19.02.2010

Esel

"Die spätrömische Dekadenz bestand darin, dass die Reichen nach ihren Fressgelagen sich in Eselsmilch gebadet haben und der Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hat. Insofern stimmt Westerwelles Vergleich: Vor 100 Tagen ist ein Esel Bundesaußenminister geworden."
Heiner Geißler
Ich mag ihn einfach.



11.02.2010

Feldforschung

Feldforschung zeichnet sich meist dadurch aus, dass sie völlig nutzlose Daten zusammensammelt. Zum Beispiel diese hier:

»Zugabfahrtzeiten nach Wiltshire, wie es scheint - und, wenn ich das winzige Gekritzel hier richtig lese, das endgültige Ziel: Feldforschung Bradbury«, buchstabierte Mr Goodfellow.
»Was heißt Feldforschung Bradbury?«, fragte Sam.
Einige Sekunden lang herrschte Schweigen. Dann, plötzlich, ein aufgeregter Aufschrei von Mr Goodfellow.
»Natürlich! Getreidekreise, mein Junge!«, rief er. »Du weißt, diese symmetrischen Muster von Kreisen und geraden Linien, die hin und wieder in Getreidefeldern auf der ganzen Welt auftauchen? Zufällig findet sich diese Erscheinung am häufigsten ausgerechnet in dem Teil der Welt, in den unser Professor so überraschend gereist ist! Der Zusammenhang hätte mir sofort klar sein müssen!«
Mills, Judith Christine: Das Geheimnis der verschwundenen Schriftrolle

»Schon, aber was ist mit dir? Kriegst du nicht die Schulbehörde auf den Hals, wenn dich jemand sieht, wie du dich mitten am Tag auf der Ginza herumtreibst und Strichlisten machst?«
»Nö. Ich sag denen einfach, das ist Feldforschung, für ne Hausarbeit in Gemeinschaftskunde. Funktioniert immer.«
Murakami, Haruki: Mr. Aufziehvogel




10.02.2010

Falsche Ente

Und da wir gerade bei der Pädagogik sind. Hans Aebli möchte in seinem Buch Zwölf Grundformen des Lehrens zeigen, wie man den Begriff der Tarnfarbe erarbeitet. Dazu beginnt er den Unterricht mit der Beobachtung, das die männliche und die weibliche Stockente sehr verschieden aussehen. In der folgenden Gesprächsaufzeichnung gehen die Schüler zwar nicht auf den Geschlechtsdimorphismus ein, aber man könnte sich gut vorstellen, dass dieser erste Impuls des Lehrers die Schüler in diese Richtung lenkt. Nun beginnt der Lehrer hier - und Aebli führt das großartig und wohl auch recht unfreiwillig vor - den Schülern jede Antwort zu suggerieren. Im Prinzip löst der Lehrer sein selbst gestelltes Rätsel und die Kinder plappern eifrig nach. Kann auch mal sinnvoll sein, hier nicht.
Was also macht den Kern des Unterrichts aus? Eigentlich der Unterschied sichtbar / nicht sichtbar, bzw. nicht getarnt / getarnt. Der Geschlechtsdimorphismus der Stockente ist dabei zunächst sekundär. Und darauf müsste sich der Lehrerimpuls konzentrieren. Das ginge so vor sich: Zunächst stellt der Lehrer einige Bilder auf oder hängt sie an die Wand. Diese zeigen verschiedene Tiere, die sich tarnen und schlecht zu entdecken sind. Idealerweise werden die Schüler jetzt neugierig. Sie gehen auf die Bilder zu, schreien: Da ist ein Insekt! usw. und schon ist die Aufmerksamkeit da. Dann erarbeiten sich mehrere Schülergruppen einen kurzen Text zu einem jeweiligen Bild, in dem es um Mimikry und Schutz vor Feinden geht. Das stellen die Gruppen kurz vor, wodurch der Zusammenhang des Begriffes deutlich wird. In einem nächsten Schritt kann der Lehrer sagen: "Das hier sind alles Weibchen. Jetzt hänge ich mal die Männchen dazu." Idealerweise sehen alle Männchen gleich aus, bis auf die männliche Stockente. Das fällt den Schülern auf und hier kann der Lehrer die Schüler diskutieren lassen, warum sich das Weibchen bei der Stockente tarnen muss, das Männchen nicht.
Aebli beginnt seinen Unterricht mit einer nebensächlichen Differenz, der zwischen Männchen und Weibchen. Die hauptsächliche Differenz, die Abstraktion, auf die dieser Unterricht hinzielt, ist allerdings die Differenz zwischen Färbung des Tieres und Färbung der Umgebung. Damit hat der Unterricht zu beginnen, um dies als zentrales Problem zu verankern.

Problemorientierung im Grammatikunterricht

Problemorientierung gilt in der Pädagogik derzeit als besonders modisch. Als Problem kann ich jedoch nur das sehen, was für mich als Problem gilt (wenn man dem Konstruktivismus folgt). Ich kann es, als Lehrer, nicht für die Schüler definieren. Ich kann sie lediglich dazu anleiten, ihre eigenen Probleme als wichtige Bestandteile ihres bewussten Lebens zu schätzen.
Statt von Problemorientierung möchte ich deshalb von einer Rätselorientierung sprechen. Im Rätsel kann ich zugleich Umstände aufgreifen, von denen ich glaube, dass der Schüler damit Probleme hat und ihn hier zu einer Lösung führen.

Folgendes sollten meine Schüler (6.-8. Klasse) am Montag machen:
Ich teilte je drei Schülern zwölf Sätze auf jeweiligen Papierstreifen aus.
Der Richter hat den Angeklagten freigesprochen.
Der Hund darf frei herumlaufen.
Am Dienstag werde ich meine Schwester wiedersehen.
Diesen tollen Film will sich Monika unbedingt wieder ansehen.
Wo hast du denn rückwärtsfahren gelernt?
Mein kleiner Bruder wollte den ganzen Weg vom Kindergarten rückwärts heimgehen.
Mit dieser Lüge wirst du nicht davonkommen.
Du kannst dir davon mitnehmen, was du willst.
Wenn ich die Prüfung geschafft habe, werde ich fröhlich vorwärtsschauen.
Peter kann nur vorwärts einparken.
Sandra war dabei, als die Autos aufeinandergeprallt sind.
Bei diesem Streit müsst ihr beide aufeinander zugehen.
Dann schrieb ich an die Tafel:
Grammatik
Je 2 Sätze gehören zusammen
Findet 1 Regel!
Da ich schon vorher mit den Schülern viel Grammatik geübt hatte, wussten sie, ungefähr, worum es mir geht.
Trotzdem war ein hartnäckiges Phänomen bei der Lösung des Rätsels, die Sätze inhaltlich zu verstehen. So wurden teilweise je ein Satz mit dem Wort vorwärts zu einem Satz mit dem Wort rückwärts zusammengepackt, oder Sätze, in denen es ums Sehen oder Laufen ging, wurden zusammengelegt. Trotz Übungen hatten die meisten Schüler noch nicht gelernt, den Satzinhalt von der Satzstruktur gekonnt zu unterscheiden. Teilweise musste ich mehrmals darauf hinweisen: "Du sprichst vom Inhalt, aber hier geht es um Grammatik." Es kam dann mehr oder weniger rasch zu einem Hin- und Herschwanken in der Argumentation: mal wurde der Satz inhaltlich gesehen, mal formal. Schließlich jedoch, als die Schüler entdeckt hatten, was die Regel ist, dass nämlich ein Prädikat keine zwei Vorsilben haben kann, festigte sich die Argumentation und die vorher unsicheren Formulierungen wurden von den Gruppen rasch zu einer knappen Regel ausformuliert.


Schlechte Beispiele

Gerade lese ich Rolf Arnolds Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik.
Es ist faszinierend, dass auch die Systemiker die negativen Beispiele (in der Pädagogik) als Legitimation für ihre Theorien brauchen. Arnold jedenfalls bietet erstmal wieder dieses Schreckensbild der Schwarzen Pädagogik auf.
Sehr üblich wird dann auch gerne aus Kafkas Brief an den Vater zitiert. Arnold wehrt sich nicht.

Trotzdem mag ich Arnold zitieren, und zwar, weil er recht hübsch gegen die theorielosen Pädagogen ins Feld zieht:
Zwar kann Theorie nicht allgemein verbindlich sagen, "was besser und schlechter geeignet ist", doch kann sie Wirkungsszenarien beschreiben, die Komplexität der im Einzelfall potenziell wirksamen Faktoren ausloten und dadurch ein Differenzierungswissen zu einem Erziehungsproblem anbahnen. Dieses Differenzierungswissen ermöglicht einen Ausstieg aus der "Bauchpädagogik" und vermag erzieherische Fantasie und Vielfalt anzuregen. Gefragt ist schließlich ja auch nicht der Erziehungsingenieur, welcher die Kunst, Kinder zu kneten, perfekt beherrscht, sondern der Professional, der nicht nach Zuschreibungen sucht, sondern Vielfalt und Entwicklungsoptionen zu offerieren vermag.
Arnold, Rolf: Ich lerne, also bin ich. S. 20




Mängelwesen

Der Mensch, so wird es immer noch hergebetet, sei ein Mängelwesen.
Ich mag mal folgende Vokabel ausprobieren: der Mensch ist ein (Sich-)Erweiterungswesen.


(Wie schrieb Nietzsche? Oh Voltaire! Oh Humanismus! Oh Blödsinn!)


03.02.2010

Was ist Philosophie?

Große Verlegenheit, ob die Philosophie eine Kunst oder eine Wissenschaft ist.
Es ist eine Kunst in ihren Zwecken und in ihrer Produktion. Aber das Mittel, die Darstellung in Begriffen, hat sie mit der Wissenschaft gemein. Es ist eine Form der Dichtkunst. - Sie ist nicht unterzubringen: deshalb müssen wir eine Spezies erfinden und charakterisieren.
Die Naturbeschreibung des Philosophen. Er erkennt, indem er dichtet, und dichtet, indem er erkennt.
Er wächst nicht, ich meine, die Philosophie nimmt nicht den Verlauf, wie die andern Wissenschaften: wenn auch irgend welche Gebiete des Philosophen allmählich in die Hände der Wissenschaft übergehen. Heraklit kann nie veralten. Es ist die Dichtung außer den Grenzen der Erfahrung, Fortsetzung des mythischen Triebes - auch wesentlich in Bildern. Die mathematische Darstellung gehört nicht zum Wesen des Philosophen.
Überwindung des Wissens durch mythenbildende Kräfte. Kant merkwürdig - Wissen und Glauben! Innerste Verwandtschaft der Philosophen und der Religionsstifter!
Nietzsche, Friedrich: KSA Band 7, 19[62]