30.04.2013

Schädliche Erzähler

Die schädlichsten Geschichtschreiber für einen jungen Mann sind diejenigen, welche stets ihr eigenes Urteil hinzufügen. Tatsachen, nichts als Tatsachen! Das Urteil bleibe dem Leser selbst überlassen; dadurch eignet er sich Menschenkenntnis an. Lässt er sich unaufhörlich durch das Urteil des Verfassers leiten, so sieht er nur durch das Auge eines anderen, und wenn ihm dies Auge fehlt, so sieht er gar nichts mehr.
Rousseau, irgendwo im Emile
Das ist wohl die frühe Version von Show, don't tell! - Es gibt eine solche Passage auch in Lessings Hamburger Dramaturgie.
Ich hatte vor einigen Tagen eine Rezension zu einem Buch namens Das Kellerzimmer geschrieben, das derzeit auf Platz 19 der Kindle-Bestseller-Liste steht. Dort habe ich die psychologischen Ansichten, die Menschen heute verbreiten, mal wieder angegriffen. Heute will jeder psychologisch sein und dabei entsteht dann meist nur Murx. Ich erinnere mich daran, dass ich Thomas Harris' Roter Drache an der Stelle aus der Hand legen musste, als er erklärte, warum sein Serienkiller so geworden ist, wie er geworden ist: selbstverständlich war es die Mutter, und das erklärt Harris mit einer psychopathologischen Theorie, die aus dem tiefsten Mittelalter stammen könnte. Ich habe den Autor nie wieder angefasst. Nicht ganz so schlimm ist meine Reaktion bei Fitzek gewesen: vom Stilistischen ist Fitzek wesentlich schlechter, aber ich lese ihn noch, wenn auch unter höchsten geistigen Qualen. Die fachlichen Entgleisungen, die er sich in Die Therapie erlaubt, sind schon schlimm.

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