30.09.2010

Stationenunterricht und gute Erklärungen

In der Pädagogik, vor allem in der "praktisch" orientierten, begegnet man allerlei seltsamen Vokabeln. So finde ich in der Chemiemethodik (von Cornelsen) die Stationenarbeit als "selbstständiges Aneignen von Lerninhalten". Dieses bewirke "eine größere Verantwortung für das eigene Lernen".
Vor dem Hintergrund des Konstruktivismus ist das allerdings ein unsinniger Begriff. Denn im Konstruktivismus wird alles Wissen selbstständig angeeignet und alles Wissen basiert zunächst auf Handlungen, die kognitiv abgebildet und symbolisch verkürzt werden, so dass die Handlung schließlich gänzlich durch das Symbol zurückgenommen werden kann. Es gibt also gar nichts anderes als das selbstständige Aneignen von Lerninhalten. Tatsächlich erinnern solche Formulierungen eher an ein double-bind, in der Art, dass der Schüler sich selbstständig die Inhalte erarbeitet, die der Lehrer wünscht.
Tatsächlich erscheint mir der Wirkungszusammenhang zwischen Wissenskonstruktion und Verantwortung für das Lernen umgedreht, und mindestens wesentlich komplizierter. Indem die Stationen den Schülern die Verantwortung für einen bestimmten Aspekt oder ein bestimmtes Material geben, erzeugen sie ein gewisses Bewusstsein für die Selbstständigkeit. So verkürzt scheint das Ganze aber immer noch unsinnig. Man müsste zumindest noch die Rolle der Aufmerksamkeit und der Metakognition genauer beachten. Dies dürfte eine umfassende und weit reichende Aufgabe sein, zunächst für die Theorie, dann für die Praxis (sowohl der diagnostischen als auch der unterrichtlichen Praxis).
Kranz, Joachim/Schorn, Jens: Chemie Methodik. Berlin 2008


Veronika beschließt zu sterben und anderes

Am Montag war ich im Kino, in einer Preview, und habe mir den Film nach dem Bestseller von Paolo Coelho angesehen, "Veronika beschließt zu sterben". Eines zumindest hat mir besonders gut gefallen: anders als das Buch ist der Film nicht weinerlich. Und, sehr überraschend, Sarah Michelle Gellar spielt großartig. (Ein kurzer Text von mir dazu auch hier: Veronika beschließt zu sterben - die Verfilmung des Bestsellers.)

Dragon NaturallySpeaking 11.0
Gerade wieder nehme ich (zum vierten Mal) mein Dragon NaturallySpeaking in Betrieb. Am Anfang hatte ich einige Probleme (doch das war bereits im März, als ich so wahnsinnig viel zu tun hatte); jetzt hat mich eine Woche lang ausgebremst, dass die neue Version meine alten Benutzerdaten nicht übernommen hat und ich zahlreiche Vokabeln neu einsprechen musste. Aber es geht wesentlich schneller. Das Programm ist fantastisch.

Chemiedidaktik
Außerdem arbeite ich zur Zeit an der Chemiedidaktik. Dass ich hier so viel Zeit hineinstecke, mag manchen verwundern, doch tatsächlich sind es nicht nur die Inhalte der Chemiedidaktik, die mich interessieren, sondern auch die Querverbindungen zu anderen Themen, so zum Beispiel Kreativität, Kompetenzaufbau oder (aber das erkläre ich hier nicht genauer) zum kreativen Schreiben
.

Suite101.de
Mit mal mehr, mal weniger Lust veröffentliche ich Artikel auf suite101.de. Um mich mit Politik zu beschäftigen, jedenfalls grundlegender, fehlt mir zur Zeit die Zeit. Dabei hätte ich schon Lust, hier mehr zu schreiben, und mir fehlt die Lust, weil mir die Gelegenheit fehlt, hier in die Tiefe zu gehen.
Doch gerade die aktuelle Debatte zur Integration braucht mich (und das sage ich mit aller Unbescheidenheit), um hier adäquat die rhetorischen Mechanismen aufzudecken und mit einer Ethik eines "gewissen Pluralismus'" in Verbindung zu bringen. Zumindest habe ich gemerkt (und rege mich darüber nicht auf), dass einige Ideen aus meinen politischen Kommentaren kurz darauf von anderen Autoren aufgegriffen wurden, um nicht zu sagen abgeschrieben. Aber ich rege mich darüber eben deshalb nicht auf, weil auch meine Ideen dazu nicht neu sind, sondern ich womöglich nur der erste war, der sie mit der aktuellen Debatte verbunden hat.

(Und ich höre schon wieder einen meiner Freunde sagen: Du Hengst!)

22.09.2010

Was Amok noch bedeutet

Amok: plötzliche, unmotivierte, wahllose Gewalttaten mit schrecklichen Folgen. Früher eigentlich eher ein Ereignis aus dem Fernen Osten. In letzter Zeit vermehrt aus dem Nahen Osten und den USA. Inzwischen auch in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland und der Schweiz ein Begriff, der Böses ahnen lässt.
Drollig, und genauer nachzulesen auf www.psychosoziale-gesundheit.net.



15.09.2010

Rhetorische Analyse

Hmmm ... eine schöne, kleine, fragmentarische Analyse zu einem Aphorismus von Nietzsche hier. Eigentliches Ziel ist immer noch eine Rhetorik des Humors. Hier fehlen mir aber noch wesentliche Erkenntnisse.


14.09.2010

Clustern und Schreiben

Texte schreiben ist nicht immer so lustig, vor allem, wenn es sich um formalisierte Texte handelt, die bestimmte Stichwörter bedienen müssen. Nebenbei vergnüge ich mich deshalb mit dem Schreiben von kleinen Artikelchen für suite101.de. Ein paar Tage habe ich jetzt pausiert. Dafür stelle ich jetzt drei Stück online, die miteinander zusammenhängen. Blogleser werden den Tenor dieser Artikel bereits kennen. Der erste betrachtet Cluster als kreative und analytische Methode. Der zweite beleuchtet das Verhältnis zwischen Cluster und wissenschaftlichem Schreiben. Der dritte verweist auf eine recht simple Möglichkeit der Formalisierung von Clustern hin zu Begriffsnetzen.
Bizarr finde ich, dass Cluster im Internet kaum gesucht werden. Ich halte diese immer noch für eine der wichtigsten Techniken beim Schreiben, auch beim wissenschaftlichen Schreiben (neben dem Zettelkasten). Warum in unserer wieder ach so leistungsbereiten Gesellschaft diese Methode so wenig gepflegt wird, ist mir ein Rätsel. Ich jedenfalls fabriziere damit eine ganze Menge Sinniges und Unsinniges.


13.09.2010

Blicklose Augen (Vampirromane)

Ich treibe mich, neben der ganzen anderen Arbeit, in der Lyrik herum. Gerade auch, weil sich hier ein aktuelles Motiv aus der Vampirliteratur finden lässt, das Motiv der blicklosen Augen und umgekehrt das Gefühl, angeblickt zu werden (ein typisches Motiv des Horrorromans, siehe zum Beispiel das Masten-Haus in Stephen Kings "Brennen muss Salem", siehe aber auch ETA Hoffmanns Sandmann).
Bei Walter Benjamin finde ich folgendes Zitat von Charles Baudelaire:
Der Stumpfsinn ist oft eine Zier der Schönheit. Ihm hat man es zu verdanken, wenn die Augen trist und durchsichtig wie die schwärzlichen Sümpfe sind oder aber die ölige Ruhe der tropischen Meere haben.
Benjamin, Walter: GW I/2, S. 649




08.09.2010

Herrenlose Damenfahrräder

Ab und zu probiere ich mich auch am feministischen Denken. Mit welcher Qualität, mag ich gar nicht beurteilen. An der Universität wurde eine meiner Referatsverschriftlichungen bemängelt, weil dieses nicht die weibliche Form mitgenutzt hatte. Während meines Referendariats war es umgekehrt. Weibliche Form? Weiß man doch, liest sich außerdem viel zu kompliziert.
Eine nette Kolumne zur "Sprachbereinigung" hat Sebastian Sick heute bei Zwiebelfisch eingestellt.
Ernsthafter ist meine sehr knappe Einführung zum hegemonialen Sprechen.



07.09.2010

Sarrazin, die Türken und die Intelligenz

Ich müsste, wenn ich Zeit hätte, diesen ganzen Ideenkomplex auseinandernehmen. Insgesamt erscheinen die Behauptungen, die im Internet über die Intelligenz aufgestellt werden, sowohl im "protürkischen" als auch im "antitürkischen" Sinne vollkommen fantastisch.
Auch der Umgang mit statistischen Daten oder das ganze Problem der Diagnostik wird in einer unterkomplexen Art abgehandelt, dass dabei nichts anderes entstehen kann als Mythen.
Was Sarrazin angeht: selbst wenn er eine Debatte angestoßen hat und dies auf provozierende Weise, sollte er hinterher noch ein wenig mehr dazu zu sagen haben als seine beständigen Wiederholungen. Denn er verweist zwar (zurecht) auf den fehlerhaften Umgang mancher seiner Kritiker mit dem von ihm verwendeten Datenmaterial, äußerst sich aber in nichts dazu, dass auch er die Daten nicht komplex genug ausgewertet hat. Welche seltsamen Blüten sprunghafte Argumente und Pseudo-Koryphäen treiben, habe ich in Sarrazin und die Intelligenz - Alles eine Sache der Gene? umrissen.


05.09.2010

Die Pseudowissenschaft "gender studies"

So finde ich es eben im Internet. Vermutlich ist dem Herrn Knauß diese Forschungsrichtung zu anspruchsvoll. Tatsächlich kann man konstatieren, dass "gender studies" zu überbetont sind, wenn die hauptsächliche Frage, wie nämlich soziale Ordnung möglich sei, diese nicht lenkt.
Gerade aber den gender studies verdanken wir tiefgreifende Einsichten in das Verhältnis von sozialer Struktur und alltäglicher Rhetorik und damit immer noch ein kaum zu ermessendes Potential an Aufklärung. Wissenschaft lässt sich im sozialen Bereich immer durch eine kritische Durchsicht des bereits vorhandenen Materials erreichen. Pseudo-Wissenschaft verhält sich dagegen simplifizierend, undifferenziert. Und das schafft der gute Ferdinand Knauß mal locker.
Beispiel? "Die Behauptung des durch die Gesellschaft konstruierten Geschlechts beruht auf einer Theorie des Psychologen John Money, die in den siebziger Jahren..." (so Knauß). Simone de Beauvoir: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht" (Das andere Geschlecht, 1949). John Money dagegen hat vor allem behauptet, dass zwiegeschlechtlich geborene Menschen nach einem operativen Eingriff "ganz natürlich" in ihre (von Arzt und Eltern zugewiesene) Geschlechtsidentität hineinwachsen würden. Also auch nicht ganz das, was Knauß verbreitet.


Bequemlichkeits-Biologismus

Ein schönes Wort, das auf allerlei derzeitig laufende Debatten zutrifft, zum Beispiel auf den (Anti-)Feminismus. Auch in der Pädagogik ist das Gehirn mittlerweile alles. Neuroeducation! - das Schlagwort. Dabei beobachtet man in Situationen immer noch Verhalten, keine Gehirne. Die Neurophysiologie hat in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen unseres Denkens immer besser abstecken können. Die kruden Übergriffe in den Unterricht dagegen simplifizieren nicht nur die Forschung, sondern biologisieren auch die Kinder in unzulässigem Maße. Und dann: Sarrazin und seine sauberen Ideen ethnischer Verschiedenheit! Muss ich noch ein Wort dazu sagen?
Lesen:
Michel, Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt am Main 2006
Michel, Foucault: Die Geburt der Biopolitik.
Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt am Main 2006


David Lynch: Interview project

David Lynch war immer mal wieder für eine Überraschung gut. Nach seinem übermäßig skandalisierten 'Blue Velvet' drehte er einige weitere Filme mit ähnlicher Atmosphäre. 'Twin Peaks' war international ein Riesenerfolg und dabei so abgedreht, so komisch und so bitter, wie kaum eine andere Produktion von ihm. Mit 'A straight story' überraschte Lynch erneut.
Jetzt habe ich, zufällig, im Internet, auf dem Blog von Outopos, einen Hinweis auf ein weiteres, faszinierendes Projekt von Lynch gefunden: The Interview Project. Ganz faszinierend.


04.09.2010

Else Buschheuer twittert

gerade: was, wenn alles nur eine frage der semantik ist?
Ist es, liebe Else, ist es.


Thilo Sarrazin - Iteration

Ich sollte mich vielleicht nicht zu sehr mit dieser Debatte beschäftigen. Sie regt mich nur auf. Von allen Seiten melden sich derzeit Halbgebildete zu Wort. Halbgebildete erkennt man oft daran, dass sie für komplexe gesellschaftliche Prozesse Lösungen parat haben.
Angela Merkel dagegen gefällt mir (bedingt) gut mit ihren Äußerungen. Sie will den Dialog fördern. Implizit sagt sie auch, dass sie keine Lösungen will. Das mag in unserer ach so lösungsorientierten Gesellschaft ein Widerspruch sein. Tatsächlich aber sind Lösungen à la Sarrazin keine Lösungen, wenn sie nicht angemessen die Problemsituation erörtern. Eine Lösung zu einem nicht-existenten Problem ist eben auch nur ein Problem. Ein paar Notizen zu Dialog und Gewalt findet ihr hier.


02.09.2010

Die gespiegelte Analogie

Luce Irigaray beginnt ihr Buch Speculum. Der Spiegel des anderen Geschlechts mit einer besonderen Art der Analogie. Die Analogie basiert normalerweise darauf, dass vier Elemente in Bezug gesetzt werden: A : B <-> X : Y, lies: A verhält sich zu B wie X zu Y.
Nun zitiert Irigaray zu Beginn den Anfang aus Freuds (fiktiver, da nicht gehaltener) Vorlesung Die Weiblichkeit:
»Meine Damen, meine Herren! [...] Über das Rätsel der Weib­lichkeit haben die Menschen zu allen Zeiten gegrübelt. [...] Auch Sie werden sich von diesem Grübeln nicht ausgeschlossen haben, insofern Sie Männer sind; von den Frauen unter Ihnen erwartet man es nicht, sie sind selbst dieses Rätsel.«
um dann fortzufahren (und zwar ohne Zitatzeichen):
Für Sie, meine Herren, handelt es sich also darum, dass Sie untereinander, unter Männern, über die Frau sprechen, die ihrer­seits nicht daran interessiert sein kann, einen Diskurs zu hören oder herzustellen, der das eines männlichen Diskurses begründen, einer Debatte unter Männern, die die Frau nicht interessieren, nichts angehen kann. Von der sie notfalls gar nichts zu wissen brauchte.
Die Bewegung, die Irigaray hier ins Spiel bringt, ist komplex.
Zunächst spricht Freud für und anstelle der Männer. Irigaray dagegen spricht anstelle von Freud, zieht aber die Gleichsetzung von Menschen und Männern ab, schärft die Linie ein, dass die Frau aus dem Reden ausgeschlossen ist und fügt den Begriff des Diskurses hinzu, der begründet wird.
Zunächst also sieht es so aus, als verhielte sich Freud zu den Männern wie Irigaray zu den Männern. A : B <-> X : B.
Allerdings macht Irigaray auch deutlich, dass sie die Rede von Freud deplatziert. Sie nimmt zwar seinen Platz ein und paraphrasiert ihn, setzt aber die Markierungen anders und verdeutlicht Oppositionen. A : B <-> A' : B.
Schließlich aber muss dieser Ort, von dem Irigaray spricht, und den Freud ganz anders besetzt, folgend gelesen werden. Freud gehört zu den Männern, spricht also unter seinesgleichen, Irigaray dagegen nicht.

(Freud ∈ Männer) : Männer ↔ (Irigaray ∉ Männer) : Männer

Dadurch, dass die Analogie von einem Paradox durchzogen wird, zerbricht der Spiegel. Übrigens ein Spiegel, den Freud seinerseits aufstellt. Männer : (Rätsel der Weiblichkeit) <-> (Frauen=Rätsel) : Desinteresse.
Immer wieder kehrt Irigaray auf solche Analogien zurück: Männer : aktiv <-> Frauen : passiv; oder: Männer : Geschlechtsverkehr <-> Frauen : Säugling; oder Männer : Frauen <-> Sperma : Eizelle. Indem Irigaray diese Analogien zusammenschürzt, sie nachahmt (nachäfft), sie konsequent dort anwendet, wo Freud inkonsequent gewesen ist, zerbricht sie nach und nach die innere Struktur von Freuds Aufsatz.
Eine weitere Strategie, die Irigaray in die Analyse der Freudschen Analogien einhängt, ist die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen der Analogie. Irigaray nutzt nun nicht die Begrifflichkeiten der Entwicklungspsychologie, aber indem sie die Gleichsetzung der Frau mit einem Material als strukturellen Effekt in einem hegemonialen Diskurs aufzeigt, spielt sie mit den Unterschieden zwischen einer präoperativen und einer formal-operativen Analogie.