29.10.2012

Kleines Eigenlob: Besucherzahlen

Ich bin mir nicht so ganz sicher, woher meine Rubrik Beliebteste Posts ihre Daten erhält. Meine interne Statistikanzeige von Blogger erzählt etwas anderes.
Auf jeden Fall erfreue ich mich einer immer größeren Anzahl an Besuchern. Ich weiß, dass meine Artikel manchmal schwierig zu lesen sind. Meine Arbeit an dem, was gutes Erzählen sein könnte, ist ein fortlaufendes Projekt. Und mein Versuch, dies wissenschaftlich auszudrücken, wird durch den unsicheren Horizont oftmals konterkariert.

Mein beliebtester Post im letzten Monat ist mein Artikel über die Katachrese. Er hat mittlerweile fast 2000 Besucher gehabt, ein Rekord, den ich bei meinen Anmerkungen zur politischen Rhetorik gar nicht gewohnt bin. Ich habe zu diesem Artikel bisher sieben E-Mails bekommen, was auch ein Rekord ist. Und ein nächster Rekord ist, dass alle sieben E-Mails freundliche E-Mails waren. Ich weise noch einmal darauf hin, dass ich diesen Artikel zwar nicht für schlecht halte, aber wie jede Argumentation ist sie nur ein Zwischenhalt und kann durch eine differenziertere Argumentation auch wieder ausgehebelt werden. Das ist Schicksal. Damit muss man rechnen, wenn man argumentiert. Es freut mich, dass gerade dieser Artikel anscheinend sehr beliebt ist. Aber behalten Sie bitte im Blick, dass ich keine absoluten Aussagen treffe. Ich bin kein Gott, sondern nur ein „Irgendjemand“, der sich bei seinem Nachdenken über die Schulter blicken lässt, in der Hoffnung, dass das für andere interessant und eventuell praktisch und nützlich sein kann.

Über meinen zweitbeliebtesten Post in diesem Monat bin ich gar nicht so glücklich. Es handelt sich um den zu Andreas Adlon. Natürlich halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen und dies auch öffentlich zu machen, dass ein Wort wie „Hassprediger“ deutlich zurückgewiesen werden muss; genauso, wie man die Argumentation zurückweisen muss, jemand habe keine Ahnung vom Rezensionen schreiben, nur weil die Rezension das Buch nicht gut bewertet. Ich habe für diesen Artikel sehr viel Zuspruch bekommen. Immerhin auch bisher 1500 Besucher.
Aber an dieser Stelle muss ich trotzdem deutlich meinen Ärger loswerden. Ich habe das Verhalten von Adlon beurteilt. Ich habe dies in deutlichen Worten getan. Und sicherlich hätte ich dezenter und freundlicher vorgehen können. Ich stehe auch zu meinem Urteil, das Adlon in seinem Roman geradezu eine Inkompetenz zeigt, was gute Erzähltechniken angeht. Vergleicht man das aber mit meiner beständigen Warnung davor, solche Erzähltechniken in Form eines Kanons oder einer Absolutheit zu sehen, dann sollte schon deutlich sein, dass es sich um ein Geschmacksurteil handelt. Da ich dieses Geschmacksurteil nicht weiter ausgeführt habe, handelt es sich um ein nicht begründetes Geschmacksurteil. Nun kann man sich zwar diese Begründung insofern erschließen, als ich anderswo an ähnlichen Fehlern tatsächlich herumkritisiere und dies begründe. Höflicher wäre es gewesen, wenn ich dies noch einmal deutlich ausgeführt hätte. Und zwar tatsächlich am Text von Adlon selbst.
Gelöscht habe ich zum Beispiel einen Kommentar, der durchaus für mich zustimmend gemeint war, aber eigentlich nur Beleidigungen über den Autor geäußert hat. Krank war noch das mildeste.
Ich möchte doch bitten, Kritik und Häme nicht für gleichwertig zu halten. Häme: das darf man mal in einem emotional aufgeladenen Moment. Diese wird aber nicht den Moment überdauern dürfen. Kritik dagegen gilt so lange, bis sie argumentativ zurückgewiesen worden ist. Und ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass man, wie ich in meinem vorhergehenden Artikel geschrieben habe, die Sphären trennen muss. Dass ich die Aussage „Hassprediger“ zurückweise, gehört einer gänzlich anderen Sphäre an, als mein Urteil, Adlon könne nicht ordentlich erzählen. Und sie müssen argumentativ je für sich getrennt ausgeführt werden.
Deshalb bin ich über den Zuspruch zu diesem Artikel nicht glücklich. Und möchte noch einmal alle bitten, dass Sie, wenn Sie einen Menschen beurteilen, sein Verhalten beurteilen, nicht das „Wesen“ seiner Existenz. Selbst wenn Adlon das auch getan hat: ich muss das ja nicht nachmachen. Wenn er von einem Hochhausdach springt, springe ich doch nicht hinterher.

Drittbeliebtester Artikel: Mimikry (209 Klicks). Der am wenigsten gelesene Artikel: Evolution, allerdings nur arbeitstechnisch (6). Viele meiner neue Artikel haben übrigens keine hohen Besucherzahlen. Allerdings rutschen sie häufiger, so ungefähr nach einem Jahr, auf eine günstige Position bei Google (mittlerweile). Das halte ich im Moment für einen durchaus äußerst angenehmen Zustand.

Etwas verwundert hat mich, dass mein Artikel zur Langeweile wieder so weit oben steht. Ich habe noch nicht herausgefunden, warum das so ist. Immerhin scheint er aber ganz populär zu sein. Seit Blogger seine neue Statistik eingeführt hat (vor wohl ungefähr zwei Jahren), hat er 15.000 Klicks erhalten. Ein Traumergebnis!
Allerdings ist das zum Beispiel nichts gegen meinen Artikel über die Metapher. 300.000 Klicks. Das finde ich geradezu unglaublich. Nicht ganz so häufig besucht, aber ebenfalls über 300.000 Klicks, mein Artikel zum Plotten von Krimis. Der Artikel über das sinnentnehmenden Lesen liegt bei etwa 250.000 Klicks. Dieser Artikel enthält übrigens einen auch sehr traurigen Rekord: er ist mindestens fünfmal in Teilen und ohne dies kenntlich zu machen in eine wissenschaftliche Arbeit eingefügt worden. Mein Artikel über die rhetorischen Figuren: ebenfalls um die 250.000 Klicks (den müsste ich dringend überarbeiten, um ihn meinem aktuellen Kenntnisstand anzupassen). Weit abgeschlagen folgt dann wohl (ich habe aber nicht wirklich gründlich nachgeschaut) mein Artikel über den Grammatikunterricht: über 90.000 Klicks. Das freut mich insofern, als dieser Artikel zeigt, wozu wir die formale Seite des Satzes, also seine Grammatik, brauchen: für die inhaltliche Seite, also für die Logik der Bedeutung. Grammatik ist kein Selbstzweck. Sie dient zu etwas und dieses Etwas ist nicht das „richtige Sprechen“.

Disjunktion: ausschließende und alternative Urteile

Noch ein letzter Eintrag, bevor ich nun wirklich ins Bett gehe. Da schreibt doch jemand allen Ernstes auf Facebook, weil Rowling gegen die illegale Veröffentlichung eines ihrer Bücher vorgeht, kriege sie den Hals nicht voll genug. Und dann verknüpft er das auch noch allen Ernstes, wenn auch äußerst suggestiv, mit ihrer verschwiegenen, jüdischen Abstammung.
Ich zitiere wortwörtlich:
Frau Rowling hat ca. 2 Milliarden € mit 'Harry Potter' eingefahren. Nun geht sie gegen Kopien ihres neuen Werkes vor, als nage sie am Hungertuch. Ihr Vater war Manager bei Rover, und ihre Mutter eine hochrangige Offizierin im Heer des United Kingdom. Später trat auch der Vater der Armee bei und arbeitete an der Invasion des Iraks. Geld war nie ein Problem bei denen.Trotzdem kassierte sie zeitweise Sozialhilfe. Ihre jüdische Abstammung verschweigt sie, wie auch die engen Familienbande zu dem Verlag, der sie berühmt machte. Nun prozessieren sie beide gegen Raubkopierer.
Ich sage nur: Manche Leute kriegen den Hals nie voll.
Geäußert hat dies übrigens John Asht!
Muss ich hier die Nazikeule schwingen? Nein, muss ich nicht. Logik reicht.

Die Disjunktionen

Das disjunktive Urteil bei Kant

Kant erläutert das disjunktive Urteil an der Ursache für die Existenz der Welt. Er schreibt (Kritik der reinen Vernunft, A 74), die Welt sei „entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Notwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache“. Den gemeinsamen Bezugspunkt dieser Urteile nennt Kant Sphäre. Dass zum Schluss nur eines dieser Urteile wahr sein kann (zumindest nach der Physik zur Zeit von Kant), ist das disjunktive Verhältnis der Urteile zueinander.
Allerdings können wir hier feststellen, dass diese Urteile sich zwar notwendig ausschließen werden, aber aktuell sich noch nicht klar zueinander verhalten.
Machen wir uns das an einem Krimi klar: nehmen wir die Situation einer geschlossenen Gesellschaft, in der ein Mord verübt wird. Das Opfer ist erschossen worden. Erschießen kann nun ein jeder, aber es kann auch nur einer und nicht zum Beispiel mehrere gleichzeitig. Daraus ergibt sich folgerichtig: eine der anwesenden Personen muss der Mörder sein, aber solange das dieser einen Person nicht nachgewiesen werden kann, kommen alle Personen in Frage.

Dewey

Diese Sicht ergänzt Dewey in seiner Logik (206f.). Disjunktive Urteile stellen zueinander Alternativen da (entweder ist Peter oder Britta für den Mord verantwortlich); jedes einzelne Urteil dagegen ist hypothetisch (Peter könnte der Mörder sein; Britta könnte die Mörderin sein).
Deshalb bezeichnet Dewey den wichtigsten Aspekt disjunktiver Urteile, dass diese mit praktischen Urteile verknüpft seien, nämlich, wie man weiter damit umgeht. Im Falle unseres Mörders: der Detektiv könnte zunächst die vorhandenen Alibis überprüfen und die Motive herausfinden. Entweder er kann beweisen, dass Peter nicht der Mörder ist (eine Verneinung des hypothetischen Urteils); dann verringert er die Menge der Alternativen. Oder er kann beweisen, dass Peter der Mörder ist (eine Bejahung, bzw. in diesem Fall eine Umwandlung eines hypothetischen in ein bejahtes, kategorisches Urteil); mit einem solchen Beweis werden alle Alternativen ausgeschlossen.

Die folgenden beiden Begriffe sind Begriffe, die ich hier der Bequemlichkeit halber eingeführt habe. Weder die analytische noch die ethische Disjunktion werden Sie in einer klassischen Logik als Begriffe finden und wenn doch, dann sicherlich mit einem anderen Begriffsinhalt.

Die analytische Disjunktion

Ich könnte allerdings auch eine Trennung vornehmen, ohne dass ich andere Urteile ausschließen muss. Das passiert genau dann, wenn eine Sphäre zu komplex ist und die Disjunktion nur einen Zwischenschritt zur Klärung darstellt.
Ein sehr gutes Beispiel ist meine Einteilung der Erzählung in eine syntaktische, narrative und diskursive Ebene. Ich gehe davon aus, dass sich diese drei Ebenen halbwegs nachvollziehbar trennen lassen. Ich gehe weiterhin zum Beispiel davon aus, dass alle drei Ebenen für den Spannungsaufbau wichtig sind. Und schließlich gehe ich davon aus, dass man auf jeder Ebene andere Techniken des Spannungsaufbaus identifizieren kann. Damit behaupte ich aber nicht, dass man in einem konkreten Text diese Techniken der verschiedenen Ebenen nicht miteinander mischen sollte. Im Gegenteil.
Meine Trennung ist also rein analytisch und darf, sofern man einen spannenden Roman schreiben möchte, gar nicht praktisch angewendet werden.
Dasselbe kann man übrigens für das Thema der Lernblockaden feststellen. Analytisch gesehen kann man hier verschiedene Ebenen und verschiedene Ursachen ausmachen. Habe ich allerdings einen Menschen mit einer Lernblockade (oder Schreibblockade) vor mir, muss ich alle diese Ebenen in Betracht ziehen, sonst würde ich diesen Menschen dermaßen vereinfachen, dass er dies allein vom Gefühl her als beleidigend empfinden muss. Auch hier ist die analytische Trennung nützlich, darf aber keineswegs so in die Praxis umgesetzt werden.

Die ethische Disjunktion

Manchmal muss man eine Disjunktion aus ethischen Gründen erzwingen. Leser meines Blogs wissen zum Beispiel, dass ich mich aus bestimmten Gründen für die Gleichstellung von homosexuellen Paaren im Adoptionsrecht stark mache. Das hat nun gar nichts damit zu tun, dass ich Homosexuelle besonders mag. Meine Befürwortung läuft einfach darüber, wie ich über Demokratie und gleiche Rechte nachdenke und hier bisher zu dem entsprechenden Ergebnis gekommen bin.
Aber ich nehme mir trotzdem heraus, den einzelnen Homosexuellen nicht zu mögen. Ein homosexueller Bekannter von mir hat einen Freund, dessen Geplärre und Gekreische mir schlichtweg zuwider ist. Es verursacht bei mir Kopfschmerzen. Und da er auch inhaltlich eigentlich nie etwas zu sagen hat, also uninteressant ist, habe ich ihm das dann mal so gesagt. Das ist mit Sicherheit nicht freundlich! Daraufhin hat er mich, und wen wundert dieses Wort?, als „Schwulenhasser“ bezeichnet. Ich habe ihm dann noch versucht beizubringen, dass es mir völlig egal ist, ob er schwul ist oder nicht, dass mir einfach sein Verhalten auf die Nerven geht, aber das ließ er nicht gelten.
Und hier wird leider, sowohl bei diesem Menschen aus meinem Bekanntenkreis, als auch bei solchen Ausdrücken wie „Hassprediger“, oder dass jemand keine Ahnung von Rezensionen habe (eine Unkenntnis des Textmusters) oder einfach ein Buch nicht gemocht hat (ein Geschmacksurteil), die Sphäre des disjunktiven Urteils ungebührlich vermischt.
Wir erinnern uns noch einmal daran: die Sphäre ist das, worauf hin sich disjunktive Aussagen als gegenseitig ausschließend zusammenfassen lassen. Genauso wenig wie die Akzeptanz von Homosexuellen im allgemeinen etwas mit der Erträglichkeit einer individuellen Person zu tun hat, die zufällig homosexuell ist, genauso wenig kann man von einer Kritik am israelischen Staat auf eine antisemitische Gesinnung schließen. Ebenso muss man ein schlechtes Urteil über ein Buch von der Fähigkeit, Rezensionen zu schreiben, trennen.
Wenn solche Sachen vermischt werden, dann hat das nichts mit disjunktiven Urteilen im Sinne von Kant zu tun, sondern mit einer ordentlichen Trennung der Sphären. Und diese Trennung muss man manchmal deutlich durchsetzen. Sie ist, in solchen Fällen, ethisch zu sehen.

Zusammenfassung

Disjunktive Urteile sind Urteile, die sich in Bezug auf eine bestimmte Erkenntnissphäre ausschließen. Solange keines dieser Urteile bewiesen ist, gilt es als hypothetisch. Sobald eines dieser Urteile bejaht werden kann, müssen alle anderen verneint werden.
Die analytische Disjunktion trennt in der Theorie, um präzisere Untersuchungen zu ermöglichen. In der Praxis dagegen darf dies nicht zu einem gegenseitigen Ausschluss führen.
Die ethische Disjunktion trennt nicht zuallererst Urteile, sondern die Sphären, auf die sich Urteile beziehen.

Und der Bocksgesang: Der Vorwurf des Filzes

Asht wirft Rowling so etwas wie Filz vor. Rowling hat, betrachtet man sich erstmal die reine Tatsache, ein Verhalten angezeigt, das in Deutschland als Unrecht gilt. Ein Unrecht anzuzeigen, das ist nicht nur eine erlaubte Möglichkeit, sondern muss, in bestimmten Fällen, wenn es sich nämlich wirklich um eine Straftat handelt, sogar eingefordert werden. Eigentumsdelikte sind solche Straftaten. Insofern hatte Rowling, bzw. ihr Verlag, eigentlich gar keine andere Möglichkeit. Dass sich bei Eigentumsdelikten im Internet (also bei so genannten Raubkopien und illegalen Downloads) ein riesiges, praktisches Problem auftut, macht die Strafverfolgung schwieriger, den Straftatbestand jedoch schafft es nicht aus der Welt.
Aus welchen Motiven nun Rowling gegen die illegalen Downloads vorgegangen ist, habe ich nicht ermitteln können. Dies mögen auch niedere Motive gewesen sein. Doch wenn man das so dreist behauptet, wie Asht das tut, dann sollte man dies auch beweisen können. Mit diesem Beweisen, es ist ja nicht das erste Mal, tut sich der werte Herr deutlich schwer. Dafür schmeißt er nun wirklich jedes noch so irrelevante Detail in seine Aussage. Ich weiß nicht, was die jüdische Abstammung von Rowling in diesem Klumbatsch von Nicht-Argumentation zu suchen hat. Das wäre doch genau so, als würde ich behaupten, John Asht könne kein Deutsch schreiben, weil er einen englischen Namen trägt.
Warum allerdings Asht des Deutschen nicht mächtig ist, gehört einer komplett anderen Sphäre an, als der Grund, warum er sich ausgerechnet einen englischen Künstlernamen ausgewählt hat.
Und nein: ich bin kein heimlicher Angestellter der großen deutschen Verlagslandschaft. Solche Unterstellungen gibt der Herr ja auch mal gerne zum Besten. Ich kenne das Buch von Rowling nicht. Und ich habe auch nicht vor, es mir zu kaufen oder eventuell ein Rezensionsexemplar zu erschleichen. Die nächsten Bücher, die in meinem Bücherschrank landen werden, ist die Gesamtausgabe der Werke von Siegfried Kracauer. Das hat weder inhaltlich, noch formal etwas mit Rowling zu tun. Und einen lebenden Autor werde ich damit auch nicht in seiner Geldgier unterstützen.
Ob er (Kracauer) jüdische Literatur schreibt, kann ich nicht beurteilen. Ob eine Literatur jüdisch ist, nur weil sie von einem Juden geschrieben wurde, ist eine alberne Argumentation. Das wäre doch so, als wollte man Heine und Schnitzler über einen Kamm scheren. Oder Hannah Arendt, Moses Mendelsohn und Sigmund Freud in einen Topf werfen. Ist es nicht viel schöner, dass sie gerade unterschiedliches gesagt haben und unterschiedliche Blickwinkel zu unserer Kultur beitragen?
Manchmal frage ich mich, ob John Asht nicht einfach langweilig ist. Die Welt wird nämlich so undifferenziert und hat so wenig zu bieten, wenn man sie undifferenziert betrachtet. Wie sagt Richling so schön: „Was ich weiß, ist meine Welt. Je weniger ich weiß, umso dominanter bin ich in dieser Welt.“ (weitere schöne Stellen hier)
Asht gibt sich sehr dominant.

28.10.2012

Mikrologik IIIb: Cussler und Coleridge, Stephen Kings "Buick"

Halt, halt, halt! - Ich streue Asche auf mein Haupt und werde noch einmal konkreter. (siehe Mikrologik III: Symbolische Schicht - eine Möglichkeit, eine Geschichte in sich zu verklammern)

Stephen Kings "Der Buick"

Um zu verdeutlichen, wie sich Symbole in einer Geschichte anschaulich niederschlagen, möchte ich hier auf ein hervorragendes Beispiel eingehen und auf einen Schriftsteller, dem man nun nicht nachsagen kann, er würde zu der wirklich hohen, ernsthaften Literatur gehören. Es handelt sich um den Roman „Der Buick“ von Stephen King, der 2003 auf Deutsch erschien.

Die Geschichte

In diesem Roman findet die Verkehrspolizei (ich besitze das Buch leider nicht, deshalb zitiere ich hier etwas frei) an einer Tankstelle einen verlassenen Buick. Laut des Besitzers der Tankstelle habe ihn ein „schwarzer Mann“ abgestellt und sei dann verschwunden.
Sie schleppen den Wagen also ab und stellen ihn, wie alle herrenlosen Wagen, in einen Hangar. Und dort zeigt das Auto, dass es ein Eigenleben besitzt. Es spuckt von Zeit zu Zeit Monster aus, am Anfang relativ häufig, dann immer seltener, und am Ende des Buches entdecken die Polizisten, dass der Wagen zu zerfallen beginnt, also auch materiell kaputt geht.
Die Monster, die das Auto ausspuckt, überleben allerdings nicht lange. Sie scheinen in der Luft der „realen“ Welt nicht atmen zu können.

Der Buick als „Symbol“

Ich setze mal das Wort Symbol in Anführungsstriche. Dass ich es für nicht besonders glücklich halte, hatte ich ja schon gesagt.
Fragen wir uns zunächst, welche Idee King mit seinem Buch ausdrückt. Ich behaupte nun, das King so etwas wie die Geschichte von seinem schriftstellerischen Werdegang erzählt und in gewisser Weise auch eine sehr ironische Wertung seiner eigenen Romane vornimmt. Der Buick ist King selbst, ein Wagen, der nicht fahren kann und den ein großer, böser, unbekannter, schwarzer Mann irgendwo abgestellt hat, ohne mitzuteilen, für wen oder für was. Man könnte diesen schwarzen Mann als Symbol für das psychische Trauma sehen, von dem King manchmal Andeutungen macht, uns aber, glücklicherweise, hier nicht an einer Nabelschau teilnehmen lässt.
Die Monster, die der Wagen am Anfang häufig und dann immer weniger ausspuckt, sind natürlich die Romane. Und es ist eine sehr ironische Wendung, dass diese Monster (also die Romane) in dieser Welt sehr rasch sterben. Es verweist darauf, wie der Autor seine eigenen Werke einschätzt. Er kann sich diese Bescheidenheit wohl ohne Stirnrunzeln leisten.
Schließlich kann man das Kaputtgehen des Wagens ebenfalls symbolisch lesen: es ist ein Zeichen für die nachlassenden Kräfte des alternden Schriftstellers.

Die Realität dieser Interpretation

Nun wird wahrscheinlich jemand kommen und sagen: all das steht doch überhaupt nicht in dem Roman drin. Stimmt! Es handelt sich bei meiner Interpretation keineswegs um eine objektive Wahrheit. Aber ich denke, man kann ihr eine gewisse Haltbarkeit zusprechen. Ich interpretiere nicht den konkreten Inhalt, sondern das Verhältnis bestimmter Inhalte zueinander mithilfe einer von außen kommenden Situation. Eine Interpretation ist nicht wahr wie der Satz „es ist draußen dunkel“. Sie ist mehr oder weniger wahrscheinlich und mehr oder weniger nachvollziehbar.
Das passiert, wenn man ein solches Buch auf der symbolischen Ebene interpretiert. Andererseits: ist meine Idee, wie man diesen Roman interpretieren könnte, deshalb uninteressant? Ich glaube nicht.

Die allegorische Schreibweise

Was ich King hier unterstelle, ist eine allegorische Schreibweise. Eine Allegorie kann man, kurz gesagt, als eine geordnete, symbolische Darstellung einer Idee bezeichnen. Die Idee wird also nicht nur mit einem Symbol dargestellt, sondern mit mehreren und diese Symbole müssen dann untereinander auch noch eine nachvollziehbare Ordnung aufweisen.
Die Idee, die ich dem Autor hier nun unterstelle, ist: das Leben eines Horrorschriftstellers.
Fassen wir die Symbole, die ich identifiziert habe, noch einmal kurz zusammen: Buick = Schriftsteller, schwarzer Mann = traumatisches Ereignis, Monster = Bücher, nachlassende Aktivität = schwindende schriftstellerische Kraft.

Offizielle und inoffizielle Symbole

Die allegorische Schreibweise setzt solche Symbole bewusst ein. Das allerdings ist nur die eine Möglichkeit, wie der Literaturwissenschaftler mit Symbolen umgehen kann. Die andere Möglichkeit ist, solche Beziehungen herauszuarbeiten und festzustellen, ob die umliegende Kultur oder das persönliche Leben des Autors solche Symbole nahe gelegt haben und sie deshalb in der Geschichte auftauchen.
Ein Symbol muss also nicht mit dem Willen des Autors einhergehen, sondern kann unbewusst oder konventionell in einer Erzählung auftauchen. Und da Literatur eben einfach auch unterhalten darf und nicht immer intellektuell daherkommen muss, ist das eine ganz erlaubte Möglichkeit, sich auf konventionelle Symbole zu stützen.

Cussler, Coleridge und „The Rime of the ancyent marrinere“

Eine weitere Möglichkeit, Symbole systematisch zu benutzen, sind Gedichte. In seinem Buch Eisberg versucht Cussler dies mit der berühmten Ballade von Coleridge.

„The Rime of the ancyent marrinere“

Coleridges Ballade ist nun selbst hochsymbolisch. Ein alter Mann hält einen zu einer Hochzeit geladenen Gast an und erzählt ihm eine Geschichte, wie er, durch eigene Schuld, wie er meint, sein Schiff ins Unglück gestürzt hat. Dabei ist ein wesentlicher Aspekt der Albatross, der als Symbol für Glück und Hoffnung steht. Einen solchen nun tötet der alte Seemann und beschwört damit das Unglück herbei.
Eine zentrale Stelle, um dieses Gedicht symbolisch zu interpretieren, ist nun der Vers "At length did cross an Albatross, / Thorough the Fog it came; / And an it were a Christian Soul, / We hail'd it in God's name." Der Albatros wird mit der christlichen Seele gleichgesetzt. Wenn der alte Seemann nun real gesehen nur einen Albatros tötet, so tötet er doch, symbolisch gesehen, eine christliche Seele. Damit beschwört er den Zorn Gottes herauf. Dass er dann später den Schiffsbruch überlebt, liegt daran, dass Gott alle Kreaturen gleichermaßen liebt und dass der Mensch ihm darin zu folgen habe (das ist die Moral dieser Ballade).

Cusslers Umgang mit der Ballade

Cussler nun nutzt nicht die gesamte Ballade und auch nicht die darin zum Tragen kommende symbolische Übersetzung (nachzulesen auf den Seiten 184 f.). Berührungspunkt ist hier vor allem der Albatros, der in dem Firmenlogo von Rondheim, dem großen Bösewicht dieses Romans, auftaucht. Nun ist eine Ähnlichkeit, bzw. in diesem Fall sogar eine Gleichheit, gerade kein Symbol.
Wenn Kant in seiner Urteilskraft die Kaffeemühle mit dem despotischen Staat vergleicht und sie deshalb als Symbol bezeichnet, dann ist dieser Zusammenhang begründet. Nun kann ich aber zum Beispiel nicht hingehen, den Räuber Hotzenplotz nehmen und nur, weil die Großmutter am Anfang eine Kaffeemühle benutzt, behaupten, die Großmutter würde den despotischen Staat; unterstützen. In diesem Fall ist die Kaffeemühle leider (oder zum Glück) nur eine Kaffeemühle und kein (politisches) Symbol.
Cussler jedoch tut genau dies mit dem Albatros. Er versucht dem Leser ein Symbol unterzuschieben. Erinnern wir uns daran, dass der Albatros außerhalb von Cusslers Roman sogar relativ häufig als Symbol gebraucht wird. Ich verweise einfach mal aus dem Gedächtnis auf das zweite Gedicht in Die Blumen des Bösen von Baudelaire, auf Moby Dick von Melville, Nietzsche aus den Idyllen von Messina (Vogel Albatros), oder zum Beispiel jene Stelle, die für sich allerdings überhaupt nicht symbolisch ist, sondern erst im Zusammenhang, aus Herta Müllers Roman Atemschaukel (übrigens wie die überwuchernden Büsche in Woolfs MondSilberLicht: die sind für sich selbst auch erstmal nicht symbolisch, sondern nur im Zusammenhang):
„Auf jedem Silberknopf seines Jacketts flog ein Vogel, wilde Ente oder eher Albatros. Denn das Kreuz auf seinem Brustabzeichen wurde, als ich mich weiter vorbeugte, ein Anker. Der Regenschirm stand wie ein Spazierstock zwischen mir und ihm. Ich fragte: Nehmen Sie den mit. Dort schneit es doch noch mehr als hier, sagte er.“ (Seite 16)
Gerade Müllers Roman eignet sich hervorragend, um zu zeigen, dass ein einzelnes Symbol (wie hier zum Beispiel der Albatros) noch nicht reicht, um etwas bedeutsames auszudrücken. Müller arbeitet mit wesentlich mehr Symbolen und das auf einer äußerst subtile Art und Weise, was den ganzen Roman auch so hervorragend macht.
Cussler dagegen, der versucht, dieses und ein anderes Symbol mit einem berühmten Gedicht holzhammerartig  zu verbinden, bewirkt eher das Gegenteil. Es wirkt aufgesetzt und lächerlich.

Gedichte als Symbolsysteme

Trotzdem eignen sich natürlich Gedichte als Vorrat für symbolische Geschichten oder den symbolischen Hintergrund von Geschichten. Dazu muss man auch nicht den Bereich der Unterhaltungsliteratur verlassen. Stephen Kings Symbolisierung ist mit Sicherheit nicht von großer literarischer Bedeutsamkeit, aber sie bietet unterhalb  des recht unterhaltsamen Romans noch ein gewisses intellektuelles und sogar durch seine Ironie humorvolles Vergnügen.
Wenn man also ein Gedicht als Bezugspunkt für solche Symbolisierungen nennt, dann sollte man sich davon fernhalten, hier eine Art intellektuellen Trick einzuführen. Vor allem sollte aber die Idee des Gedichtes in irgendeiner Weise mit der Idee des Romans korrespondieren. Dass der Mensch jede Kreatur Gottes lieben sollte, findet sich in Cusslers Roman überhaupt nicht ausgeführt. Hier schreibt er komplett an Coleridge vorbei.

Aber Sie können ja mal selbst ausprobieren, ob Sie zum Beispiel aus Rilkes „Panther“ oder aus Goethes „Prometheus“, beides symbolische Gedichte, erstens die Idee in einem knackigen Schlagwort ausdrücken können und ob Ihnen dazu dann auch noch eine gute Geschichte einfällt, die mit der Idee und der Struktur des Gedichtes spielt, ohne sich dieser gleichzusetzen.
Das dürfte auf jeden Fall eine interessante, wenn auch recht anspruchsvolle Aufgabe des kreativen Schreibens sein.

Epilog

Damit sind noch nicht alle Möglichkeiten, wie man mit der symbolischen Schicht umgehen kann beschrieben. Tatsächlich bin ich hier sogar eher noch auf recht einfache Aspekte eingegangen. Ich hoffe trotzdem, dass ich den Gedanken hinter dem Begriff der symbolischen Ebene deutlicher und anschaulicher machen konnte. Weitere Fragen dazu sind natürlich ausdrücklich erwünscht, ob im Kommentar oder per E-Mail.

Ist Marah Woolf die größte Schriftstellerin Deutschlands?

Marah Woolf sei, so schreibt mir eine Kommentatorin zu meinem Beitrag über Mikrologik, die größte Schriftstellerin Deutschlands. Und behauptet dann, ich habe keine Ahnung von guter Literatur.

Ich möchte darauf mal folgendermaßen antworten:
(1) Ich weiß nicht, welche Qualitäten man haben muss, um die größte Schriftstellerin Deutschlands zu sein. Sie mögen Frau Woolf anscheinend sehr gerne und das kann ich gut nachvollziehen. Ich habe den Roman nun gelesen und stellenweise auch genauer durchkommentiert. Beim Lesen ist es mir nicht schwer gefallen, der Geschichte zu folgen, im Gegenteil. Und das ist schon ein sehr gutes Zeichen. Bei einer genaueren Analyse der Schreibtechniken zeigt sich, dass Frau Woolf sehr genau weiß, wie man gute Schreibtechniken einsetzt. Das ist ein zweites Zeichen dafür, wenn auch ein subjektiveres, dass sie eine gute Autorin ist.
(2) Vermutlich stützen Sie Ihre Aussagen auf meine Wünsche nach Verbesserung ihres Schreibstils. Hier muss ich Ihnen natürlich insofern recht geben (falls Sie diese Stelle gemeint haben), dass ich davon ausgehe, welchen Schreibstil ich gerne mag und wo dieser mir in den Büchern von Frau Woolf nicht konsequent genug beachtet wird. Es ist also, wie ich immer predige, ein Geschmacksurteil. Ich lehne mich damit weit aus dem Fenster und entschuldige mich an dieser Stelle bei der Autorin und allen ihren Fans. Ich weiß, wie ich es gemeint habe. Aber ich habe es nicht deutlich genug erklärt und die Reichweite meiner Argumentation nicht deutlich genug eingegrenzt.
(3) Schließlich habe ich eher generell auf den Roman von Woolf verwiesen. Zwar halte ich meine Argumentationen erstmal für sehr brauchbar, aber zu einer wirklich guten Argumentation gehören präzise Argumente. D. h. ich müsste an ganz konkreten Stellen belegen, also zitieren, was ich dann argumentativ ausführe. Das habe ich nicht getan. Und damit kann natürlich die ganze Argumentation hinterfragt werden. Sie ist deshalb ja auch, so, wie ich sie geäußert habe, nicht wirklich konstruktiv. Auch in diesem Sinne kann ich Ihre "Meckerei" also nachvollziehen.
(4) Ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen guter und schlechter Literatur eine seltsame, bedingt auch schlicht unwissenschaftliche Unterscheidung ist. Deshalb halte ich mich eigentlich von solchen Urteilen fern. Der Kürze halber nutze ich sie dann doch. Ich setze dann einfach voraus, dass die Leser meines Blogs in etwa wissen, wie ich das meine. Sie dürfen sich natürlich trotzdem beschweren.

Deshalb noch einmal:
Wie Sie persönlich den Roman von Frau Woolf einschätzen, das dürfen Sie halten, wie Sie wollen. Ich finde ihn weitestgehend gut geschrieben und durchaus besser geschrieben als manches, was in offiziellen Verlagen veröffentlicht wird. Insofern handelt es sich nicht darum, den Roman generell abzulehnen, sondern eher um Feinheiten.
Und selbst, wenn ich hier komplett Recht hätte (was auch immer das bedeutet): ohne ein Geschmacksurteil, also ohne Ihre persönliche Bewertung, könnten Sie gar nicht an der Kultur teilnehmen. Sie sollen natürlich an der Kultur teilnehmen. Nur so werden Sie für andere Menschen wertvoll. Und wertvoll sollen Sie sein, für sich und für andere.

Äußerst dumme Menschen

Die Welt ist leider voll von Plärrern und Idioten. Ich hatte meinen Sohn am Wochenende bei mir; heute haben wir den ganzen Tag am Computer verbracht, weil er erst eine Website für seinen Informatik-Unterricht programmieren musste und dann ein Referat über Adipositas vorbereitet hat. Zwischendurch hat er seine Englisch-Hausaufgaben gemacht.

Gestern nacht habe ich den nächsten Artikel zur Mikrologik geschrieben, der wahrscheinlich doch zu anspruchsvoll geworden ist, obwohl ich mir Mühe gegeben habe, ihn möglichst verständlich zu schreiben.

Und kaum öffnet man dann Facebook, springt einem folgendes entgegen.

Noch eine Art der Katachrese
Seltsamerweise ist mein Artikel über die Katachrese, den ich vor anderthalb Monaten veröffentlicht habe, sehr beliebt und er ist nicht deshalb beliebt, weil ich kreuz.net erwähne, sondern weil tatsächlich Interesse an rhetorischen Techniken besteht. Das bin ich garnicht gewohnt!
Ich hatte dort auf ein ideologisches Problem der Katachrese hingewiesen (und ergänze mal: die Katachrese ist eine ganz wundervolle Technik des Humors, wie man zum Beispiel an den Büchern von Walter Moers sehen kann; sie ist also nicht per se schlecht).
Nun wird gerade auf Facebook nebenstehendes Posting verbreitet. Angeblich soll diese Kampagne gegen den Missbrauch von Kindern gehen. Sie ist, was zwar nur ein Teilargument gegen diese Kampagne ist, aber von NPD-Größen initiiert. 
Wo liegt das Problem und zwar immanent? Erstens in der sehr undeutlichen Aussage: "Faß mein Kind an ..."; denn das kann vielerlei bedeuten. Der zweite Teil der Aussage impliziert dann Lynchjustiz und Todesstrafe, sogar Mord und zwar gleichzeitig. Und hier wird, durch eine parataktische Fügung eine nur scheinbar moralische Aussage (Schutz des Kindes vor sexueller Gewalt) mit einer rechtspolitischen Implikation ergänzt, die eindeutig undemokratisch ist.
Ich hatte mich dazu dann auf facebook in ähnlicher Weise geäußert. Und ich bin nicht der erste und nicht der einzige gewesen. Ich bin kein Befürworter von Kinderschändung, im Gegenteil. Ich lehne die hier veröffentlichte Konstellation ab und betrachte Kinderschändung und den Aufruf zur Lynchjustiz als zwei getrennt zu beurteilende und nicht irgendwie füreinander notwendige Themen. Und wie viele, die sich dagegen gewandt haben, werde ich jetzt als "Kinderficker" bezeichnet. Kommentar meines Sohnes: "Wie krank sind die denn drauf?"
Die Katachrese wird manchmal als Misshandlungs-Figur bezeichnet. Sie hat durchaus sehr nützliche und gute Effekte. Hier, bei diesem Spruch, liegt so etwas wie eine Katachrese auf der Ebene der Argumentation vor. Und mit solchen Vermischungen sollte man wieder extrem vorsichtig sein.

Nachtrag
Warum freue ich mich, wenn ein solcher Artikel wie über die Katachrese Interesse erweckt? Weil er an einem tatsächlichen Begriff arbeitet. Mein beliebtester Artikel in diesem Monat ist der zu Adlon. Ich kann das zwar irgendwie verstehen, schätze das aber insofern auch wieder nicht, weil das ein Meinungsartikel ist, aber keine Begriffsarbeit. Meinungen leiten zwar auch die inhaltliche Arbeit, können diese aber nicht ersetzen.

John Asht und die Hasstiraden
John Asht bezichtigt mich der Hasstiraden gegen Günther Grass. Wie meine "Hasstiraden" aussehen, kann man hier lesen: Grass und sein Gedicht. Schade, schade, schade, Herr Asht!
Jetzt hat er mich gelöscht. Ich behaupte also das Gegenteil und dass Herr Asht mich nicht der Hasstiraden gegen Grass bezichtigt und finde ihn trotzdem weiterhin bizarr.

Nicht nur ich habe Probleme mit Plärrern
Vanessa überlegt, ihren Blog nie ohne Buch zu schließen, weil sie gerade wieder einmal auf's Übelste beschimpft worden ist. Bitte Mut zusprechen. 
Sie mag nicht die Bücher, die ich mag. Aber die Bücher, die sie mag, mag sie in einer schönen Art und Weise. Will sagen: ihr Blog und ihre Artikel sind gut. Deshalb mag ich Vanessa und deshalb wäre es schade, wenn ihre Stimme aus dem Internet verschwinden würde.

Mikrologik III: Symbolische Schicht - eine Möglichkeit, eine Geschichte in sich zu verklammern

Eine der ersten Aufgaben eines Schriftstellers ist es, über die Einheit seines Buches nachzudenken. Die „hohe“ Literatur hat hier mehr Möglichkeiten, sich zu gestalten. In der Unterhaltungsliteratur steht die Geschichte im Mittelpunkt und eine gut konstruierte Geschichte ist das wichtigste Mittel, um eine solche Einheit herzustellen. Ich glaube, das muss man nicht weiter erklären. Jeder Krimileser wird das an den guten und den schlechten Krimis, die er gelesen hat, nachvollziehen können.
Es gibt allerdings eine Technik, die jenseits der Geschichte, also der reinen Handlung, einen Roman oder eine Erzählung zusammenhalten kann. Ich nenne diese Technik hier mal sehr unvorsichtig: Verklammerung auf der symbolischen Schicht.
Um diese zu erläutern, müssen wir erstmal klären, welche typischen Schichten es überhaupt in einem erzählenden Text gibt und welche Rolle dabei die symbolische Schicht spielen könnte. Zudem müssen wir den Begriff des Symbols klären. Dieser ist, wie ich schon öfter angemerkt habe, mit sehr unterschiedlichen Inhalten besetzt. Ich stütze mich hier auf den Begriff, so wie ihn Kant gebraucht hat. Er hat eine gewisse Tradition, ist aber auch recht unglücklich gewählt.
Schließlich müssen wir uns einige Beispiele anschauen, wie Schriftsteller gut oder schlecht mit solchen Symbolen arbeiten, was zuallernächst heißt, wie man diese in eigenen Texten gut verwenden könnte.
Der folgende Artikel wird dann in den nächsten Tagen weitergeführt. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, die Probleme von Charakterisierungen auseinanderzupflücken. Wie man an verschiedenen Beispielen zeigen kann, verstricken sich allerdings die Personencharakterisierung und der Geschichtsaufbau eng miteinander und so habe ich beschlossen, einen Umweg zu gehen.

Die Schichten der Erzählung

Die letzten drei Aufsätze aus dem Buch Das semiologische Abenteuer von Roland Barthes führen die Analyse von drei verschiedenen, erzählenden Texten vor. Meine Leser wissen, dass ich mich auf diese Analysen häufiger beziehe. Und sie wissen, dass ich meine Einteilung eines Textes in Schichten auf diese Aufsätze zurückführe.
Eine Erzählung lässt sich in drei Schichten gliedern: die diskursive Schicht, die narrative Schicht und die syntaktische Schicht. Das ist eine künstliche Trennung. Sie ist für das Verständnis von Texten sehr wichtig, aber existiert sozusagen getrennt nur in der Analyse.

Die narrative Schicht

Die narrative Schicht ist die am einfachsten zu fassende Schicht. Sie beinhaltet alles, was in der Welt des Romans geschieht und alles, was darin geschieht, wird als wirklich behandelt. Steht im Roman eine Eiche neben dem Haus, dann steht sie, in der narrativen Schicht, wirklich und nicht nur rhetorisch neben dem Haus.
Alles, was also die Wirklichkeit der erzählten Welt betrifft, gehört zur narrativen Schicht, die Gegenstände, die Ereignisse, die Personen. Wenn Sie sich an Ihre Schulzeit erinnern, werden Sie feststellen, dass die literarische Analyse diese Schicht lange in den Mittelpunkt des Unterrichts stellt. Erst ab der achten Klasse und mit äußerster Vorsicht in den folgenden beiden Jahrgängen wird diese Schicht mit den anderen Schichten des Textes verknüpft.

Die diskursive Schicht

Jeder Text ist auch Kommunikation und dient der Kommunikation. Dem Leser wird etwas mitgeteilt und eine der einfachsten Mitteilung ist die Mitteilung der erzählten Welt: Hier steht ein Baum, eine Eiche, direkt neben einem Haus, worin ein Mensch namens Peter wohnt. Hier erscheinen die diskursive und die narrative Ebene als deckungsgleich. Die Information für den Leser ist zugleich die Realität der erzählten Welt.
Es gibt aber zahlreiche Möglichkeiten, dass sich diese beiden Schichten auch trennen. So steht zum Beispiel zu Beginn des Räuber Hotzenplotz der Satz „Das war Großmutters Lieblingslied.“ Dieser Satz bezeichnet zwar auch eine Tatsache in der Geschichte, aber er wendet sich ganz eindeutig an den Leser und erklärt ihm etwas. Jede längere Beschreibung ist eine deutliche Hinwendung an den Leser. Der Autor erklärt hier die Welt oder ein Stück der Welt.
Hier zeigt sich übrigens auch, wie problematisch diese Abgrenzung ist. MondSilberLicht zum Beispiel ist aus der Ich-Perspektive erzählt. Es dürfte in diesem Roman überhaupt keine „offizielle“ Kommunikation mit dem Leser geben, da dieser Leser nicht in der erzählten Welt (der Welt von Emma) existiert. Trotzdem gibt es in diesen Roman und in anderen Büchern der Unterhaltungsliteratur zahlreiche Sätze, die weniger für den Protagonisten wichtig sind, als für den Leser. Ein Beispiel aus Marah Woolfs Roman ist zum Beispiel der Satz „Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich.“ (Position 52) Hier wird nicht gezeigt, was die Ich-Erzählerin erlebt, sondern es wird zusammengefasst. Natürlich könnte die Autorin zum Beispiel eine stream-of-conciousness-Technik führen, wie in den beiden berühmten Kurzgeschichten von Arthur Schnitzler (Fräulein Else, Lieutenant Gustl) oder im letzten Kapitel des Ulysses. Allerdings würde diese Technik gegen die Konvention des Genres eklatant verstoßen. Unterhaltungsliteratur gebraucht keine/kaum experimentellen Techniken.

Die syntaktische Schicht

Eine dritte Schicht, die ich meist unter der Hand mitlaufen lasse, ist die syntaktische Schicht, also der Fortgang der Erzählung von Satz zu Satz. Anscheinend erschreckt dieses Wort viele Leser. Wie mal jemand zu mir meinte: er wolle eine Geschichte erzählen, nicht Grammatik machen. Doch gerade diese Schicht wird viel zu wenig beachtet. Wenn ich hier etwas über die Mikrologik von Erzählungen schreibe, und wenn ich dies für dringend notwendig halte, um die Qualität junger Autoren zu verbessern, dann stelle ich diese syntaktische Schicht deutlich in den Mittelpunkt. Auf dieser Ebene passiert eine ganze Menge, zum Beispiel alle rhetorischen Figuren und hier zum Beispiel die für so wichtig erachtete Metapher, ohne die (angeblich) eine gute Erzählung gar nicht funktioniert.
Auf dieser syntaktischen Ebene stehen nicht nur die Sätze, sondern auch die rhetorischen Figuren, deren Sinn es häufig ist, die Geschichte unterhalb der tatsächlichen Handlung zu tragen. Greifen wir einfach zwei Beispiele heraus, wiederum aus MondSilberTraum.
(1) „Es war still, zu still, totenstill.“ (Position 26) — Es handelt sich um eine dreimalige Wiederholung, die allerdings gesteigert wird und dadurch ein ungewöhnliches Geschehen ankündigt. Die Form der Ankündigung geschieht auf der syntaktischen Ebene und präziser bezeichnet man sie als Klimax. Die Wirkung der Ankündigung soll natürlich auf der diskursiven Ebene passieren. Und kann ungefähr so ausgedrückt werden: Jetzt passiert etwas dramatisches!
(2) „Unfall. Tod. Allein.“ (Position 52) — Auf der syntaktischen Ebene können wir zunächst feststellen, dass die Grammatik komplett misshandelt wird. Die rhetorische Figur, die dies ermöglicht, nennt sich Ellipse und wird hier bis an ihre Grenze ausgenutzt: von den möglichen Sätzen bleibt ein einziges Wort stehen. Die Ellipse ist also die Figur, die Sätze mit weggelassenen Satzteilen bezeichnet. Auf der narrativen Schicht allerdings funktioniert dieses Beispiel wiederum besonders gut, weil jetzt tatsächlich so etwas wie Gedankenfetzen der Erzählerin dargestellt werden.
Und auch aus einem anderen Grund klappt diese rhetorische Figur hier vorzüglich. Ihre praktische Bedeutung ist nämlich relativ einheitlich. Unfall, Tod und Alleinsein gehören zusammen. Die einzelnen Ellipsen verbinden sich also miteinander zu einem größeren Zusammenhang (als Vergleich mag folgendes Beispiel dienen: „Paris. Blume. Unterwassergraben.“, ein Beispiel, bei dem Sie wahrscheinlich vergeblich nach einem Zusammenhang suchen werden: die drei Wörter passen nicht zueinander).
Auf der diskursiven Ebene haben wir es mit einer Zusammenfassung zu tun, die die Wende in Emmas Leben in drei Wörtern zusammenfasst. Übrigens für die Geschichte als Ganzes sogar äußerst geschickt. Denn sowohl der Unfall als auch der Tod sind auf der narrativen Ebene real und werden es immer bleiben. Das Alleinsein dagegen ist eine Befürchtung, die nicht oder nur zeitweilig wahr werden muss. Auf einer äußerst subtilen Ebene baut die Autorin hier also einen offenen Konflikt ein und sagt dem Leser: Hier ist noch Platz für eine Geschichte!

Zusammenfassung

Ich hoffe, dass durch die Beispiele deutlicher geworden ist, warum es günstig ist, diese drei Schichten zu trennen, aber auch, sie immer wieder aufeinander zu beziehen. Trotzdem würde ich mich mit dieser Trennung auch nicht zu sehr aufhalten. Es sind Hilfsmittel der Analyse, keine Wahrheiten über den Text. Das wird noch deutlicher, wenn wir uns jetzt die symbolische Schicht anschauen.

Die symbolische Schicht

In MondSilberLicht findet sich folgende Passage:
„Rund um das Haus erstreckte sich der Garten. Ein Wirrwarr von kiesbedeckten Wegen durchzog ihn und man konnte leicht die unzähligen Büsche und Pflanzen erkennen, die im Frühjahr den Garten überwuchern würden.“ (Position 106)
Dies allerdings ist nicht nur eine harmlose Beschreibung, sondern transportiert eine Art Schlagwort, das relativ häufig in diesem Roman auftaucht: die ungebändigte Natur. Diese ungebändigte Natur wird zunächst der Großstadt-Kultur, aus der Emma kommt, entgegengesetzt und stellt einen zentralen, ersten Konflikt dar. Im Laufe der Geschichte entsteigt dieser ungebändigten Natur dann allerdings Calum. Er ist eine Art Sendbote dieser ungebändigten Natur, aber eben auch der Mensch, in den Emma sich verliebt. Die ganze Sache ist zwar noch wesentlich komplizierter, erzähltechnisch gesehen, aber uns kann dies erstmal als Illustration genügen.

Symbol und Hypotypose

Wenn wir uns das Schlagwort „ungebändigte Natur“ ansehen, dann ist dies keine sinnliche Beschreibung. Und es gibt auch nicht „das“ sinnliche Objekt dazu. Bei einem Tisch finden wir zahlreiche Gegenstände, auf die dieses Wort zutrifft. Mit Kant nenne ich diese Verstandesbegriffe.
Bei Wörtern wie „Liebe“, „Gerechtigkeit“, „Trauer“ oder „Ärger“ handelt es sich nicht um Verstandesbegriffe, sondern um Vernunftbegriffe. Verstandesbegriffe werden aus der rein sinnlichen Anschauung gewonnen. Vernunftbegriffe dagegen ordnen zwar auch die sinnliche Welt, aber auf eine andere Weise. Man muss zu ihnen Beispiele angeben, also Beispiele für die "Liebe", die "Gerechtigkeit" oder, wie Marah Woolf an dieser Stelle, für die "ungebändigte Natur".
Die Vernunftbegriffe nennt Kant auch Ideen und zumindest im 19. Jahrhundert ist dieser Begriff dann auch der hauptsächliche Begriff gewesen.
Die Hypotypose ist nun die Technik, wie man einen Vernunftbegriff verbildlicht und versinnlicht. Wenn wir dies in Form einer Frage stellen: Wie veranschauliche ich die Liebe (die ungebändigte Natur, die Gerechtigkeit, etc.)? Kant nun kannte dazu nur eine einzelne Technik: das Symbol (vgl. dazu die umfassenderen Techniken in Metaphorik. Strategien der Verbildlichung).
Das Symbol sei dem Vernunftbegriff "bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach" angemessen. Kant gibt dann ein witziges Beispiel, indem er den despotischen Staat mit einer Kaffeemühle vergleicht. Wie die Kaffeemühle die Kaffeebohnen zermahlt, so zermahlt der despotische Staat seine Bürger. Wir nennen eine solche Form der Verbildlichung richtiger Analogie. Ihre Kurzform ist die Metapher, ihre Langform die Allegorie, Parabel oder Fabel.

Das Symbol in der Erzählung

Bei dem oben zitierten Beispiel aus MondSilberLicht haben wir es nun gerade nicht mit einer Analogie zu tun, also nicht mit einem Kantschen Symbol. Auf der narrativen Ebene ist es eine schlichte Beschreibung, sinnlich und konkret, wie man sie eben in einer guten Unterhaltungsliteratur erwartet. Warum aber habe ich sie dann als Beispiel für eine Analogie hingestellt?
Weil sie auf der symbolisch Ebene trotzdem als Analogie funktionieren kann. Die Büsche werden die Wege überwuchern, wie die Natur (Calums) die Kultur (Emmas) überwuchern wird.
Nun wäre diese Beobachtung reine Willkür, wenn sie nicht immer wieder im Roman auftauchen würde, wie ein Faden, der von Zeit zu Zeit den roten Faden der Erzählung begleitet. Wir finden ihn zum Beispiel in dem Moment, in dem Emma vor ihrer Angst vor dem Wasser berichtet (Position 301, 717). Wir finden ihn in der scheinbaren Idylle des ländlichen Lebens, die aber beständig von einem namenlosen Chaos bedroht wird, unter anderem in dem Satz "Die ruhige, aber bedrohliche Stimmung, die das Meer um diese Zeit ausstrahlte, war auf dem Bild deutlich zu erkennen." (Position 857; vgl. aber auch die erste Beschreibung von Portree: wenn in einem Spannungsroman eine Idylle auftaucht, kann man sich sehr sicher sein, dass diese mindestens gestört, wenn nicht sogar zerstört wird; Idyllen bieten keine Konflikte, während ein Spannungsroman diese natürlich braucht: so dass eine Idylle zu Beginn eigentlich immer andeutet: es wird etwas Schlimmes passieren, ohne dies weiter thematisieren zu müssen). Deutlich verdichtet zeigt sich das Symbol der ungebändigten Natur zum Beispiel in der Szene, als die Jugendlichen am Loch Ness zelten (Position 1892). (Zudem wird hier aus den sogenannten Teenie-Slasher-Filmen motivhaft zitiert, die die Verbindung zu einer Bedrohung vertiefen.)
Man kann eine Erzählung als ein Geflecht aus solchen Symbolen lesen (man findet hier auch die Begriffe Motiv, Konnotation, sogar Anspielung). Das ist zum Beispiel die Aufgabe von Literaturwissenschaftlern. Der normale Leser dagegen wird eine Geschichte vor allem wegen seiner Handlung lesen und die symbolhafte Ebene eher am Rande und unbewusst zur Kenntnis nehmen. Man kann diese symbolische Schicht dann mit einer Orchestrierung vergleichen: ein Instrument tritt hervor und spielt die Melodie; dies ist dann das Thema und die dazugehörige Handlung der Geschichte. Andere Instrumente aber begleiten diese Melodie und geben der Passage ihre Atmosphäre. Das passiert auf der symbolischen Ebene.

Warum wirkt das Symbol?

Symbole entstehen aus typischen Konventionen heraus. Ein wesentlich wichtigeres Symbol in MondSilberLicht als die ungebändigte Natur ist die Liebe zu einem unzugänglichen Mann (im ersten Teil). Wir finden dieses zum Beispiel in dem berühmten romantischen Roman Wuthering Heights, in der Legende vom Fliegenden Holländer, im Weltbestseller Gone with the wind, und so weiter. Im zweiten Teil übernimmt dann das Symbol der verbotenen Liebe den zentralen Einfluss auf das Thema (Tannhäuser, Effi Briest als Beispiele).
In Unterhaltungsromanen tauchen Symbole konventionell auf, weil sie vom Autoren eher unbewusst platziert werden. Und der Leser erfasst sie am Rande, weil er sie mit seiner Kultur aufgenommen hat, ohne sich ihrer genau bewusst zu sein. Ich möchte nun behaupten, dass Marah Woolf die Symbole, die nebensächlichen wie die geschichtstragenden, nicht geplant platziert hat, sondern eher aus einem Gespür heraus. Das reicht dann nicht für "Weltliteratur", aber für einen gut geschriebenen Unterhaltungsroman. Sofern man das Thema mag.
Das Symbol jedenfalls wirkt, weil wir es schon kennen und weil es auf "irgendeine" Weise ein Band zu den Erfahrungen knüpft, die wir bereits in unserem Leben gemacht haben.

Worin besteht der Unterschied zur "hohen" Literatur?

Will man den Unterschied zwischen "niedriger" und "hoher" Literatur beschreiben (den es eigentlich nicht gibt), dann ist der Umgang mit Symbolen ein guter Ansatz. Der Autor "niedriger" Literatur flicht solche Symbole konventionell und unsystematisch ein. Der Autor "hoher" Literatur dagegen setzt sie bewusst, produktiv, provokativ, kritisch ein.
Beispielhaft mag hier ein Motiv aus dem Homo Faber von Max Frisch sein. Die Geschichte erzählt einen Abschnitt aus dem Leben Walter Fabers. Dieser trifft auf einer Schiffsreise seine Tochter, von der er nichts weiß, verliebt sich in sie und reist mit ihr, als seiner jugendlichen Geliebten durch Frankreich, Italien und schließlich Griechenland. Er begeht also, ohne es zu wissen, einen Inzest. An einem Strand in Griechenland wird die Tochter von einer Schlange gebissen, fällt, stößt sich den Kopf und stirbt einige Zeit später im Krankenhaus. Die Nacht vorher am Strand war idyllisch. Man könnte sie paradiesisch nennen.
Hinter dieser Szene verbirgt sich deutlich die bekannte Konstellation der Vertreibung aus dem Paradies. Faber übertritt, verführt durch eine Frau, ein Verbot (das Inzestverbot) und wird dafür aus dem Paradies (der Liebe) durch die Schlange vertrieben. Nun hat Frisch solche Symbole aber nicht nur gelegentlich, sondern systematisch in seinen Roman eingebaut und er hat sie nicht nur aus Gründen des erzählenden Zusammenhalts eingebaut, sondern zum Teil provokativ. So tauchen in dem ganzen Roman immer wieder "hässliche" Geräusche auf, Lärm. Die Vögel machen Lärm, es gibt lärmende Musik, ein Esel schreit "rostig".
Meiner Ansicht nach baut Frisch hier neben der üblichen Gegenüberstellung von Natur und Kultur einen dritten Bereich auf, die Technik; diese dringt in die schöne Trennung von Natur/Kultur wie ein hässliches, lärmendes Geräusch ein und verwirrt diese. So spinnt sich über das Symbol "undefinierbares Geräusch" ein roter Faden zu zentraleren Motiven des Romans, zum Beispiel zu der Opposition Kultur/Technik, die sich in Hannah (die Kunsthistorikerin ist) und Faber (der Turbinen installiert) ausdrückt.
Am Ende des Romans singt Faber (181). Damit werden die Geräusche, die auf Faber vorher eingedrungen sind, auch "irgendwie" zurückgewiesen. Dies lässt sich allerdings nur auf dieser symbolischen Schicht so lesen, muss also interpretiert werden. Einen konkreten narrativen Zusammenhang findet man nicht.
Wollte man die narrative und die symbolische Schicht anhand ihrer Logik voneinander trennen, dann gehorcht die narrative Schicht einer Alltags- und Handlungslogik, während die symbolische Schicht mit Resonanzen und Echos arbeitet.
Die "hohe" Literatur plant diese Resonanzen systematisch ein, um den Ausdruck zu erhöhen. Die "niedere" Literatur nutzt diese Resonanzen eher konventionell und unbewusst, um den Zusammenhalt der Geschichte zu vertiefen.

Nachwort zu MondSilberLicht

Da ich hier MondSilberLicht in die Ecke der "niedrigen" Literatur gerückt habe, möchte ich ein bisschen mehr zur Bewertung dieser Geschichte sagen, auch, um nicht als ein snobistischer Mensch gesehen zu werden. Ich hatte oben schon geschrieben, dass ich die Unterscheidung zwischen hoher und niedriger Literatur für nicht relevant halte. Das erklärt sich aus folgenden Gründen. Erstens ist diese Unterscheidung wissenschaftlich nicht haltbar (vgl. Christa / Peter Bürger: Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur; vgl. auch diverse Passagen in Michail Bachtin: Rabelais).
Zweitens bin ich in einer bürgerlichen Kultur aufgewachsen, in der man zwar genau zu wissen schien, was hohe Literatur ist, sie aber nicht las. Hohe Literatur ist also das gewesen, was nutzlos war, es sei denn auf der Ebene des Geschwätzes. Worin aber läge der Sinn von solcher Literatur?
MondSilberLicht nun ist ein Roman, der gelesen wird. Man kann sich darüber beklagen, oder es auch sein lassen: wahrscheinlich ist er im Jahr 2012 häufiger als Goethes Werther gelesen worden. Drittens kann man also davon ausgehen, dass in der Gesellschaft ein gewisses Bedürfnis besteht, diesen Roman zu lesen. Dieses Bedürfnis kann man nicht als absolut ansehen. Aber eine Häme ist auf jeden Fall unangebracht.
Die Geschichte selbst ist konventionell. Junges Mädchen verliebt sich in geheimnisvollen Jungen, entdeckt sein Geheimnis und versucht, gemeinsam mit ihm, eine Lösung dafür zu finden. Nicht wirklich originell. Aber seien wir ehrlich: die Geschichte von jemandem, der eine hintersinnige Straftat begeht und auf einen Menschen trifft, der ihn mehr oder weniger trickreich seines Verbrechens überführt, ist auch nicht gerade der Klopfer, oder? Man findet sie in gefühlten 50 Millionen Krimis. Konventionalität ist also kein Argument gegen die Geschichte.
Kommen wir zu der Erzähltechnik, also dem Wie? Marah Woolf kann erzählen. Sie beherrscht die Erzähltechniken sicherlich nicht perfekt. Allerdings setzt sie diese hinreichend sicher ein, um dem Leser die Geschichte spannend und plausibel zu machen. Insbesondere kann sie auch Dialoge schreiben. Man kann also die Erzählweise nicht über den grünen Klee loben. Aber keinesfalls verdient sie ein Urteil wie "schwächelnd" oder "schlecht".
Woran könnte die Autorin arbeiten? Hier sind mir einige Punkte aufgefallen. (1) Insgesamt hätte die Personenkonstellation mehr Konflikte und daraus resultierende Handlungen vertragen. Sie ist insgesamt zu harmonisch entworfen, bzw. bestimmte Konflikte werden auf der Handlungsebene zu schwach aufgegriffen. (2) Auf der Ebene des Miteinander-Sprechens kann Marah Woolf ihre Personen ganz wunderbar charakterisieren. Sie könnte allerdings im Drumherum mehr Techniken der Charakterisierung einsetzen, zum Beispiel wenn sie die Menschen in ihrer Sprechweise beschreibt: flöten, schnarren, poltern; aber auch: "... sagte sie, schien sich aber dabei nicht ganz sicher zu sein". Sie nutzt solche Wörter und Wendungen. Und man sollte sie auch nicht zu oft verwenden, weil sie dann aufgesetzt und manieristisch wirken; ein bisschen mehr Vielfalt hätte der einen oder anderen Passage aber ganz gut getan. (3) Die für mich auffälligste Schwäche besteht in den kleinen, orientierenden Sätzen. Woolf ist in ihren Beschreibungen manchmal einfach zu kurz, wodurch einige Passagen nicht genügend mit der sinnlichen Umwelt vernäht sind. Auch das ist kein gravierendes Problem. Und die Autorin kann sehr sinnlich schreiben, ohne herumzuschwafeln (was auch ein Problem wäre). Aber gelegentlich ist sie dann tatsächlich arg knapp. Und oftmals wäre ein kurzer Satz zusätzlich ausreichend gewesen.

Zusammenfassung / Aussicht

Ich werde mich im nächsten Artikel noch einmal der narrativen Schicht zuwenden und hier eine Einteilung vornehmen, die zeigt, wie sich diese mit der syntaktischen Schicht eng verknüpft. Dies ist für die Personencharakterisierung enorm wichtig und dort werde ich entweder auf den Roman von Marah Woolf oder ähnliche Beispiele zurückkommen. Wir werden hier sehen, dass die Verbindung häufig über die symbolische Schicht läuft (weshalb ich diese vorher eingeführt habe).
Ich wollte noch etwas zur symbolischen Schicht in Eisberg (Clive Cussler) schreiben, wo diese lange Zeit völlig windig, auf geradezu kranke Art und Weise schlecht genutzt wird und dann, an einer Stelle, mit einer Holzhammermethode auf ein nur scheinbar hochintellektuelles Niveau gehoben wird. Um mal eine auf jeden Fall zu vermeidende Methode vorzuführen. Das habe ich mir hier allerdings erspart, obwohl man von Cusslers literarischem No-Go natürlich viel lernen kann.
Ich jedenfalls habe auf Empfehlung eines Kollegen heute drei Bourne-Bücher (Robert Ludlum) ausgeliehen und finde die Erzählweise (mit Bourne-Identität bin ich fertig) zwar nicht umwerfend, aber in jeglicher Weise besser als bei seinem Kollegen Cussler.

27.10.2012

Kultur

Kultur ist eine Bewegung, die niemand voraussagen kann. Die sorgt für sich selbst. Es passiert, was passiert.
Im selben Interview sagt der Schriftsteller auch:
Es ist eine Schande zu sehen, wie Bildungseinrichtungen vernachlässigt werden. Das ist etwas, das ich aus Amerika kenne. Die ersten Dinge, die in der ökonomischen Krise vor die Hunde gehen, sind das Bildungssystem und die Umwelt – die zwei fundamentalsten Elemente unserer Gesellschaft.

26.10.2012

Widersinnige Logik in der Erzählung

Einen Nachtrag zur Logik in der Erzählung. Dieses Beispiel ist in seiner Unsinnigkeit gar zu schön: 
(Pitt) „»Sie sagten, Sie hätten ihn getötet?«
»Es war ein Missgeschick; aber er ließ mir keine Wahl.«“ (Eisberg, 168) 
Ich hoffe, dass ich es am Wochenende noch schaffe, den nächsten Beitrag zu veröffentlichen. Dieser wird sich zwar um ein komplett anderes Thema drehen, aber ich möchte noch einmal ganz grundsätzlich etwas zum Verhältnis von Grammatik und erzählerischer Logik sagen. In meinem eben zitierten Beispiel zeigt sich deutlich, dass ein grammatisch richtiger Satz nur scheinbar logisch ist, wenn sich zwei Begriffe darin komplett ausschließen. In diesem Fall Missgeschick und Wahl. Bzw., wenn man jemanden keine Wahl lässt, nötigt man ihn zu einer Handlung und darin ist nichts von einem Missgeschick zu finden.

Mittlerweile bin ich mit meinen Kommentaren, zumindest dem ersten Rutsch, fast ans Ende dieses Romanes gelangt. Aber ich bin müde: Kollege Cussler arbeitet immer wieder mit genau denselben Tricks und schafft es, die ganze Geschichte keinen Millimeter voran kommen zu lassen. Und wenn er sie dann doch mal vorankommen lässt, dann immer mit einer Information, von der man nicht erfährt, woher sie kommt.
Außerdem wird er immer unsinnlicher und die Dialoge immer hölzerner, je weiter der Roman fortschreitet. Ich halte ja viel davon, an Fehlern zu lernen. Aber irgendwann sind es eben so viele Fehler, bzw. in diesem Fall eine solch schlechte Erzählweise, dass man gar nicht mehr weiß, wo man anfangen soll.

25.10.2012

Doppelkonsonant und Vokalquantität

Zwischendurch mal etwas ganz anderes: Tipps zur deutschen Rechtschreibung.

Doppelkonsonanten
Als Doppelkonsonanten bezeichnet man die Verdopplung eines Konsonanten im Wort: Halle, Rollen, Sommer, Schiff, und dergleichen mehr.
Das ist die eine Seite. Viel wichtiger ist, dass die Doppelkonsonanten die Länge des Vokals davor  bestimmen (die so genannte Regulation der Vokalquantität). Vor einem Doppelkonsonant ist der Vokal meist kurz auszusprechen. Nach einem kurzen Vokal steht oftmals ein Doppelkonsonant, mit wichtigen Ausnahmen.
(1) Statt der Doppelkonsonanten können auch Konsonantenhäufungen auftauchen. Zum Beispiel in Angst oder Papst. In Konsonantenhäufungen stehen keine Doppelkonsonanten.
(a) Nun habe ich das Beispiel eben mit Bedacht gewählt, denn es zeigt sofort zwei weitere, wichtige Stolpersteine. Der erste Stolperstein sind die flektierten, bzw. gebeugten Wörter. In diesen kann nämlich tatsächlich ein Doppelkonsonant mit einer Konsonantenhäufung zusammen auftauchen, zum Beispiel in dem Satz: „Du pappst ja deine dreckigen Hände auf die frisch gewaschenen Gardinen.“ Dies liegt allerdings an der Grundform des Wortes „pappst“; in diesem Fall: „pappen“. Die Stammsilbe, also „papp-“ darf nicht verändert werden. Und deshalb findet sich in manchen gebeugten Wörtern auch ein Doppelkonsonant in einer Konsonantenhäufung.
(b) Zudem gilt die Regel ebenfalls nicht für grammatische Markierungen und auch nicht über die Silbengrenze hinweg. Beispielhaft dafür ist Schiffsrumpf. Dieses Wort hat zwei Silben. Wir trennen: Schiffs-rumpf. Damit ist das „r“ zu einer anderen Silbe gehörig und gehört nicht mehr zu der Konsonantenhäufung. Das „s“, das man in der Grundschule Fugen-S nennt, ist eine grammatische Markierung (es bezeichnet den Genitiv in zusammengesetzten Namenwörtern) und gehört deshalb auch nicht zur Konsonantenhäufung.
(2) Bei einsilbigen Wörtern findet man zahlreiche Ausnahmen. Zum Beispiel „man“. Das „a“ wird kurz gesprochen, obwohl keine Konsonantenverdopplung folgt. Deshalb verwechseln Schreibanfänger auch gerne mal das „man“ mit dem „Mann“, weil beide gleich ausgesprochen werden. „Papst“ dagegen verweist auf das genaue Gegenteil. Der Vokal wird lang ausgesprochen, obwohl hier eine Konsonantenhäufung folgt. Weitere Ausnahmen: hat, Turm.
(3) Schließlich gelten Konsonantenhäufungen nicht über die Silbengrenze hinweg. Wörter wie „Turmmauer“, „Regennässe“ oder „Grabbeigabe“ enthalten keine Konsonantenverdopplung, weil die Konsonanten durch die Silbengrenze getrennt werden. Folglich reguliert nur der eine Konsonant die Vokallänge davor.
(4) Außerdem haben wir noch ein Problem mit dem Vokal „e“, zum Beispiel in dem Wort „Regen“. Hier erlaubt sich die deutsche Sprache eine Ausnahme. Der Buchstabe „e“ kann nämlich auf viererlei Weise ausgesprochen werden und deshalb gibt es hier auch zahlreiche Ausnahmen. Nach unseren bisherigen Regeln müsste ich das Wort „Regen“ mit zwei langen „e“ ausgesprochen werden. Das zweite „e“ ist allerdings eindeutig kurz.
(5) Genauso sind viele Entlehnungen aus anderen Sprachen unregelmäßig und gerade für Anglizismen gelten unsere Regeln häufig nicht. Doch auch hier sollte man vorsichtig sein. Aus dem 18. Jahrhundert finden wir viele französische Lehnwörter ins Deutsche übernommen. Diese sind mittlerweile der deutschen Silbentrennung und der deutschen Regulierung der Vokalquantität angepasst worden.
(6) Und es gibt die markierte Verlängerung des Vokals: „ah“, „ie“, und so weiter, die wir als Dehnungs-H und als langes I (eine ganz verwirrende Bezeichnung eigentlich) ebenfalls aus der Grundschule kennen. Solche markierten Verlängerungen sind vorrangig. Beispiel: „piepsen“; trotz folgender Konsonantenhäufung wird das „i“ lang ausgesprochen.

Mikrologik II: Konsulatsangehörige im Schneckentempo

Mit der Mikrologik bezeichne ich die Untersuchung der logischen, bzw. erzählenden Richtigkeit von Satz zu Satz. Im weiteren Sinne allerdings auch die geschickte Darstellung von Ereignissen im Roman, ebenfalls eher auf der Satzebene.
Hier hapert es manchem Schriftsteller gründlich. Plötzlich werden Sätze nichtssagend, Ereignisse drehen sich zeitlich um, blonde Frauen haben von einem Moment zum anderen schwarze Haare, Möbel tauchen in Räumen auf wie Götter aus Zeittunneln, und so weiter. Oder der Leser wird ungeschickt geführt, teilweise sogar getäuscht. Das sind natürlich Phänomene, die jeder Autor tunlichst vermeiden sollte. Sie zerbrechen die Leserorientierung und verwirren diesen. Der Spannungsaufbau funktioniert nicht mehr, weil der Leser über viel zu viele Seltsamkeiten stolpert, die ihn von der Geschichte ablenken. Und dann empfindet der Leser den Roman als schlecht, langweilig, konfus.
Ich habe also beschlossen, dazu einige Artikel zu veröffentlichen und auf ausgesuchte Fehler zu verweisen. Und natürlich auch Tipps zu geben, wie man diese vermeidet.

Es ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, aber durchaus eine, über die ich den Kopf schütteln musste.
Cussler schreibt in seinem Buch ›Eisberg‹: 
„Die jungen Konsulatsangehörigen, die so hervorragend ihre Rolle als Fischer gespielt hatten, waren fünf Minuten vor ihnen angekommen und hatten die beiden Modelle bereits in den Tresor gesperrt.“ (154) 
Nun haben diese Konsulatsangehörigen Sandecker und Pitt [Pitt ist der Protagonist dieses Romans, Sandecker sein Vorgesetzter] geholfen, bevor sie den Hafen verlassen haben. Dazwischen lagen, für Pitt und Sandecker, mehrere Stunden auf hoher See. Es ist ganz erstaunlich, dass sie nun, nach ihrer Rückkehr, fast gleichzeitig beim Konsulat ankommen. So etwas nennt man dann wohl wahres Schneckentempo! Oder die Konsulatsangehörigen haben sich eine äußerst ausgedehnte Pause gegönnt, sozusagen über den ganzen Arbeitstag hinweg.

Wie aber lassen sich solche Fehler vermeiden?
Hier ist mir vor ungefähr zwei Jahren ein ganz hilfreicher Trick eingefallen. Bis dahin habe ich meinen Kunden immer wieder gepredigt, sich einen Ablaufplan zu zeichnen. Und das ist natürlich kein schlechter Tipp, sondern ein guter. Durch Ablaufpläne werden die Szenen in sich zusammenhängender.
Ein Problem allerdings ist, wenn man viel herumprobiert und irgendwann die Übersicht über alle seine Zettel verliert.
Und hier ist der Trick, ein Präsentationsprogramm, wie zum Beispiel PowerPoint, zu benutzen. Sobald man für eine Szene einen ganz brauchbaren Ablauf entworfen hat, kann man den auf PowerPoint einfach verdoppeln und auf der verdoppelten, zweiten Seite neu herumschieben, differenzieren oder auch ganz andere Abläufe ausprobieren.
Das macht am Anfang etwas Mühe. Zugegeben! Sobald man aber einen ersten Entwurf eingegeben hat, ist es wesentlich einfacher, mit diesem zu arbeiten, als dass man jedes Mal neu den ganzen Plan zeichnet.
Eine ehemalige Kundin und jetzige Kollegin macht es sogar so: Sie entwirft eine ganze, umfangreiche Präsentation. Jeder Protagonist bekommt eine eigene Seite, auf der ein Bild, eine Charakterisierung und wichtige Motivationen dieser Figuren in der Geschichte beschrieben sind. Dasselbe macht sie für Orte. Drittens legt sie einen groben Plot an. Und diesen Plot beschreibt sie dann im folgenden immer differenzierter, erst nach Szenen, dann teilweise eben tatsächlich Ereignis für Ereignis. „Am Anfang hat mir das sehr viel Zeit gekostet. Ich war unsicher, aber auch an den Erfolg dieser Methode gezweifelt und deshalb mit meinen Zweifeln viel Zeit verplempert“, erzählte sie mir. „Jetzt allerdings bin ich froh, dass ich mich dort gründlich eingearbeitet habe. Erstens kann ich jetzt mit PowerPoint hervorragend umgehen. Und wenn ich einen Plot auf diese Weise ausgearbeitet habe, muss ich eigentlich nur noch schreiben. Schreibblockaden kenne ich mittlerweile überhaupt nicht mehr.“ (Ich zitiere aus einem persönlichen Gespräch und deshalb nur sinngleich.)

25.000 Wörter; Mikrologik einer Passivkonstruktion

Es ist 4:30 Uhr morgens. Höchste Zeit ins Bett zu gehen. Meine bescheidene Ausbeute aus fast 10 Stunden Kommentieren: 25.000 Wörter. Wer das beeindruckend findet, den darf ich eines besseren belehren. Ich sammle nur Zitate und Textstellen aus Cusslers Roman Eisberg, um die später zu systematisieren. Durch mein Spracherkennungsprogramm kann ich relativ schnell Zitate eindiktieren. Und die meisten meiner Kommentare dazu sind schlichte Identifizierungen von erzählenden, stilistischen und rhetorischen Mitteln. Solche Identifizierungen sollte ich schon beruflich und durch das Studium gründlich beherrschen. Sie sind bei mir relativ automatisiert und bedeuten deshalb wenig Anstrengung.
Das Sammeln von Textpassagen ist übrigens eine ziemliche Erbsenzählerei. Viel aufregender und anstrengender ist dann die Interpretation.Und da schaffe ich dann immer nur einen Bruchteil.

Mikrologik

Gelegentlich veröffentliche ich ja mal solche Kommentare, meist aber etwas modifiziert, weil sonst niemand meine recht abgekürzten Anmerkungen versteht.
Ein Beispiel:
„Eine weiße Dampfwolke stieg auf, und das Schiff war verschwunden.“ (151)
logische Verknüpfung: undeutlich; unglückliche Passivkonstruktion
Ich übersetze das. In dem zitierten Satz ist das Wort „und“ etwas befremdlich. Denn es bedeutet eine gewisse Gleichartigkeit. Die wird meiner Ansicht nach aber schon grammatisch nicht hergestellt. Der erste Halbsatz bezeichnet ein Ereignis mittels eines aktiven Verbes (aufsteigen), der zweite dagegen einen Zustand (verschwunden sein). Das erscheint mir als äußerst ungünstig. Zudem ist die Passivkonstruktion im zweiten Halbsatz insgesamt nicht schön. Solche Passivkonstruktionen kann man eventuell dann benutzen, wenn ein Ereignis am Ende noch einmal zusammen gefasst und ein wichtiger Zustand herausgehoben werden soll.
An dieser Stelle wäre ein aktives Verb, sogar eine Ausweitung der Passage günstiger gewesen. Und natürlich eine Trennung der Sätze. Das würde dann so klingen:
„Eine weiße Dampfwolke stieg auf. Die letzten Aufbauten des Tragflächenboots versanken in der See. Bereits einen Augenblick später wurde aus dem weißen Schiffskörper ein dunkler Schatten. Und gleich darauf verschwand auch dieser in der eisigen Tiefe. Trotzdem starrte Pitt ihm noch eine Weile nach, als fürchtete er, das Schiff könne wieder an die Oberfläche steigen. Doch es blieb versunken. Schließlich schüttelte Pitt seinen Kopf wie jemand, der einen Albtraum loswerden möchte. Er wandte sich um.“
Ich habe übrigens selbst eine Passivkonstruktion eingefügt: „Doch es blieb versunken.“ Diese erscheint mir allerdings wesentlich angebrachter, auch, weil sie auf den vorhergehenden Satz inhaltlich reagiert. Hier wird ein Zustand bestätigt und als endgültig beschrieben. Zugleich wird damit eine Folge von Ereignissen abgeschlossen und die Geschichte für eine neue Folge von Handlungen/Ereignissen; „bereitgemacht“. Eine Empfehlung lautet also:
Passivkonstruktionen sind am Ende einer Handlungsabfolge gut, um diese abzuschließen und den entsprechenden Zustand für den Leser noch einmal deutlich zu machen; in laufenden Ereignissen sollte man sie weitestgehend vermeiden.

Sie merken also: für mich ist das Wort Passivkonstruktion umfangreich besetzt. Ich habe damit zahlreiche Erfahrungen gesammelt und selbstverständlich kennen Sie meine Erfahrungen nicht. Vielleicht haben wir ähnliche Erfahrungen gesammelt. Doch das kann ich natürlich nicht voraussetzen. Insofern sind meine Kommentare für andere Menschen oft unverständlich, während ich selbst genau weiß, worum es sich handelt.

24.10.2012

Rechtsdrehende Linkshegelianer - 31 Fragen an Bücherleser:innen

Melusines Blogbeitrag ist wundervoll witzig und jenes Wortspiel, das ich oben im Titel zitiert habe, herrlich.

Melusine und ihre beiden Gastautoren schreiben über besondere Arten von Büchern in ihren Bücherregalen. Ich nehme das Stöckchen mal auf und beantworte diese auch (den vorigen Beitrag findet ihr hier).

22. Das Buch in deinem Regal, das die meisten Seiten hat
Hier gibt es mehrere Antworten (weil ich auch Probleme mit der Auswahl habe). Ich fange erstmal mit einem Roman an.
  • Rabelais, Francois: Gargantua und Pantagruel. 1516 Seiten. — Gehört zu der Schelmendichtung der späten Renaissance und ist neben dem Don Quichotte wohl einer der bekanntesten Romane aus dieser Zeit. Voller seltsamer Beschreibungen und teilweise sehr säuischen Zoten dürfte dieser Roman nichts für feinfühlige Menschen sein. Aber großartig. Und man darf ihn immer noch als Weltliteratur bezeichnen (auch wenn ihn niemand mehr kennt).
  • Joyce, James: Ulysses. 998 Seiten. — Ja, ich habe ihn gelesen. Ja, ich liebe ihn. Viele Menschen halten ihn für zu schwer. Ich finde, dass es ein wundervoll humoriger Roman ist, von großer poetischer Ausdruckskraft.
  • Wunderlich, Werner/Müller, Ulrich (Herausgeber): Burgen Länder Orte. 1023 Seiten. — Ein Sammelband mit wissenschaftlichen Artikeln über mystische Orte des Mittelalters, angefangen bei Aachen und endend mit Wüste. Dazwischen findet man zum Beispiel Atlantis, Babylon, Canossa, die Gralsburg, Indien, das Labyrinth, die Marienburg und Mekka, das Schlaraffenland und die Seidenstraße. Die Artikel sind vorwiegend sehr sehr gut geschrieben und dürften gerade für Autoren einer historisch angehauchten Fantasy sehr interessant sein.
  • Serres, Michel/Farouki, Nayla (Herausgeber): Thesaurus der exakten Wissenschaften. 1176 Seiten. — Für mich immer noch eines der Nachschlagewerke, wenn es um wichtige Begriffe der Naturwissenschaft geht. Es beginnt mit Abbildung und endet mit Zytoplasma. Dazwischen findet man solche Sachen erklärt wie zum Beispiel Erdaufbau, Gentechnik, Impuls, Kooperativität, Parallelverarbeitung oder Symmetrie. Ich bin begeistert.

23. Das Buch in deinem Regal, das die wenigsten Seiten hat
Wie Melusine lasse ich hier mal Broschüren weg. Das ist übrigens gar keine so einfache Sache, da ich doch eine ganze Menge an Reclam-Einzelausgaben besitze. Ich fange allerdings mal mit einem Buch an, das mir tatsächlich als eines der kürzesten in die Hände fiel.
  • Deleuze, Gilles: Lust und Begehren. 47 Seiten. — Hübsche Randbemerkungen zur Philosophie Foucaults und vor allem zum Verhältnis von Staat und Macht. Wie immer schreibt Deleuze sehr brillant, aber auch in seiner sehr eigenen Sprache der Denkereignisse. Der zentrale Aufsatz wird von einer weiteren Randnotiz zu Raymond Roussel (einem eher unbekannten Buch von Foucault) ergänzt.
  • Foucault, Michel: Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte. 60 Seiten. — Diese alte Ausgabe soll angeblich zwei Vorlesungen aus dem Jahre 1976 enthalten. Diese müssten in den Vorlesungen, die mittlerweile vom Suhrkamp-Verlag herausgegeben worden sind (in diesem Fall: In Verteidigung der Gesellschaft), wiederzufinden sein. Es gibt starke Überschneidungen, aber doch einen deutlich anderen Text. Vermutlich ist der Text der Suhrkamp-Ausgabe authentisch. Trotzdem ist dieses kleine Büchlein sehr faszinierend: es behandelt das Verhältnis zwischen Krieg und Wahrheit als zwei Ideen und vor allem die Idee des Rassenkampfes.
  • Sloterdijk, Peter: Derrida ein Ägypter. Über das Problem der jüdischen Pyramide. 73 Seiten. — Gleichsam als Nachruf auf den Tod Derridas verfasst Sloterdijk sieben, wie er das nennt, Dekontextuierungen. Diese sind, wie man das von Sloterdijk gewohnt ist, hintersinnig, ironisch, brillant geschrieben und belesen. Irgendwie kann ich Sloterdijk zwar auch wiederum nicht leiden; ich könnte aber gar nicht erklären warum. Und dieses kleine Büchlein liebe ich, weil es intelligent und zugleich verspielt ist.
  • Fuchs, Peter: Das System »Terror«. Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne. 98 Seiten. — Eines darf ich noch. Weil es ein allzu kluges, geradezu visionäres Buch ist. Es behandelt den Terror als Kommunikation, wie die Systemtheorie typischerweise alle gesellschaftlichen Vorgänge als Kommunikation auffasst. Das Buch beginnt mit einer Art Skandal: es fragt nicht danach, ob Terror gut oder schlecht sei, sondern welche Funktion der Terror für die Weltgesellschaft habe und gibt dazu einige sehr erstaunliche, ebenso provokative Antworten, sowohl was das politische System angeht, als auch die Massenmedien oder die Verbindung des Terrors mit der Religion. Nicht einfach, aber trotzdem unbedingt lesenswert!
Wenn jemand nun wissen will, ob ich nicht auch Kurzerzählungen läse. Habe ich natürlich auch. Die stehen dann allerdings in dicken Bücher, als Sammlungen oder Werkausgaben.

24. Das Buch, von dem niemand gedacht hätte, dass du es liest
Das allerdings dürfte schwierig sein. Weil selbst Freunde Probleme damit haben, die Vielfalt meiner Lektüre nachzuvollziehen. Ich habe sozusagen horizonthaft sowieso schon immer alles gelesen und das aus allen möglichen Bereichen. Was natürlich gar nicht wahr ist.
  • Die Bibel. — Das mag den einen oder anderen Leser jetzt wirklich überraschen. Ich finde, dass die Bibel ein großartiges Buch ist. Und für mich, als Literaturwissenschaftler, ist sie natürlich auch deshalb ein wichtiges Werk, weil sie für viele Geschichten die Hintergründe liefert. Letztes Jahr im Herbst (ziemlich genau vor zwölf Monaten) habe ich sie tatsächlich durchkommentiert. Und muss befremdlicherweise feststellen, dass sie wohl mit keinem Wort in meinem Blog aufgetaucht ist. Eigentlich sogar überhaupt nicht nachvollziehbar.
  • Das nächste Buch allerdings wird euch wahrscheinlich ebenfalls überraschen: Diether de la Motte, Harmonielehre. Das ist ein hübsches, auch für den Laien gut geschriebenes Buch über die jeweils historische Harmoniesprache bis hin zu den modernen Klassikern, sprich Zwölftonmusik, serielle Komposition und Aleatorik. Ich besitze es seit fast 30 Jahren. Auch über Musik, obwohl ich sie leidenschaftliche liebe, schreibe ich wenig. Es wäre mal wieder an der Zeit. Gerade habe ich mir zwei weitere Werke von Adorno zugelegt, die ersten beiden Bände seiner musikalischen Schriften.
  • Schließlich gibt es noch die Java-Bücher in meinem Bücherschrank. Ja, ich kann Java programmieren. Nein, professionell ist das nicht. Ich erfreue mich nur eines gewissen erfolgreichen Dilettantismus. Ich habe zwei Programme geschrieben, die tatsächlich funktionieren. Und wenn ich damit hätte angeben wollen, hätte ich einfach die 10.000 Programme nicht erwähnt, die nicht funktionieren oder sogar meinen Computer zum Absturz gebracht haben (auch das habe ich bereits geschafft).

Actionreiche Szenen gestalten

Heute schaffe ich es mal wohl wieder, so viel Text zu schreiben, dass andere Menschen blass werden. Allerdings handelt es sich „nur“ um Kommentare. Viele dieser Kommentare sind reine Beobachtungen. Manchmal ballen sich dieser allerdings auch in ein Stück längeren Textes.
Der folgende Text besteht aus zwei Kommentaren, die allerdings eng miteinander zusammenhängen. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, wie man eine völlig missglückte Stelle aus Cusslers ›Eisberg‹ dramatischer gestalteten könnte und ich glaube, dass mir eine recht brauchbare Alternative dazu eingefallen ist. Wichtiger allerdings sind die Maximen, die ich daraus erstellt habe. 

(1)
Allerdings schafft es Cussler auch immer wieder, komplett idiotische Abfolgen zu schreiben. 
„Noch zweimal wiederholten sie das Manöver, und noch zweimal warf Pitt seine verbeulten Kanister, die Feuer und Verwüstung spien, hinüber. Dann war seine behelfsmäßige Artillerie aufgebraucht. 
Nach kurzem erhielt die Grimsi einen fürchterlichen Schlag. Eine gewaltige Druckwelle fegte alles, was nicht niet- und nagelfest war, über Bord.“ (149) 
Hier stimmt die Logik beim Übergang der Absätze überhaupt nicht. Erstens muss irgendetwas dazwischen passieren. Zweitens dürfte das Tragflächenboot, was hier donnernd explodiert, vorher explodieren und dies müsste auch vorher sichtbar sein. So kommt der „fürchterliche Schlag“ sehr überraschend, vor allem aber erstmal komplett unmotiviert. Natürlich gibt es solche Ereignisse, die „plötzlich“ eintreten. Aber damit sollten Schriftsteller sehr vorsichtig umgehen. Tauchen sie zu häufig in Geschichten auf, zerreißen sie den logischen Zusammenhang. Und an dieser Stelle wäre es schon gar nicht nötig gewesen. 
Ein zweites Problem ist, dass der folgende Satz ein Ereignis in die vollendete Vergangenheit schiebt, das sich gut zur Dramatisierung hätte nutzen lassen: „Das Tragflächenboot war donnernd explodiert und stand vom Bug bis zum Heck in lodernden Flammen.“ (149) 

(2)
Wie also hätte Cussler das besser machen können? 
„Dann war seine behelfsmäßige Artillerie aufgebraucht. Pitt hoffte, dass das reichte. Glücklicherweise hatte jeder Wurf gut getroffen. 
Unterdessen hatte Sandecker den Motor gedrosselt. Auch er schien darauf zu warten, was passierte.
Einige Sekunden lang starrte Pitt angestrengt in den Nebel und versuchte, die Vorgänge auf dem Schiff nachzuvollziehen. Er hörte Rufe und er konnte Schemen ausmachen, die sich hastig bewegten. Offensichtlich löschte die Mannschaft mit großer Hektik die Feuer. Und es sah so aus, als gelänge ihr das auch. Der Lichtschein wurde schwächer und schwächer. 
Dann flackerte ein riesiger Feuerball auf, der einer Sonne im morgendlichen Dunst glich. Im nächsten Moment erschütterte eine Druckwelle die Grimsi. Sie fegte alles, was nicht niet- und nagelfest war, über Bord. Pitt ließ sich rechtzeitig fallen. Trotzdem riss ihn die Luft mit und er rutschte unsanft über das Deck, bis er gegen die Bugwand prallte. Er stieß sich Schulter und Kopf an und war sich fast sicher, dass er an beiden Stellen die nächsten Tage ordentliche blaue Flecken bekommen würde. Doch gleichzeitig grinste er auch. Sie hatten mit ihrem riskanten Angriff erreicht, was sie kaum hoffen konnten: das Tragflächenboot war explodiert.“ 
Was habe ich gemacht? 
(1) Zunächst einmal habe ich die Ereignisse geordnet. Sie passieren in einer Reihenfolge hintereinander, wie dies für eine dramatische Erzählung wichtig ist. Cussler erzählt nämlich irgendetwas, um dann wichtige Geschehnisse nachträglich einzufügen. Ein weiteres Beispiel: „… ehe Pitt, den es auch umgerissen hatte, …“ (149). Diese Passage habe ich dort eingefügt, wo sie tatsächlich zeitlich passiert. Und ich glaube sagen zu dürfen, dass die Stelle wesentlich an „Fahrt“ aufgenommen hat, auch wenn sie länger ist. In der Erzählforschung nennt man solche Rückblenden Analepsen (siehe Genette: Die Erzählung; Bode: Der Roman). Sie taugen allerdings für actionreiche Szenen überhaupt nicht (meiner Ansicht nach). Deshalb die Maxime: in actionreichen Szenen strikt die zeitliche Reihenfolge einhalten
(2) Dann habe ich Pitt dorthin gestellt, wo er als Protagonist hingehört: als Zentrum des Erlebens. Denn der zweite Fehler, den Cussler hier begeht, ist, dass er die Ereignisse so schildert, als passierten sie objektiv. Das tun sie natürlich irgendwie auch. Aber das wesentliche Moment einer Geschichte ist doch, dass sie jemandem zustoßen, also dem Protagonisten zum Beispiel. Das hat zudem den Vorteil, dass der Leser sich besser mit dem Protagonisten identifizieren kann und zum anderen ist es wiederum ein Stück Charakterisierung des Protagonisten. Und diese Fähigkeit fehlt Cussler ebenfalls weitestgehend. Pitt erscheint blass und leer und die hineingeschmissenen, fast hysterischen Beschreibungen seines Innenlebens („sich zitternd auf seine Füße stellte und ungläubig auf das Tragflächenboot starrte“ (149)) machen die Sache ja auch nicht besser. Deshalb die Maxime: in actionreichen Szenen eine stark personalisierte Sicht verwenden
(3) Schließlich habe ich hier eine strikte Steigerung eingebaut. Zunächst kündige ich das Ereignis an und zwar völlig abstrakt („Pitt hoffte, dass das reichte.“: reichte wofür?; ebenso: „Auch er schien darauf zu warten, was passierte.“). Solche abstrakten Ankündigungen sind in handlungsorientierten Romanen recht häufig. Sie werden dann sofort sinnlich-konkret aufgefüllt, also durch eine genaue Schilderung. Die Steigerung nun besteht darin, dass von einer Hoffnung auf Erfolg über ein erwartetes Ereignis, das angestrengte Beobachten und schließlich der scheinbare Misserfolg (das Feuer wird gelöscht) das darauf folgende Ereignis vorbereitet wird. Das ist etwas ganz anderes, als was bei Cussler passiert. Bei dem hüpft das Geschehen wie der Kastenteufel aus dem Kasten. Und auch so etwas zerreißt die Geschichte. Maxime: das wesentliche Ereignis muss vorbereitet werden, möglichst mit einer Steigerung

siehe auch:

Und wozu liest man schlechte Bücher?

Warum ich mir solche schlechten Bücher antun würde? Gemeint ist ›Eisberg‹ von Cussler.

Nun, hier ist die Antwort ganz einfach: man lernt von Fehlern anderer Menschen/Autoren.
Anders gesagt: ich habe Mozart erst richtig verstanden, nachdem ich Salieri gehört habe. Es gibt eben Komponisten, die machen selbst mit dem Orchester und einer klassischen Kompositionsweise nur unappetitliche Geräusche.
Und so finde ich die Auseinandersetzung mit Cussler durchaus sehr wichtig. Ich denke nämlich ständig darüber nach, was ich anders machen würde. Meine Ambitionen, einen Thriller zu schreiben, sind zwar praktisch null; aber meine Fähigkeiten, die Schwachstellen eines Thrillers zu beurteilen, brauche ich als Textcoach ja auch. Nicht häufig, denn ich habe selten Thriller-Autoren als Kunden (ungefähr einen pro Jahr).
Abgesehen davon ist die Analyse von Argumentationen in Geschichten komplexer als die wissenschaftliche Argumentation. Wer also mit der narrativen Argumentation gut umgehen kann, braucht sich vor der Wissenschaft nicht zu fürchten.

Siehe auch: