24.11.2012

Alfa Romeo; ein literarisches Alphamännchen und die Ironie

Zur symbolischen Schreibweise wollte ich mich (noch) nur am Rande äußern. Seit Monaten habe ich die meisten Werke von Jurij Lotman in meinem Bücherschrank stehen und diese noch nicht gelesen. Lotman nun äußert sich sehr ausführlich über diese symbolische Schicht. Ich habe also ein schlechtes Gewissen. Trotzdem möchte ich ein ganz besonders schönes Beispiel dafür geben, wie die symbolische Schicht funktioniert.

Das Beispiel stammt aus dem Homo faber. Walter Faber und seine Tochter (von der er allerdings nicht weiß, dass sie seine Tochter ist) übernachten in Rom in einem Hotel, nachdem sie in einer Pizzeria gegessen haben. In diesem Hotel werden sie von dem „blechernen Dröhnen“ eines Alfa Romeos belästigt: „…, es schien wirklich der gleiche Alfa Romeo zu sein, der uns die ganze Nacht lang umkreiste.“ (Seite 123)
Nun ist weder Romeo noch Alfa ein unschuldiger Name und ihre Zusammenstellung schon gar nicht. Romeo ist so etwas wie der Prototyp des tragischen Liebhabers; das Alfa verweist auf das Alphamännchen, auf das erste Männchen im Rudel. Nun ist es ironischerweise ein Stück Technik, das hier um Faber herumfährt, aber eines, das mythisch aufgeladen ist. Es zeigt, das die Technik nicht rein, nicht objektiv erscheinen kann, dass die Sprache hier sofort an dieser Objektivität mitgestaltet und aus ihr ein mythisches Moment erschafft. Dieses mythische Moment wird über Symbole hergestellt. Das Symbol dürfen wir hier ganz im Sinne seines griechischen Ursprungs verstehen: zusammenschmeißen (sym ballein).
Zusammengeschmissen wird hier die Technik (das Auto), die literarische Figur (Romeo), die Verhaltensbiologie (das Alphamännchen). Und schließlich gibt es eine Art räumlich-symbolische Bedeutung. Der Alfa Romeo umkreist Faber, was diesen sowohl in das Zentrum der Aktivität setzt (die Technik ist eine Art Satellit), als auch bedroht erscheinen lässt: der Räuber, der auf seine Beute lauert, der diese umkreist und sie nach und nach einkesselt.

Neben diesen Bezügen zu offiziellen Disziplinen gibt es aber auch noch einige Bezüge innerhalb des Romanes, die ständig wieder aufgegriffen werden. So ist das technische Geräusch ein wiederkehrendes Motiv. Ebenso gibt es mehrmals Beschreibungen von technischen Vorgängen, die bei voller Kraft trotzdem nutzlos sind. An dieser Stelle steht „Vollgas im Leerlauf“ (es handelt sich wohl um junge Halbstarke, die mit ihren Maschinen Krach machen). Gleich auf der ersten Seite (Seite 7) steht: „… so dass ich nicht sogleich schlief, … sondern einzig und allein diese Vibration in der stehenden Maschine mit laufenden Motoren …“. Diese Anspielung auf die Katatonie taucht noch mehrmals im Roman auf. Außerdem gibt es zum Beispiel eine Passage, in der Sabeth und Walter die Geburt der Venus betrachten. Die Venus ist so etwas wie das Alphaweibchen, vor allem in seiner berühmten Version von Botticelli.
Hier noch einmal eine grafische Zusammenfassung:
Ihr seht, dass die Analyse von Symbolen rasch sehr kompliziert werden kann. Sie bildet eine Struktur jenseits und hinter der Geschichte und wenn diese gut eingesetzt wird, wie bei Max Frisch, mehr als nur ein intellektuelles Begleitwerk.
Frisch allerdings setzt die symbolischen Bezüge auch wieder so vielfältig und hintersinnig ein, dass sie extrem ironisch wirken. Es ist gar nicht so einfach, hier überhaupt feste Aussagen über die Poetizität des Textes zu treffen. Weshalb ich mich wundere, dass dieses Werk zum schulischen Kanon gehört. Es ist ja für die meisten Erwachsenen zu kompliziert, jedenfalls, was die Analyse angeht.

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