27.07.2010

Zitatenschätze

In einem dieser Zitatenschätze findet man auch Hermann Goering. Als Beruf wird angegeben: Führer. Und bei Lech Walesa steht als Nationalität: Poliermittel. Emerson habe gesagt: Bau ein besseres mousetrap und die Welt schlägt einen Weg zu deiner Tür.
Na bitte! Schon haben wir wieder drei geile Tatsachen dazu gelernt. Weitere geile Tatsachen HIER.


Urworte - orphisch

Was man alles im Internet findet, z.B. jenes Zitat von Goethe:
Holz brennt, weil es das korrekte Material in ihm hat; und ein Mann wird berühmt, weil er das korrekte Material in ihm hat.
Diese Übersetzung ist geradezu faustisch.



Elite und Integration

Der Begriff der Elite spielt in der Soziologie von Niklas Luhmann kaum eine Rolle. Er greift diesen eher als semantisches Überbleibsel auf. Hier ein längerer Abschnitt aus Luhmanns Buch Die Politik der Gesellschaft (Seite 131-132):
Die klassische politische Theorie hatte im Anschluss an alte Traditionen der Politik eine Funktion gesellschaftlicher Integration zugewiesen. Es blieb bei höheren begrifflichen Ansprüchen unklar, wie das gemeint war. Diese Unklarheit war der Preis, der für das Festhalten an einem Identitätskonzept für Politik und Gesellschaft unter immer komplexer werdenden Bedingungen zu zahlen war. Integration wurde einerseits über den Staatsbegriff zugemutet, wobei vorausgesetzt wurde, dass eine Gesellschaft jeweils nur einen Staat hervorbringe. Sie konnte andererseits mit Hilfe einer Theorie politischer Eliten formuliert werden, womit (bei heutiger Distanz zu diesem Theoriedesign) sowohl regierende als auch »kritische«, das heißt protestierende Eliten gemeint sein konnten. Geht man zu einer Theorie gesellschaftlich ausgelöster und reproduzierter Systemautonomie über, gewinnt man die Möglichkeit, diese ziemlich unplausibel gewordenen Integrationstheorien aufzugeben. An ihre Stelle tritt das Konzept der funktionalen Spezifikation des politischen Systems.
Die Konsequenzen dieser Theorieumstellung werden an vielen Stellen unserer Darlegungen sichtbar werden. Im Moment soll nur ein besonders wichtiger Gesichtspunkt angedeutet werden.
Während im Integrationskonzept Übereinstimmung und Verständigung über Politikvorschläge im Vordergrund stehen, kann nach Aufgabe dieses Konzepts die Bedeutung politischer Konflikte differenzierter gewürdigt werden. Konflikte sind durch die Codierung Regierung/Opposition geradezu vorgeschrieben. Sie werden durch das links/rechts-Schema schematisch reproduziert. Es mag sich in nicht wenigen Fällen nur um gespielte Konflikte handeln; aber auch dies signalisiert die strukturell garantierte Dauerbereitschaft des politischen Systems, gesellschaftlich fundierte Meinungs- oder Interessenkonflikte aufzugreifen und zur Entscheidung zu bringen. Dem entspricht (wie wir noch sehen werden) eine Präferenz der Massenmedien, über Konflikte (und nicht: über übereinstimmende Meinungen) zu berichten und die »öffentliche Meinung« entsprechend zu strukturieren. Die öffentliche Aufmerksamkeit und Kommunikation konzentriert sich damit typisch auf den politischen Konflikt - so wie im Falle des Sports auf Sieg oder Niederlage oder im Falle der Börsenberichte auf die Auf- oder Abwärtsbewegung der Kurse. Was fasziniert, ist nicht die Einheit, sondern die Differenz; oder genauer: die spezifisch bestimmte Einheit einer Differenz - die Streitfrage über Militäreinsatz, über Ausdehnung oder Einschränkung von Sozialleistungen, über Technologiepolitik, regionale Dezentralisierung etc.
Da man nur über Dasselbe streiten kann, liegt auch im Konflikt eine Integrationsleistung vor, aber sie ist viel komplexer gebaut, als es in klassischen Politikkonzepten formuliert werden kann. Sieht man Konflikte als soziale Systeme, die sich in anderen Systemen gleichsam parasitär entwickeln, so handelt es sich deutlich um überintegrierte Systeme, die dazu tendieren, alle Ressourcen im Blick auf Sieg oder Niederlage auf einen Konflikt zu konzentrieren. Dem wirkt nach üblicher Vorstellung die Juridifizierung der Konflikte (= Konditionierung der Entscheidung durch einen unabhängigen Dritten) entgegen. Im Zuge einer stärkeren Ausdifferenzierung des politischen Systems ergibt sich dazu ein funktionales Äquivalent, nämlich die thematische Spezifikation von politischen Konflikten. Sie ermöglicht eine Begrenzung der jeweiligen Beiträge, Argumente und verwendungsfähigen Mittel. Sie verhindert eine gesellschaftliche »Versäulung« der Konflikte mit der Folge, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen sich in allen Konflikten als dieselben Gegner wiedererkennen. Gelingt eine thematische Spezifikation der Konflikte, kann man das politische System beobachten im Blick auf die Frage, ob und wie es gelingt, Konflikte zu entscheiden. Auch die Beobachtung (und vor allem: Selbstbeobachtung) des politischen Systems wird damit auf das Politische konzentriert und mehr oder weniger distanziert von den Interessen, die jeweils vertreten und berücksichtigt oder übergangen werden. Außerdem strukturiert die laufende Bearbeitung und Entscheidung thematisierter Konflikte das Gedächtnis des Systems; und dabei erinnert sich das System auch und gerade an die immer wieder zurückgesetzten Interessen, die allein dadurch schon Gewicht gewinnen, dass sie typisch zu den Verlierern gehören.

Und an einer anderen Stelle, in Soziale Systeme (Seite 465-467), schreibt Luhmann folgendes:
Wenn diese Theorie zutrifft, müsste man im Übergang von einer hierarchischen zu einer funktionsbezogenen Gesellschaftsordnung ein Problematischwerden der Latenz feststellen können, und das ist in der Tat der Fall. Das »seiner Natur nach Geheime« wird in Kommunikationsprobleme und Kommunikationssperren übersetzt. So sieht Pascal die Situation: Das Volk lebt in der Illusion. Wer das durchschaut, darf dies nicht äußern. Nicht der Sachverhalt, sondern die Einsicht hat verborgen zu bleiben. Pascal spricht an vielen Stellen noch von mystère; aber er betont auch, dass das Akzeptieren der vorhandenen Ordnung auf Illusionen über die Gerechtigkeit des überkommenen Rechts, über die Qualitäten des Adels, über die Legitimität der Herrschaft beruhe; dass diese Einsicht aber nicht geäußert werden dürfe, sondern dass sie pensée, cachée, pensée de derrière bleiben müsse; dass gerade dies Zurückhalten der Kommunikation der Ordnungsbeitrag des Christen sei: der damit den Sündenfall akzeptiere; und dass auch der einsichtige Adel darauf verzichten müsse, darzustellen, wie es um seine Qualität und seine Menschlichkeit in Wahrheit stehe. Auch die Theorie der Salonkonversation findet sich bald darauf durchsetzt mit Kommunikationsverboten und Schweigepflichten, die benötigt werden, um Geselligkeit in Gang zu halten. Und auch die Moraltheorie nimmt die Einsicht auf, dass das Interesse an moralischer Achtung nicht in die Kommunikation einfließen dürfe, sondern dass man moralisches Handeln um der Moral selbst willen zu verlangen habe (was immer die wahren Motive seien, die auszuleuchten man besser zu vermeiden habe).
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spitzt diese Problematik sich zu. Der Aufklärer nimmt als »Philosoph« eine öffentliche Rolle in Anspruch, er symbolisiert in seiner Person die Selbstreflexion des Gesellschaftssystems. Man beginnt, sich auf die öffentliche Meinung zu berufen. Ausgerechnet die öffentliche Meinung wird zur unsichtbaren Gewalt erklärt. Manifest und latent fallen zusammen - und nur dass dies geschieht, bleibt latent.
Parallel zu dieser Problematisierung von Latenz (die sich zu jener Zeit nur auf die Ordnungsvoraussetzungen der alten Gesellschaft beziehen konnte), nimmt die Bereitschaft zu, Vorgefundenes auf Alternativen hin zu befragen, das heißt in funktionalen Bezügen zu denken. Kritik wird als Anwendung von Urteilsvermögen im 18. Jahrhundert zur Universaltugend - zunächst gedacht als Verfahren der Aussonderung des wirklich Vernünftigen, im 19. Jahrhundert dann als Praxis des Änderns um des Änderns willen, als Revolution, als Umwälzung und in diesem Sinne als Praxis, die sich selbstkritisch ihr Ziel, ihr Maß, ihr Gesetz gibt. Gerade diese Radikalisierung muss sich aber auf eine latente Beziehung zum Problem der Latenz zurückführen lassen. Sie ist nicht freiwillig radikal, sie muss auf eigentümlich hilflose Weise radikal werden, weil sie keine Form mehr findet, latente Funktionen und Strukturen zu respektieren. Sie leistet damit im Ergebnis aber nicht viel mehr als eine negative Darstellung dessen, was ohnehin der Fall ist, und kann dann sehr rasch in Verzweiflung und Resignation zusammensinken. Oder eine neue Elite findet sich wieder in der Pascalschen Situation: zu wissen, aber nicht sagen zu können, dass sie nicht verdient, es zu sein!

Halten wir zudem noch fest, dass allein der strukturelle Bezug zwischen Elite und Gesellschaft bedingt, dass Eliten selbst sich nicht integrieren, sondern desintegrieren. Sie müssten ja, qua Definition, besser sein, als die Gesellschaft.
Hieraus könnte man auch schließen, dass jegliche real existierende Elite die gesellschaftliche Integration nur an dem Maß des Besser-Seins begreift. So, wie man aus der Gesellschaft aussteigt, so steigt man zunächst in die Gesellschaft ein. Dies scheint der Mythos hinter den Aussagen von Trapp und Sarrazin zu sein. Ich würde mit den beiden wirklich gerne mal einen Intelligenztest machen.



Intelligente Ausländer

Sarrazin schafft es, und Peter Trapp legt nach. Man solle, so Trapp, Zuwanderer einem Intelligenztest unterziehen. So ließe sich zeigen, ob diese etwas zum Wohlstand beitragen könnten.
Intelligenztests sind nun äußerst fragwürdige Mittel. Meiner Ansicht nach existiert so etwas wie Intelligenz sowieso nicht. Intelligenz drückt sich, wenn überhaupt, in einem gelungenen Handeln aus. Da Handlung immer aus vielen Faktoren entsteht, und vermutlich eine "günstige" Interpretation der aktuellen Situation eine gelungene Handlung am wahrscheinlichsten macht, ist die Anwendung von Intelligenztests bei Ausländern so etwas wie eine self-fulfilling prophecy. Wer nicht aus einem westlichen Land kommt und so nicht dem westlichen Usus einer Intelligenz entspricht, kann nicht gut abschneiden. Nur fehlt es nicht an Intelligenz, sondern an Gewohnheit.
Es gibt zahlreiche weitere Einwände gegen Intelligenztests. Dass Trapp, und vorher Sarrazin, sich solch eine krude Vermittlung zwischen sozialen Problemen und möglicher Intelligenz erlauben, spricht aber noch für etwas ganz anderes: dass politische Eliten und Intelligenz auch nicht besonders vermittlungsfähig sind. Vielleicht sollte man den guten Herren erstmal selbst einen solchen Test angedeihen lassen. Mich würde ein solches Ergebnis auf jeden Fall brennend interessieren.


26.07.2010

Fantasie

Husserl stellt die Funktion der Fantasie als eine Form der (gedanklichen) Variation heraus, mit der wir das Eidos, die "Idee" vom Faktischen lösen. Die "Idee" bezeichnet Husserl als das allgemeine Wesen, von der aus sich alle Reihen der Variationen erschließen. (Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie, S. 72ff.)

Ernst Mach schreibt, dass Fantasie entstehe, wenn sich durch zahlreiche Anschauungen die Verbindungen zwischen den Phänomenen so lockern, dass neue Assoziationen möglich sind. (Mach, Ernst: Erkenntnis und Irrtum, S. 38)

Schließlich muss man sich Piagets Untersuchungen zur Entwicklung von Nachahmung und Spiel ins Bewusstsein rufen. In der Nachahmung passen Kinder (aber auch Erwachsene!) ihre gedanklichen Strukturen an die Welt an. Im Spiel wird die Welt - umgekehrt - an die Gedanken angepasst. Entwicklungspsychologisch geht die Nachahmung dem Spiel voraus. Zunächst muss ein Themengebiet (und sei es, wie bei Kindern, die alltägliche Welt) erfasst werden; dann kann dieses neu (und freier) geordnet werden.

Für das Textverständnis heißt dies, dass der Kommentar der Kritik zeitlich vorausgeht. Kritik fasse ich hier als zunächst unterbietend auf, nämlich als eine Variation des Textes, in der implizit ein (Bündel von) Urteil(en) erkennbar wird. Demnach ist auch der Kommentar schon eine Kritik. Später (und erst dann) löst sich dieses Kommentieren von der Nachahmung und spielt freier mit dem Text. Thematische Transpositionen, wie der Dr. Faustus von Thomas Mann nach dem Faust von Goethe, sind nicht nur Umschriften und Aktualisierungen, sondern auch Kritiken (vgl. Genette, Gerard: Palimpseste).

Maßgeblich ist mir aber dabei, dass die Fantasie bei diesem Vorgang eine zentrale Rolle spielt. Mach schreibt, gleich zu Beginn seines Buches (S. 17), dass die Methode der Variation dazu diene, Abhängigkeiten, oder, naturwissenschaftlich ausgedrückt, Funktionalitäten zu ermitteln. Folgt man diesem Gedanken, gibt es ohne Fantasie kein naturwissenschaftliches Denken.

Eingeübt werden müssen also, so oder so (d. h. ob naturwissenschaftlich gebildete Kinder/Jugendliche dabei herauskommen sollen oder nicht), Methoden der Variation. Zum Teil müssen diese aufgebaut, zum Teil 'kleingearbeitet' werden. Dies entdecke ich gerade wieder in De Bonos neue Denkschule (die gerade in einer frischen Auflage erschienen ist).

19.07.2010

Motive

Den gestrigen Sonntag habe ich mit Motivationspsychologen (natürlich nur deren Büchern) verbracht.
Obwohl sich das Feld der Motivation auf ein paar Modelle beschränkt, sind die Schlussfolgerungen insgesamt relativ komplex. Besonders faszinierend finde ich immer noch den leicht exzentrischen Bereich, diese Modelle auf die Literatur anzuwenden.
Ein zentrales Arbeitsmittel ist mir die Maslowsche Bedürfnispyramide geworden. Wer sich unbedarft mit diesem Modell an die Literatur begibt, merkt sofort, dass sie hinten und vorne nicht passt. Erst wenn man dieses Unpassende ausformuliert, bekommt das Modell seinen Sinn. Schlägt das Modell auf der Frontseite eine Ordnung vor, so zwingt es auf der Rückseite zu einer Sensibilisierung gegenüber dem untersuchten Artefakt (wie zum Beispiel einem fiktiven Text).
Nähme man die Phänomenologie zur Hilfe, dann ginge es bei der Sensibilisierung um die Aufmerksamkeit gegenüber dem Erkenntnisinhalt (Noema) und gleichzeitig dem Erkenntnisakt (Noesis). Ist es schon nicht einfach, einen wissenschaftlichen Text auf diese schlichte Formel immer wieder zu überprüfen, so ist die intellektuelle Herausforderung bei einem fiktiven Text mehr als enorm. Vor allem findet sich aber diese Differenz von Erkenntnisinhalt und Erkenntnisakt auch in dem neumodischen Begriff der emotionalen Kompetenz. Die emotionale Kompetenz erklärt die Souveränität als einen zentralen Punkt.
Souveränität entsteht, wenn ich den Gefühlen so weit Widerstand leisten kann, dass ich trotz der Gefühle entscheidungsfähig bleibe. Ungebremste Gefühle schlagen sich in ungebremsten Motiven nieder. Erst wenn ich mir meiner Motive bewusst werde, kann ich diese gewollt einsetzen. Erst dann bin ich auch souverän. Ähnlich wie beim Modell kommt die souveräne Handlung nur dadurch zustande, dass ich in der Lage bin, auszuwählen.

Das Faszinierende an dieser ganzen Geschichte ist, dass sowohl die Kompetenzen im Modellieren als auch die emotionale Kompetenz nicht das Ziel sind, sondern nur Werkzeuge, um zu mehr Sensibilität zu gelangen. Weder ist ein wissenschaftliches Modell ein Ausschwitzen der Wahrheit, noch ist ein persönliches Modell individueller Motive ein Abbild. Hinter Motiven stehen Transformationsleistungen, die die Welt verwandeln. Die Sensibilisierung entsteht, indem man das Vorher und das Nachher in einen kritischen Bezug zueinander setzt, bei der man zugleich lösungsorientiert arbeitet, als sich auch von jeder Lösung als Endlösung fern hält.
Motive sind also Transformationsleistungen, die nicht (im konkreten Falle) wissenschaftlich erörtert werden können, sondern Brennpunkte der Reflexion aufzeigen. Dies gilt für den Menschen im alltäglichen Leben, aber auch genauso für den fiktiven Menschen im Roman. Wenn ich auf meine letzten drei Jahre als Textcoach zurückblicke, dann ist eine der größten Fehler das fehlende Bewusstsein für Motive, und daraus entstehend eine mangelnde Sensibilität.


Paul Nizon

Paul Nizon gibt es mittlerweile als Gesamtausgabe. Musste ich mir leisten. Habe aber noch nicht so viel gelesen.
Neulich fragte mich mein Sohn, wer das sei. Ich sagte ihm, das sei ein Schriftsteller, ähnlich wie Hermann Hesse. Man habe bloß hinterher nicht das Gefühl, man habe sich einen Eimer süßer Limonade ins Gehirn geschüttet. Das Gefühl bekommt man nämlich, wenn man zu viel Hesse liest.
Nizons Roman Im Hause enden die Geschichten ist einfach großartig.


Modellieren

Eine meiner wichtigsten Auseinandersetzungen in den letzten vier Monaten betrifft den Begriff des Modellierens.
Als Modellieren bezeichnet die naturwissenschaftliche Didaktik das aktive Hineinsehen und Herauslesen eines Modells in und aus der Umwelt. Was als Modell gesehen wird, bestimmt der Betrachter. Eine der reizvollsten Aufgaben dabei sind mathematische Modelle wie zum Beispiel Formeln.
Modelle haben einen intimen Bezug zur Abstraktion. Die Abstraktion muss in diesem Fall allerdings doppelt gelesen werden. Folgt man den Entwicklungspsychologen, wie zum Beispiel Piaget, dann beginnen Kinder von Geburt an die Welt mit Differenzen zu überziehen, Differenzen, die zunächst völlig abstrakt sind. Der Mensch beginnt also nicht mit Konkretionen, sondern mit Abstraktionen. Konkret darf hier nicht mit sinnlich verwechselt werden. Das Sinnliche markiert sich über Kontraste, die ebenso unsinnlich sind, wie Wörter in Texten. Genau dasselbe gilt für Emotionen.
Dieses Denken in Abstraktionen wird in der Entwicklung nach und nach durch eine zunehmende Kombination sinnlicher Kontraste und mentaler Muster überwunden. An dieser Stelle greift das Modell ein. Das Modell rekombiniert diese Abstraktionen erneut, um eine andere Ordnung (des Denkens) auszuprobieren. Gewollte Modelle, also solche, die die Wissenschaft entwirft, sind Reflexionsleistungen, die im wissenschaftlichen Bereich neue Möglichkeiten der Abstraktion erforschen, im praktischen Bereich neue Möglichkeiten der Konkretion. Es geht bei einem Modell nicht um die Wahrheit, sondern um die Übersetzungsleistung und ihre Allgemeingültigkeit (Plausibilität).
In der naturwissenschaftlichen Didaktik wird eine Liste von Modellierungskompetenzen aufgestellt. Eine der zentralsten und wichtigsten Kompetenzen dabei ist die Anwendung eines Modells. Anwendung heißt in diesem Fall, dass das Modell in seiner Übersetzungsleistung Punkt für Punkt nachvollzogen wird. Dabei geht es nicht (ich sagte es schon) um Wahrheit, sondern um Übersetzung und das heißt auch Auseinandersetzung. Vielleicht ist dies einer der wesentlichsten Aspekte eines Modells: dass es in einer unsicheren Umwelt das Handeln ermöglicht. Anders formuliert: ein Modell übersetzt unspezifische Unsicherheit in spezifische Unsicherheit.

07.07.2010

Wilde Zeit

Die letzten zwei Monate haben mich völlig in Beschlag genommen: weiterhin naturwissenschaftliche Didaktiken, ständiges neues Ausprobieren und Durchkommentieren, auch viel Ärger (möchte ich nicht verschweigen) und viele neue Perspektiven.
In den nächsten Tagen bin ich hoffentlich wieder fleißiger, was den Blog angeht.