05.10.2009

Peter Petersen

Nun also soll es aus sein mit Peter Petersen, dem Autor des Jenaer Plans. Er soll überzeugter Nazi-Ideologe gewesen sein.
Darum werde ich mich auch nicht streiten. Nur empfehle ich hier, wie auch gestern im Fragment zur Gefühllosigkeit, die Geschwindigkeit herauszunehmen und sich die Reaktionen anzuschauen. Es gibt bestimmte Themen, und die national-sozialistische Ideologie gehört dazu, die in der Öffentlichkeit kaum etwas zulassen als eine moralische Reaktion, die eine Anti-Nazi-Haltung zur Norm macht. Normen sind Differenzen, deren eine Seite sanktionierbar ist: in diesem Fall wird das Nazi-Sein sanktioniert.
Man muss sich keineswegs darüber streiten, ob man mit dieser Norm richtig liege. Der Hebel muss ein ganzes Stück weit vorher angesetzt werden.

Gelebte Innerlichkeit

Erstens geht es bei einem Menschen wie Petersen nicht um Innerlichkeiten. Petersen wird hier so dargestellt, als verstünde man, was in ihm vor sich ginge. Und wiederholt damit im Prinzip in ähnlicher Weise etwas, das Petersen über die Juden schrieb: "Weil es dem Juden unmöglich wird, unsre Art innerlich mitzuleben, so wirkt er in allem, das er angreift, für uns zersetzend, verflachend, ja vergiftend und tritt alles in den Dienst seines Machtstrebens." (zitiert nach den online-Artikel)
So, wie es dem Juden abgesprochen wird, die deutsche Art 'innerlich' mitzuerleben, so wird in der Diskussion durchaus so getan, als könne man Petersen innerlich erleben. Gerade Petersen scheint ja auf der anderen Seite mitzumeinen, Deutsche könnten ihre eigene Art gegenseitig innerlich miterleben. Das Problem liegt zunächst nicht darin, dass den Juden etwas abgesprochen wird, das sie eigentlich haben, sondern schon in dieser Differenz von miterleben-können/nicht-miterleben-können, die hier so selbstverständlich gehandhabt wird.

Empathie

Empathie ist, sobald man damit ein leichtfertiges, unreflektiertes 'Nachvollziehen' dessen meint, was in fremder Menschen Köpfe passiert, eine Zumutung. Eine Zumutung, die übrigens notwendig ist, denn die ganze Kommunikation besteht darin, sich auf solche Zumutungen verlassen zu können (folgt man Luhmann). Aber Zumutungen sind keine Wahrheiten, sondern Probeschüsse. Und genau damit hat Empathie umzugehen. Das Nachvollziehen von Innerlichkeit ist eine Kompaktzumutung, deren wissenschaftlicher Wert überaus zweifelhaft ist.
Es steht also zur Debatte, ob Petersen strammer Nazi-Ideologe war. Nun hat sich Petersen in seinem Jenaer Plan gerade nicht durch wissenschaftliche Glanzleistungen hervorgetan, sondern sowieso schon durch ideologisches Gedankengut. Pädagogik muss, wenn sie sich auf langfristige Handlungsprogramme einlassen will, Werte und Normen etablieren. Wissenschaft stört dabei nur, ja, wissenschaftliche Pädagogik ist gerade dazu da, vor der praktischen Pädagogik zu warnen und diese zu verunglimpfen. Ideologien sind in der Moral das für Werte und Normen, was Theorien in der Wissenschaft für Begriffe sind. Ideologien bringen Werte und Normen zueinander in Stellung, wie Theorien Begriffe zueinander in Stellung bringen. Und während wissenschaftliche Begriffe Tatsachen tendenziell problematisieren, schließen Werte und Normen solche Problematisierungen generell aus und bilden stabile Erwartungen aus. Um handeln zu können, brauchen wir Erwartungssicherheiten, also Werte und Normen. Wir können also nicht einfach Ideologien ausbremsen, wollten wir nicht in Handlungsunfähigkeit erstarren. Selbst die Wissenschaft braucht Normen und Werte, etwa die Genauigkeit (=Wissenschaftlichkeit) oder den Neuheitswert.
Zugegeben sind Petersens Aussagen unschön. Aber die Frage ist doch - zweitens -, ob seine antisemitischen und rassischen Äußerungen einen Bruch zum Jenaer Plan darstellen oder nicht unterhalb der Inhalte strukturelle Bedingungen perpetuieren, die man als Ideologien bezeichnen muss; die Frage ist doch, ob die explizite Kritik an Petersen (nicht die von Ortmeyer, sondern derjenigen, die sich an Ortmeyer dranhängen) nicht immer noch implizit eine Komplizenschaft mit der Ideologie ist (und was daraus konkret zu folgern wäre); die Frage ist schließlich, ob die Namensänderung von Schulen nicht eine rein kosmetische Operation ist, sinnvoll, aber nur ein kleinster Teil dessen, was hier sinnvoll wäre.

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