22.07.2012

Auch Frauen furzen, oder: müssen Homosexuelle bessere Menschen sein?


Ich habe Christof, übrigens ohne dieses wirklich zu begründen (was mir anzulasten ist), eine vulgäre Geschlechterdifferenzierung vorgeworfen. Hier müsste ich, um fair zu sein, konkrete Texte von ihm analysieren. Ich bleibe auch jetzt etwas generell: mir behagt häufig diese Mischung aus bunt, aber einheitlich, mit der sich die homosexuelle Szene (wenn auch nicht nur diese) schmückt, überhaupt nicht. Sie verleugnet all die Animositäten, die in dieser Szene bestehen; am frappierendsten finde ich diesen Jugendwahn.
Der Jugendwahn hat allerdings sein Problem nicht darin, dass man (als Homosexueller) junge Männer nicht hübsch finden darf, sondern dass die Werte älterer Männer nicht oder nur wenig anerkannt werden. Nun mag das bei homosexuellen Männern (ich weiß es ehrlich gesagt nicht) auch deshalb ein Problem sein, weil diese häufig nicht in den Genuss von eigenen Kinder kommen und deshalb plötzlich eine ganz andere Verantwortung tragen müssen. Es gibt deshalb vielleicht mehr Kontinuität im Leben von Homosexuellen. Das ist aber nicht unbedingt ein Vorteil. Man hat hier auch weniger Erfahrungen, die man vergleichen und vermitteln muss. — Das ist übrigens nur ein sehr pauschales Urteil! Die reale Spannbreite erscheint mir viel zu groß, um hier eindeutige Aussagen zu treffen. Es handelt sich eher um eine Tendenz.

Was nun die Frage, ob Homosexuelle bessere Menschen sein müssen, angeht: Nein, natürlich nicht. Meine Argumentation lief nicht darauf hinaus, dass Homosexuelle mehr Ahnung von der Gender-Theorie haben müssen als heterosexuelle Menschen. Ich dachte immer, dass es hier ein größeres Problembewusstsein bei Schwulen gibt und deshalb auch eine größere Bereitschaft, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.
Ich habe aber nicht gesagt, dass Heterosexuelle sich damit nicht beschäftigen müssen. Die Geschlechterdifferenz, bzw. Gender geht deshalb alle Menschen in einer Demokratie etwas an, weil die Demokratie aus einer Vielfalt besteht und weil diese Vielfalt zu schützen ist, von jedem einzelnen Menschen.
Meine Verwunderung, dass es doch sehr vulgäre Blickweisen auf sexuell-kulturelle Variationen gibt, ist weniger ethisch zu verstehen als psychologisch. Es sind immer noch die Homosexuellen, die mit Vorurteilen zu rechnen haben und die deshalb, aber eben psychologisch, ein größeres Problembewusstsein haben dürften. Ethisch gesehen müssen sowohl die Schwulen als auch die "Heten" ein solches vertreten.

Übrigens kommt hier von Heterosexuellen häufig der Einwand: ich muss doch nicht jeden Schwulen mögen. Das stimmt natürlich! Aber das persönliche Wohlbefinden wird nun mal nicht durch ein Zurechtstutzen der Demokratie und der mit ihr verbundenen kulturellen Vielfalt erreicht und ist manchmal auch nicht vermittelbar.

Deshalb meine Gegenfrage an Christof: haben Schwule deshalb gleich das Recht, genauso doof wie Heten zu sein?

Und zum Schluss: natürlich furzen auch Frauen. Das ist allerdings ein körperlicher Zustand, der sich nicht wirklich vermeiden lässt. Geistige "Fürze" dagegen kann man sehr wohl vermeiden. Es ist ja auch keine Ausrede, dass jemand, nur weil er schwul ist, jeden hanebüchenen Unsinn in der Welt verbreiten darf. Ich gestehe, dass ich einmal einem Homosexuellen ein Glas an den Kopf geworfen habe, aber nicht, weil er homosexuell war, sondern weil er Auschwitz geleugnet hat.

2 Kommentare :

christof hat gesagt…

die antwort: ja, schwule haben das gleiche recht, genauso doof wie heten zu sein. und noch eine antwort: ich muss auch nicht jeden schwulen mögen. das ließe sich stetig so fortführen. dabei geht es mir gar nicht um das „recht“ auf vielfalt, auf wohlbefinden, auf seelische und körperliche unversehrtheit - dies sind selbstverständlichkeiten. sondern es geht mir um die folgen gesellschaftlicher bedingungen und den umgang damit. ein aschenbecher am kopf wird kaum zu veränderungen und zum umdenken führen, kann aber als persönlicher ausdruck seine berechtigung haben.

das „doof sein“ bringt mich wieder zurück zur hoffnung auf eine sich verbessernden gesellschaft, die viele menschen teilen. meiner ansicht nach endet aber in vielen argumentationen das nachdenken über die möglichkeiten zu früh. voraussetzend, dass wir in einer restriktiven gesellschaft leben, die zwar eingeschränkte demokratische teilhabe zulässt, aber wirklich beteiligung an der verfügung über die lebensbedingungen (man kann es auch kommunismus oder sozialismus nennen) verhindert und versuche in die richtung sanktioniert. diesen lebensbedingungen sind wir alle unterworfen. so wie du es in einem anderen post zur ratgeberliteratur angesprochen hast, wird vor allen dingen darauf hingewirkt, dass der einzelne heutzutage an sich zu arbeiten, sich zu verbessern, sich anzustrengen habe und sich ins verhältnis zu den anderen zu setzen habe.

oh, und wie wir alle damit beschäftigt sind. doch es ändert kaum etwas an den gesellschaftlichen vorgaben, die auf konkurrenz, leistung und ausschluss von der teilhabe an den gesellschaftlichen prozessen basieren. dazu gehört für mich auch die aufrechterhaltung von geschlechterrollen, sexuellen orientierungen und vielem mehr als maßstab. ich kann sie nun durch sprachliche veränderungen und das übergehen von klischees schön formulieren, aber in der realität sind sie weiter existent. für mich ist die hoffnung, dass durch bestimmte erfahrungen mit restriktionen sich das problembewusstsein erhöhe, eine romantische vorstellung. wie oben geschrieben, wir unterliegen alle den gleichen bedingungen. darum sind manche geistigen fürze auch nicht vermeidbar, außer durch einen moralischen selbstappell.

oder eben auch aufklärung und diskurs. dabei scheint mir das aufgreifen von klischees ein legitimes mittel. die schwule „szene“ lebt die klischees, verkehrt sie auch teilweise in ihr gegenteil, doch sie stellt neben teilweiser getthoisierung kaum eine handlungsmöglichkeit für gesellschaftliche veränderungen dar. auch die schwule szene reproduziert einzelne gesellschaftliche normen ebenso (jugendwahn, animositäten, … - und auch viele formen der männlichkeitszuschreibungen) wie du und ich, wie alle menschen. da muss schon an die wurzel gegangen werden. und die liegt in der ursache der restriktionen, also im gesellschaftssystem (und nicht in der subjektivierten verantwortung). ich stimme zu, dass es sich um eine vulgäre geschlechterdifferenzierung handelte, da sie so von mir gewünscht war. ich habe sie mir erlaubt, da sie neben der vielfalt der menschen, weiterhin vorhanden ist und gestützt, ja stetig reproduziert wird.

und ich könnte die diskussion über verhaltenskonsequenzen aus diversen erkenntnissen ewig weiterführen. doch ich möchte nur noch auf einen kleinen fehler aufmerksam machen: homosexualität definiert sich nicht über das „andere benutzen“ seines körpers (die sexualpraktiken von homo- und heterosexuellen unterscheiden sich meist nicht mehr), sondern homosexuelle werden über eine abweichung definiert, die wiederum mit ihrem zugeschriebenen geschlecht (mann + mann und frau + frau) und einer überlebten fortpflanzungslogik zu tun hat. so lang diese zuschreibungen kein ende finden - und das tun sie aus oben genannten gründen nicht, bestehe ich darauf, dass ich die zuordnung selbst vornehmen möchte, um von der teilhabe nicht ausgeschlossen zu werden (heiraten, kinder adoptieren, ehegatten-splitting, „männlichkeit“ …), auch wenn ich nicht alles für mich persönlich als ziel ansehe. danke für die spannende diskussion.

Frederik Weitz hat gesagt…

Lieber Christof!

Insgesamt sehr einverstanden.
Ich muss aber noch einmal mein Argument präzisieren: es geht mir nicht darum, dass Homosexuelle nun sich besonders viel um die Geschlechterdifferenz (oder was auch immer) kümmern sollten. Psychologisch gesehen halte ich das zwar, wie gesagt, für naheliegend. Aber eben deshalb grenze ich davon die ethische Forderung ab. Und hier läuft mein Argument ganz andersherum: es geht mir darum, dass dieses Thema anders bei den Heterosexuellen ankommt. Die Faulheit oder Dummheit vieler Heterosexuellen, was die Gender-Diskussion angeht, legitimiert allerdings nicht, das nun jeder faul sein dürfe. Da eben auch der Homosexuelle (bitte alle diese Zuweisungen in Anführungsstrichen lesen) nicht.
Im übrigen ist die Diskussion insgesamt auch deshalb schwierig, weil sich sehr unterschiedliche Sozialisationsfelder herausgebildet haben. In der Bürokratie wird heute Emanzipation der Frau mit Karrierechancen gleichgesetzt. Das ist ein ungeheurer Reduktionismus. Natürlich sollen Frauen Karriere machen dürfen und bei der gegebenen Situation darf man sich auch nicht beschweren, wenn unter diesen Frauen narzisstische, ungebildete, rücksichtslose Geister zu finden sind, weil das bei den Männern genauso ist. Aber diese implizite Verknüpfung, dass eine Frau nur dann emanzipiert sei, wenn sie Karriere gemacht habe, ist doch affig. Ich sehe also dieses verordnete Gender-Mainstreaming als überaus kritisch, weil sie mir zu viel von den Werten abhängt, die derzeit die Gesellschaft indoktrinieren und das sind nun mal ökonomische Kriterien.
Aber das ist eben nur ein kulturelles Feld. In anderen, zum Beispiel in der "Unterschicht", hält sich hartnäckig ein teilweise völlig skurriler Antifeminismus.
Ich denke, wir beschreiben das anders, zielen aber auf das gleiche ab. Es gilt nicht, den Menschen ihre Merkmale zu nehmen, und seien es so diffuse wie homosexuell oder heterosexuell, sondern es gilt, diese erzwungenen Serien aufzubrechen, dieses "homosexuell = abweichend = krankhaft" oder was auch immer gerade gesellschaftlich im Schwange ist.
Was zum Beispiel immer noch sehr akut ist (und weil du es ansprichst): Adoptionen sind in Deutschland für Schwule nahezu unmöglich. Die Begründung: das Kind brauche beide Eltern, worunter dann die Verschiedengeschlechtlichkeit automatisch subsummiert wird. Dass damit aber immer noch die Frau als emotionale Versorgerin angezielt wird, eine durchaus nie belegte "Optimierung" der Erziehung durch die religiöse Familientradition und dergleichen mehr, scheint überhaupt kein Thema mehr zu sein. Abgesehen davon, dass die bürgerliche Familie nur mythisch gesehen diese Optimierung leisten kann. Man sehe sich die Statistiken zur Gewalt in (heterosexuellen) Familien an. Nicht, weil Schwule keine guten Eltern sein können, sondern weil die bürgerliche Familie mit ihrem Mama-Papa-Kind nicht der Weisheit letzter Schluss ist, deshalb setze ich mich für die bedingungslose Gleichberechtigung von schwulen Eltern ein. Und auch wenn das dann im Einzelfall "schiefgeht": der Einzelfall ist eben der Einzelfall. Wo die bürgerliche Familie sich mythisch erblindet, da darf die "schwule Familie" eben dilettierend Erfahrungen sammeln.

Liebe Grüße,
Frederik