03.09.2012

Profeministische Spielchen - Judith Butler und die Unterstellung

Was für ein Chaos!
Judith Butler, amerikanische Philosophin und Kritikerin, soll den Adorno-Preis bekommen. Rein formell steht sie als Preisträgerin fest. Nur die Verleihung  muss noch stattfinden.
Doch was für ein Aufruhr! Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnet Judith Butler als bekennende Israel-Hasserin. Als Beleg führt er unter anderem dafür an, dass Butler die Hamas und Hizbollah als „legitime soziale Bewegungen“ bezeichnet habe. Genau das aber hat sie nicht getan. Sie hat diese lediglich in das linke Spektrum eingeordnet und, wie jetzt in der Frankfurter Rundschau, gleichzeitig dieses Sammelsurium, das mit „links“ bezeichnet wird, als äußerst unpräzise und nicht hinreichend kritisiert.

Es ist genauso falsch, eine Philosophin nicht zu kritisieren, wie es falsch ist, einen Staat nicht zu kritisieren. Ein Staat, der sich als demokratisch bezeichnet, muss kritisierbar sein. Natürlich ist Kritik an sich nichts Gutes. Hier müssen innere und äußere Grenzen ausgehandelt werden. Das ist manchmal recht kompliziert. Und hier sollte man auf jeden Fall immer auch beachten, dass manchmal eine verkürzte Aussage, einfach, weil sie nur ein Nebenthema ist, noch lange nicht die Meinung der Sprecherin komplett in ihrer Differenziertheit wiedergibt.
Nun ist Butler nicht nur verkürzt, sondern auch verfälscht von Kramer wiedergegeben worden; die durchaus ambivalente Unterstützung der Kampagne BDS ("Boykott, Desinvestition und Sanktion") wird von Kramer als Zeichen eines Israel-Hasses ausgelegt. Das ist eine ganz schreckliche  Simplifizierung. Wohltuend dagegen ist der Kommentar der Berner Zeitung:
Der Generalsekretär Stephan J. Kramer beruft sich auf eine Aussage Butlers von 2006, als sie sagte, die Hamas und die Hizbollah würden sich klar als «antiimperialistisch» definieren und Antiimperialismus sei grundsätzlich ein Strukturmerkmal der globalen Linken. Sie sagte aber auch, dass sie die Hamas und die Hizbollah in keiner Weise unterstützen würde, weil sie Gewalt – weder terroristische noch staatliche – nie unterstütze.
Das wird nun ignoriert. Stephan J. Kramer bezeichnet sie als «eine Person, die sich mit den Todfeinden des jüdischen Staates verbündet», und bescheinigt ihr zudem eine grundsätzliche «moralische Verderbtheit». Besonders letztere Formulierung ist eine Ungeheuerlichkeit, über die man im Zusammenhang mit Judith Butlers Leben und Werk nicht allzu lange nachdenken darf.

Den Vogel abgeschossen allerdings hat Professor Adorján Kovács. Dieser schreibt in „Die freie Welt. Die Internet- & Blogzeitung für die Zivilgesellschaft“:
Es kam mir spanisch vor, mit welchen Tricks auf Teufel komm raus eine feministische Philosophin ausgezeichnet werden sollte.
Und setzt gleich noch eins drauf:
Das Kuratorium ist allem Anschein nach personell so überwiegend aus ProfeministInnen zusammengesetzt worden, dass die offenbar anderswo vorher bereits anvisierte Verleihung des Preises an Butler als Formsache nur noch abzunicken war. Hinter solchen Preisen stecken mehr politische Spielchen als ein genuines Interesse an der Würdigung von Leistungen. Es wäre interessant zu erfahren, wer neben der Förderung einer abstrusen feministischen Philosophie auch noch die antidemokratischen und terroristischen palästinensischen und libanesischen Organisationen in ein besseres Licht rücken möchte.
In einem anderen Artikel schreibt Kovács:
Butler geht in ihrem Buch [Das Unbehagen der Geschlechter] aber noch weiter und legt dar, dass auch das biologische Geschlecht diskursiv erzeugt sei (an anderer Stelle schreibt sie wörtlich: „sex“, also das anatomisch-biologische Geschlecht, sei „always already gender“, also kulturell und sozial hervorgebracht).
Auch hier offenbart Kovács nur, dass er Butler nicht verstanden hat. Butler behauptet keineswegs, dass es keine biologischen Geschlechter gibt. Sie fragt nur, ob diese ›ungendered‹ in Diskursen auftauchen können.
Butlers Antwort ist hier eindeutig ein Nein! Aber sie sagt auch, dass der Körper in solchen Diskursen insistiert. Die Frage ist nur: wie? Und wie ließe sich das wahrnehmen?
Überspitzt gesagt schreibt Klovács nämlich folgendes: sollen doch die Frauen so viel über gender reden, wie sie wollen; wir (die Männer) wissen, was der (weibliche) Körper ist.
Ebenfalls absurd  (im selben Artikel):
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Angehörigen einer Gesellschaft, die solche Probleme mit der Identität hat, sich in der eigenen Haut, sei sie nun männlich oder weiblich oder was auch immer, nicht mehr wohl fühlen. [...] Leider muss konstatiert werden, dass auch hier die Aufklärung zu einem unerwünschten Ergebnis geführt hat, nämlich einer vermehrten Kontrolle des Sprechens und der Meinungsäußerung.
Wie Kovács von dem ersten zu dem zweiten Satz kommt, erklärt er uns nicht. Besonders schlimm allerdings ist, wie der Autor suggeriert, die Angehörigen hätten ein Problem, damit implizit andeutet, vor allem die ungewöhnlichen Identitäten (zum Beispiel schwule Soldaten) trügen dafür die Verantwortung und diese sich zurückwendet auf die Betroffenen selbst. Natürlich sagt dieser Satz das nicht so. Aber versuchen Sie mal, die Aussage des ersten Satzes festzustellen, indem sie seine Logik auseinander pflücken und Sie werden sehen, dass er nichts mehr als eine in alle möglichen Richtungen sich zerstreuende Suggestion ist.
Was also macht Kovács?
Er unterstellt, aufgrund der Zusammensetzung, dem Kuratorium einen feministischen Tunnelblick. Er schreibt in seinem ersten Artikel (den ich hier als zweites zitiere) noch recht unterschwellig gegen Judith Butler, zeigt aber schon hier, dass seine Argumentationen sprunghaft und tendenziös sind. Vermutlich ermutigt durch die derzeit aufbrandende Kritik kommt dann aber das Wort „abstruse Philosophie“ und dies gekoppelt mit der Unterstellung, das Frankfurter Kuratorium könnte gar nicht den kritischen Feminismus von Judith Butler gemeint haben, sondern habe eventuell „die antidemokratischen und terroristischen palästinensischen und libanesischen Organisationen in ein besseres Licht“ rücken wollen.
Ist das nicht widerlich?

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