27.07.2009

das Absurde

Murakamis Romane sind voller hübscher, kleiner Absurditäten, so zum Beispiel der geheimnisvolle Anruf zu Beginn von Mr. Aufziehvogel. Das absurde Ereignis im Alltag ist, im Gegensatz zum rätselhaften, nicht überschreitbar. Es besitzt keine Schwelle. Man kann nur darin herumirren. Hier folgt Murakami noch am ehesten Kafka. Der Unterschied zwischen dem rätselhaften und dem absurden Geheimnis, und damit der Unterschied zwischen einem klassischen Krimi und einem Roman von Murakami, liegt darin, dass das rätselhafte Ereignis genau eine Schwelle erschafft, die es zu übertreten gilt. Über dieser Schwelle prangt das Wort Lösung. Dagegen ist das absurde Ereignis nur scheinbar ein rätselhaftes. Es hat sich mimetisch in den Eindruck eines Rätsel eingegossen, doch die Schwellen, die der Held bei seiner Suche überschreitet, führen nur scheinbar dichter ans Rätsel heran. Wie der Landvermesser K. um das Schloss herumwandert und es mal dichter, mal ferner bleibt, er aber nie Zugang findet, so irrt der Ich-Erzähler in Mr. Aufziehvogel durch ein absurdes Labyrinth aus befremdlichen Ereignissen.
Der Moment des Absurden schafft zugleich jene unüberschreitbare Grenze, die die Unterscheidung zwischen Mann und Frau versprach, aber nicht zu halten vermochte. Nicht nur haben sich die medizinischen Möglichkeiten hier an die biologischen Grenzen gewagt. Viel eindringlicher sind die kulturellen Geschlechter heute vielfältiger denn je. Unter der lange gehegten Verkleidung der idealisierten und ideologischen Sexualität schaut seit vielen Jahrzehnten die eigentliche Majestät dieses Spiels hervor, das Absurde eben.
Das Wesen des Absurden selbst ist die Verkleidung. Kafkas Romane sind absurd, weil sie sich in sinnlichen Vorgängen entladen, deren endgültiger Zweck nicht vorherzusehen ist und die zwischen kühler Beobachtung und symbolischer Überhöhung hin- und herchangieren, ohne eine Lösung zuzulassen. Und ebenso ist Mr. Aufziehvogel nicht von der Warte des Rätsellösers zu erfassen, schon garnicht des literaturwissenschaftlichen Rätsellösers. Dieses Moiré aus Sinnlichkeit und Sinn führt keinem Ende zu. Zwar endet Mr. Aufziehvogel, jedoch eher materiell. Die Frage, was passiert ist, kann deshalb nicht gelöst werden, weil die Ereignisse nicht, wie bei einem Krimi, auf der materiellen Ebene geschehen. Wie beim Krimi gibt es zwar Morde, Diebstähle, Lügen und Verheimlichungen. Doch ein gewisser intellektueller Triumph, der den Krimis eigen ist, fehlt hier.
Eine ganze Reihe von Werken der modernen Literatur zeichnen sich durch den intensiveren und bewussteren Gebrauch von Chiffren aus. Chiffren sind Symbole, die sich nicht kulturell geformt haben, sondern in einem angeblich privaten Gebrauch nur für den betreffenden Autoren ein Symbol sind. Nach außen hin geben sie sich geheimnisvoll und unverständlich. Manche Autoren erklären sich irgendwann. Beuys hat für seine Werke Material-Chiffren benutzt, Filz, Kupfer, Fett. Man weiß heute um deren Bedeutung. Was aber, wenn auch noch die private Bedeutung leer bleibt? So tauchen in Murakamis Romanen immer wieder ausgetrocknete Brunnen auf. Und mehr noch als einen Abstieg in die Unterwelt, eine Reise ins Ich - wie eine Rezensentin in eine Besprechung interpretierte - sind diese leeren Brunnen die Sinnbilder der von privatem Sinn entleerten Chiffren. Die Chiffre ist schlimmstenfalls immer noch ein Rätsel für den Psychologen, doch ein auch noch von diesem entkleidetes Etwas wird zur nackten Existenz, jedesmal, wenn es auftaucht, von Neuem. Die Wiederholung, die uns hier den Anschein erweckt, es handele sich um ein zu durchschauendes Symbol, ist eben jene Maskierung des Absurden.

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