25.07.2012

Perspektivenwechsel (Anmerkung zu Nora Roberts)

Der Wechsel von Perspektiven in Erzählungen ist ein nur auf den ersten Blick einfaches Problem. Meinen Kunden gebe ich zunächst immer die Empfehlung, auf ihn zu verzichten. Nun ist das erste, knackige Problem aber dabei, dass mit dem Perspektivenwechsel meist der Wechsel der personalen Perspektive gemeint ist. Erst wird aus der Sicht von Peter geschrieben, dann aus der Sicht von Paul. Der Wechsel zur auktorialen Erzählperspektive wird dabei häufig vergessen.

Engführung?

Nora Roberts ist für mich zu einer Art Hobby geworden, auch einer, man höre, intellektuellen Herausforderung. Schlecht geschriebene Romane sind anforderungsreicher als gut geschriebene. Und Nora Roberts schreibt schlecht, äußerst schlecht sogar. Trotzdem ist es interessant, weil am Rande des etablierten, guten Schreibens neue Textmuster entstehen, die dann durchaus zu Neuerungen in literarisch wertvollem Sinne führen können. So fasziniert mich der manchmal recht verwirrende personale Perspektivwechsel, den Roberts vornimmt und der teilweise Satz für Satz hin- und herspringt.
Hier als Beispiel noch eine sehr gemäßigte Szene:
Wollte Lara ihn wirklich zum Narren halten? „Und wem gehört Isabelle?"
„Gehören?" Lara bekam vor Überraschung ganz große Augen. „Wer möchte wohl so ein böses Vieh sein eigen nennen?"
„Warum gibst du sie nicht weg, wenn du sie so abscheulich findest?"
Lara blieb ihm die Antwort schuldig und wechselte unvermittelt das Thema „Ich führe dich jetzt in Papas Studio. Wir überspringen die dritte Etage. Die Möbel sind ohnehin alle abgedeckt."
Anatole öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, besann sich aber eines anderen. Manche Dinge blieben besser ungesagt.
Er vergaß die seltsame Katze und den hässlichen kleinen Hund und folgte Lara in die Halle. Die Treppe führte in elegantem Bogen weiter in den dritten Stock. Nach einer scharfen Kurve ging sie gerade und steil nach oben. Lara blieb auf dem Treppenabsatz stehen und wies auf den Flur.
Roberts, Nora: Der Maler und die Lady. in dies.: Love Affairs I, Hamburg 2004.

Experimentierfelder

Ist es zynisch, diese Schreibweise als postmodern zu bezeichnen, als eine Art, klassischere Erzählmethoden aufzubrechen? Ich denke nicht. Die Frage, die sich mir dabei stellt, zielt weniger auf die Technik als auf die Gesamtbedeutung eines Romans. Und hier ist Roberts sehr viel mehr zu kritisieren. Ihre Romane sind belanglos. Sie stecken halb in einer mystischen Welt einer unhinterfragten protestantischen und neoliberalen Glücksseligkeit, will sagen: Jeder ist seines Glückes Schmied! Und diese Gegenwelt schaffen ihre Romane eben auch, weil sie von den realen gesellschaftlichen Prozessen nichts wissen wollen. Statt ästhetischem Widerstand also ästhetische Ignoranz.
Aber fernab solcher Kritiken sind sie eben auch ein Experimentierfeld für gewisse Textmuster. Ähnlich übrigens wie zahlreiche Kindle-Romane, denen man durchaus Dilettantismus vorwerfen dürfte, wenn, ja wenn es nicht große, geradezu enorme Dilettanten schon immer gegeben hätte. Zum Beispiel Montaigne, zum Beispiel Rimbaud. Oder der enorme Erfolg von Herbstmilch (Anna Wimschneider), der sich vermutlich auch deshalb erklärt, weil er nicht den konventionalisierten Erzählstrukturen folgt.

Joyce und Kafka

Zumindest stellenweise bietet sich bei Roberts also ein Vergleich mit solchen Schriftstellern an, die ganz bewusst die klassischen Schreibweisen zerstören, wie zum Beispiel James Joyce.
Roberts ließe sich auch mit Kafka vergleichen. Die enormen und absurden Raumfluchten, die uns Kafka in seinen Romane anbietet, wiederholen sich in gewisser Weise in den gespenstischen Architekturen Roberts. Mit gespenstisch meine ich nicht, dass ihre Romane unheimlich sind, sondern dass ihre Häuser am Rande der Erzählung ein merkwürdiges Eigenleben führen: sie wachsen, sie schrumpfen, sie evolutionieren, und das alles ohne eine deutliche Logik. Sie sind experimentell, ohne dass dies von der Autorin gewollt wird.

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