die Philosophie, S. 33
Man beachte hier, wie sich das Drinnen und Draußen, bzw. die Vorgänge von Projektion und Introjektion, Empathie und Personalisierung zeitlich ergänzen und an der Grenze dieser Imagination Metaphern etabliert.
Dazu später noch einmal mehr.
Ich habe den letzten Tag an der Metapher herumgearbeitet, hier vor allem noch einmal bei Bateson. Batesons rätselhafte Begriffe klären sich langsam und es scheint so, dass das metaphorische Diskursuniversum bei ihm eine Art verzerrende Haut ist, die die unbewussten Vorgänge in der Seele in eine Flut von Mikroproblemen übersetzt. So schützt das metaphorische Diskursuniversum einerseits das Bewusstsein vor den ungebremsten Assoziationen der Primärprozesse, und simuliert zugleich eine Vielzahl "kognitiver Mängel".
- Folgt man diesen Ausführungen (die Bateson allerdings so explizit nicht geschrieben hat), dann sind Metaphern zugleich Dissimulationen und Simulationen. Sie dissimulieren die irrationalen Verbindungen der unbewussten seelischen Vorgänge und simulieren die Offenheit der Welt.
Blochs Zitat weist in eine ähnliche Richtung.
Auch bei Lacan findet man ja ungefähr nämliche Gedanken.

Wenn man diesen Gedanken übrigens weiter verfolgt, dann sind bildkonstruierende Verfahren im Coaching,  wie Traumreisen, Story telling, Gleichnisse oder Theatralisierungen, gerade nicht Verlängerungen der Metapher, sondern überwinden dieses Mischmasch aus Täuschung und Problematisierung. Die Metapher im Coaching wäre nichts anderes als ein Ansatzpunkt für Klärungen und ein Hinweis auf Klärungsbedarf. Freilich hat ein solcher Metaphernbegriff kaum noch etwas mit der Metapher zu tun, wie sie im Coaching verwendet wird. Dort ist, ich hatte darauf HIER hingewiesen, die Metapher ein diffuses Sammelsurium. Auf Grenzen und Doppeldeutigkeiten der Metapher hatte ich HIER bereits im Rahmen meiner Arbeit an Bateson hingewiesen.

24.05.2009

Zitat

Fast immer, wenn einige Männer beisammensitzen, entsteht, durch Alkohol und Tabak übrigens sehr begünstigt, Literatur.
Bertolt Brecht


Krimis (JL)


Warnung: Völlig Off Topic
Lieber Herr Weitz,
ich habe
eben Ihren Whodunnit-Beitrag in der Lu.-Liste gelesen und möchte eine
Bemerkung dazu los werden (dort beteilige ich mich allenfalls lesend):
In Ihrer Typologie habe ich vermisst, dass der Whodunnit das 'Lesen'
(von Spuren etc.) stets thematisiert, personalisiert und reflektiert.
Wenn Literatur prinzipiell den Leser als Beobachter 1. und 2. Ordnung
konstituiert (um im Begriffsrepertoire der Lu.-Liste zu bleiben), dann
wird daraus im Whodunnit das offene Konstruktionsprinzip (Geschichte
der Aufklärung + Geschichte des Verbrechens).

Beste Grüße!

Sehr geehrter JL!
Nachdem die Antwort auf die Frage von Herrn Fuchs schon etwas länger ausgefallen ist, wollte ich ja nicht in einem Nebenthema noch üppige Erklärungen verfassen.
Tatsächlich spielen Sie hier auf ein literaturwissenschaftlich recht komplexes Thema an, das man ungefähr so umreißen kann: hier überlagern sich zwei Funktionen der Szene, wobei die eine Funktion die Wiederherstellung der moralischen Ordnung ist, die andere Funktion die Verankerung in der fiktiven Welt. Die Wiederherstellung der moralischen Ordnung wird durch das Lesen von Spuren, Motiven und Möglichkeiten vollzogen und die Verankerung durch Objektivierung und Materialisierung. Ich brauche natürlich nicht zu sagen, dass beides in einem Text engstens miteinander verflochten ist und nur analytisch getrennt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen,
Frederik Weitz


21.05.2009

Bildungspolitik in der EU

Kurzer Blick auf die Wahlprogramme

Enttäuschend undeutlich ist das Bildungsprogramm der europäischen FDP. Vor allem Kreativität und Bildung werden hier propagiert, die Vielfalt, aber auch die Geordnetheit des europäischen Bildungssystems. Nun kann man sich über Begriffe wie Bildung und Kreativität trefflich streiten. Was die Förderung spezifischer Ausbildungsmaßnahmen angeht, stellt die FDP vor allem Austauschprogramme (Comenius, Erasmus, ...) in den Raum.
Das EU-Wahlprogramm der CDU dagegen weiß nichts von Bildung. (Hätte mich allerdings auch gewundert!)
Die SPD dagegen setzt auf Bildung als Dienstleistung für qualitatives Wachstum, Innovation und Aufstiegschancen. Man mag das freundlicher lesen und könnte es auch. Aber der Zuschnitt der Bildung auf den Arbeitsmarkt hat von jeher eine zunächst wissenschaftliche Definition von Bildung, bzw. auch eine breiter angelegte Definition von Bildung torpediert. Hier sollte man jedenfalls aufpassen, dass man sich von einer Gesinnungsrhetorik nicht vereinnahmen lässt.
Hält man das Wahlprogramm der Grünen neben das Wahlprogramm der CDU, dann fällt einem vor allem eines auf: während dir Grünen einen umfassenden Überblick über europa-relevante Themen bieten, Wissen vermitteln und darauf aufbauend argumentieren, ist das Programm der CDU peinlichst diffus und bekenntnishaft leer. Auch die Grünen setzen auf eine stark institutionalisierte Bildung, die eine überregionale Regulierung als Ziel hat. Auch hier geht es weniger um Bildung, aber immerhin liest sich das hier zum ersten Mal deutlich, als um Bildungsabschlüsse.
Auch die Linken können nicht wirklich punkten. Immerhin thematisieren sie die Privatisierung der Bildungssysteme, die eine tendenziöse Bildung eher fördern wird. Ich werde dazu unten noch einmal ausführlicher argumentieren. Ebenso richtig ist es, Qualifikationsniveaus kritisch zu beäugen. Qualifikationen sind, wie es der Name schon sagt, an Qualitatives gebunden, während Niveaus nicht nur eine Quantifizierung, sondern sogar noch eine hierarchische Quantifizierung einführen. Qualifikationsniveaus könnten sich als schwarze Schimmel entpuppen. (Hier ist aber nebenbei noch das Problem, dass die Bedeutung des Wortes Qualität so stark ins Quantitative abgerutscht ist, dass es kaum noch einen Wert für eine logische Trennung besitzt.)
Richtig ist auch, dass der UN-Sozialpakt ein Studium ohne Studiengebühren anempfiehlt, während in der EU für Studiengebühren geworben wird. Wie auch immer man das menschenrechtlich interpretieren mag: man kann nicht auf der einen Seite UN-Beschlüsse gutheißen und zur gleichen Zeit dieselben in Europa ad absurdum führen. (Man kann schon: die Frage ist, ob dies glaubwürdig ist.)

Bildung

Bildung ist, ich hatte es früher schon mal geschrieben, ein Vorrat an semantischen Formen, die Vergleiche ermöglichen und damit Entscheidungsspielräume, sowohl personale als auch soziale.
Bildung ist demnach kein Selbstzweck, sondern immer eingebunden in einen Nutzen, der nur situativ genannt werden kann. Mithin gibt es beim Erwerb von Bildung eine gewisse Dysfunktionalität, einen zunächst scheinbaren Selbstzweck.
Dies ist häufig an der Bildung moniert worden: sie würde totes Wissen lehren. Und für die sogenannte Unterschicht wurde ja seit langer Zeit eine Orientierung der Bildungsinhalte an deren Lebenswelt propagiert. Gegen eine solche Auffassung von Bildung wehre ich mich alleine deshalb, weil nur eine Vielfalt an semantischen Formen ein breites Spektrum an Vergleichen gewährleistet. Wer nur semantische "Nahformen" zulässt, gefährdet Austauschprozesse zwischen Schichten, vor allem auch Aufstiegschancen, gefährdet kreatives Potential, das aus heterogenen und mannigfaltigen Vergleichen erwächst, - vor allem aber werden hier Grenzen etabliert, die die Nahwelt, die Lebenswelt zugleich als das Unhinterfragbare und zugleich als das ständig Gefährdete darstellen. Da Kulturen sich beständig durch Mischungen neu erzeugen, werden so auch Lebenswelten fortwährend mit "Fremdheiten" überzogen, in stärkeren und schwächeren "Schüben" (man verzeihe mir hier meine Metaphorik!). Hier nicht von Anfang an Wert auf den Umgang mit ganz Anderem, noch nie Gehörtem Wert zu legen, leistet regionaler und provinzieller Ängstlichkeit Vorschub und wahrscheinlich auch dem Rechtsnationalismus und Rechtspopulismus (Bildung sei nur das, was uns sowieso angeht!).
Bildung, als Vorrat an Wissen und Wissensstrukturen, an Bildern, an handwerklichen Abläufen, etc. kann zwar funktionalisiert werden, muss dann aber unter dieselben Grenzen der Provinzialität fallen, wie ich dies eben für die Lebensweltorientierung geschildert habe. Wer funktionale Bildung wünscht, kann nicht Goethe wünschen. Und wer Goethe wünscht, aber nur im Rahmen eines Nationalbewusstseins, muss sich hier letzten Endes auf eine Tautologie einlassen, die nationale Bildung mit nationaler Identität und nationale Identität mit nationaler Bildung gleichsetzt.
Bildung an sich, auf diese Definition muss man sich einlassen, dysfunktional. Ihre Funktionalität kann sich von vorneherein klären, wenn man bestimmte Ziele vor Augen hat (und ich sage nicht, dass das unwichtig sei!), aber zugleich gibt es zahlreiche auch unternehmerisch wichtige persönliche Qualitäten wie Kreativität, intra- und interkulturelle Kompetenz, Schlagfertigkeit, Analysefähigkeit, Konfliktmanagement, die auf zahlreiche und manchmal ungewöhnliche semantische Formen zurückgreifen muss. Und hier kann eine von vorneherein funktionalisierte Bildung nur noch bedingt greifen. Die Dysfunktionalität der Bildung hat ihren qualitativen Umschlag in der Situation, in dem Bildung durch den Vergleich funktionalisiert werden kann. Funktionalisieren ist hier im weitesten Sinne gefasst. Auch Humor, auch Kreativität hat eine interaktionelle Funktion.
Kann Bildung eine Sache von Eliten sein? Natürlich nicht. Es sei denn, die Eliten wollten sich als dysfunktional beschreiben (was der Sache manchmal sogar sehr nahe kommt). Das ist der erste Einwand gegen eine Bildungselite. Der zweite ist, dass ein Vergleich per se nicht elitär sein kann, sondern eine Probe auf das Gleiche und das Unterschiedliche ist. Die darin angelegte Grundoperation trägt keinen Vorrang gegenüber anderen Vergleichen. Mithin gibt es keinen Unterschied zwischen einem Vergleich, der von einem hochrangigen Wissenschaftler angestellt wurde und einem Vergleich, der von einem Busfahrer gezogen wurde. Auf dieser Ebene Qualitätsunterschiede zu sehen, heißt, Wirkungen des Vergleichs in den Vergleich selbst einzugraben. Der Vergleich trifft aber immer erst auf eine soziale Konstellation, in der er seine Wirkungen entfaltet und erst dort kann man dann wieder von qualitativen sozialen Unterschieden reden. Wenn die Vergleiche, die eine Elite qua Bildung macht, etwas bewirken, dann auch die Selbststabilisierung der Eliten: dass, was die Elite vergleicht, ist ja per se besser. Auch hier wird der Wirkung eines Vergleichs mit dem Vergleich selbst verwechselt. Folge: Die Elite bewirkt sich selbst. Das ist übrigens ein Phänomen, das man bei dem ultrakonservativen Vilfredo Pareto nachlesen kann. Der dritte Einwand gegen eine Bildungselite besteht darin, dass Schichtensysteme oder Kastensysteme samt dem zulässigen Kastenwissen dem Vergleich als Grundoperation widersprechen, da dieser immer auf etwas anderes angewiesen ist. Bildung wäre demnach schon dann begrenzt, sobald man die Möglichkeit irgendeines Wissens ausschließt. Elitäre Bildung praktiziert das gerne. Dem Grundgedanken der semantischen Form entgeht aber nichts, was irgendwie kulturell ist: ob es nun Goethe oder Konsalik, die Süddeutsche oder die Bildzeitung ist, zunächst bieten all diese kulturellen Partikel semantische Formen an. Deshalb kann sich eine gebildete Schicht es gerade nicht leisten, semantische Formen auszuschließen. Sie muss anti-elitär sein, interessiert auch an dem, was sich nicht mit lang tradiertem Adel schmücken kann.
Letzter Aspekt: Ist Bildung ein Menschenrecht? Nun, die Frage erübrigt sich dann, wenn man Bildung als dysfunktional ansieht. Nein, sie ist kein Menschenrecht. Nebenbei gesagt: man hat die Bildung ja nicht, da sie jederzeit steigerbar ist und keine Garantie auf ihre Anwendbarkeit gibt. Wer wollte das in einem Menschenleben abgehen, was viele Millionen Menschen und unzählige Generationen geschaffen haben? - Natürlich wird die Bildung als Menschenrecht anders verstanden, da der Bildungsbegriff von der UNO und der Linken anders verstanden wird. Ein Recht haben die Menschen allerdings auf den freien Zugang zu semantischen Formen. Damit ist der Zugang zu Bildungssystemen gemeint, damit ist das Verbot von Zensur gemeint (die bestimmte semantische Formen wegsperren möchte), damit ist die Pressefreiheit, aber auch die Pressevielfalt gemeint.
Ein Menschenrecht ist auch das Recht auf den Vergleich, allerdings auch, dies wird qua Bildung nahegelegt, die Pflicht zu einem vielfältigen, wenn nicht gar umfassenden Vergleich.

Mit anderen Worten:
Bildung ist kein Selbstzweck.
Sie kann auch nicht wirklich institutionalisiert werden. Den Institutionen passiert genau das, was auch Eliten passiert: sie blenden Inhalte aus. Richtig ist natürlich, dass man in Institutionen eine gewisse Bildung lernen kann, aber nur um den Preis, hier Grenzen einzuziehen, die den Vorrat an semantischen Formen beschneidet. Bildungsinstitutionen sind eher ein Notbehelf.
Bildung bietet auch keine Qualifikation. Die Qualität der Bildung entsteht momenthaft, situativ. Bildung spielt dabei eine wichtige Rolle, aber als Ursache und nicht als Garantie für hervorragende Ergebnisse. Anders gesagt: Bildung ist notwendig, aber ebenso notwendig ist, dass sie sich situativ entfalten kann. Erst hier entsteht Qualität und erst hier entstehen dann auch Qualifikationen.

Es ist desaströs, wenn man Bildungspolitik einer Funktion unterordnet. Hier gehen die Linken, auf eine vage Art und Weise, den richtigen Weg. Er hätte besser ausgearbeitet werden dürfen. Obwohl mir der Weg der Grünen nichts anderes zu sein scheint, als ein Irgendwie-Herummauscheln-mit-Bildung-als-Karrierechance, wird hier rein formal umfangreicher argumentiert.
Schlimm ist, wenn auch eine gewisse glücksselige Naivität darin steckt, was die FDP schreibt. Die kreative Funktion von Bildung ist tatsächlich eminent wichtig.
Dass die CDU sich garnicht zu diesem Thema äußern kann, ist allerdings schockierend.

18.05.2009

Rat für den Schriftsteller

Ich habe dir gesagt, dass es nicht das das Schlimmste für den Gewohnheitssäufer ist, dass er das Gehen verlernt oder das Geschäftemachen oder das Gutsein, sondern das: dass er das Saufen verlernt.
Berthold Brecht: Schriften zur Politik und Gesellschaft (GW 20), Frankfurt am Main 1967, S. 5.


Rote Handcreme

Oder wie ist der Suchbegriff
die revolotion frist ihre Kinder
gemeint?


Sonst?

1. Ich bewege mich gerade durch zahlreiche Bücher von Berthold Brecht hindurch. Thema: Einfühlung. Das Spannende an Brecht ist, dass er die Einfühlung eng mit einem aristotelischen, bzw. nicht-aristotelischen Theater koppelt (wie diese zueinander stehen, muss hier mal offen bleiben). Da Brecht über den V-Effekt die Seelenschau in eine ganz andere Richtung treibt, als das klassische Theater, hier also den ganzen Gefühlsapparat eines Menschen anders auf der Bühne artikuliert, da sich hier eine ganz ähnliche Tendenz auch in der Systemtheorie Luhmanns feststellen lässt, ergeben sich plötzlich reiche Bezüge, denen ich nachgehen möchte, bzw. zum Teil schon nachgegangen bin.
2. Dieser Komplex ist kein abgezirkeltes Feld, sondern schließt sich fast nahtlos an das Thema "Gewalt" an. Peter Fuchs hatte vorgeschlagen, Gewalt als einen Kollaps der Adressabilität zu lesen. An anderer Stelle habe ich Verhaltensstörung, etwas marxistischer, als entfremdete Kritik an entfremdeten Verhältnissen definiert, probehalber natürlich nur, d.h. als Hypothese. Hier gehe ich halb in Gedanken dem Faden nach, Empathie als Verhaltensstörung zu lesen und zwar, salopp gesagt, als Verhaltensstörung des Kleinbürgers. - Wem das gänzlich wider den Strich geht: ich bin mir bei dem Gedanken auch nicht so sicher. Aber es macht Spaß, diese kleine Boshaftigkeit gegen die ganze Gutmenschelei zu denken.
3. Dann habe ich ein paar Plots entworfen, in denen ich meine Beschäftigung mit Trudi Canavan verarbeitet habe, und ich habe, für Christa (die ihr noch nicht kennt, eine ehemalige Kollegin von mir), eine ihrer Geschichten in einen Krimi zu packen versucht. Christa liest gerne Krimis, schreibt aber vor allem Kurzgeschichten in einem eigenartig faszinierenden Stil. Der ist nicht unbedingt markttauglich, zeigt aber (oder gerade deswegen) ein hohes Maß an literarischer Subtilität.
4. Arbeite ich immer noch an meinem Seminar zum "Fantasy schreiben" herum. Mut zur Lücke ist hier angesagt. Ich habe mittlerweile so viel Material angehäuft und didaktisch kleingearbeitet, dass ich daraus drei Seminare machen könnte. Stattdessen könnte ich natürlich auch einen ganzen Schwarm kürzerer Seminare anbieten, aber das traue ich mich (noch) nicht.
5. Neben diesen ganzen Arbeiten steht die Arbeit an meinem Krimi, der wächst und gedeiht, und, weil ich gerade wieder so viel in diesem Bereich arbeite, leider nicht mehr homogen ist. Es gibt einige Stilbrüche darin, die ich später nochmal glätten, bzw. wegschreiben muss. Aber ich hatte mir ja vorgenommen, den Krimi erstmal zu Ende zu schreiben und dann alles weitere zu bearbeiten. Übrigens ist Berthold Brecht in Bezug auf den Krimi sehr schreibfreudig gewesen und vieles, was ich halb und undeutlich angedacht habe, klärt sich in den Auseinandersetzung mit Brecht.
6. Brecht hat auch ein ganz wunderbares Verhältnis zum Humor. Man mag diese Verbindung zwar albern finden, aber auch hier hat sich für mich eine ganz neue, bisher unerkannte Verbindungslinie ergeben: die zwischen Camilleri (Montalbano-Krimis) und Brecht. Humor, Krimi, V-Effekt, nicht-aristotelische Erzählweise. Brecht kann sogar dem deus ex machina etwas abgewinnen.

Ihr seht: Ich bin umtriebig!

Trauerspiel

Meine Leser mögen mich entschuldigen. Die Arbeit frisst mich ein wenig auf. Ha!

Hier aber noch ein hübscher Fund, der in seiner Zusammenstellung seinen Witz hat:
Ursprung des deutschen Trauerspiels
Damals wie heute meiner Frau gewidmet
Das ist natürlich Walter Benjamin.

14.05.2009

Fischli & Weiss

Sehr hübsch, die beiden, also jetzt mal rein ideenmäßig gesagt. Die beiden Künstler stellen jeden Tag in Twitter ein oder mehrere Fragen, die - nun - etwas schräg sind.
Beispiel?
  • Erwärmt sich der Motor für mich?
  • Bin ich eine saubere, gut funktionierende Maschine?
  • Verdient die Wirklichkeit dieses Misstrauen?
Alle Deutschen bitte systematisierte Antwort zurück, die anderen dürfen frei antworten.

12.05.2009

Konflikte (Show, don't tell!)

Ich schreibe mir ja immer Anmerkungen zu den Büchern, die ich gelesen habe. Hier einige der Punkte, die ich mir zu Trudi Canavans Buch Die Rebellin herausgeschrieben habe.

Parteien

1. Einmal mehr eine recht typische Aufteilung der Parteien. Auf der einen Seite stehen die Gilde und die Soldaten, auf der anderen die Hüttenbewohner und die Diebe. Ich spreche hier von Kriegsparteien, nicht, weil zwischen ihnen ein (offizieller) Krieg herrscht, sondern weil es einen klaren Verlauf der Front gibt. Oft besteht die eine Partei auch aus moralisch verwerflichen Subjekten. Insofern gibt es hier eine gewisse Ähnlichkeit zu Fluch der Karibik. Dort sind die Piraten die verwerflichen Subjekte.

Nomaden

2. Zwischen diesen Parteien, die eher starr gegeneinander gegenüber stehen, gibt es die Nomaden. Nomaden sind „irgendwie“ beiden Parteien verbunden. Bei Canavan wird dies für Sonea deshalb so deutlich, weil sie die Magier hasst, aber ohne sie sterben würde. Sie muss also in irgendeiner Weise die Front wechseln, ohne sich aufzugeben.

3. Die eigentliche Geschichte beginnt, wenn die Hauptfigur zum Nomaden wird. Bei Sonea geschieht dies mindestens dreimal. Zuerst verlieren ihre Zieheltern und sie ihre Wohnung. Dadurch werden sie zu Nomaden des Ortes. Das ist die klassische Variante des Nomaden. Der Nomade zieht von Ort zu Ort. Er ist heimatlos oder trägt seine Heimat mit sich (Beduinen, Zigeuner, etc.). So stellen wir uns den Nomaden üblicherweise vor.

4. Die zweite Überschreitung zum Nomadischen geschieht, als Sonea ihre magischen Fähigkeiten entdeckt. Damit überschreitet sie ein Gesetz, nach dem ein Magier entweder der Gilde angehören darf, oder seine Fähigkeiten geblockt werden. Sonea möchte eigentlich keins von beiden. Dadurch befindet sie sich auf der Flucht. Sie wird zu einem Nomaden durch die soziale Struktur.

5. Der dritte Übertritt zum Nomadischen geschieht in dem Augenblick, wenn ihre soziale Position zwar sichtbar, aber extrem schwierig ist. Sie könnte Sündenbock für alles mögliche sein. Der Zwiespalt entspringt hier den überlegenen Fähigkeiten Soneas bei gleichzeitig geringem sozialem Status. Sie wird zum Nomaden des moralischen Urteils.

6. Harry Potter ist einmal dadurch Nomade, dass er in einer Familie aufwächst, die ihm kein Heim bietet. Die Familie ist im übertragenen Sinne der Ort, an dem wir zu Hause sind. Da die meisten Familien sesshaft sind, verbinden wir Familie und Heim miteinander, ohne diese Verbindung zu erkennen. Harry ist also Nomade. Verschärft wird dies durch seine besonderen Fähigkeiten, die er selbst nicht versteht. Durch die fehlende Familie und die besonderen Fähigkeiten ist er ein Nomade innerhalb der sozialen Struktur, eine Art Guerilla-Krieger.

7. Zum Nomaden wird man durch einen Konflikt, von dem man nicht weiß, wie man ihn lösen soll.

8. Die Lösung heißt (zunächst): Aufschub. Sonea sucht sich eine Zwischenlösung. Sie lässt sich von einem Dieb beschützen, versucht aber, ihre magischen Fähigkeiten zu entwickeln (1. Teil); sie lernt bei Lord Rothen, ihre Kräfte zu kontrollieren, sagt aber noch nicht zu, der Magiergilde beizutreten (2. Teil.)

9. Der Aufschub ist in der psychischen Welt das, was ein Hindernis in der »realen« Welt ist. (→ Die Geschichte verlängern.)

10. Dem äußeren Konflikt entspricht der innere des Zwiespalts oder der Sorge.

11. Einem Konflikt entspricht immer eine semantische Opposition (z.B. arm/reich, ehrlich/verlogen).

Zum ersten Kapitel

12. Der erste eingeführte Konflikt wird stark überdramatisiert (S. 11). Dieser erste Konflikt führt die soziale Schicht als Spannungszustand ein: reich und arm; hier personifiziert der Wind die Anklage gegen diese Ungerechtigkeit. Ansonsten hält sich Canavan aber von solchen rhetorischen Mitteln fern.

13. Ein Konflikt muss immer in mindestens kleinen Regungen/Handlungen geschildert werden. Ansonsten gerät man in Gefahr, eine Abhandlung über Psychologie zu schreiben.

14. Nebenkonflikte können exemplarisch für den Hauptkonflikt sein. Hier (S. 11f.) stolpert ein Mann und Sonea möchte ihm auf die Beine helfen. Er aber reagiert nicht. Nebenkonflikte verankern die Erzählung in ihrer Welt.

15. Nebenkonflikte können teilweise wesentlich besser die Dramatik verdeutlichen, weil sie nicht direkt auf den großen Konflikt zielen.

16. Besser mit einem Nebenkonflikt illustrieren als den Hauptkonflikt behaupten (Show, don’t tell).

17. Verkettung der Konflikte: die Vertreibung der armen Menschen aus Imradin führt dazu, dass Sonea zufällig ein Gespräch zwischen zwei Soldaten mitbekommt; dies führt zu einem nächsten Konflikt: sie möchte einen ehemaligen Freund warnen, dass die Wachen ihnen eine Falle stellen wollen; dies führt dazu, dass sie selbst beinahe gefasst wird und fliehen muss; und schließlich findet sie sich dort wieder, wo das Ereignis für den Hauptkonflikt geschieht: sie durchbricht die magische Barriere und muss also selbst magische Kräfte haben. Aber sie entstammt nicht den magischen Häusern.

18. Der Hauptkonflikt ist nicht handlungsreich, aber er strukturiert die Handlung.

19. Entlang eines Konflikts bilden sich verschiedene soziale Positionen aus. So dulden die einen die Armut (Soneas Zieheltern), die nächsten lehnen sich trotzig dagegen auf (Harrins Bande), wieder andere versuchen diese zu umgehen (Diebe).

20. Jede dieser sozialen Positionen steht zu einer anderen in einem möglichen Konflikt. Ob dieser Konflikt auch real erzählt wird, ist eine andere Sache.

21. Das konfliktauslösende Ereignis (der Steinwurf, S. 28) birgt mehrere Konflikte in sich: zunächst gibt sich damit Sonea zu erkennen und wird zu einer besonderen Gejagten, dann aber findet – teilweise zugleich - der Streit um ihren Mentor (Rothen oder Fergun?) statt. Ein Konflikt kann also verschiedene Phasen durchlaufen, die höchst unterschiedliche Problemstellungen beinhalten.

22. Ereignisse können mehrere Konflikte anheizen. Damit sie dies können, brauchen sie ein differenziertes soziales Umfeld.

23. Vorteil eines eher psychologischen Romans: Fast alle wichtigen Personen tauchen im ersten Kapitel auf.

24. Fast alle wichtigen Konflikte werden im ersten Kapitel angesprochen: arm/reich, erlaubte/verbotene Magie, Verbundenheit mit der eigenen Schicht/Wunsch zu helfen. Dies ist der Vorteil einer guten Planung: die Konflikte sind „irgendwie“ schon da, nicht jeder Konflikt aber ist deutlich angesprochen.

25. Im Unterschied dazu braucht Kai Meyer oft sehr lange, bis er seine wichtigen Personen eingeführt hat: Vor-/Nachteile von Romanen, die wie road movies aufgebaut sind. Zum einen bieten sie hier viel Platz für überraschende Wendungen, zum anderen geraten diese Überraschungen aber leicht in die Gefahr, als purer Trick gelesen zu werden.

26. Ein weiterer Nachteil bei Kai Meyer: er hat Mühe, alle seine Hauptfiguren später an den wichtigen Orten zu versammeln. Manche Motive wirken weit hergeholt, andere verkümmern auf halbem Wege: so wird im 3. Band der Wolkenvolk-Trilogie das Wolkenland als Waffe herbeigerufen. Da sich die Wolke wehrt, versandet dieser Handlungsstrang. Er wirkt aber an den Haaren herbeigezogen. Ebenfalls recht geschichtsuntauglich: die Figur des Seelenschlundes (in der Wolkenvolk-Trilogie).

27. Kai Meyer hat zu wenig Nebenfiguren: dadurch wirken die Konflikte eher märchenhaft, teilweise trottelig, ohne lustig zu sein. Es sind keine psychologischen Konflikte.

28. Aufbau des ersten Konfliktstrangs bei Trudi Canavan (S. 11-13):
  • Personifizierte Klage (Wind: arm/reich → Vertreibung der Armen aus den reicheren Stadtvierteln)
  • Verankerung von Sonea (hier: Kleidung, Kälte [Wetter] → Verankerung = eine Person in ihre Umwelt einbauen → Ort, Kleidung, andere Personen) (Verankern habe ich unter dem Begriff der Trivialisierung HIER geschildert, siehe auch: Szenisches Schreiben.)
  • Nebenkonflikt: der stolpernde Mann
  • Konflikt: die Verursacher (Wachen → Wachen sind Mittelsmänner: der eigentliche Verursacher, der König, taucht nicht auf → Prinzip des Stellvertreters von Konflikten, siehe zum Beispiel die Todesser als Stellvertreter von Lord Voldemort bei Harry Potter)
  • Soneas emotionale Reaktion auf die Verursacher (eine emotionale Reaktion ist eine andere Form der Verankerung: Emotionen überschreiten mit Hilfe von Motiven die Person/Umwelt-Grenze → jedes Motiv kommt von innen, will aber im Außen etwas bewirken)
  • Verankerung: der Ort (es gibt viele Arten, eine Person in ihrer Umwelt zu verankern; Erzählungen gehen oft nacheinander vor, in einem Pendelrhythmus, Verankerung → Handeln → Verankerung → Handeln → usw.)
  • Konflikt: Opposition arm/reich → die herablassenden Zuschauer (Sonea beobachtet einen Mann hinter einem Fenster und dieser beobachtet wiederum die armen Menschen auf der Straße: dies ist ein weiteres Beispiel für einen Nebenkonflikt, für eine Illustration des Hauptkonflikts → Nebenkonflikte müssen nicht gelöst werden)
  • Soneas Reaktion → emotionale Verankerung (Nebenkonflikte verankern natürlich auch: sie führen in das Milieu ein, machen es plastisch)
  • örtliche Verankerung und Vorbereitung des nächsten Konflikts: das belauschte Gespräch (ab S. 13)

29. Wozu das Spiegelbild (S. 13)? Um Sonea zu beschreiben: als gewöhnlich, nicht hübsch, nicht mädchenhaft (allerdings lässt Canavan offen, ob Sonea später zu einer schönen Frau wird → hier sind es eher die Selbstzweifel eines jungen Mädchens, als dass sie als wirklich hässlich geschildert wird).

30. Canavan zeigt auch, wie man einen Konflikt individualisiert: ihr Weg führt von einem Das-passiert-vielen-Konflikt (arm sein) zu einem Das-passiert-nur-mir-Konflikt (verbotene Magie).

Szenen

31. Wenn der Leser ganz neu orientiert werden soll, z. B. bei einem Perspektivwechsel, dann ist eine Möglichkeit, eine Beschreibung zu einer ganzen Szene auszubauen, in der weniger etwas für die Geschichte getan wird, als für den Charakter in seinem alltäglichen Leben. (Siehe dazu, wie geschickt Joan Rowling das erste Kapitel in Harry Potter und der Feuerkelch aufbaut: sie führt hier auf der einen Seite eine ganz neue Figur ein, dramatisiert diese in ihrem Umfeld und kann damit auf der anderen Seite einen äußerst wichtigen Schauplatz vorstellen, ohne dass dies aufgesetzt wirkt. Überhaupt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Erzählen, sich Zeit zu nehmen, auch Nebenhandlungen zu schildern. Freilich sollte dies an strategisch wichtigen Stellen passieren und nicht einfach wild durcheinander.)

32. Szene: kurzer Abschnitt einer Geschichte, der eine Stufe oder Schwelle in der Geschichte markiert. Oft sind dies sogar nur ganz minimale Abweichungen.

33. Drei Funktionen der Szene: die Handlung vorantreiben, die Personen charakterisieren, den Leser in Zeit und Raum orientieren.

34. Szenen relationieren sich zu allen relevanten Elementen einer Geschichte.

35. Relationieren heißt nicht, dass dies auch immer ausgeschrieben wird. Wenn der Hauptkonflikt zwischen arm/reich verläuft und die Szene schildert, wie der Protagonist in einer Mülltonne nach Nahrung sucht, dann wird der Hauptkonflikt implizit/unterschwellig mitgeführt.

Setting

36. Große Konfliktlinien spalten in Parteien (Arme und Reiche zum Beispiel). → Eine Partei muss nicht homogen sein: die einzelnen Personen einer Partei können durchaus sehr unterschiedlich zu einem Konflikt stehen: so ist Lord Rothen neugierig auf Sonea und später fürsorglich, für Lord Fergun ist sie schlichtweg eine Bedrohung. (Siehe oben, Anmerkung 19)

37. Parteien zeigen ihre Heterogeneität durch Ereignisse, die eine Stellungnahme verlangen. Dadurch, dass ein Hüttenmädchen auftaucht, das Magie beherrscht, wird die Grenze zwischen den Parteien (arm/reich) plötzlich problematisch. Die Frage ist dann, wie diese Grenze überschritten werden soll und was die Folgen davon sind.

38. Für einige Magier ist es selbstverständlich, dass ein Mädchen mit magischer Begabung aufgenommen wird. Andere befürchten, dass sich die Magie des Mädchens nicht zähmen lässt, weil sich das Mädchen nicht zähmen lässt. Wieder andere vertreten den Standpunkt, dass Magie nur den Adeligen vorbehalten bleiben sollte. Hier bilden sich Konflikte innerhalb einer Partei aus.

39. Alle wichtigen Elemente möglichst früh einführen. (»Der gute englische Kriminalroman ist vor allem fair. Er zeigt moralische Stärke. To play the game ist Ehrensache. Der Leser wird nicht getäuscht, alles Material wird ihm unterbreitet, bevor der Detektiv das Rätsel löst. Er wird instand gesetzt, die Lösung selber in Angriff zu nehmen.« Berthold Brecht, Über die Popularität des Kriminalromans, in: ders. Gesammelte Werke, Band 19, S. 450-457, hier: S. 451.)

40. Canavan schreibt viele Szenen, in denen sich Sonea orientiert. Je konflikthafter die Geschichte verläuft, umso mehr Orientierung brauchen Hauptfigur und – Leser! Orientierung braucht Zeit, d.h. im Roman viel Raum. Siehe auch die Krimis von Alice Gabathuler: sie zeigt, wie rasch, klar und schnörkellos eine solche Orientierung stattfinden kann. Ähnlich gut – wenn auch etwas altbacken -: Dashiell Hammett → insbesondere Rote Ernte.

41. Bei Kai Meyer können die Hauptfiguren zu viel, haben zu mächtige Waffen, zu große Begleiter. Deshalb sind die Figuren vor allem auswendig, nicht inwendig. Sie erlangen keinen wirklichen psychologischen Status.

42. Es gibt bei Kai Meyer auch zu viele Geheimnisse der Vergangenheit, die vor dem Leser und für ihn nicht gelöst werden. Das führt zu einer mangelnden Charakterisierung der Figuren. Siehe zum Beispiel Wisperwind (Wolkenvolk-Trilogie): man weiß eher, dass sie Schreckliches getan hat, als was sie getan hat → ihre Gewissensbisse werden behauptet, nicht aber plastisch nachvollziehbar. → Wieder ein Grund, warum es heißt: Show, don’t tell!

Man kommt

zu garnichts. Eigentlich wollte ich heute - also gestern, am Montag -, noch einige Notizen zu Trudi Canavan ins Netz stellen. Dann aber habe ich mich erstens verzettelt, im buchstäblichsten Sinne und schließlich noch mit Nico telefoniert. Jetzt bin ich zu müde, um den Rest zu schreiben.
Man kommt natürlich zu allerlei, und es ist nur die Frage, ob man immer das schafft, was man sich vorgenommen hat.


10.05.2009

Trudi Canavan

Ich habe gerade Die Rebellin von Trudi Canavan beendet. Ein ganz hervorragend geschriebenes Buch. Besonders bestechend sind die Charakterbeschreibungen, aber auch die Geschichte ist wunderbar.


09.05.2009

10 Thesen zum Bloggen

1. Gute Blogs sind Blogs, die sich abseits der offiziellen Meinung bewegen
2. Qualifikationen auf dem Papier sind Unsinn. Der neue Blickwinkel zählt.
3. Wer Blogger respektiert, respektiert auch abweichende Meinungen.
4. Ein guter Blogger hat Fähigkeiten, die nicht karriereüblich sind.
5. Ein guter Blogger muss sich irren können.
6. Gute Blogger sind schnell.
7. Blogger sind die natürlichen Außenseiter.
8. Gutes Bloggen ist wissenschaftlich.
9. Auf Karrieristen wirken Blogs verdächtig: man kann mit ihnen kein Geld verdienen.
10. Der Blogger kennt keine Ferien.

frei zitiert nach: Warum Deutschland Blog-Hemmung hat


Terry Pratchett

Von ihm zwei Bücher gelesen. Die Farben der Magie und Der Zauberhut. Sehr nett!
Seltsamerweise kommen die Ideen, die Terry Pratchett umsetzt, den Ideen sehr nahe, die mir gerade durch den Kopf wuseln. Nicht, dass ich die jetzt umsetzen wollte. Der Hintergrund ist auch ein bisschen anders (bei mir): Ursula Oppolzer macht in ihren Büchern auf eine sehr nette Übung aufmerksam, um Kreativität und Gedächtnis zu trainieren. Und die setze ich gerade - in Verbindung mit Ideen von Vera Birkenbihl - um.

Die Übung geht folgendermaßen:
1. Such dir fünf Wortpaare! Am Anfang solltest du ganz einfache, materielle Wörter nehmen, wie zum Beispiel: Hund-Telefon, oder Blume-Telefonstecker.
2. Stell dir jedes Wortpaar bildlich vor und wechsle in der Vorstellung so lange zwischen ihnen hin und her, bis sie sich vermischen. Also wirklich vermischen. Der Effekt ist ein wenig wie diese Scheibe, auf der vorne und hinten zwei Vögel aufgemalt sind, beidesmal dieselben, nur hat der eine Vogel die Flügel oben, der andere unten. Wenn man diese Scheibe nun an einem Gummiband schnell dreht, hat es den Eindruck, als ob der Vogel fliegen würde. Mit dieser Übung ist es ähnlich: die beiden Vorstellungen sind Vorder- und Rückseite und unser Geist ist das Gummiband. Wenn wir nun schnell genug drehen, dann vermischt sich der Hund mit dem Telefon und es entsteht ein kreatives Bild.
3. Dieses Bild einmal gut einprägen und auf zum nächsten Wortpaar.
4. Hast du alle fünf Wortpaare gut eingeprägt, langsam von 40 rückwärts zählen.
5. Anschließend bitte die fünf Wortpaare aufschreiben und zwar so, wie sie zusammengehören.

Die Übung trainiert, gerade weil sie sinnlos ist, das Gedächtnis und gerade, weil sie Mischungen schafft, die Kreativität.
Gut, die Kreativität für den Schriftsteller beruht vor allem darin, vorhandene Textmuster neu zu mischen, und das lässt sich nicht einfach so vorstellen. Aber diese Übung ist ganz günstig, weil sie den schönen Unsinn trainiert und in normalen Dingen plötzlich wieder das besondere zu sehen.

07.05.2009

Twitter

digiom erklärt Twitter. Sehr lesenswert!

Hans Klok

Der HIER zu sehen ist.
Hans Klok gibt zu, dass Gedankenlesen nicht sein Spezialfach ist. Aber das liegt vielleicht einfach daran, dass Herr Klok einen solch furchtbaren Akzent hat, dass er einfach nicht die in ordentlichem Deutsch gedachten Gedanken versteht.
Pamela Anderson dagegen weiß ziemlich genau, was Männer denken, sobald sie sie sieht (und die Männer natürlich Pamela Anderson).
Seltsam auch, dass die Interviewerin in einem ganz anderen Studio sitzt, als Hans Klok.

Insgesamt aber eine ganz nette Seite, zumindest, was ich bisher gesehen habe. Nicht alles dabei ist bierernst.


Eine stets gleiche Rhetorik?

Wenn man von Rhetorik spricht, muss man noch lange nicht von Figuren sprechen, sondern kann erstmal auf einen Willen, auf grundlegende Strukturen hinweisen, zum Beispiel auf Oppositionen.
Gestern abend habe ich einen Text gefunden, der von den Metonymien des Terrors spricht. Hier geht es um die Rhetorik Al-Qaidas.

Eine Metonymie steht in einer räumlichen und/oder zeitlichen Nachbarschaft zu dem, was sie meint, und zwar in der referenzierten Welt.
So kann der Eiffelturm für Paris stehen und Angela Merkel für die Bundesregierung. Wenn ich Goethe lese, lese ich natürlich nur Teile seines Werks. (Hier meine Einführung zu Metonymien.)

Metapher, Metonymie, Symbol
Nun schreibt der Autor des Artikels (Ruthard Stäblein):

Daressalam, Twin Towers, Samara. Orte des Terrors.
Schon hier dürfen wir einhaken. Lakoff zum Beispiel schreibt:
»Nach dem 11. September habe ich die Menschen in meinem Wiener Büro gebeten, nicht das Wort ›Terrorist‹ zu gebrauchen. Es ist ein gefährliches Wort: Es kann jeden Beliebigen brandmarken, ganz egal, ob man ihn mit einem kriminellen Akt in Verbindung bringen kann oder nicht. Sie können den Finger auf einen ›Feind‹ richten, ohne ins Detail zu gehen. Jede Ungenauigkeit ermutigt Menschen dazu, alles in dieselbe Schublade zu stecken, und lizenziert Exzesse. Die Medien sind in einem bestimmten Maß mitverantwortlich: Sie hätten bin Laden als einen kriminellen Attentäter bezeichnen sollen, anstatt den ausgelegten Köder mitsamt Leine zu schlucken und die ›Terrorismus-Geschichte nachzubeten.«
Lakoff, George: Auf leisen Sohlen ins Gehirn
Grund für dieses Argument von Lakoff ist auch, dass hier eine Metapher der persönlichen Bedrohung installiert werde, statt mit rechtsstaatlichen Begriffen zu arbeiten.
Nun muss ich diese beiden Argumente in die Zange nehmen: Stäbleins Text, weil er selbst eine rhetorische Figur benutzt, um seinen ganzen Artikel zu inszenieren, Lakoff, weil er von einer Metapher spricht, wo tatsächlich eine Metonymie gelesen werden kann.

1. Lakoff sagt, Terror sei eine Metapher der persönlichen Bedrohung. Er bezieht sich dabei auf den englischen Ausdruck 'terror', der mit Schrecken übersetzt werden kann. Nun ist genau dies aber keine Metapher, sondern eine Wirkung in Bezug auf eine Ursache. Der Schrecken entsteht natürlich, weil etwas passiert ist, was schrecklich ist.
Auch wenn jemand an einem Grab steht und sagt: "Hier liegt mein Kummer!" und damit seine verstorbene Geliebte meint, dann ersetzt er die Ursache durch die Wirkung. Dies ist eine Metonymie. Und wenn der Terrorist jemand ist, der schrecklich ist, wird er als Verursacher mit der Wirkung seiner Tat vertauscht.

Allerdings stoßen wir hier auf ein Phänomen, das mir derzeit einige Schwierigkeiten bereitet.
Wenn eine Organisation plant, zwei Wolkenkratzer niederzureißen, um die Menschen in Schrecken zu versetzen, dann wird diese Verschiebung ganz bewusst in Kauf genommen.
Wenn ich einen Artikel schreibe, damit die Menschen sagen: der Herr Weitz ist doch ein kritischer Leser und ein toller Hecht obendrein, dann ist das doch schon ein Teil meiner Absicht, wenn ich zu schreiben beginne.
Pläne beruhen immer darauf, dass irgendjemand unser Werk mit uns selbst verwechselt, ja die Wirkung unseres Werks mit unseren eigenen Kompetenzen. In Plänen selbst steckt eine Metonymisierung, die uns so geläufig ist, dass wir sie zunächst nicht bemerken. (Ein Aspekt übrigens, der auch ganz den Kriminalroman beseelt, siehe HIER und HIER.)
Und das ganze Problem dabei ist dann, dass Metonymien sich wunderbar in Texten analysieren lassen, aber ihren Status scheinbar komplett wandeln, sobald sie in der realen Welt passieren. Sie finden nicht im gleichen Diskursuniversum (Bateson) statt.
Das Diskursuniversum, in dem Pläne aufgestellt und realisiert werden, ist - grob gesagt - das Universum des Handelns. Das Diskursuniversum, in dem Metonymien wiederholt und wiederholt werden, ist ein textuelles Universum, ein Universum des schriftlichen Mediums. Natürlich gibt es zwischen beiden sehr enge Zusammenhänge, aber das heißt noch lange nicht, dass man diese vermischen darf.

Hier bin ich allerdings noch nicht weit gediehen. Zum einen könnte man hier genauer auf den Unterschied zwischen Sprachspiel und Lebensform bei Wittgenstein eingehen, zum anderen fällt einem natürlich Foucault ein. Foucault trennt zwischen den Diskursen und den Dispositiven. (Das ist so grob gesagt, dass es fast falsch ist: Hier soll es vor allem darauf hinweisen, dass es einen grundlegenden Unterschied gibt.)

2. Ein typisches Phänomen rhetorischer Analysen ist, dass sie sich selbst in zahlreiche rhetorische Figuren zerteilen. Wie sollte es auch anders sein? Wo Texte sind, finden sich eben auch rhetorische Figuren.
Wenn Stäblein zu Beginn von Orten des Terrors spricht, dann ist das recht zusammengeklumpt gesagt. Zusammenklumpen, ich habe es hier nicht ohne Grund eingesetzt, lautet auf griechisch symballein, zusammenwerfen. Darin steckt das Wort Symbol, und mit Sicherheit ist zum Beispiel "ground zero" ein Symbol. Nur: für was ist es ein Symbol, wenn darin ja etwas zusammengeschmissen wird, was man dann wieder trennen müsste?
Stäblein benutzt selbst das Wort Symbol und hat damit mehr recht, als wenn er der Metonymie folgt, die von dem Buch vorgegeben wird, das er in seinem Artikel rezensiert.

Vielleicht sind Sie jetzt verwirrt.
Tatsächlich untersuche ich hier sehr unterschiedliche Phänomene und meine Argumentation gegen den Begriff der Metapher bei Lakoff ist nicht dieselbe wie meine Argumentation gegen den Begriff der Metonymie bei Stäblein.

Raum und Symbol
Ich möchte hier auf eine weitere Schwierigkeit hinweisen.
Die twin towers sind zum einen Wahrzeichen von New York und in weiterem Sinne von Amerika. Sie stehen für die Stadt und/oder das Land. Diese Figur, das pars pro toto, ist die klassische Form der Metonymie.
Auf der anderen Seite aber sind die twin towers auch Symbole für die amerikanische Kultur. Sie symbolisieren die Kultur, und stehen trotzdem zugleich neben anderen Symbolen, die auch die amerikanische Kultur symbolisieren, Disney-World zum Beispiel oder der Hollywood-Schriftzug. Auch hier sind sie Teil eines Ganzen (von Symbolisierungen), und auch hier haben wir eine Metonymie.
Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass diese beiden Metonymien ohne einander nicht funktionieren. Die räumliche Grenze Amerikas ist eine ideelle Grenze, die sich sozusagen räumlich ausgewiesen hat. Wie jede Nation so ist auch Amerika ein komplexes Gebilde aus Personen, Organisationen, Rechtssystem, Politik, Wirtschaft und dergleichen mehr. Die ideelle Grenze dieses Gebildes dürfte kaum auffindbar sein. Trotzdem wird seine Einheit behauptet, und dazu dient die materielle Grenze, eben die Staatsgrenze.
Wie delikat dieses Verhältnis ist, zeigen nicht nur Kriege außerhalb dieser Grenze, sondern auch, wenn eine organisatorische Aktivität in einen Raum verlagert wird, der nicht innerhalb der räumlichen Grenzen des Landes liegt. Stichwort: Guantanamo.
Jedenfalls basiert der Nationalismus auf der Strategie, diese beiden Grenzen beständig miteinander zu verwechseln und die willkürliche, räumliche Grenze mit der heterogenen, ideellen Grenze zu vertauschen.
Und ebenso wird die räumliche Metonymie mit der symbolischen Metonymie vertauscht.

Dieselbe Funktion findet sich im so genannten klassischen Zitat. "Gehst du zum Weibe, vergiss nicht die Peitsche!", so wird Nietzsche (übrigens - aber wen sollte das wundern? - falsch) zitiert. Und das Zitat steht dann zum einen für das Werk, zum anderen für das Denken.
Die Wirkung eines Produkts steht zum einen für die Arbeit, die sich der Betreffende gemacht hat, zum anderen für die Kompetenzen, die der Produzent "besitzt". Beides sind keine Metaphern, sondern ein Vertauschen von Ursache und Wirkung.

Metapher
Eine Metapher, um das hier noch einmal deutlich zu machen, visualisiert nichts. Sie setzt ihren Bezug über eine Eigenschaft, die dem Metaphorisierenden und dem Metaphorisierten angeblich gleich ist.
"Du Blume!", sagt jemand, und will damit sagen, dass Blumen schön sind und die Angeredete auch schön ist. Schön-sein ist die Eigenschaft, die Blume und Angeredete gleich setzt. Eine Metapher also.

Weil sich Diskursuniversen ständig überlappen und überlagern, kann man jedenfalls nicht so eindeutig von Metonymien reden, und schon garnicht mit einer solch unvorsichtigen Art und Weise.
Der Autor schreibt weiter:

Die Texte des Terrors funktionieren alle nach dem gleichen Schema. Ein Buch legt das Gedankensystem des Terrors offen.
Das bezweifle ich. Aber einen solchen Artikel kann man natürlich nur dann kritisch hinterfragen, wenn man sich mit dem Wirrwarr der Rhetorik eingehender befasst hat.

06.05.2009

Sex! Nackt! Weiber!

Aller guter Dinge sind drei. Ich kann hier leider mit keinem dienen. Gut, vielleicht könnte ich noch ein Nacktbild von mir veröffentlichen, aber das wollen Sie nicht wirklich sehen. Oder?
Aber wie mir glaubhaft versichert wurde, bringen diese Stichwörter den Leser zum Weiterlesen.

Deshalb will ich hier und heute mal folgendes kundtun: Google hat mich aus irgendwelchen Gründen aus seinem Suchprogramm gestrichen. Nein, nicht aus irgendwelchen, sondern weil mein Bestätigungscode abgelaufen war. Jetzt ist er wieder aktiviert.

Außerdem bin ich schon den ganzen Tag müde. Warum, weiß ich auch nicht so genau.

Schließlich habe ich noch ein wenig an meinem Bateson gearbeitet, und bin gerade bei dem Diskursuniversum des Humors. Lächerlich, werden Sie jetzt denken, das hört sich ja so seltsam an, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Nun, zumindest schreibt Bateson, Humor sei eine Methode, die unausgesprochenen Themen im Denken oder in einer Beziehung zu erkunden, und da er auch schreibt, Tarnung sei das Gegenteil von Kommunikation, habe ich hier einen hübschen Kontrast gefunden, der mich heute durch meine Lektüre leitet. (Beides in Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes, Frankfurt am Main, Humor: S. 265 u. 272, Tarnung: S. 533.)


05.05.2009

Grenzen der Metapher

Ich folge seit über einer Woche dem Begriff der Metapher in dem Werk von Gregory Bateson. Diese Arbeit ist spannend, aus mehrerlei Gründen.
Klassischerweise ist die Metapher ja ein Wort anstelle eines anderen, also zum Beispiel - Aristoteles gibt dieses Beispiel - Löwe anstelle von Achill.
Nun kann aber gerade dies nicht die Wirkung einer Metapher erklären. Um Wirkungen der Metapher nun geht es in der Coaching-Literatur. Hier aber bootet sich die Coaching-Literatur meist dadurch selbst aus, indem sie so ziemlich alles unter Metapher zusammenfasst, was nur irgendwie etwas mit Bildern oder Vorstellungen zu tun hat. Und dann finden sich so heterogene Zusammenstellungen, die Gleichnis, Anekdote, metaphorischen Komplex und Katachrese durcheinander mischen. Um Wirkungen kontrollieren zu können sind Differenzierungen wichtig. Wenn das Coaching diese Differenzierungen ab- statt aufbaut, dann muss es sich fragen lassen (d.h. natürlich alle Trainer und Coaches), was sie damit bezwecken. Meine Vermutung: nichts Gutes.

Ich bin mit meinen Untersuchungen zu Metaphern bei Bateson noch nicht zu einem Abschluss gekommen und werde wahrscheinlich auch noch eine ganze Weile brauchen, bis ich hier eine genügend gründliche Systematik erarbeitet habe, aber zumindest einen schönen Gedanken möchte ich euch nicht vorenthalten:

Metaphern setzen einen Bezug auf eine Konfiguration in Spannung zu einem Bezug auf ein Phänomen. Bevor ich das näher erläutere, hebe ich noch einmal das Wort Spannung hervor, denn es bezeichnet hier die (hauptsächliche) Ursache der metaphorischen Wirkung. Spannung hat dann auch nur am Rande mit einem Visualisieren zu tun (wie das von NLP'lern gerne als einziger Sinn und Zweck für die Metapher behauptet wird).
Nehmen wir den Löwen als metaphorische Ersetzung für Achilles, dann ist weder Achill noch der Löwe die Metapher, sondern die Metapher steckt in dem Wort "für", das diese Ersetzung anzeigt. Nun ist klar, dass die Metapher aber eben nicht Achill durch alles ersetzt, was den Löwen ausmacht, sondern nur durch einige, wenige Eigenschaften: Kämpfernatur, Wildheit, Stärke, oder ähnliches.
Die metaphorische Übertragung erzeugt demnach nach beiden Seiten eine Codierung sehr begrenzter Art: das metaphorisierte Objekt wird auf ein bestimmtes Wesen hinpointiert, in diesem Fall also Achill in Bezug auf bestimmte Charaktereigenschaften, während das metaphorisierende Objekt abstrahiert wird, der Löwe also wiederum auf bestimmte Charaktereigenschaften.
Pointierung, oder: Übertreibung, Hyperbel, auf der einen Seite, Abstraktion auf der anderen Seite, das ganze im Rahmen einer Codierung, von der Bateson wiederum sagt, dass eine Codierung nur im Rahmen eines Diskursuniversums funktioniert (für Coaches: im Rahmen eines Glaubenssystems).

Warum dann aber Spannung?
Weil die Metapher, so scheint es, auf ein unhintergehbares Spannungsverhältnis hinweist, das nicht der Metapher selbst entspringt, sondern der Spannung zwischen nonverbaler und verbaler Kommunikation, oder, um es noch genauer auszudrücken, dem kommunikativen Verhalten als Beziehungsarbeit und als Informationsmedium, als analoge und digitale Kommunikation.
Die Metapher bringt dann aber selbst eine weitere Spannung ein, die ihr immanent ist: auf der einen Seite absorbiert die die Spannung zwischen analoger und digitaler Kommunikation, auf der anderen Seite aber macht sie genau dadurch deutlich, dass sie hier eine Spannung absorbiert und verlagert, die anderswo stattfindet. Das heißt, sie tarnt und enttarnt zur gleichen Zeit.
Allerdings: Enttarnung findet nur dann statt, wenn man die Metapher als Metapher begreift, und - hier bin ich noch am Forschen - diese Metaphern als Teile, als Spuren eines Diskursuniversums begreift.
Die Metapher als Metapher zu begreifen heißt, hier ein "wie" einzuführen: Achill ist wie ein Löwe, also aus der Metapher einen Vergleich zu machen. Und spätestens ab hier wird es bei Bateson richtig wild. Ganz kurz gefasst läuft die Argumentation wohl auf folgendes hinaus: Das Umwandeln einer Metapher in einen Vergleich setzt eine metakommunikative Regel frei (oder macht diese zugänglich), die in ein Diskursuniversum eingebunden ist und einen Teil seiner Grenze ausmacht. Indem diese metakommunikative Regel herausgearbeitet wird, wird die Grenze des Diskursuniversums zerbrechlich und eine Überschreitung möglich. Der Löwe wird wieder zum Löwen: er wird konkretisiert, während der emphatische Status von Achilles, die Übertreibung, einer gewissen Lächerlichkeit anheimfällt.

Nun ist die Arbeit an der Metapher Löwe anstelle Achill eine recht nutzlose Arbeit. Spannender, aufregender könnte hier das genauere Betrachten politischer Reden oder zum Beispiel der Metaphern im Coaching sein.
Denn dass eine Metapher visualisiert ist selbst nur eine Metapher und die ganze Frage ist hier, in welches Diskursuniversum sich Coaches einschließen und wie man sie davon heilt.

Am Schluss möchte ich noch auf einen Aufsatz hinweisen, der mir gerade in dieser Diskussion sehr wichtig ist und eventuell für den einen oder anderen Leser interessant: Staten, Henry: Der geheime Name der Katzen, in: Haverkamp, Anselm: Die paradoxe Metapher, Frankfurt am Main 1998.


04.05.2009

Photoshop

Nachdem ich InDesign gründlicher studiert habe, sitze ich seit einigen Tagen an Photoshop. Ein feines Programm, mit dem man viel herumbasteln kann. Und so langsam werden mir auch die meisten grundlegenden Techniken so vertraut, dass ich sie ohne größeres Nachdenken anwende.
InDesign ist mir aber derzeit am wichtigsten. So rasch und so professionell habe ich noch nie Unterrichtsmaterial entworfen. Früher habe ich mir das alles auf Word zusammengebastelt.


Praktische Regeln

Theorie ist ja etwas feines. Allerdings, und ich merke es zur Zeit wieder, sollte man die Praxis im Hinterkopf behalten. Praxis, das heißt dann: Methoden und neue Weisen zu denken. Manchem mag das wenig erscheinen, tatsächlich aber kann das ungeheuer viel bedeuten.

Neben Luhmann, Bateson, Goffman und Nietzsche lese ich zur Zeit ja die Wolkenvolk-Trilogie von Kai Meyer, und: Stan Nicholls: Die Orks. Hintergrund ist auch, dass ich an einem Seminar zum Schreiben von Fantasy bastle (mal wieder, aber diesmal ganz ernsthaft, mit Lernzielen für jede Unterrichtsstunde und Studienbriefen und wesentlich mehr Beispielen, als ich sie früher bereit stellen konnte).

Jedenfalls ist es diese wundervolle Mischung aus der einen Theorie und der anderen Theorie, aus dem Lesen von Wissenschaftlern/Philosophen und den Lesen von reinen fiktionalen Unterhaltungsromanen, die mich sehr beflügelt.
Trotzdem: es ist immer wieder von Vorteil, wenn man sich klar macht, wo die Lernziele liegen. Wozu liest man all das überhaupt? Was will man damit erreichen?
Bei dem Beantworten dieser Fragen hilft das Formulieren praktischer Regeln. (Und ich werde auf jeden Fall auch noch ein kleines Seminar entwerfen, das solches wissenschaftliches Arbeiten trainiert. Folgendes hatte ich mir nämlich überlegt: mir einen Seminarraum zu mieten, oder gleich ein kleines Ladengeschäft, und dort eben Seminare anzubieten. Mit dem Gedächtnis hatte ich mich jetzt sehr beschäftigt - hier verweise ich noch einmal auf die Bücher von Ursula Oppolzer. Seminare zum wissenschaftlichen Arbeiten. Seminare zum kreativen Schreiben - Fantasy, Krimi, vielleicht sogar experimentelles Schreiben; neuerdings, als Idee, in der Form moderner Klassiker, Handke, Walser, Jelinek, Mayröcker, aber das wird wohl ein Traum bleiben. - Eine offene Schreibwerkstatt für Erwachsene und Kinder. Darauf bin ich besonders heiß. Und vielleicht so etwas wie ein offenes Text-Coaching.)
Praktische Regeln also. Der ganze Weg sieht dann ungefähr so aus:
  • Kernaussagen aus einem Text herausschreiben
  • Clustern
  • Fragmente dazu schreiben, mit Überschriften versehen
  • Regeln für praktisches Handeln
Clustern, so zeigt Gabriele Nico deutlich, ist kein Selbstzweck. Jedes Cluster muss wieder in einen Text umgesetzt werden. Der Weg vom Lesen zum Cluster ist nur der halbe Weg. Danach müssen zumindest Fragmente, Gedichte oder ein Essay folgen. Ich habe eben noch die Regeln für die Praxis drangehängt, sozusagen als Zusammenfassung des Gelernten.


Zitat des Tages

Gesundheit des Geschmacks. - Wie kommt es, dass die Gesundheiten nicht so ansteckend sind wie die Krankheiten - überhaupt, und namentlich im Geschmack? Oder gibt es Epidemien der Gesundheit?
Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches II, 2. Teilband, § 129.


Doch noch Lager?

Der NPD-Blog (wärmstens empfohlen) weist auf eine Übersicht von Epidemien hin, die jetzt in der New York Times veröffentlicht worden sind. Darin findet man auch gleich mit, wer an diesen Seuchen hätte Schuld sein sollen (unter der Rubrik Scapegoat).


03.05.2009

Zitat des Tages

Die Ruine als Schmuck. – Solche, die viele geistige Wandlungen durchmachen, behalten einige Ansichten und Gewohnheiten früherer Zustände bei, welche dann wie ein Stück unerklärlichen Altertums und grauen Mauerwerks in ihr neues Denken und Handeln hineintragen: oft zur Zierde der ganzen Gegend.
Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches II, § 602.


01.05.2009

Kai Meyer

Was macht man über das verlängerte Wochenende? - Man leiht sich schnöselige Bücher aus, die man ohne nachzudenken lesen kann. Diesmal Kai Meyer: Seide und Schwert, Lanze und Licht, Drache und Diamant - Die Wolkenvolk-Trilogie eben. Ein typischer Kai Meyer.
Wieder dreht es sich um mehrere Jugendliche, die in eine weltumspannende Bedrohung verstrickt werden, wieder gibt es Horden von Monstern, sowohl in Massen als auch einzelne, wieder irgendwelche mächtigen Guten, die ihrem Schicksal erliegen, und so weiter und so fort, alles als Road-Movie und wieder in mehr oder weniger deus-ex-machina-Manier erzählt. Die Charakterentwicklung fällt recht hoppla-hopp aus, will sagen, plötzlich wandeln sich die Figuren und wo eben noch glühende Feindseligkeit ist, regt sich erst das Pflänzchen Liebe, dann die Eifersucht und schließlich die unstillbare Sehnsucht.
Immerhin glättet Meyer seine narrativen Brüche so weit, dass er sie thematisiert und die Figuren sich darüber wundern, dass sie erst so und dann so empfinden. Wirklich genügen kann dies nicht.
Nicht Neues also auf Planet Meyer.