27.02.2012

Osho

Seit Samstag bin ich wieder dabei, Osho zu untersuchen. Ich hatte das vor fünf Jahren schon einmal angefangen, aber nicht wirklich systematisch. An diese Arbeit erinnere ich mich aber sehr gerne zurück, weil es nach dem Studium eine meiner ersten umfassenderen Kommentare zu einem Werk war und eine erste, ausführlichere Untersuchung zu dem, was Roland Barthes Ideosphäre nennt.

Mann/Frau

In seinem Buch "Das Buch der Frauen. Die Quelle der weiblichen Kraft" (München 2006) wird der erste Text (Seite 9-14) zunächst von der Opposition Mann/Frau strukturiert. Und obwohl Osho diese Differenz sofort ersetzt (durch Kopf/Herz), spielt sein ganzer Text immer wieder mit diesem ersten Unterschied.
Die Differenz ist zugleich gravierend und nicht gravierend:
"Kein Ehemann und keine Ehefrau sind in der Lage, einander zu verstehen. Missverstehen ist die naturgegebene Situation. Der Mann sagt etwas — und die Frau versteht sofort etwas anderes." (Seite 11)
"Jeder Mann, jede Frau ist beides [Mann/Frau], denn jedes Kind wird aus einem Vater und einer Mutter geboren. … Der einzige Unterschied könnte darin bestehen, dass der Mann etwas mehr Mann ist, vielleicht einundfünfzig Prozent Mann und neunundvierzig Prozent Frau, und die Frau vielleicht einundfünfzig Prozent Frau und neunundvierzig Prozent Mann." (Seite 13 f.)
Die Differenz ist marginal, aber schwerwiegend. Sie verhindert das Verstehen. Sie macht das Verstehen unmöglich.

Kopf/Herz

Nun gibt uns Osho eine gewisse Lösung für dieses Rätsel. Zunächst bietet er eine alternative Unterscheidung an, die zwischen Kopf und Herz. In seiner Argumentation erreicht er das über zwei Schritte; erstens wird das Problem von Mann und Frau von einem eigentlichen zu einem uneigentlichen Problem umdefiniert:
"Doch eigentlich geht es bei diesem Problem nicht um Mann oder Frau." (Seite 9)
Dann bietet er ein existenzielles Problem an:
"Auf das eigentliche, existenzielle Problem reduziert, geht es um den Unterschied zwischen Kopf und Herz." (ebenda)
Der Kopf könne das Mysterium des Herzens nicht verstehen. Der Kopf sei "logisch, rational, mathematisch, wissenschaftlich". Dadurch, wie der Kopf funktioniere, entstünde zuallererst das Mysterium; so dass das Mysterium gar keine Eigenschaft oder Wesensqualität der Frau ist, sondern ein Ausdruck der Logik/Rationalität für das, was sie (die Logik/Rationalität) nicht verstehen kann.

Die Frau versteht und versteht nicht

Die Frau wird mit einem Widerspruch aufgeladen, den Osho (in diesem Text) nicht löst. Auf der einen Seite versteht die Frau ganz einfach:
"Die Frage [nach dem Mysterium der Frau] taucht nur auf, weil die Frau durch das Herz funktioniert und der Mann durch den Kopf. Habt ihr jemals Frauen fragen hören: »Was ist das Mysterium des Mannes?« Sie wissen es einfach.

Das Herz weiß einfach — ohne jeden Erkenntnisprozess, ohne jeden Syllogismus, ohne jedes Argument." (Seite 9)
"Kein Ehemann und keine Ehefrau sind in der Lage, einander zu verstehen. Missverstehen ist die naturgegebene Situation. Der Mann sagt etwas — und die Frau versteht sofort etwas anderes." (Seite 11)
So ist in Wirklichkeit der Verstehensprozess von zwei Seiten aus blockiert. Das Herz erfasst sein Wissen "intuitiv", in einem Nu; während der Kopf sein Wissen in formalen Verkettungen hat. Und diesen zweiten Aspekt könne die Frau nicht verstehen:
"Eine Frau vermag eine Dichterin zu sein, aber sie kann nicht wirklich eine Mathematikerin sein." (Seite 10)
[Später wird Osho doch einen Frauentypus einführen, der zur Mathematik befähigt ist: die Emanze. Die Emanze versuche männlicher als der Mann zu sein. Sie sei "hässlich".]

Rose und Mond und Leere

In einem dreifachen Schritt führt Osho in die Lösung des Problems ein. Zunächst gibt er das Beispiel, dass die Logik nicht begründen könne, warum die Rose schön sei (Seite 9). Der Kopf versagt vor dem Phänomen der Schönheit.
Der Mond dagegen erinnert nicht einfach nur an das Versagen des Kopfes (Osho spricht hier plötzlich von Verstand), sondern ist eine aktive Kraft, die "den Verstand des Menschen in Dimensionen [treibt], die jenseits des Denkens liegen" (Seite 11). Dabei zitiert er ebenso den Topos der Poesie, als auch den von Wahnsinn und Selbstmord und den der Erleuchtung ("In einer Vollmondnacht sind mehr Menschen erleuchtet worden als in anderen Nächten." (Seite 11)).
[Anm.: Der Verstand ist bei Kant und Schopenhauer für die Anschauung zuständig, mithin zunächst einfach nur für die Verknüpfung von Empfindungen (Empfindung liefert die Sinnesreize, und zwar sozusagen einzeln, unverbunden). Dagegen ist die Vernunft das Vermögen, was die Begriffsbildung garantiert; würde Osho den klassischen Begriffen folgen, müsste er eher die Vernunft kritisieren als den Verstand. — Die Logik wurde bei Kant als der Vernunft immanent gesehen: so besagt der Satz der Widerspruchsfreiheit, dass ein Elefant nicht zugleich grau und nicht-grau sein kann. Diese immanente Logik wird heute angezweifelt. Perelman zum Beispiel verändert den Status der Logik von einem epistemischen Fundament (die Logik sei der Vernunft immanent) zu einem ethischen (die Vernunft habe sich, soweit dies möglich sei, an die Logik zu halten: nicht, weil diese "wahrer" sei, sondern weil diese das Verständnis zwischen den Menschen verbessere).]
Die Rose ist ein Beispiel dafür, dass der Kopf nicht alles erklären könne; der Mond ist ein Beispiel dafür, dass der Kopf für Kräfte empfänglich ist, die ihn aus seinem Domizil vertreiben; schließlich wird es die Meditation sein (Seite 13), die Kopf und Herz zusammenbringt. Denn indem der Kopf leer von Gedanken wird und das Herz leer von Gefühlen, könnten diese beiden "Leeren" zusammenfinden:
"Zwei Nullen werden zu einer Null." (Seite 13)
Und er fährt fort:
"In der Meditation verlieren sich Kopf und Herz ineinander, verschmelzen sie miteinander. In Meditation können Mann und Frau miteinander verschmelzen." (Seite 13)
Noch einmal verschiebt Osho hier die Einsätze. Mann und Frau stehen sich in der äußeren Welt "irgendwie" gegenüber, der Mann als Vertreter des Kopfes, die Frau als Vertreterin des Herzens. Doch die eigentliche Differenz, das eigentliche Problem ist die Trennung von Kopf und Herz im Menschen selbst. Verschmilzt ein Mensch (durch Meditation) innerlich, verschmelzen sein innerer Mann und seine innere Frau, dann ist auch eine äußere Verschmelzung möglich. Die Gegensätze heben sich nicht auf, sondern werden unterlaufen, ausgelöscht. Es gibt keine idealisierende oder pragmatische Synthese (diese zweite Synthese ist die Lösung der systemischen Beratung: die intime Kommunikation als dynamisches Geflecht), sondern eine Athetisierung, eine "Entsetzung" der Unterschiede.

Isotopien bei Osho

Isotopien verlaufen bei Osho zunächst sehr deutlich. Es gibt eine Reihe von kontrastierenden Isotopien  (Mann/Frau; Kopf/Herz; …), die sich in Oppositionen gruppieren lassen und deren Abfolge relativ deutlich geregelt ist. Osho betreibt also Begriffsbildung. Deutlich wird aber auch, dass merkmalstragende Eigenschaften situativ angewendet oder verleugnet werden: Einmal versteht die Frau intuitiv und das andere Mal nicht; einmal ist sie das höhere, bessere Subjekt in intimen Beziehungen, einmal gleichwertig.

Man müsste hier tiefer in die Texte von Osho eindringen. So müsste man zum Beispiel seine ganzen mechanischen Metaphern aufarbeiten. So wie er von einem "ungeheuren Magnetismus" (Seite 11) des Mondes spricht; oder seinen Bezug zur Mathematik, insbesondere zur Zahl Null. Das ist insofern verfänglich, als sich Osho aus "rationalen" Gebieten illustrierende Bilder für seinen Antirationalismus leiht (es gibt hier gleichsam einen Entzug metonymischer Prozesse durch metaphorische Sprünge).
Man müsste auch seine Geschichten überprüfen, im einzelnen. So zitiert er eine "Geschichte", die zwischen Albert Einstein und seiner Frau (welcher von den beiden?) passiert sei und in der Osho Frau Einstein als Dichterin bezeichnet (etwas, über das ich nichts gefunden habe: Seine erste Frau war wohl eher selbst eine Mathematikerin und Physikerin und hat einen nicht genau feststellbaren, aber wohl bedeutenden Einfluss auf die Theorien ihres Mannes gehabt). So kann man zumindest sagen, dass diese Geschichte (zu finden auf Seite 10-11) ein Mythos ist, ein beispielhafter Beweis, der eher aus sich heraus etwas stützen soll, als dass er eine Beweisführung in der Realität verankert. Eine Sache, die häufiger bei Osho vorkommt.
Schließlich müsste man den Status der Frau, den Osho hier andeutet, genauer untersuchen, vor allem auch dessen Ränder, wo also das Frausein (nach Osho) fehl geht: zum Beispiel die Emanze, zum Beispiel die weibliche Homosexualität, zum Beispiel die Frau, die nicht Mutter werden will (also, auf gut Deutsch gesagt, der übliche Quark der Antifeministen). Tendenziell läuft dies nämlich auf eine sehr klassische Unterscheidung hinaus: im ideellen Sinne wird die Frau das Ewigweibliche, im pragmatischen Sinne bleibt sie das Objekt einer unterwerfenden Ökonomie.

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