26.07.2010

Fantasie

Husserl stellt die Funktion der Fantasie als eine Form der (gedanklichen) Variation heraus, mit der wir das Eidos, die "Idee" vom Faktischen lösen. Die "Idee" bezeichnet Husserl als das allgemeine Wesen, von der aus sich alle Reihen der Variationen erschließen. (Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie, S. 72ff.)

Ernst Mach schreibt, dass Fantasie entstehe, wenn sich durch zahlreiche Anschauungen die Verbindungen zwischen den Phänomenen so lockern, dass neue Assoziationen möglich sind. (Mach, Ernst: Erkenntnis und Irrtum, S. 38)

Schließlich muss man sich Piagets Untersuchungen zur Entwicklung von Nachahmung und Spiel ins Bewusstsein rufen. In der Nachahmung passen Kinder (aber auch Erwachsene!) ihre gedanklichen Strukturen an die Welt an. Im Spiel wird die Welt - umgekehrt - an die Gedanken angepasst. Entwicklungspsychologisch geht die Nachahmung dem Spiel voraus. Zunächst muss ein Themengebiet (und sei es, wie bei Kindern, die alltägliche Welt) erfasst werden; dann kann dieses neu (und freier) geordnet werden.

Für das Textverständnis heißt dies, dass der Kommentar der Kritik zeitlich vorausgeht. Kritik fasse ich hier als zunächst unterbietend auf, nämlich als eine Variation des Textes, in der implizit ein (Bündel von) Urteil(en) erkennbar wird. Demnach ist auch der Kommentar schon eine Kritik. Später (und erst dann) löst sich dieses Kommentieren von der Nachahmung und spielt freier mit dem Text. Thematische Transpositionen, wie der Dr. Faustus von Thomas Mann nach dem Faust von Goethe, sind nicht nur Umschriften und Aktualisierungen, sondern auch Kritiken (vgl. Genette, Gerard: Palimpseste).

Maßgeblich ist mir aber dabei, dass die Fantasie bei diesem Vorgang eine zentrale Rolle spielt. Mach schreibt, gleich zu Beginn seines Buches (S. 17), dass die Methode der Variation dazu diene, Abhängigkeiten, oder, naturwissenschaftlich ausgedrückt, Funktionalitäten zu ermitteln. Folgt man diesem Gedanken, gibt es ohne Fantasie kein naturwissenschaftliches Denken.

Eingeübt werden müssen also, so oder so (d. h. ob naturwissenschaftlich gebildete Kinder/Jugendliche dabei herauskommen sollen oder nicht), Methoden der Variation. Zum Teil müssen diese aufgebaut, zum Teil 'kleingearbeitet' werden. Dies entdecke ich gerade wieder in De Bonos neue Denkschule (die gerade in einer frischen Auflage erschienen ist).

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