20.09.2012

Frauenhirne, Männergelaber, oder: ich ergänze einen dämlichen Kommentar durch eine intelligente Replik

Zu meinem Artikel Sind Frauen zu doof zu schreiben? schrieb Anonymus folgenden Kommentar:
Es ist seltsam, dass zwar über das Vorhandensein von Unterschieden, seien diese groß oder klein, immer wieder diskutiert wird, aber über die Bedeutung einer gegenseitigen Ergänzung kaum etwas zu hören ist.
Frauen haben z. B. mehr graue Zellen und weniger verknüpfende Nervenfasern im Gehirn: „Frauen können die einen Dinge besser, Männern die anderen; wir müssen lernen, einander zu helfen“.
Damit und mit weiteren Unterschieden in den männlichen und weiblichen Gehirnen ist eine optimale Ergänzungsmöglichkeit der beiden Geschlechter trotz Konfliktstoff gegeben; Gleichheit kann sich höchstens addieren, Verschiedenheit kann wesentlich mehr erreichen (siehe Buch „Vergewaltigung der menschlichen Identität; über die Irrtümer der Gender-Ideologie“)
Hier zeigt sich das ganze Elend  von Menschen, die eigentlich keine Ahnung haben, worum es Judith Butler, Luce Irigaray oder oder oder geht. Dementsprechend ist die Argumentation eigentlich auch völlig sexistisch und, so muss man weiter konstatieren, auch nicht naturwissenschaftlich.

(1) Judith Butler zum Beispiel behauptet nicht, dass der Körper von Frauen und Männern keinerlei Rolle spielt. Sie schreibt, äußerst vorsichtig, dass es keinen Determinismus, keine Kausalität zwischen dem biologischen und dem kulturellen Geschlecht gibt. Sie spricht aber hier vom Determinismus. Das muss man hören. Sie spricht nicht davon, dass das biologische Geschlecht keinen Einfluss auf das kulturelle Geschlecht hätte. (Siehe: Das Unbehagen der Geschlechter, Seite 23)

(2) Dass Feministinnen unkritisch seien, mag folgende Stelle aus dem selben Buch (Seite 33)  widerlegen: „Die feministische Kritik muss einerseits die totalisierenden Ansprüche einer maskulinen Bedeutungs-Ökonomie untersuchen, aber andererseits gegenüber den totalisierenden Gesten des Feminismus selbstkritisch bleiben.“

(3) Der Begriff der Ergänzung, den der Autor in seinem Kommentar benutzt, wird unkritisch gebraucht. Ergänzen können sich auch Sklavenhalter und Sklave, Fuchs und Maus, Nazi und Jude. Das kommt auf den Rahmen an. Könnte die Maus sprechen, dann würde sie sich dagegen wehren, dass der Fuchs sie ergänzt. Der Ökologe, der dieses System allerdings von außen betrachtet, findet die allerschönsten Sinuskurve der Populationsentwicklung und spricht durchaus mit einem gewissen Recht von Ergänzung. Ergänzt eine schöne, aber dumme Frau einen reichen Mann? Auch wenn diese beiden miteinander glücklich sind?

(4) Der Kommentator reduziert. Es ist für gewöhnlich so, dass zwei verschiedene Menschen etwas unterschiedliches können. Ob sich das auf die Differenz der biologischen Anlagen subsumieren lässt, bleibt fraglich. Mehr als fraglich!

(5) Der Kommentator schreibt: „Frauen haben z. B. mehr graue Zellen und weniger verknüpfende Nervenfasern im Gehirn“ und schließt daraus messerscharf „Frauen können die einen Dinge besser, Männern die anderen; wir müssen lernen, einander zu helfen“. Das ist neurophysiologisch gesehen allerhöchstens eine dubiose Hypothese. Zwischen den Gehirnzuständen und den Fähigkeiten eines Menschen konnten bisher nur sehr sporadische, keinesfalls aber klar deterministische Zusammenhänge festgestellt werden. Wie der Geist aus der Nervenstruktur entsteht, ist bis heute immer noch eine Spekulation. Rein empirisch mag der erste Satz richtig sein. Dass der zweite Satz daraus folgt, lässt sich nicht empirisch beweisen. Dass Frauen und Männer einander helfen sollen, ist natürlich ein schöner Wunsch. Aber einerseits ist „helfen“ schon wieder so eine Worthülse; und andererseits dies auf Biologie zurückzuführen, statt auf eine Ethik, schon recht dummdreist.

(6) "Damit und mit weiteren Unterschieden in den männlichen und weiblichen Gehirnen ist eine optimale Ergänzungsmöglichkeit der beiden Geschlechter trotz Konfliktstoff gegeben" — und man muss sich fragen, wie doof denn nun das ist? Was soll das denn heißen: optimal? Wer bestimmt denn diesen Wert des Optimalen? Legen wir das ganze noch einmal tiefer: was ist denn die Ergänzung daran, wenn das weibliche Gehirn mehr Nervenzellen besitzt als das männliche? Kann man hier überhaupt von einer Ergänzung sprechen oder ist das nicht einfach nur eine empirische Feststellung, die zu einem rein quantitativen Vergleich führt, der dann eher mathematisch als biologisch ist?

(7) Und was soll schließlich dieses „trotz“? Gehören Konflikte nicht zum Leben und zum Miteinander dazu? Oder sind diese kontrafaktische und damit eigentlich überflüssige soziale Erscheinungen? Dies scheint der Kommentator zu suggerieren. Das Idyll, der rousseauistische Zustand als Ideal? Grusel!

(8) Gleichzeitig werden Freundschaften, Elternschaften, aber auch homosexuelle Beziehungen als "optimale Ergänzungsmöglichkeiten" ausgeschlossen. Mein bester Freund und ich ergänzen uns (manchmal) hervorragend. Ich erzähle wirres Zeug über Kant und er hört zu, grinst und erinnert mich daran, dass es mehr auf der Welt gibt als die Kritik der Urteilskraft.
Und warum ergänzen sich zwei Männer, die sich lieben, nicht, jedenfalls nicht optimal? Geht das nicht? Ist das biologisch ausgeschlossen? Oder läge das vielleicht sogar daran, dass Homosexuelle doch irgendwie "pervers" seien?

Der Kommentator macht eine biologistische Hierarchie auf, die sich nur dann aus biologischen und neurophysiologischen Tatsachen ableiten lässt, wenn man sein Wissen aus dubiosen Machwerken zusammengeklaubt hat. Ein Buch wie von Gerhardt Roth Denken, Fühlen, Handeln gibt solche Kurzschlüsse nämlich garnicht her.
Fragen also über Fragen. Jedenfalls wird man mit solch übersimplifizierenden Aussagen nur wieder dort landen, wo die Kultur gerne ankommt: bei der Herrschaft der Schreier und Plärrer.

Übrigens habe ich nichts dagegen, hier auch feministische Aussagen anzugreifen, wenn diese, wie Judith Butler schreibt, "eine totalisierende Geste" darstellen. Und zeigt auch die Priorität des guten Feminismus. Er wendet sich nicht gegen Männer, nicht gegen die Biologie der Frau, sondern gegen die Simplifizierung.
Und in diesem Sinne bin ich ein hervorragender Feminist und jener Anonymos liefert einen kleinen, sexistischen und äußert vertrottelten Kommentar.

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