30.06.2013

Zwei sinnvolle Funde im Internet: Snowden und Ununi

Der Donaukurier hat sich in einem offenen Brief auf seiner Titelseite an die Politiker gewandt und gegen die Internet-Überwachung protestiert: Prism, Tempora und Co.: Es geht um unsere Freiheit.

Über Twitter habe ich von ununi.tv erfahren. Dies soll eine Art offene Uni für alle interessierten Menschen werden. Gelernt wird über Hangouts, bzw. darüber, dass andere Menschen dann diese Hangouts ansehen können.

29.06.2013

Thriller schreiben: Szene und Spannung I

In den letzten Tagen hatte ich wieder mehr mit fiktionalen Texten zu tun. Über meinen Ärger mit einem Hobby-Autoren habe ich bereits berichtet. Konventionelle Literatur steht und fällt mit den Szenen und wie diese in der Geschichte genutzt werden. Vor allem aber sind gut ausgebaute Szenen für jegliche Spannungsliteratur wichtig, also zum Beispiel für Thriller.
Eine frühere, aber nicht veraltete Darstellung habe ich in meinem Artikel Szenisches Schreiben gegeben. Dies möchte ich gleich noch einmal auf James Patterson anwenden, der seine kurzen Kapitel oft mit den Szenen gleichsetzt. Zunächst aber noch ein weiterer aktueller Anlass, warum ich das Thema aufgreife.

Kay Noa und der Spannungsbogen

Kay Noa ist wohl ein Pseudonym. Die Autorin hat zwei Bücher veröffentlicht. Vom ersten habe ich die Leseprobe genutzt, fand den Stil etwas pathetisch, aber handwerklich ganz in Ordnung. Normalerweise lese ich gerne Bücher zu Ende, auch weil mich der Plot interessiert. In diesem Fall hat mir einfach die Zeit gefehlt und so bin ich bei der Leseprobe stehen geblieben.
Die Autorin betreibt auch einen Blog. Dort hat sie heute Morgen eine kurze Betrachtung über die Spannung in Romanen geschrieben. Sie ist nicht besonders klar. Das liegt allerdings auch daran, dass dieser Begriff der Spannung ein eher unklarer Begriff ist. Man kann zumindest sagen, dass man sehr umfassend argumentieren müsste, wollte man jedermanns und jederfraus Spannung unter einen Hut bringen. Anders gesagt: meine Kritik an Noa ist keine Kritik, da mir auch nichts wesentlich besseres einfällt.
Nun gut, vielleicht bin ich klarer. Noa deutet zwei wichtige Aspekte des Spannungsaufbaus an: einmal die aufgeschobene Lösung (und damit natürlich den Konflikt und die Aufteilung des Konfliktes in Teilkonflikte), zum anderen die Identifikation mit einer oder mehreren Figuren.
Was hat das mit Szenen zu tun? Darum soll es jetzt gehen.

Die Literaturwissenschaft und der konventionelle Autor

Schon öfter habe ich angemerkt, dass sich die Literaturwissenschaft (und in diesem Falle auch die Pädagogik) zwar um bestimmte Formen der Textproduktion kümmert, aber nicht um eine wissenschaftliche Darstellung von der Spannungsliteratur, bzw. Abenteuerliteratur im allgemeinen. Will man sich hier informieren, ist man auf Schreibratgeber angewiesen, die zwar häufig ganz nützliche Hinweise bieten, aber wenig systematisch sind. Ein typisches Beispiel ist der Ratschlag, möglichst viele Konflikte in seine Geschichte einzubauen. Das allerdings ist bei Spannungsromanen eine Selbstverständlichkeit. Interessanter ist doch, wie man diesen Konflikt gestaltet, damit er spannend wird.
In der folgenden Geschichte, die von einem Schüler aus der zweiten Klasse einer Grundschule stammt, ist ein Konflikt vorhanden. Spannend ist sie allerdings nicht, da der Konflikt sofort aufgelöst wird: "Ein Schüler war ein Monster. Er mochte seine Lehrerin nicht. Also fraß er sie auf."
Der Schüler hat begriffen, dass eine Geschichte einen Konflikt und eine Lösung haben kann. Um daraus allerdings eine spannende Geschichte zu gestalten, hätte er Zwischenstationen einbauen müssen. Die Aufteilung in solche Zwischenschritte geht immer mit der Aufteilung des Konfliktes einher. Die Möglichkeit aber, wie man diese Konflikte aufteilt, wie man sie sozusagen dramatisiert, scheint die Literaturwissenschaft nur exemplarisch und indirekt zu untersuchen. Am ehesten findet man dies noch in der Dramatik und aus diesem Bereich hole ich auch den Begriff der Szene.

Szenen

Was ist eine Szene?

Vielleicht kennt der eine oder andere Leser die formale Forderung von Aristoteles an eine Tragödie, dass Zeit, Ort und Handlung (gemeint ist hier die Geschichte, bzw. der Plot) je einheitlich genutzt werden müssen. Demnach sind zeitliche Sprünge genauso wenig erwünscht wie Ortswechsel. Natürlich taugt eine solche Forderung für den Roman überhaupt nicht. Der Roman lebt gerade davon, dass er eine große Flexibilität einführt bis hin zu der Möglichkeit, nicht mehr chronologisch erzählen zu müssen.
Man kann aber sehr gut diese Definition für eine Szene nutzen. Die Szene findet also an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit und mit dem Fokus auf einer bestimmten Handlung statt. Die Aufteilung der Geschichte in Szenen bedeutet, dass jeweils Ort, Zeit und Handlung vom Autoren bestimmt werden.

Trotzdem: Probleme

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Es gibt zwar nicht viele, aber teilweise doch recht wichtige Ausnahmen. Eine solche ist zum Beispiel die Zusammenfassung: "Er pflügte den Acker, säte aus, wässerte und erntete, überdauerte den Winter und pflügte erneut. So gingen sieben Jahre ins Land."
Solche und ähnliche Szenen lassen sich gerade nicht mit meiner Definition fassen. In Spannungsromanen sind sie allerdings selten.
Häufiger finden wir den nahtlosen Übergang von einer Szene in eine andere. Wir können sie zwar bedingt trennen, aber wo die eine aufhört und die andere anfängt, lässt sich kaum bestimmen.

Spannung und Konflikt

Wenn man davon ausgeht, dass eine Erzählung auf (mindestens) zwei Ebenen eine Geschichte gestaltet, nämlich der diskursiven und der narrativen Ebene, müssen wir dies auch für die Szene beachten. Die diskursive Ebene umgrenzt die Kommunikation vom Autor zum Leser, die narrative dagegen bezeichnet alles, was in einer Erzählung "tatsächlich" passiert. Geht man weiter davon aus, dass die Spannung ein Phänomen bezeichnet, das der Leser empfindet, gehört diese zur diskursiven Ebene. Und da der Konflikt in einer Geschichte immer ein "tatsächlicher" Konflikt sein muss, gehört dieser zur narrativen Ebene.
Damit können wir zwar die Spannung nicht mit dem Konflikt gleichsetzen, aber zumindest einen engen Wechselbezug vermuten.

Die Funktion der Szene I

In Abenteuerromanen scheint es zwei große Funktionen von Szenen zu geben (wobei ich hier ausdrücklich humoristische Romane nicht beachte, obwohl diese auch spannend sein können oder ein Abenteuer schildern): Sie erzählen ein Stück der Handlung und/oder dienen der Charakterisierung von Personen. Beide Funktionen treten meist zugleich auf. Oft überwiegt allerdings eine der Funktionen, wobei die Personencharakterisierung wesentlich seltener auftritt.
Ein typisches Beispiel ist, wenn sich die Kommissarin in ihre Wohnung zurückzieht und mit ihrer Katze spricht. Eine solche Szene muss für die Gesamtgeschichte keinerlei Funktion haben, kann aber darauf hinweisen, dass die Figur von einem bestimmten Geschehen sehr betroffen ist.

Die Funktion der Szene II

Hat die Szene als zentrale Funktion eine Handlung, kann man diese weiter aufteilen (ich folge hier meiner eigenen Darstellung von 2008):
  • in einen Konflikt hineintreiben bis hin zur Konfrontation (Spannung erzeugen)
  • einem Konflikt ausweichen (Spannung erzeugen durch Aufschub einer Lösung)
  • einen Umweg gehen (eine Lösung aufschieben, ein neues Element einführen)
  • ein Rätsel ausstreuen (ein Problem verankern)
  • einen Informationsaustausch schildern (ein Problem verstärken oder eine Lösung vorbereiten)
  • die Geschichte & die Person in ihrer Umwelt verankern (die Erzählung gewöhnlich, plausibel, nachvollziehbar machen)
  • eine Vorgeschichte schildern (Identifikation ermöglichen)
Nehmen wir zum Beispiel die vierte Funktion, die ich hier aufgelistet habe: ein Rätsel ausstreuen (ein Problem verankern). Ein Rätsel ist ebenfalls eine Art Konflikt, wobei die Handlungsebene oftmals sehr zurückgenommen wird und stark auf der Seite der Information stattfindet. Der Tatort ist dafür sehr typisch. Das Rätsel lautet: was ist hier passiert?
Geschichten mit Spukhäuser streuen auch ein Rätsel aus, etwa: warum habe ich das Gefühl, dass dieses Haus mich ansieht? In solchen Szenen wird aber nicht nur ein Rätsel für den Protagonisten formuliert, sondern dem Leser auch ein Problem deutlich gemacht. Das muss übrigens nicht dasselbe sein, zumindest nicht hinterher. Stephen King hat in seinem Buch Brennen muss Salem ein solches Spukhaus; das eigentliche Problem oder der eigentliche Horror sind aber die Vampire. Das jedoch wird erst später deutlich. Allerdings ist nicht wichtig, dass der Leser frühzeitig das eigentliche Problem erkennt. Wichtiger ist, dass er weiß, dass ein Problem existiert.

Die Struktur von Szenen

Szenen treten recht unterschiedlich auf. Trotzdem gibt es sowas wie eine zentrale Szenenstruktur für Spannungsromane. Diese tritt am häufigsten auf, nicht immer in der reinen Form, und auch nicht vollständig regelmäßig. Über den Daumen gepeilt schätze ich, dass 60-70% aller Szenen so aufgebaut sind. Auch hier folge ich meiner Darstellung von 2008.
Zunächst einmal kann man die Beschreibung als ein grundlegendes Element der Szene ansehen. Beschreibung sei hier im weitesten Sinne des Wortes benutzt, sowohl für die Darstellung einer Handlung, einer Landschaft oder eines Zimmers oder eines Dialogs, usw.
Rein formal gesehen haben Beschreibungen zwei Funktionen. Zum einen erschaffen sie die Welt, während sie sie beschreiben; zum anderen bilden sie das Fundament für Personen und Handlungen.
Beschreibungen haben keinen besonderen Platz in der Szene. Sie laufen währenddessen mit.
Anker und Haken, zwei Bezeichnungen, die von mir stammen, begrenzen die Szene vorne und hinten. Der Höhepunkt einer Szene fällt häufig mit der Funktion einer Szene zusammen. Das werde ich gleich noch genauer erläutern.

Der Anker

In der typischen Szenenstruktur, die ich hier vorstelle, besteht dieser Anker entweder aus einer Orientierung von Raum und Zeit oder aus einer Ankündigung mit anschließender Orientierung. Bei Patterson findet man diese Eröffnung eigentlich immer. Ich zitiere zwei Stellen aus seinem Krimi/Thriller Der erste Mord (München 2002):
Ich vermag mich beim besten Willen nicht zu erinnern, wie ich von Dr. Orenthalers Praxis draußen im Noe Valley bis zum Hyatt am Union Square kam. (21)
Als ich an diesem Abend nach Hause kam, beherzigte ich Jacobis gut gemeinten Rat. (38)
Ich habe hier extra zwei äußerst kurze Orientierungen gewählt, um zu zeigen, dass diese Eingangssequenz einer Szene ganz knapp sein kann. Beidesmal handelt es sich nicht um einen vollständigen Satz, sondern einmal um einen Satzteil und das andere Mal um einen Nebensatz.

Andererseits kann diese Orientierung auch umfangreicher werden:
Ich arbeite in der Hall of Justice, dem Justizpalast. Wir nannten den grauen, zehn Stockwerke hohen Granitbau einfach die Halle. Er stand nur ein kleines Stück westlich der Schnellstraße an der Ecke von Sixth und Bryant. Wenn das Gebäude mit seinen ausgeblichenen, sterilen Korridoren nicht schon verdeutlichte, dass dem Polizeiwesen jeglicher Stil fehlte, so tat das auf alle Fälle die Nachbarschaft. Bruchbuden der Kautionshaie, Läden mit Autoersatzteilen, Parkplätze und schmierige Cafés. (35)
Hier wird übrigens deutlich, für wen solche Orientierungen geschrieben werden: für den Leser. Die Icherzählerin wird sich wohl kaum erklären müssen, wie ihr Arbeitsplatz aussieht.

Es gibt auch Szenen, in denen diese Orientierung vertuscht werden kann.
»Was hat sie damit gemeint?«, fragte Chessy Jenks ihren Mann verwirrt, nachdem die Polizisten das Haus verlassen hatten. (223)
Es dürfte klar sein, dass hier Ort und Zeit nicht verändert werden. Lediglich die anwesenden Personen führen zu einer anderen Konstellation. Trotzdem ist diese Orientierung auch hier vorhanden. Für die Zeit wird sie relational angedeutet (nachdem) und für den Raum schlicht, dass er immer noch derselbe ist (das Haus).

Die Ankündigung ist ein möglicher Zusatz, der meist vor der Orientierung steht und einen Konflikt ankündigt. Kafka beginnt mit einer solchen Ankündigung seinen Roman Der Prozess:
Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.
Erst danach beschreibt Kafka, wo sich sein Protagonist gerade befindet.
In Harry Potter und die Kammer des Schreckens findet man folgende zwei Ankündigungen:
Im Ligusterweg Nummer 4 war mal wieder bereits beim Frühstück Streit ausgebrochen. (5)
Dieser schlichte Satz hatte eine gewaltige Wirkung auf den Rest der Familie: … (6)
Was dieser Streit und diese Wirkung konkret sind, wird erst im nachfolgenden Text deutlich.

Orientierungen und Ankündigungen sind typische Zeichen für eine neue Szene. Ich weise trotzdem noch einmal darauf hin, dass es hier genügend Ausnahmen gibt. Solltet ihr euch also bemüßigt fühlen, einen Roman nach Szenen einzuteilen, verzweifelt bitte nicht daran, wenn ihr das Gefühl habt, dass eine neue Szene beginnt, ihr diese Elemente aber nicht finden könnt.

Der Haken

Am Ende eine Szene findet man oftmals einen "Haken". Ich habe dieses Textmuster deshalb so genannt, weil er den Leser weiter in die Geschichte hineinzieht. Leider finden wir hier eine Menge mehr an Möglichkeiten (was natürlich in gewisser Weise auch ein Glück ist), als beim Anker.
Patterson zeigt hier zwei Vorlieben. Einmal schildert er eine Handlung, deren weiterer Verlauf für den Leser leicht ersichtlich ist. Zum anderen lässt er seine Icherzählerin eine besonders relevante Information erfahren oder es wird ein besonders emotionaler Moment unterstrichen.
Beispiele für den ersten Fall sind im Buch Der erste Mord:
»Was ist das Schlimmste, das jemals jemand getan hat?«, fragte sich Phillip Campbell wieder. Das Herz hämmerte in seiner Brust.
Dies hier? Hatte er es soeben vollbracht?
»Noch nicht«, antwortete ihm eine innere Stimme. »Noch nicht ganz.«
Langsam hob er das wunderschöne weiße Brautkleid hoch. (15)
Erst jetzt wurde dem Mörder klar, dass die warme Flut an seinen Beinen und Knien sein eigener Urin war.
Er feuerte das Magazin auf Becky und Michael DeGeorge leer. (89)
Die zweite Variante findet man zum Beispiel so:
Der Mörder nimmt nicht die Ohrringe, begriff ich.
Er nimmt die Eheringe. (64)
Ich sah den entsetzten Ausdruck auf Ms. Perkins' Gesicht. Sie schien etwas Grauenvolles zu sehen. »Da gibt es noch etwas, das Sie wissen sollten.«
»Was?«
»Ungefähr vor einem Monat haben wir bei der Inventur festgestellt, dass unser Ordner über die Bräute fehlt.« (136)
Eine weitere Variante nenne ich Abkühlung. Dabei wird ein Konflikt zwar nicht gelöst, dem Leser aber angedeutet, dass er für einen Moment aufgeschoben worden ist:
Ich blieb noch einige Minuten an meinem Schreibtisch sitzen und weinte.
Häufig findet man auch den erzwungenen oder notwendigen Szenenwechsel:
»Weshalb ich eigentlich anrufe: wir haben einen weiteren Mord. Ich erwarte dich in einer halben Stunde vor dem Pinewood View draußen an der Interstate 95.«
Dieser letzte Satz, mit dem zum Beispiel ein Telefonat enden könnte, "erzwingt" für die Geschichte eine neue Szene.

Der Höhepunkt

In Spannungsromanen gibt es so etwas wie eine ungeschriebene Regel. Der Höhepunkt einer Szene fällt gleichzeitig mit ihrem Haken zusammen. Die wichtigste Erkenntnis, die die Protagonistin aus einer Untersuchung gewinnt (also der Höhepunkt) ist zugleich der Abschluss der Szene. Oder die wichtigste Handlung, die der Serienmörder in dieser Szene ausführt, beendet diese auch. Patterson beherrscht das hervorragend. Ich hatte oben bereits Beispiele dafür gegeben.
Übrigens darf man den Höhepunkt einer Szene nicht allzu dramatisch sehen. Je nachdem, um welches Genre es sich handelt, können diese sogar sehr alltäglich daherkommen.
Mit einigem Stolz betrachtete Peter den glänzenden Wagen. Seine Mühe hatte sich gelohnt.
Natürlich weiß der Leser an dieser Stelle schon, dass Peter einen Ausflug mit Bettina vorbereitet hat. Dazu gehört eben auch, dass der Wagen tadellos aussieht. Dies ist dann gewissermaßen der Höhepunkt. Als Abschluss der Szene könnte folgendes stehen:
Das Polierleder entsorgte er in die Mülltonne. Es hatte seinen Zweck erfüllt. Dann räumte er das Glanzwachs in das Regal, schloss die Garagentür und kehrte ins Haus zurück.
Ob ein solcher Höhepunkt besonders dramatisch ist oder nicht, hängt von dem Konflikt ab, der gerade behandelt wird. Dabei solltet ihr aber auf jeden Fall bedenken, dass es gerade zu Beginn einer Geschichte viele Szenen gibt, die die Konflikte erst vorbereiten, um sie dann in einer anderen Szene deutlich werden zu lassen.
Nehmen wir in diesem Fall, also für mein Beispiel, an, dass der eigentliche Konflikt in dem Moment entsteht, als jemand das Auto stiehlt, es demoliert, oder - um ein besonders bizarres Beispiel zu nennen - von einem Dämon in Besitz genommen wird.

Spannungsaufbau und Abspann

Ich gestehe, dass ich zu diesen beiden Aspekten wenig sagen möchte. Der Abspann entfällt, wenn der Höhepunkt zugleich der Haken der Szene ist. Ebenso entfällt er, wenn eine Szene in eine andere Szene hinübergleitet.
Auch der Spannungsaufbau darf hier mit einer gewissen Lässigkeit betrachtet werden. Gerade bei kurzen Szenen sind es oft Einfälle (gemeint sind die Einfälle eines Protagonisten, nicht des Autors), die einer Geschichte bei ihrer Entwicklung dienlich sind. Die einzelne Szene jedoch muss dabei nicht wirklich spannend sein.
Um das allerdings darzustellen, müsste man sich viel Zeit nehmen. Vor allem müsste man den Spannungsaufbau in Szenen systematisieren, wozu ich bisher noch keine Lust hatte. Man müsste ihn mit der Spannung im gesamten Roman in Verbindung bringen. Das allerdings scheitert daran, dass es keine klare Definition der Spannung gibt (wie ich bereits am Anfang erwähnt habe).

Schluss

Für heute soll es genug sein. Ich hoffe, es ist einiges deutlich geworden. Drei Aspekte fehlen allerdings: zunächst sollte man die Struktur von Szenen auf einer doppelten Ebene betrachten, der narrativen und der diskursiven; dann müsste man die Abfolge der Szenen zumindest exemplarisch beschreiben; und schließlich spielen in konventionellen Spannungsromanen die Figuren und damit ihre Psychologie eine wichtige Rolle. Da Konflikte immer dann entstehen, wenn sich zwei Motive ausschließen, da Konflikte mit der Spannung eine enge Verbindung eingehen, brauchen wir hier eigentlich zur Klärung die Psychologie, zumindest eine Psychologie, die für den Autor handhabbar ist.
Letzter Punkt der Selbstkritik (wenn man dies überhaupt so nennen darf): man könnte hier natürlich zahlreiche Sachen üben. Die Übungen allerdings behalte ich mir für eine zukünftige Veröffentlichung vor, genauso wie eine für den Autor zurecht geschnittene Motivationspsychologie.

Popstar Precht

Kaum wendet man der Welt einmal den Rücken zu, hat sie sich schon wieder weiter gedreht. Irische Manager verärgern die Bundeskanzlerin, Russland und die USA sind sich über die Unterstützung des syrischen Regimes nicht einig. Hilfreich ist es aber auf jeden Fall, Waffen zu liefern. Hilfreich für die eigene Wirtschaft.
Vor einem halben Jahr bin ich angepöbelt worden. Warum? Weil irgendjemand auf Facebook geschrieben hat, er würde jetzt einmal philosophische Gedanken veröffentlichen. Zu diesen philosophischen Gedanken gehörten Sätze wie "Wenn du dir für heute vornimmst, dass dein Tag glücklich sein wird, wird er auch glücklich!" Natürlich musste ich ganz heftig widersprechen. Das ist ja noch nicht einmal mehr Stammtisch-Philosophie, sondern nur noch esoterischer Quark.
Irgendjemand meinte dann auch noch, Philosophie bestünde darin, selber zu denken. Als ob es denn anders ginge! Das Problem ist doch, dass unser Gehirn arbeitet und arbeitet und arbeitet und dabei auf die tollsten Ideen kommt. Doch genau das müssen wir immer wieder unterbrechen und neu fassen. Dazu haben wir ja die Umwelt. Und dazu pflückt man sich auch nicht irgendwelche aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate aus irgendwelchen Philosophiebüchern, sondern liest diese gründlich.
Klaus Baum hat auf seinem Blog Notizen aus der Unterwelt auf einen taz-Artikel hingewiesen, Titel: Popstar Precht. Ich weiß nicht, ob dieser Artikel satirisch, provokativ oder einfach nur doof ist. Hatten wir früher denn Adorno, Böll und Arendt? Oder ist der Autorin zum Beispiel Hannah Arendt nur deshalb eingefallen, weil es frisch einen biografischen Film über sie gibt? Oder Adorno, weil die Adorno-Preisverleihung an Judith Butler letztes Jahr ja schon ein halber Medienskandal war?
Was ist mit Hans Blumenberg? Bernard Waldenfels? Hans Jonas? Dürfen die auch, oder haben die jetzt die (philosophische) Arschkarte gezogen? Jürgen Habermas, Gadamer, Bloch, Marcuse.
Jedenfalls ist es ein Elend, wenn Menschen, die von Philosophie keine Ahnung haben, über Philosophie schreiben. Zum Schluss freut sich die taz auf die Meinung ihrer Leser. Darin unterscheiden wir uns dann wohl ganz gewaltig.

Im übrigen ist nichts gegen eine Vereinfachung und einen Überblick zu sagen. Zwei wichtige Werke, die ich immer wieder zur Hand nehme, sind Geschichte der Philosophie von Johannes Hirschberger, obwohl diese einen recht katholizistischen Ton verbreitet. Meine andere Einführung ist der Cours de la philosophie von Cuvillier.
Hirschberger, so muss man leider sagen, verbreitet spätestens nach seinem Hegel-Kapitel nur noch Murks. Was er über Nietzsche, Marx und Freud schreibt, ist keine Darstellung, sondern ein dümmliches Pamphlet. Aristoteles und Platon, Descartes und Kant dagegen werden recht sachlich und auch recht umfassend dargestellt. Als erstes Hineinschnuppern ist das ganz praktisch.
Der Cuvillier ist in Deutschland nicht bekannt. Er ist wohl die berühmteste Einführung in die Philosophie in der französischen Nachkriegszeit. Was mir an diesem Buch besonders gut gefällt, ist seine Aufteilung in einzelne Themengebiete, die dann weiter verfeinert aufbereitet werden. So heißt das achte Kapitel: die Wirklichkeit der sinnlichen Welt. Darin finden sich dann weitere Unterteilungen in den gewöhnlichen Realismus, den rationalistischen Idealismus oder den dialektischen Idealismus. Allerdings fokussiert sich Cuvillier vor allem auf die neuzeitliche Philosophie. Die Antike, die Patristik und Scholastik streift er allerhöchstens. Deutsche und amerikanische Philosophen nach Hegel sucht man hier auch vergeblich. Im Gegensatz zum Hirschberger allerdings gibt sich Cuvillier "unparteiisch" und sachlich.

28.06.2013

Snowden und Obst zum Basteln (man kann es ja mal versuchen)

Zitronen überwachen: auch ein Hobby.
"Die USA drohen ganz offen und ohne auch nur einen Anflug von Skrupeln dem südamerikanischen Land Ecuador mit drastischen wirtschaftlichen Sanktionen, sollte es Edward Snowden Asyl gewähren.
Landläufig nennt man sowas Erpressung.
Glaubt eigentlich irgendjemand, dass es den USA lediglich darum geht, den “bösen Verräter” vor Gericht zu stellen und zu bestrafen? Wer das glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten."
Zitiert aus Der Spiegelfechter. Das erste eingerückte Zitat stammt aus dem Artikel. Das restliche Zitat aus einem Kommentar, den ich allerdings mit ein bisschen Rechtschreibung versehen habe.

27.06.2013

Pornographie und Rechtschreibung

Eine liebe Kollegin hat einen Artikel über die Autobiografie eines Pornodarstellers geschrieben. Ich wusste gar nicht, dass sie solche Themen auch mal bedient. Normalerweise kenne ich von ihr mehr "seriöse" Sachen. Jedenfalls war ich dann auf der Internetseite dieses Pornodarstellers und musste feststellen, dass Rechtschreibung und Zeichensetzung ganz schön hart sein können:
Neu und für alle die einen anfahtsweg von mehr als 100 km haben zahlen auch nur 80 Euro.
Nachtrag: Gerade finde ich einen Eintrag aus dem Jahr 2009: Zeichensetzung und Pornographie.

24.06.2013

Kopflos, Zopflos und was vom literarischen Kanon zu halten ist

Kopflos ist ein "Thriller" eines jungen Autoren, eines gewissen Kutschers. Er hat sich gegenüber einem Rezensenten recht seltsam verhalten, was mich geärgert hat. Daraufhin habe ich mir das Buch zugelegt und konnte gleich auf den ersten beiden Seiten eine ganze Menge an stilistischen und narrativen Fehlern entdecken. Jedenfalls hat es gereicht, um dies in einer Rezension zu zerpflücken. Ich habe sogar auswählen müssen. Der Rest der Geschichte ist ähnlich verwirrend geschrieben. [Siehe auch meinen Nachtrag dazu und zur Parodie Zopflos am Ende des Artikels; wer einen wesentlich besser geschriebenen Thriller lesen möchte, dem sei das Buch Der Prediger von Nathalie Schauer empfohlen: es ist zwar auch "nur" ein Unterhaltungsroman, aber eben einer, der gut geschrieben ist. Gut heißt: man kann in der Geschichte bleiben. Während man in manch anderen Büchern von Kindle-Autoren alleine durch die Rechtschreibung oder den Stil ständig daran erinnert wird, dass man liest, nicht, dass man "eine Wirklichkeit erlebt".]
Ich habe daraufhin eine Mail vom Autoren bekommen, in der er "androht", mein Werk auch zu "rezinsieren". In einer weiteren Mail hat Kutscher dann behauptet, dass, wer über Einhörner schreibt, keine Ahnung von Thrillern habe. Das allerdings ist eine recht kühne Behauptung. Sowohl Fantasy als auch Thriller bedienen nämlich weitestgehend eine sehr ähnliche Struktur. Die Unterschiede sind eher oberflächlich. Das wird zwar meistens vom Leser nicht gelesen (und muss es ja auch nicht), aber für Literaturwissenschaftler ist das schon wichtig und wer Spannungsgeschichten schreibt, tut jedenfalls ganz gut daran, sich an diese Struktur zu halten. Es gibt natürlich Ausnahmen und hervorragende Ausnahmen, zum Beispiel Der Buick von Stephen King. Dieser Roman ist eher eine Enttäuschungsgeschichte, weshalb er bei den Lesern auch nicht besonders gut angekommen ist.
Hitchens, den ich als Diskussionspartner sehr schätze, hat in einem Kommentar zu meiner Rezension die fehlende Kenntnis von klassischer Literatur eingeklagt. Ich stimme mit ihm zum Teil darin überein. Mir wäre es auch lieber, ich könnte mich über die Bücher, die ich faszinierend finde, mit möglichst vielen Menschen unterhalten. Andererseits ist natürlich die Aufgabe des Buchmarktes oder der Leser nicht, meine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich muss also damit rechnen, dass andere Menschen andere Bücher lieber mögen. Meine ganze Antwort an Hitchens zitiere ich noch einmal hier, da sie verdeutlicht, wo für mich tatsächlich komplett schlechte Literatur anfängt.
Wobei ich von einem solchen Kanon [gemeint ist der literarische Kanon der Klassiker] wenig halte. Die Konflikte, die Goethe in seinen Werken schildert, sind eindeutig nicht die Konflikte der meisten Menschen von heute. Ich empfinde auch manche Schullektüren als zu schwierig, als dass man sie den Schülern anbieten könnte. Agnes von Peter Stamm, ein wunderschöner Liebesroman, ist sehr schwierig zu interpretieren, gerade weil er zu schlicht schreibt, gerade weil er die tiefere Bedeutung nicht durch Symbole, sondern durch die Aneinanderreihung von Szenen vermittelt.
Andererseits empfehle ich meinen Kunden, möglichst viel und möglichst unterschiedlich zu lesen, und natürlich auch den Kanon an Klassikern zu beachten. Nur seien wir ehrlich: wer hat schon mal etwas von Gerhart Hauptmann gelesen, immerhin ein Literaturnobelpreisträger? Und wie viele Werke von Goethe kennt der gute Bildungsbürger eigentlich? Ein paar Gedichte, drei, vier Theaterstücke? Und was davon hat er eigentlich gelesen?
Im übrigen halte ich von der Goethe-Rezeption des 19. Jahrhunderts meist gar nichts. Die läuft allzu häufig auf eine Tautologie hinaus: Goethe ist wichtig, weil Goethe wichtig ist.

Natürlich haben Sie recht: Sprachgefühl, Logik und die dazugehörigen Teilgebiete wie Begriffsbildung und Urteilsvermögen, Schlussfolgerungen oder sei es nur eine präzise Wahrnehmung werden wenig gepflegt, wenig überdacht. Andererseits müsste man dann allerdings schon von den ersten Philosophen so etwas wie eine endgültige Wahrheit fordern können. Doch die Logik hat sich über die Laufe der Jahrhunderte extrem verändert, was nicht nur an gesellschaftlichen Änderungen liegt, sondern eben auch, dass mithilfe der Logik die Logik kritisiert wurde. Derzeit ist wohl das größte Problem, dass die Massenmedien eine mediale Logik anbieten, die zur klassischen Logik überhaupt nicht passt. Die Folge ist, dass die meisten Menschen nicht mehr den großen Denkern folgen, sondern den rhetorischen Verdrehungen aktueller Medien. Das allerdings kann man nicht den Menschen anlasten, sondern vor allen Dingen auch den Journalisten. Mindestens die großen Tageszeitungen, aber auch die öffentlichen Sender hätten hier die Pflicht, auf solche Kompetenzen zu achten. Und notfalls eben auf viele Zuschauer zu verzichten.

Nein, ich denke, in meiner Rezension geht es einfach um ganz grundlegende Sachen, eher um eine Unfähigkeit, den Alltag zu erzählen und noch lange nicht um die Fähigkeit, eine bedeutsame Geschichte zu schreiben. Und das macht mir wirklich Angst: wenn die Menschen nicht mehr in der Lage sind, Tatsachen zumindest so zu ordnen, dass sie in der richtigen Reihenfolge erscheinen, wie sie aufgetreten sind. Oder auftreten sollten, wie man dies für fiktive Prosa in Anspruch nehmen darf.
Und da finde ich Kutscher noch nicht einmal besonders relevant. Wenn ich dies aber in einer Beurteilung eines Schülers entdecke, in den Behauptungen, die jemand über einen anderen Menschen macht (bis hin zur Erfindung von Tatsachen, weil sich sonst der logische Bruch allzu deutlich zeigt), finde ich das schon extrem bedenklich. Hier rutschen einzelne Menschen bis hin zu ganzen Bevölkerungsschichten in die Esoterik zurück, während wir doch versuchen, die Aufklärung voranzutreiben.
Nachtrag:
Kutscher hat mittlerweile das Buch gelöscht und wiederum neu eingestellt. Er schreibt, es sei eine verbesserte Auflage. Er begeht hier einen Fehler, mit dem ich bei meinen Kunden immer wieder zu kämpfen habe: man muss sein Buch, aber auch die Kritik dazu, liegen lassen. Manchmal muss man sie lange liegen lassen. Blinder Aktionismus schadet nur. Und so hat Kutscher eben nicht nur zahlreiche seiner Rezensenten beleidigt, sondern sein Buch auch verschlimmbessert. Will sagen: es ist immer noch unglaublich anstrengend erzählt und damit nicht das, was ein unterhaltendes Buch leisten sollte: zu unterhalten.
Unterhaltsam allerdings ist, wenn auch manchmal etwas schwarzhumorig und derb, der Kein-Roman Kopflos. Dieser Mensch kann schreiben. Und er kann gut schreiben. Sofern man manchen etwas böseren Spruch abkann.

21.06.2013

Ich gestehe: manchmal mag ich sogar einen CSU-Menschen; die Obamas scheitern immer an der Komplexität

Ich habe den ganzen Nachmittag und Abend auf YouTube politische Diskussionen angeschaut. Nicht nur, aber vor allen Dingen. Nebenher habe ich mir dazu Notizen gemacht. Auf ein Video mag ich hier schon einmal hinweisen. Es ist ein Ausschnitt aus einer Talkshow vom bayerischen Rundfunk mit Jutta Ditfurth. Bemerkenswert finde ich allerdings einen Lokalpolitiker, Heinrich Oberreuter (CSU), der folgenden, zurzeit sogar sehr aktuellen Satz fallen lässt:
Die Obamas scheitern immer an der Komplexität.
Unter anderem habe ich mir auch ein Video aus einer Talkshow mit Norbert Bolz angesehen. Norbert Bolz ist Professor für Medientheorie und vertritt, allerdings nur angeblich, die Systemtheorie. Tatsächlich wandert er aber zwischen wissenschaftlicher Analyse und Moralvorstellungen äußerst konservativer Art hin und her. Das verträgt sich nicht zusammen und insofern ist er auch kein Systemtheoretiker, sondern jemand, der die Systemtheorie benutzt, um darauf dann, gleichsam mit einem argumentativen Bocksprung, seine Moral draufzupacken. Das bedarf einer ausführlicheren Analyse, auch, um mal wieder die Systemtheorie ins Feld zu führen.

Neuland und Muttifaktor; Katachrese; Sittlichkeit

Satzfiguren

Nein, ich werde keine weiteren Witzchen über Neuland machen, oder, wie man es spezifischer schreibt #Neuland. Wie aber nennt man nun eine Aussage, die offensichtlich lächerlich ist, aber eben nicht ironisch gemeint? In der Rhetorik gibt es die so genannten Satzfiguren, die für dies zuständig sind. Da aber offensichtlich kein Mensch gewollt Sätze ausspricht, die albern sind, hat es dafür auch nie einen Grund gegeben, sie zu bezeichnen.
Satzfiguren sind zum Beispiel die rhetorische Frage oder die Lizenz. Zur rhetorischen Frage muss man, glaube ich, wenig sagen. Die Lizenz ist ein Zugeständnis an den Zuhörer, das aber meistens zurückgenommen wird durch ein Aber oder Trotzdem: "Natürlich hat diese Regierung die Steuern gesenkt …, und im ersten Moment haben die Menschen auch tatsächlich davon profitiert, aber langfristig …".

Katachrese und Metapher

Bei dem Wort Neuland schwanke ich übrigens zwischen einer Metapher und einer Metonymie. Man kann es nicht ganz von der Hand weisen: das, was im Internet passiert, ist teilweise immer noch überraschend. Es ist eben kein vollständiges Neuland, sondern etwas von beidem: viel genutzt, aber immer nur in einzelnen Bereichen; manches wird schlichtweg nicht verstanden. Sieht man es so, dann ist Neuland eine Metonymie, ein Teil des Ganzen. Auf der anderen Seite ist Neuland auch eine Katachrese, jedenfalls in diesem Fall.
Die Katachrese verbindet ein nicht-metaphorisches Wort mit einem metaphorischen. Das ist zum Beispiel bei dem Wort Stuhlbein plastisch. Stühle haben keine Beine; aber die Analogie zwischen dem Stuhlbein und dem menschlichen Bein ist deutlich genug, um die Metapher zu gewährleisten. Der Tagesspiegel, eine Berliner Zeitung, stellt ebenso eine Katachrese dar. Da er täglich erscheint, gilt er für den Tag. Dass er etwas spiegelt (im wörtlichen, d.h. physikalischen Sinne), gehört ins Reich der Metaphern. Es ist eine sehr konventionelle Metapher, weshalb wir darüber kaum noch nachdenken.

Neuland ist deshalb eine Katachrese, weil Land metaphorisch gebraucht wird. Das Internet ist eben kein Raum in dem Sinne. Natürlich nimmt die Hardware Platz weg, ist also räumlich. Aber das, wofür wir das Internet eigentlich gebrauchen, den Austausch von Informationen, kann man schlecht als Raum bezeichnen. Neu dagegen ist keine Metapher, sondern ein Adjektiv, das wohl im eigentlichen Sinne gemeint ist, also eben als in der Vergangenheit noch nicht vorhanden, jetzt aber schon.

Pejorativ

Ebenso ist das Wort Muttifaktor eine Katachrese. Mit diesem Wort wird die hartnäckige und teilweise nicht mehr nachvollziehbare Beliebtheit von Angela Merkel bezeichnet. Alles, was Angela Merkel sagt, gilt als besonders richtig. Auf Facebook habe ich es bereits erlebt, dass erwachsene Menschen, die von Demokratie eigentlich Ahnung haben sollten, gefordert haben, dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin auf Lebenszeit gewählt werden sollte. So, wie das bei einer Mutti eben üblich ist. Faktor kann man großzügig als Einfluss übersetzen und damit, dass die Mutti eben Einfluss auf die Meinung hat. Mutti ist gleichzeitig ein Pejorativ, halb abwertend, aber auch halb verniedlichend gemeint.

Nachsatz: Analyse und Sittlichkeit

Neulich beschwerte sich ein Leser meines blogs, dass meine Analysen nie zu einer Praxis führen würden. Ich würde Texte auseinander pflücken, ausführlich kritisch beleuchten und dann nicht sagen, was die Menschen damit anfangen sollen. Ich kann aber einem einzelnen Menschen nicht seine Sittlichkeit vorschreiben. Ich kann nur sagen, wo für mich die Grenzen sind und die Grenzen sind dort für mich gegeben, wo das demokratische Bewusstsein und die demokratischen Gepflogenheiten überschritten werden. Aufklärung über die Verführung durch Sprache halte ich dagegen für sehr wichtig. Und wenn man so etwas wie eine Maxime über meine Analysen stellen müsste, dann wäre das wohl: lasst euch nicht (von der Sprache) verführen! Die Verführung kann nur dort Mittel sein, wo Argumentation nicht mehr hilft, nicht mehr helfen kann. Obwohl auch das eine gefährliche Aussage ist. Die Argumentation gehört für mich zur Demokratie dazu. Sie leichtfertig aufzugeben ist jenes Überschreiten einer Grenze, die durch individuelle Sittlichkeit nicht mehr abgedeckt ist.

19.06.2013

Ich habe Hegel auf die lange Bank geschoben

Eine Anmerkung von Judith Butler hat mich auf Hegel gebracht. Seit eineinhalb Monaten arbeite ich mit seiner Phänomenologie. Jetzt reicht es mir; ich bräuchte mehr Zeit, zum Beispiel auch, um die beiden großen Hegel-Bücher von Marcuse zu lesen oder eben Adorno oder einfach mal eine Einführung.
Ich kehre zu Butler zurück und werde mich später nochmal mit Hegel beschäftigen.

Derzeit vor allem: Christa Wolf. Wieland (mein Bruder) verweist mich auf Gryphius (Es ist alles eitel); und so weiter und so fort. Wollte für Kirsten etwas schreiben, mache es aber halbherzig. Andere Fragen beschäftigen mich mehr. Noch eifrige Notizen zu Szenen in Krimis und Thrillern: zwei Kindle-Autoren gelesen, Sergej Schuster (Kopflos), der tatsächlich das Schreiben lassen sollte, da er weder Sprachgefühl noch Einsicht zeigt. Heiko Grießbach, der erstmal technisch gut schreibt, sich aber nicht zwischen Suspension und Ironie entscheiden kann.

15.06.2013

CSD in Köln und die Homo-Ehe; Individual-Rechte

Diesmal führt mich nicht eine aktuelle Debatte in den üblichen online-Portalen zum Thema CSD. Das wäre momentan zwar wahrscheinlich, aber eigentlich bastele ich gerade an poetischen Figuren bei DDR-Schriftstellerinnen herum. Ich habe es bereits angedeutet. Nein, diesmal war es fast ein Zufall: ich wollte mal wieder meine Link-Sammlung aufräumen und einige Blogs löschen, die seit langer Zeit nicht mehr geführt werden.
Dabei bin ich über die Internetpräsenz meines ehemaligen Kollegens Robert Niedermeier gestolpert. Sein aktueller Artikel Neuanmeldung gegen Nazis ist nicht nur hervorragend geschrieben, sondern hat mir noch einmal gezeigt, wie und wo meine eigenen Grenzen politischen Denkens verlaufen. Die werde ich nun überdenken müssen.
Wie meine treueren Leser wissen, bin ich für eine Legitimierung der (scheußliches Wort!) Homo-Ehe und eine Gleichstellung. Allerdings ist es sehr fraglich, ob das tatsächlich politisch sinnvoll ist. Nicht, weil ich nun keine Gleichberechtigung mehr möchte. Fraglich ist, was mit anderen möglichen Formen der (Intim-)Gemeinschaft passiert; ob es hier nicht eine Berechtigung gebe, auch diese gesetzlich besserzustellen. Es geht also um die Frage, ob es gleiche oder eventuell bessere Rechte geben soll. (Nachtrag: der Spiegelfechter vertritt die Gleichstellung vor dem Gesetz: Dumm, dreist, verlogen: Das Märchen von der Schwulen-Lesben-Lobby.)
Niedermeier führt die Möglichkeit an, nicht die Eherechte auszudehnen, sondern Individualrechte zu stärken, also auch die Partizipation an nicht-ehelichen Pflichten und Rechten in gemeinschaftlichen Lebensformen. Ich halte die Diskussion darüber für äußerst sinnvoll. Derzeit erlebe ich das an meinem Patenkind, den ich seit sechzehn Jahren als meinen eigenen Sohn ansehe. Er war über lange Zeit Woche für Woche bei mir; weder steht er auf meiner Lohnsteuerkarte, noch hat seine Mutter mich jemals finanziell unterstützt. Meine Motive sind deutlich andere. Trotzdem behauptet sie sogar noch, das sei irgendwie großzügig von ihr, dass sie ihren Sohn zu mir gelassen hätte. Dass sie selber dadurch einen Abend in der Woche und jedes zweite Wochenende frei hatte, das scheint ihr nicht in den Sinn zu kommen. Ebenso hat sie mich an wichtigen Entscheidungen über das Leben des Jungen nie teilhaben lassen. Gemeckert hat sie, wenn das nicht alles zu ihrer Bequemlichkeit verlaufen ist. Und als Strafe hat sie ihn auch gerne mir vorenthalten.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ja, ich hätte gerne mehr Individualrecht gehabt. Heute ist das kaum noch sinnvoll. Mein Sohn ist ein junger Mann und muss langsam seinen eigenen Lebensweg finden. Es ist sehr bedauerlich, dass er von einer eigentlich nur stockkonservativen und, wie man es von Konservativen kennt, auch recht ungebildeten Frau großgezogen wurde; die nicht dadurch progressiv ist, dass sie angeblich feministisch sei. Das gilt schon lange nicht mehr. Zumindest einige Strömungen des Feminismus sind längst im Neoliberalismus angekommen.
Robert Niedermeier hat mich mit seinem tollen Artikel daran erinnert. Es muss doch noch weitere Lebensformen geben jenseits eines Elite-Feminismus und diesen pseudo-biologisierenden Männerbewegungen. Seltsamerweise hat mich gerade meine Krankheit und dass ich fast gestorben wäre, darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig die Wahrheit ist und wie wichtig es ist, zunächst bei den simplen Tatsachen zu bleiben. Was für Männer und auch für Frauen heißt, nicht wie kleine, beleidigte Prinzesschen in ihrer Traumwelt herumzuturnen.

14.06.2013

Unheimlich unbekannte Philosophen

Schon einer der bekannten Philosophen sagte: "Füllt Euer Leben nicht mit mehr Tagen, sondern Eure Tage mit mehr Leben!"
schreibt eine gute Freundin, die ich hier mal nicht outen möchte. Welcher denn? habe ich sie zurückgefragt.
Angeblich war es eine gewisse Cicely Saunders, eine englische Krankenschwester. Behauptet Google! (Und deren Datensammlung ist natürlich auch eine Lüge!)

Homosexuelle Seismographen

Ich würde ja nicht so viel über die Homosexualität schreiben, wenn sich nicht die Schwulenfeindlichkeit als ein recht präzises Instrument für antidemokratische Strömungen erweisen würde. Was die Homophobie einzelner Individuen angeht, sehe ich das relativ gelassen: die wird es immer wieder geben. Leider scheint sich hier aber so etwas wie ein Despotismustest zu etablieren: wenn man gegen Homosexuelle ausfallend werden darf, dann sind weitere Formen der Unterdrückung auch möglich. So erweist sich die Homophobie als eine Art Seismograph für die Festigkeit, die ein demokratisches Verständnis in der Bevölkerung hat.

Aktueller Anlass:
In Russland wird die Unterstützung von Homosexualität unter Strafe gestellt. Das entsprechende Gesetz ist gerade in der Duma verabschiedet worden.
Papst Franziskus hat auf einem eher privaten Treffen mit Ordensleuten gegen die Homo-Lobby im Vatikan konkrete Maßnahmen angekündigt. Nun dürfen natürlich Christen ihren persönlichen Glauben halten wie sie wollen; und dazu darf dann auch gehören, die christliche Ehe für ausschließlich heterosexuelle Paare in Anspruch zu nehmen. Die christliche Ehe ist allerdings nicht die juristische Ehe. Und so weit sollte der Verstand doch reichen, dass man beides trennen kann. Abgesehen davon lehrt uns die Geschichte, dass Staaten, die zwischen Gesetzestreue und Religionsfreiheit nicht unterscheiden können, meist zu Ungunsten der Gesamtbevölkerung wirken, Wirtschaft und Innovation bremsen und die Schere zwischen Armut und Reichtum verstärken. Das ist zwar kein ungeschriebenes Gesetz, das immer in Kraft tritt, aber es gibt doch einen deutlichen Zusammenhang.

Besonders lustig aber ist, dass Papst Franziskus bei der Legitimierung der Homo-Ehe den Teufel im Spiel sah. Soviel zur Überwindung der Mythen im aufgeklärten Zeitalter.

13.06.2013

Esoterik, Emanzipation, Zionismus

Emanzipation I

Bevor ich mich an Christa Wolf gemacht habe, vor allem an die Erzählung ›Kassandra‹, musste ich unbedingt einen Artikel von Harald Martenstein zerpflücken (im Zeit-Magazin 24, vom 6. Juni 2013). Martenstein, zur Erinnerung, ist ein unerbittlicher Frauenversteher. Dass er Frauen sogar besser als sie sich selbst versteht, steht außer Zweifel.
Tatsächlich ist Martensteins Artikel deshalb gefährlich, weil er neben vielen eher esoterischen Aussagen aus den Reihen der Feministen/Feministinnen auch seltsame Verkürzungen zu Tage bringt. Einiges ist ja richtig. Was bitteschön haben röhrende Hirsche mit dem Patriarchat zu tun? Und trotzdem: warum diese Übergeneralisierung, die sich Herr Martenstein so großzügig durchgehen lässt?
Andererseits: wie oft erlebe ich, dass das Problem der Unterdrückung nur noch in gender-Theorien untersucht wird, wo doch offensichtlich die Armut oder auch der verwehrte Zugang zu Bildung ebensolche Probleme darstellen (wobei man heute nicht mehr von einem verwehrten Zugang zur Bildung sprechen kann, zumindest nicht in Deutschland, sondern eher von einem ermöglichten Zugang zur Unbildung: die jungen Akademiker haben doch mehr Ahnung von Sex in the city oder Two and a half men als von Begriffsbildung oder Argumentationslehre).
Die gender-Theorie analysiert. Sie analysiert, indem sie abstrakte Begriffe benutzt und dadurch bestimmte Positionen besonders gut abgrenzen kann. Das ist ein normaler, wissenschaftlicher Vorgang. Falsch allerdings ist es, diese abstrakten Theorien ohne nach links und rechts zu schauen auf ein konkretes Leben anzuwenden (die Extrapolation) oder es gar statistisch auszudehnen (die Verallgemeinerung).

Pseudowissenschaften

Vor etwa zwei Jahren habe ich mich intensiver mit der theoretischen Biologie von Jakob von Uexküll auseinandergesetzt und in deren Folge auch mit den Schriften von Viktor von Weizsäcker. Von Weizsäcker allerdings musste ich aus zeitlichen Gründen hintenan stellen. Jedenfalls war von Uexküll für mich noch einmal die Bestätigung, wie verfälscht und verflacht Begriffe übernommen werden, wie schlecht gelesen wird und wie sehr man sich auf "Einführungen" verlässt.
Mein Aufreger war der Begriff der Gestalt. Eines der bekanntesten Beispiele sind die so genannten Wahrnehmungsgesetze oder Gestaltgesetze. So wird ein offener Kreis auf dem Papier, also ein Kreis, dem ein Stück seines Umfangs fehlt, automatisch in Gedanken zu einem vollständigen Kreis ergänzt. Das allerdings ist ein recht materialistisches Denken. Uexküll führt dagegen den Begriff der Gestalt auch für Regelkreisläufe ein, zum Beispiel für den Zitronensäure-Zyklus. Dieser Zyklus ist in sich vollständig. Entfernt man ein Element, zerfällt der ganze Produktionszusammenhang. Viktor von Weizsäcker hat das ganze für die psychosomatische Medizin fruchtbar gemacht. Und er geht dabei nicht automatisch davon aus, dass eine Gestalt immer etwas positives ist. Es gibt eben auch psychosoziale Gestalten, die bei einzelnen Akteuren innerhalb dieses Kreislaufes ein unendliches Leid verursachen.
Nun hat die Zeit-online ein kleines Pamphlet geschrieben, der Titel: Der akademische Geist. Abgesehen davon, dass die Zeit, wenn sie sich einen Martenstein leistet, nicht unbedingt mit Steinen werfen sollte, verweist sie doch auf ein Problem, das die Universitäten heimsucht. Immer weniger Studenten sind bereit, ihre Arbeitsgebiete in die Tiefe und vor allem kritisch zu durchdenken. Dabei ist zum Beispiel die Erkenntnistheorie ein äußerst wichtiger und, so habe ich die Erfahrung gemacht, auch sehr nützlicher Aspekt eines Studiums, und sei es nur das Organon des Aristoteles oder die Kritik der reinen Vernunft von Kant. Und damit sind noch gar nicht die moderneren Spielarten der Erkenntnistheorie angesprochen.
Die Wissenschaft verflacht, nicht, weil sie die Grenzen zur Esoterik überschreitet, sondern weil ihr zunehmend ein kritisches Fundament fehlt. Das Studium vermittelt nur noch Gebrauchswissen. Und die Idee, dass zum Beispiel Geisteswissenschaften eine regulierende Funktion bei gesellschaftlichen Konflikten haben könnten, wird zunehmend verdrängt oder vergessen. Auch das ist ein Problem, das vor allem die Geisteswissenschaften heimsucht: der ethische Anspruch. Wofür, so darf man sich fragen, soll man die Rhetorik verwenden? Glaubt man den ganzen Trainern, dann für eine "bessere" Kommunikation; in Wirklichkeit aber doch wohl nur dem Geld, das mit Seminaren von einer Hand in die andere wechselt. Dass Rhetorik der Kritik von Ideologien dient, vertreten nur noch sehr wenige Menschen. Judith Butler, die dies kann, wird gerne missverstanden. Die Medienanalyse arbeitet kaum noch mit der Kunst der Lektüre und damit mit konkreten Lebenszusammenhängen und konkreten Gemeinschaften, dafür umso mehr mit der Technik der Statistik.

Emanzipation II

Wie verfänglich Pseudowissenschaft sein kann, habe ich neulich an einer kleinen, statistischen Untersuchung zur Frauenfeindlichkeit in Boulevard-Medien erleben dürfen. Ausgezählt wurde der Zusammenhang zwischen dem Thema Weiblichkeit und ihren erwähnten Merkmalen. Die Arbeit war wohl eher eine Fingerübung in der Verwendung statistischer Methoden. Trotzdem: Was mich sehr verärgert hat, war, dass die logischen Zusammenhänge zwischen der Erwähnung von Frauen und deren Attribution methodisch überhaupt nicht aufbereitet worden ist. Letzten Endes geht es nur darum, wie weit diskriminierende Aussagen vom Subjekt entfernt stehen, d.h., wie viele Wörter sich zwischen ihnen befinden. Das allerdings ist eine recht oberflächliche Betrachtung des Sachverhalts. Statistiken werden gerne als objektiv angesehen. Doch diese Objektivität, wenn es sie denn überhaupt gibt, ist null und nichtig, wenn sie nicht auf einem gut ausgearbeiteten Kategoriensystem basiert.
So war die Aussage dieser Arbeit auch kompletter Firlefanz, nämlich, dass Frauen immer noch eine "weibliche" Rolle zugewiesen werde: die Tatsache, dass Massenmedien gerade in diesem Sektor gerne Skandalisierung, dass sie lieber über die Menschen sprechen, statt mit ihnen, dass Normverstöße wichtiger sind als Lebenszusammenhänge, all dies wurde überhaupt nicht in Erwägung gezogen und wohl auch nicht im Seminar thematisiert. Und natürlich sind solche Boulevard-Blätter frauenfeindlich. Darüber muss man wohl kaum streiten. Dass sie im selben Zuge aber auch die Männer strikt normieren, also auch männerfeindlich sind, muss bei einer Arbeit über Geschlechterrollen und Geschlechterbilder eben mitgedacht werden, zumindest in Form einer Fußnote oder einer Begrenzung der Untersuchung auf die Frau. Und dass die Massenmedien eine eigene Dynamik entwickeln, jenseits von Geschlechterrollen, muss man wohl eigentlich auch nicht erwähnen. Aber offensichtlich wohl doch.

Zionismus

Und noch ein Unsinn, der durch Wörter fabriziert wird: im Cicero vermischt Autor Timo Stein die Partei Die Linke mit den sehr heterogenen "linken" Strömungen. Nicht immer, aber doch an manchen Stellen sehr deutlich. Wir müssen uns hier übrigens nicht darüber streiten, ob Israel mit dem jüdischen Volk identisch ist. Ist es nicht! Für mich ist aber dieser ganze Streit, ob die so genannte SED-Nachfolgepartei antisemitisch sei oder nicht, in erster Linie kein Problem von rassistischen Tendenzen, sondern ein Problem der Sprachwahrnehmung und der scheinheiligen Forderung nach argumentativer Vollständigkeit.

Wissenschaft, Feminismus, Außenpolitik und Antirassismus, so ist meine Wahrnehmung, scheitern vor allem an einer nicht gelungenen oder vollständig abwesenden Sprachkritik. Und hinter all diesen verfehlten Kritiken taucht immer ein spezifisches Monster auf: die ökonomische Verwertbarkeit. Denn die Leistungen der meisten Geisteswissenschaften und auch einiger Sozialwissenschaften lässt sich weniger durch finanziellen Gewinn, denn durch Verbesserung des Zusammenlebens erklären.
Auch der Feminismus darf nicht auf eine pure Verbesserung der ökonomischen Bedingungen verkürzt werden. Ebenso ist Außenpolitik nicht Außenhandelspolitik, sondern zum Beispiel auch Stärkung der Völkergemeinschaft. Ein Antirassismus schließlich, der bei der Anerkennung der Rasse stehen bleibt (respektive einer Glaubensgemeinschaft, einer Nation) führt unter der Hand den Rassismus wieder ein, weil er die Rasse als letztes Fundament nicht infrage stellt.

11.06.2013

Ein zweideutiges Plakat der NPD: Konnotation und Kontext; die Aufgabe der Literaturwissenschaft

Immer wieder beschäftige ich mich mit dem Thema Konnotation, das heißt dem "Sinn", der zwischen den Zeilen steht.
Folgt man der Definition von Jürgen Link in Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe (München 1993, derzeit vergriffen), dann findet man Konnotate sowohl als Anspielungen, als auch als Bezeichnungen einer umfassenderen Struktur. Ich möchte dies kurz an einem Beispiel deutlich machen: wenn ein Autor von einem "rauschenden Fest" auf der einen Seite und von "Bäumen, die in der Winterlandschaft wie Gerippe aussahen" schreibt, so konnotiert dies Leben/Tod. Hier wird die Konnotation über Bilder geschaffen, die sich inhaltlich widersprechen, durch Konvention und Thematik aber zusammengehören.
Um das Plakat der NPD hat es ziemlichen Wirbel gegeben. Zunächst sieht dieses Plakat harmlos aus. Udo Voigt, Vorsitzender der NPD, ist auf einem Motorrad zu sehen, mit der Hand am Gasgriff. Nun kann man als erste Konnotation notieren, dass die Politik sich nicht schnell genug ändert, zu langsam und zu schwerfällig ist und dass die NPD hier rascher und unbürokratischer auf Veränderungen eingeht. All das steht nicht auf dem Plakat, sondern wird von ihm konnotiert oder, was ein alternatives Wort wäre, suggeriert.
Dies wäre der eine mögliche Kontext: die Politikverdrossenheit, die aktuelle Wahl (das Plakat wurde während der Berliner Senatswahl aufgehängt), die vom Berliner Senat (angeblich) verschleppten Entscheidungen.
Nun konnte man allerdings dieses Plakat vor dem jüdischen Museum betrachten. Dadurch wurde eine ganz andere Konnotation möglich. Der Zusammenhang Gas/jüdisch suggeriert den Holocaust, bzw. die Judenvergasung. Jetzt kann der Slogan "Gas geben" sogar als Aufforderung zum Mord, eventuell sogar zum Völkermord gelesen werden.
Das einzige Problem dabei ist: es wird nur angedeutet, nicht gesagt. Linguistisch gesehen haben wir es mit drei konkurrierenden Kontexten zu tun: einmal einem Motorrad, einmal der berliner Politik und einmal dem jüdischen Museum. Dadurch entstehen drei Strukturen, die sich je unterschiedlich zusammenfassen lassen, bzw. unterschiedlich konnotieren lassen. Dies wird auch das Problem einer Anzeige sein, die der NPD Volksverhetzung vorwirft. Was explizit gesagt wird, ist natürlich justiziabel, aber nicht, was implizit gesagt wird, zumindest meistens nicht.
So entstehen unterhalb, gleichsam zwischen Text und Kontext, einer pragmatischen Konstellation (mit dem Motorrad gibt man Gas) weitere Bedeutungen, die den Text anreichern und seinen Zusammenhang verstärken. Die Aufgabe einer kritischen Analyse ist es, auf diese verborgenen Verbindungslinien aufmerksam zu machen, ohne sie überzubewerten. Wir dürfen sie natürlich nicht wegreden. Aber wir dürfen sie auch nicht eindeutig machen. Was ein Text nicht explizit sagt, sagt er eben nicht explizit. Diesen umgedrehten Fall habe ich am "Tod von Walter Faber" kritisiert. Walter Faber, der Protagonist von Max Frischs Roman Homo Faber, wird zwar eng mit dem Tod verknüpft; doch dass er stirbt, ist nirgendwo zu lesen.

Hier finde ich auch eine Art Definition, was die Aufgabe der Literaturwissenschaft ist: sie untersucht die Prozesse, die einen Text kohärent (zusammenhängend) machen und beharrt auf der Vieldeutigkeit des "wirklichen" Textes. Kohärenzbildung ist immer mit ideologischen Prozessen verknüpft, wobei man Ideologie in einem altertümlichen Sinne lesen muss, nämlich als Illustration, bzw. Hypotypose einer Idee, noch nicht als ein System von Ideen und schon gar nicht als ein System politischer Ideen. Letzteres ist nur eine Spielart ideologischer Prozesse.

09.06.2013

Tragik des Lebens (noch einmal Karl Marx)

Die Tragik des 20. Jahrhunderts liegt darin, dass es nicht möglich war, die Theorien von Karl Marx zuerst an Mäusen auszuprobieren.
Stanisław Lem, gefunden im Internet

Zwei rhetorische Funde: Kontamination (Westerwelle) und Analogie (Marx)

Die Kontamination ist eine rhetorische Figur. Sie bezeichnet die Vermischung zweier Wörter zu einem. Die wohl bekannteste Kontamination ist ›Sexperte‹. Diese hat angeblich in den sechziger Jahren, vom Spiegel benutzt, zu einer längeren Debatte geführt. Dazu habe ich noch nichts gefunden, interessiert mich aber, weil es vom Hörensagen so etwas wie ein Shitstorm gewesen sein muss. Die Kontamination ist dem Kompositum ähnlich, wobei das Kompositum "nur" zusammensetzt und nicht vermischt, zum Beispiel ›Arschgeweih‹.
In einem Artikel des Tagesspiegels zu Westerwelle wird das Wort ›Arabellion‹ gebraucht. Dies ist eine echte Kontamination aus Araber und Rebellion. (siehe auch: Rhetorische Figuren)
Ich finde diese Zusammensetzung übrigens langweilig. Ihr fehlt der Witz, den eine Kontamination wie ›Junggeziefer‹ besitzt.

Bei Marx/Engels findet sich folgende hübsche Analogie:
Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.
Marx, Karl/Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie. S. 218.

Interview mit meiner Räuberin: Mayröcker in der SZ

Mayröcker, mittlerweile 87, lebt und schreibt in Wien. Die SZ besucht und interviewt sie und erinnert an eine der wichtigsten Poetinnen unserer Zeit: »Ich bin erst mit Mitte 70 ein wirklicher Mensch geworden«.

›Räuberin‹ bezieht sich auf die Schreibtechnik Mayröckers, die zahlreich zitiert. Es sind, zumindest zu einem guten Teil, Collagen, die durch die Textmelodie zusammengehalten werden. Die Zitate werden allerdings nicht belegt. Es sind auch keine inhaltlichen Zitate, zumindest nicht vorwiegend, sondern solche der Prosodie (der Betonung, bzw. Melodie und Rhythmus). Deshalb gibt sie auch nicht fremdes Gedankengut wieder, plagiiert also im strengen Sinne des Wortes nicht.
Zitate in meiner Arbeit sind wie Räuber am Weg, die bewaffnet hervorbrechen und dem Müßiggänger die Überzeugung abnehmen.
Benjamin, Walter: Einbahnstraße

Nachrichten aus der Zwischenwelt

Es ist ja nett, dass ich, sobald ich einige Tage nichts veröffentlicht habe, angeschrieben werde, ob es mir gut gehe. Derzeit gibt es sogar einen Grund für den Zweifel: ich war im Krankenhaus und das war kein Zuckerschlecken. Also die Krankheit. Aber ich befinde mich auf dem Weg zur Gesundung, ärgere mich mit meiner Krankenkasse herum, die das vorgelegte Geld für Behandlungen seit fast zwei Monaten nicht auszahlt, während sich weitere Rechnungen türmen. Für die ich natürlich kein Fettpolster mehr habe. Ich habe auch deshalb wenig Zeit, weil ich mich, sofern es nötig ist, auf alles untersuchen lasse, was bedenklich ist: durch die Medikamente hatte ich eine Lichtempfindlichkeit, die zum Glück abgeklungen ist; demnächst werde ich meiner Haut auf mögliche, gefährliche Pigmentflecken untersuchen lassen und eine allgemeine Krebsvorsorge in Anspruch nehmen. Ich hatte also Termine in der HNO, der Augenklinik und einiges anderes mehr, eben lauter Dinge, die auch Zeit fressen.

Jeden Morgen lese ich mindestens eine Stunde lang Nachrichten. Sofern mir der Artikel interessant erscheint, entweder von der Argumentation oder von den rhetorischen Mitteln, kommentiere ich ihn auch.
Heute habe ich, um das schöne Wetter zu genießen, ein weiteres Buch von Simon Beckett angefangen, Die Chemie des Todes. So langsam nervt mich, dass der Protagonist in ständigen Selbstzweifeln lebt, während er gleichzeitig immer wieder herausstreicht, dass er der bedeutendste englische Forensiker sei. — Immer noch steht der alte Hegel auf meinem Programm und immer noch handelt es sich eigentlich eher um eine Nebenbemerkung, die Judith Butler in ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter macht, die mich auf Hegel verwiesen hat. Allerdings habe ich mich in der Phänomenologie des Geistes auch ziemlich festgelesen. Derzeit wird von mir fast jedes Wort kommentiert, der argumentative Gang zerpflückt und die Begriffe und rhetorischen Figuren kritisch beleuchtet. Dafür hüpfe ich dann immer wieder zu meinen wichtigen Methodenbüchern, der deutschen Satzsemantik von Polenz, den literaturwissenschaftlichen Grundbegriffen von Link, der Semiotik von Eco und einige andere mehr, seit einem Jahr auch die Textstilistik des Deutschen von Barbara Sanders.

05.06.2013

Gauck, das Bundesverdienstkreuz und Ungarn. Oder: wann überhaupt kann man jemanden ehren?

Gauck ehrt Zoltán Balog. Warum, weiß die Zeit nicht zu berichten. Aber dafür weiß sie, dass die ungarische Regierung demokratiefeindlich ist. Und das ist natürlich richtig. Das ist guter Journalismus. Gauck hat, ohne das Umfeld zu beachten, einen Menschen geehrt, der an einer deutlich demokratiefeindlichen Regierung beteiligt ist. Während die halbe Welt Ungarn zu bewegen versucht, die Segregation von Roma und Sinti rückgängig zu machen, muss sich gerade der Bundespräsident aus sehr partiellen Gründen zu einer Würdigung herablassen. Dabei hätte eigentlich der nächste Schritt in Ungarn sein müssen, die Form der Lebensgemeinschaften, die nicht einem christlichen Konservativismus gehorchen, also zum Beispiel alleinerziehende Mütter, zu unterstützen. Denn das Roma und Sinti diskriminiert werden, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wer sich darüber beklagt, dass in Deutschland Frauen immer noch schlechter bezahlt werden (und das werden sie ja tatsächlich, jedenfalls statistisch), sollte sich mal Ungarn ansehen. Das ist ein Skandal!
Reden wir überhaupt noch über die Homophobie im ungarischen Staatsapparat?

Nein, das Bundesverdienstkreuz ist keine Auszeichnung, die man mal eben so vergibt. Balog mag sich verdient gemacht haben, als er 1989 DDR-Flüchtlingen geholfen hat. Doch das ist leider nicht sein ganzes Leben. Derzeit scheint er, wenn man dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte glauben will, für eine Praxis der ethnischen Diskriminierung zu stehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass man jemanden für eine sehr begrenzte und durchaus auch sehr wünschenswerte Hilfe ausgezeichnet hat, wobei man gleichzeitig die Augen vor allen anderen Verhaltensweisen verschlossen hat. So hat man Bushido mit dem Bambi ausgezeichnet, weil er sich maßgeblich für die Integration ausländischer Jugendlicher in die deutsche Gesellschaft verdient hat. Dass er gleichzeitig frauen- und homosexuellenfeindlich ist, hat man einfach unter den Tisch gekehrt.

Damit wären wir auch wieder bei der Diskussion um Stauffenberg. Irgendwo in meinem Blog habe ich mich darüber aufgeregt, dass Stauffenberg als der Widerstand gegen Hitler dargestellt werde. Das war damals, als Tom Cruise den Film Operation Walküre in Berlin drehte. Nein, Stauffenberg ist nicht der glänzende Held gewesen. Mutig war er mit Sicherheit. Mit Sicherheit war er auch ein kluger Mensch. Doch er war erzkonservativ. Das gehört zur Demokratie, aber es ist nicht die Demokratie. Und Stauffenberg hatte die Möglichkeit, einen groß angelegten Putsch zu organisieren. Das hatten die Geschwister Scholl nicht. Das hatten auch die Juden im Warschauer Ghetto nicht. Soll man deshalb ihre Leistung schmälern, weil sie sozial nicht privilegiert waren und weil sie nicht diese Art des Widerstandes zeigen konnten? Soll man nur dann den Widerstand gegen eine ungerechte Regierung leisten, wenn man die Möglichkeit des Putsches hat? Ich denke nicht. Mutig ist doch gerade der, der Widerstand leistet, auch wenn er keine geeigneten Waffen gegen ein Unrechtsregime hat.

Die Extrapolation gehört, folgt man Immanuel Kant, zu den Paralogismen. Das ist: Ein Merkmal, ein Phänomen oder eine Handlung wird als ungebührlich wichtig dargestellt (siehe dazu auch: Kapitalismuskritiker: Blockupy im Kessel). Ich möchte hier weder Bushido noch Stauffenberg schlecht machen, jedenfalls nicht schlechter, als sie sind. Meine Kritik richtet sich gegen diese einseitige Auswahl, die etwas Gutes ehrt und dabei gleichzeitig das Schlechte übersieht und akzeptiert. Als ob Hitler dadurch gut wäre, dass er Autobahnen gebaut hat. Und die hatte er ja noch nicht mal selbst gebaut. 6 Millionen Juden hat er nebenbei elendiglich krepieren lassen. Übrigens auch nicht alleine.
Stauffenberg kann nichts gegen seine fälschliche Ehrung. Gauck aber hätte deutlicher reflektieren können, wen er dort überhaupt ehrt. Wenn man den aktuellen Nachrichten aus Ungarn glauben schenken darf, keinesfalls einen Demokraten.

Die moderne Ethik hat leider die Ehre aus ihrem persönlichen Tugendkatalog ausgeschlossen. Aristoteles, dessen Nikomachische Ethik ich ausdrücklich als Diskussionsgrundlage empfehlen möchte, kannte diesen Begriff noch sehr gut. Ein Mensch ist ehrbar, wenn er seine Tugenden hat und wenn er diese gegen den Augenschein und im ganzen Umfang verwirklicht. (Meine Leser mögen mir verzeihen, dass ich hier undeutlich bleibe. Da ich hier einen Kunden betreue und ich normalerweise nicht parallel zu einem Coaching über die Inhalte in meinem Blog schreibe, halte ich mich zurück, entweder durch Schweigen oder, so wie hier, durch Undeutlichkeit. Damit vermeide ich mögliche Vorwürfe des Plagiats. Im übrigen ist das ein toller Kunde. Er will verstehen. Wer verstehen will, kann eigentlich nicht plagiieren. Wer nach „Echtheit“ strebt, nimmt die Täuschung nicht hin.)

So viel also zu dem Lieblingsthema unseres Bundespräsidenten, der Freiheit. Mir wurde schon immer unbehaglich, wenn Gauck von der Freiheit geredet hat. Das ist kein einfacher Begriff. Und vor allem ist es kein Begriff, der für sich alleine stehen kann. Er muss mit anderen Begriffen des politischen Feldes vermittelt sein. Keinesfalls darf man ihn allein stehend und monolithisch denken, sondern relational, in Bezug auf andere Begriffe wie zum Beispiel Gleichheit und Solidarität. Solidarität besteht zum Beispiel darin, dass man sich auch mal zurücknehmen kann und sagen kann: hier setze ich mir Regeln, die dem anderen helfen, aber nicht unbedingt mir.

04.06.2013

Oder doch einfach nur Solidarität? (Wahlkampf und Hochwasser)

Wir haben Wahlkampfjahr. Frau Merkel verteilt, wie man es in der Zeitung lesen darf, Hilfen für die vom Hochwasser betroffenen Gebiete. Ist das großzügig? Oberflächlich gesehen vielleicht. Doch das Geld wird schließlich vom Steuerzahler verdient. Und stellt euch mal vor, Frau Merkel würde die Hilfe verweigern! Stellt euch vor, sie würde sagen: wir haben kein Geld dafür! Nein, nicht Frau Merkel ist hier großzügig, sondern es ist eine Art Solidarität aller in Deutschland lebenden und zahlenden Bürger, auch wenn der einzelne davon vielleicht gar nichts merkt, weil er die Steuern sowieso zahlen muss. Nicht unsere Bundesregierung, sondern Ulrike und Hans, Jessica und Georg, und wie all die anderen Menschen heißen mögen, tragen einen kleinen Teil dazu bei, den von der Not betroffenen Menschen zu helfen. Es gibt also gar keinen Grund, diese Hilfe für den Wahlkampf auszuschlachten. Es gibt auch keinen Grund von der Bundesregierung aus, sich als großzügig darzustellen. Schließlich verteilt sie nicht ihr eigenes Geld. Ich sagte es bereits.
Und ich möchte behaupten, dass jeder Mensch in Deutschland für diese Hilfe seine Steuern gerne ausgezahlt sieht.

Ein guter Kollege hat sich darüber gerade auf unserer Facebook-Gruppe beschwert. So haben die Grünen im Spiegel die Bundesregierung für das Hochwasser verantwortlich gemacht. Etwas ausgefeilter allerdings ist diese Argumentation schon. Die Grünen bringen die Argumente der Landschaftsversiegelung und der Flussbegradigung. Doch auch das hätte den Regen nicht gestoppt. Vielleicht hätte es den Pegel des Hochwassers gesenkt, wenn es mehr Ausweichflächen für das Wasser und einen günstigeren Abfluss gegeben hätte.
Aber auch das sind wieder nur verkürzte Argumente (insofern der Spiegel das richtig wiedergegeben hat). Hochwasser hat es auch schon zu Zeiten gegeben, als es noch keine Asphaltierung und keine Kanalisierung gab, sogar sehr schlimme Hochwasser.

Was ich deshalb besonders schlimm finde: hier wird eine Katastrophe, die viele Menschen betrifft, umfunktionalisiert in ein Wahlthema. Statt dass Frau Merkel sagt: ich bedanke mich bei allen Bürgern, die Steuern gezahlt haben und so die Hilfe für die betroffenen Menschen ermöglicht haben, streicht sie die Leistungen der Bundesregierung heraus. Und statt dass die Grünen hier mal ein Worst problems are first problems gelten lassen, werden Wahlkampfthemen erörtert und Schuldzuweisungen ausgesprochen. Und da hat mein lieber Kollege mit seiner offenen Art doch sehr recht: das interessiert die Menschen in den Hochwassergebieten momentan einen Dreck! Die haben schließlich ganz andere Sorgen als das Prozentegerangel der großen Parteien.

Zynisch, aber leider sehr wahr schreibt dazu der Postillon: Hochwassergebiete halten [der] Flut besorgt dreinblickender Politiker nicht mehr lange stand.

03.06.2013

Kapitalismuskritiker: Blockupy im Kessel

Manchmal fragt man sich, ob unsere Polizei überhaupt noch begreift, welch gefährlichen, man muss schon fast sagen antidemokratischen Weg sie einschlägt. Während Protestmärsche von Neonazis immer hübsch abgesteckt sind, so dass der Protest zwar durch Polizei abgeschirmt und deshalb zum Glück auch häufig nicht wirklich sichtbar stattfinden kann, werden Protestmärsche von Bürgern eingekesselt und verhindert. Teilweise werden diese sogar nicht genehmigt; wie man der TAZ entnehmen darf, sogar recht häufig.
Natürlich darf man die ganz radikalen Kräfte nicht hinnehmen. Meine Meinung dazu ist aber, dass man sie deshalb nicht hinnehmen darf, weil sie liberale oder anarchistische Gedankengebäude auf ein despotisches Freund-Feind-Denken verkürzen (anarchistisch ist hier im klassischen Sinne gemeint, nicht im Sinne von "Chaos verbreiten", wofür Anarchismus heute häufig steht). Auch der Linksradikalismus war schon immer menschenfeindlich und wird es immer bleiben.

Über die Gewalt jedoch darf man sich nicht wundern. Sie wird allerdings, so postuliere ich, schon alleine deshalb konservativ sein, wenn sie massiv ausbricht, weil die Menschen einen alten, tatsächlich oder vermeintlich besseren Zustand zurückhaben wollen. Und genau das ist meine Befürchtung. Das Desinteresse an der Politik, an dem Zustand der Parteien, an ihrer Unfähigkeit, eine konstruktive Opposition aufzubauen, aber auch die Unfähigkeit der Bevölkerung, eine solche Opposition einzufordern, erscheint mir nur als die Ruhe vor dem großen Sturm.

Was jetzt in Frankfurt passiert ist, diese absurde Einkesselung von Demonstranten, kann ich nicht hundertprozentig ablehnen; das Werfen von Farbbeuteln ist nicht intelligibel. Es wird zu keiner Aufklärung führen. Das hat es noch nie getan und das wird es auch nie tun. Eigentlich sollte man langsam begriffen haben, dass diese Form des Protestes nicht als Protest, sondern als willkommenes Mittel der Skandalisierung aufgegriffen wird und dann nur noch den Gesetzen der Massenmedien gehorcht, nicht der kritischen politischen Meinungsbildung.
Ich würde mir hier leisere Formen des Protestes wünschen und von den Massenmedien, auch wenn dies sehr blauäugig erscheint, eine stärkere Aufmerksamkeit. Jedenfalls brauchen wir eine bessere Vermittlung für die breite Gesellschaft. Es kann doch nicht sein, dass selbst Akademiker ihre Freizeit mit dem Vergnügen gestalten, Sex in the City zu schauen. Man sollte doch ein leichtgängiges Interesse an intellektuelleren Inhalten erwarten, an Philosophie, an Literatur, an Kunst und eben, das wäre ja eigentlich die Pflicht jedes Staatsbürgers, an Politik.

Doch diese Einkesselung musste natürlich in ihrem polizeilich offiziellen Willen schon alleine deshalb scheitern, weil sie länger gedauert hat, als die Demonstration überhaupt genehmigt war. Und jetzt soll mir niemand erklären, die Polizei hätte das nicht gewusst. Der Verdacht, dass hier mit Vorsatz eine zum Großteil demokratisch wünschenswerte Demonstration an einem strategisch günstigen Punkt abgewürgt wurde, ist stark. Wenn also der Polizeipräsident Achim Thiel erklärt, »man habe lediglich Störer vom Demonstrationszug getrennt, um "den friedlichen Protestteilnehmern die Fortsetzung des Aufzuges zu ermöglichen"« (Spiegel online), empfinde ich das als zynisch. Oder der Polizeipräsident ist so unfähig, die eigenen Strategien zu durchschauen, dass er die Einkesselung nicht mit dem zeitlichen Demonstrationsende vermitteln konnte. Dann gehört er aber wegen planerischer Inkompetenz genauso abgesetzt.

Leider muss man folgende Situation feststellen: die Politik sucht sich genau die Protestbewegungen aus, die sich für die Wirtschaft leicht kanalisieren lassen. Damit vermittelt sie den Eindruck, sich um Randgruppen zu kümmern, und legitimiert damit, bestimmte Protestbewegungen zu kriminalisieren. Der Beweisgang soll dann so lauten: wer sich um Randgruppen kümmert, kann nicht undemokratisch sein. Man kann das ganz gut an der Diskussion um die Frauenquote im akademischen Bereich sehen. Abgesehen davon, dass hier eine Verwechslung von Quantität und Qualität stattfindet, die genauso unsinnig ist wie die Verwechslung von Natur (biologisches Geschlecht) und Kultur (kulturelles Geschlecht), wird hier eine bestimmte Frauengruppe in die Öffentlichkeit gerückt und das als DER Feminismus dargestellt. Von diesen Frauen wird man selten eine Kenntnis erwarten dürfen, wie andere Frauen, zum Beispiel Putzfrauen, Hilfsköchinnen oder Erzieherinnen im Sinne eines Feminismus gefördert werden können. Die Gruppe akademischer Frauen wird extrapoliert, also bevorzugt ausgewählt und bevorzugt gefördert. Deshalb bleibt für mich bei diesem ganzen Thema ein unangenehmer Beigeschmack. Sie scheint mir vor allem der Elitebildung zu dienen. (siehe auch, insbesondere zur Scheinlogik der Extrapolation: Art und Exemplar, oder: Liebe Damen!)
Ein ähnlicher Effekt betrifft die Protestbewegungen. Natürlich sollen ausländische Ingenieure möglichst gute Sprachkurse besuchen dürfen und natürlich darf unsere Nation ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse daran haben, dass genau das passiert. Natürlich darf man deswegen protestieren. Was aber ist mit all den Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, teilweise ghettoisiert, und eine solche Fördermöglichkeiten nicht bekommen? Mit großem Unbehagen erlebe ich das zum Beispiel bei asiatischen Frauen. Diese stehen häufiger in den Garküchen kleiner asiatischer Restaurants. Manche von ihnen (nicht alle) sprechen kaum Deutsch und werden von ihren Männern (ich habe das tatsächlich so erlebt) auch systematisch von äußeren Einflüssen abgeschottet. Diese Frauen sind überhaupt nicht in der Lage zu protestieren: die soziale Situation von ihnen dürfte das bereits im Ansatz verhindern. Rein wirtschaftlich gesehen liegen diese Frauen aber niemanden auf der Tasche. Und vom Produkt her gesehen: wer würde einer deutschen Frau zutrauen, gut koreanisch zu kochen? Und wer wollte auf diese Vielfalt verzichten? Auf all diese türkischen, arabischen, afrikanischen, italienischen oder kreolischen Essen?

Das Wegselegieren von kritischen Protesten trifft sich übrigens mit meiner Kritik am CSD. Hier hat die konsumorientierte Spaßgesellschaft die Führung übernommen. Auf der einen Seite sollen die Homosexuellen natürlich in unserer Gesellschaft sichtbar sein. Was häufig gesehen wird, wird auch eher akzeptiert. Auf der anderen Seite kann eine solche Veranstaltung strukturelle Probleme nicht bearbeiten. Und ein Beispiel für ein strukturelles Problem ist immer noch, dass die Homophobie auf dem Land ein großes Problem für junge Schwule darstellt. In Großstädten ist das ein kleineres Problem, wobei man auch dort natürlich nicht die Homophobie verharmlosen darf. Aber der CSD wird hier weder etwas vermitteln, geschweige denn verändern. Dieselbe Gefahr sehe ich bei diesem Elite-Feminismus und auch die Integration von Ausländern wird unter die wirtschaftlichen (und elitären) Axiome gestellt.

02.06.2013

Noch einmal: Paradigma und Syntagma; Erzählung und Stil

Vor ungefähr einem Monat habe ich anlässlich einiger Rezensionen zu einer Art Lernkarten eine Notiz geschrieben, obwohl das Thema, auf das ich mich bezogen habe, recht populär ist (Storytelling & Businessmetaphern). Meine Notiz erläutert insbesondere die Begriffe des Paradigmas und Syntagmas. Beide Begriffe sind recht abstrakt. Der Artikel selbst war nicht besonders beliebt. Doch aus den wenigen Rückmeldungen habe ich folgendes entnommen: es ist gar nicht die Abstraktion, die meine Leser gestört hat, sondern eher der Unglaube, dass ein so einfaches Schema die Grundlage einer ganzen Wissenschaftstheorie werden kann. Ich spreche hier vom russischen Konstruktionismus, bzw. vom Strukturalismus; beides hat es ja nie in reiner Form gegeben: selbst der "Vater" des Strukturalismus, der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss, kann diese Methode nicht in seiner Reinheit durchhalten.
Nun finde ich gerade einen Kommentar zur Stilistik. Ich habe ihn irgendwann im letzten Jahr geschrieben da ich gerade dabei bin, meine Notizen aus Dateien in meinen Zettelkasten zu übertragen, bin ich über ihn gestolpert.
Damals habe ich aber nicht die Begriffe Paradigma und Syntagma benutzt, die eher das Phänomen für sich selbst bezeichnen, sondern die Begriffe Selektion und Kombination, die auf Handlungen verweisen. Vielleicht ist dieser Zugang anschaulicher:
Aus einem Paradigma muss ein Element ausgewählt werden. Der Unterrichtseinstieg ist zum Beispiel ein solches Paradigma. Man muss immer mit einem Unterrichtseinstieg beginnen, man kann aber nicht zwei verschiedene gleichzeitig unterrichten. Man muss einen auswählen, das ist die Selektion.
Ein Syntagma regelt, wie Elemente im Zusammenhang gebraucht, also kombiniert werden. Das beste Beispiel ist die Grammatik. Im Unterricht finden wir zum Beispiel folgendes Syntagma: Unterrichtseinstieg (oder: Motivationsphase), Erarbeitung, Vertiefung, Ergebnissicherung. Die Kombination kann man auch als geregelte Abfolge bezeichnen.
Für die Erzählung kann man dies nochmal verdeutlichen: es gibt Erzählelemente, also die Beschreibung, die Schilderung, der Dialog, etc.; und es gibt eine Anordnung dieser Elemente zu einer "vollständigen" Erzählung. Das Paradigma bestimmt die Elemente, die in einer Erzählung auftauchen können, das Syntagma bildet gleichsam den guten Geschmack, den ein Autor hat, sein Gespür für die gute Kombination der einzelnen Erzählelemente zu einer spannenden oder lehrreichen Geschichte.

Damals, also als ich die Notiz geschrieben habe, habe ich mich mit stilistischen Merkmalen beschäftigt. (Das mache ich heute noch, zweifle aber daran, ob Stilistik überhaupt ein guter Begriff ist; hier benutze ich lieber das Wort Rhetorik, das zwar auch unklar definiert ist, aber längst nicht so verwirrend wie die Stilistik.)
Hier also mein Kommentar, den man als Fragment lesen muss:
Vorweg: ein am Sprachgenie orientierter Stilbegriff (das Genie drückt sich eben sprachlich genial aus) interessiert mich nicht. Stil bezieht sich auf alles, was sprachlich festgehalten wird. Der erste Stilbegriff ist normativ (wertend), der zweite deskriptiv (beschreibend).
Wenn wir von einer beschreibenden Stilistik ausgehen, dann muss man sich natürlich fragen: beschreibend in Bezug auf was?
Hier folge ich Roman Jakobson, der von Selektionen und Kombinationen ausgeht. Eine Selektion findet sich dort, wo zwei oder mehrere Alternativen vorliegen und eine ausgewählt wird. So kann man zum Beispiel sagen: "Er kam auf einem Pferd." Alternativ könnte man sagen: "Er kam auf einem Ross." oder "Er kam auf einem Gaul (einer Mähre)." Die Selektion betrifft hier das Wort Pferd und seine Alternativen. Was für die Ebene des Wortes gilt, gilt natürlich auch für Satzteile, Sätze, Absätze, ja ganze umfangreiche Texte. Man könnte zum Beispiel Marlowes Faust, den von Goethe und den von Th. Mann als stilistische Alternativen auf der Ebene von Ganztexten sehen.
Die Kombinationen sind die "Hintereinanderordnung" von sprachlichen Einheiten. So ist ein Satz eine Abfolge von Wörtern (meist begrenzt und strukturiert durch die Regeln der Grammatik), aber es macht einen Unterschied, ob ich schreibe: "Es war Nacht." oder "Falter flatterten durch das Düster, dessen schweres Massiv nur durch einen halb aufgegangenen Mond geisterhaft beleuchtet wurde." Bei beiden werden aber Wörter zu einem Satz kombiniert. Und genauso kann man solche Kombinationen auf der Handlungsebene finden: mal springt der Held ins Wasser und taucht nach dem Schatz, mal springt er nicht ins Wasser und flieht stattdessen in die Berge.
In der Praxis lassen sich diese beiden Prozesse, die Selektion und die Kombination, nicht trennen. Jede Selektion verändert die Kombination und jede Kombination wirkt auf die Selektion ein.
Stil ist das Ergebnis von solchen Selektionen und Kombinationen.

01.06.2013

Wegevolutioniert, lieber Dan Brown, aber zack zack!

Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen, wie zum Beispiel von dem Bestseller-Autoren Dan Brown. Den zitiert die Welt-online folgendermaßen:
"Einige Leute sagen, Eugenik ist unnatürlich. Ich würde sagen: Ein Schimpanse benutzt einen Stock, um Ameisen aus ihrem Haufen zu angeln. Das ist ein Werkzeug. Die Evolution gebietet, dass der Affe es benutzt. Eugenik ist wie der Stock. Es ist ein Werkzeug."
Ich hätte da auch gleich einen äußerst konstruktiven Vorschlag zu machen: einfach ein paar Gene einsetzen, die die Unterscheidung zwischen Technik und Ethik ermöglichen oder die schlechte Schriftsteller gar nicht erst auf die Welt kommen lassen. Ansonsten schenke ich Herrn Brown gerne einen Stock. Ameisen sollen ja sehr gesund sein, zum Beispiel bei Gicht, eventuell sogar bei der geistigen.

Der Berliner Flughafen BER; die rhetorische Seite der Meinung

In den letzten Monaten habe ich mich immer wieder über die online-Ausgabe der Welt geärgert. Rechtschreibfehler, mangelnde Zeichensetzung, teilweise völlig absurde stilistische Patzer und eine infantile Parteilichkeit, ja fast eine Fetischisierung zum Beispiel von Angela Merkel, haben die Artikel dort zu einem echten Ärgernis gemacht.
Heute allerdings finde ich einen schönen Artikel, der auch rhetorisch recht interessant ist: Berlin und Brandenburg werden unter Niveau regiert. Diese rhetorische und argumentative Seite möchte ich genauer beleuchten; das Folgende ist also weniger politisch, als (schreib-)didaktisch gemeint. Auch wer sich weniger für den journalistischen, dafür mehr für den prosaischen Bereich interessiert, darf sich hier natürlich den einen oder anderen Gedankengang abschauen.

Aufbau des Artikels

Formal ist der Artikel durch einen Titel, einen Einstieg, ein Bild und sechs ausführende Absätze strukturiert. Zwischen dem dritten und dem vierten Absatz gibt es eine Zwischenüberschrift.

Inhaltliche Struktur des Artikels

Der Aufbau richtet sich nach inhaltlichen Kriterien. So ist die Überschrift in gewisser Weise provokativ; zumindest weist sie auf einen Mangel hin. Der Lead (so nennt Wolf Schneider den direkt unter dem Titel stehenden ersten Absatz) bleibt weiterhin am Mangel orientiert: "politisches Versagen", fehlende Konsequenzen, fehlendes Talent der Opposition. Der Mangel wird so in einen Konflikt umgewandelt; dem Leser wird dadurch gesagt: Akzeptiert diese Tatsachen nicht! Helft mit, diesen Zustand abzuändern!
Der nächste Absatz ist insgesamt sehr geschickt aufgebaut. Inhaltlich beginnt er nämlich mit einem kompletten Bruch. Plötzlich steht der Konflikt nicht mehr im Vordergrund, sondern dass die ganze Welt die Deutschen um Berlin beneide. Und hier entsteht für mich der eigentliche Aufmerksamkeitspol: zwischen der Stadt Berlin und den Regierenden wird getrennt; diese Trennung wird gleichzeitig als eine Opposition dargestellt (die Regierenden schaden Berlin) und durch weitere Beispiele untermauert: die Bürgerinitiativen wehren sich, die innovativen Start-Ups sind diejenigen, die Berlin erfinden, selbst Brüssel rügt die Berliner Regierung.
Zunächst aber ist diese Opposition noch stark suggeriert. Berlin als Objekt des Neides passt eben nicht zu dem Debakel um den Flughafen. Die Gegenüberstellung wird aber sofort verschärft: der Flughafen wäre "eine Gratiseinladung zu Hohn und Spott". Formal hätte man den ganzen ersten Satz auch durch einen Punkt aufteilen können. Der Autor scheint aber ganz bewusst ein Komma zu setzen, wahrscheinlich, um diese Gegenüberstellung als eine zusammenhängende Periode, also einen Satzverlauf, darzustellen.
Ab diesem Moment, also nach dem ersten Satz der eigentlichen Nachricht, wird der Konflikt weiter ausgeführt und mit "echten" Informationen aufgefüllt. Beispiel: "Nun hat die EU dem Projekt bescheinigt, …", wobei das "nun" auf ein aktuelles Geschehen hinweist.
Der Autor kommentiert allerdings sehr stark, weshalb dieser Text zwischen Nachricht und Kommentar schwankt. Die wirklich neue Information, zumindest für engagierte Berliner, ist die EU-Kritik an den veränderten Flugrouten. Denn dass die Berliner CDU durch ihre Streitigkeiten und Animositäten intern extrem beschäftigt ist und ihre Aufgaben als Opposition nicht mehr wahrnehmen kann, weiß man schon länger. Ebenso kennt jeder Berliner die Bürgerinitiativen. Und zu dem missglückten Flughafen braucht man wohl in ganz Europa nichts mehr zu sagen.

Erstmal kann man also zum groben Gang der Argumentation sagen, dass er eine Gegnerschaft aufbaut. Diese Gegnerschaft wird nun auf der einen Seite argumentativ gestützt: es gibt zahlreiche Gegner und zahlreiche Kritik an dem Projekt, auf der anderen Seite rhetorisch. Deshalb möchte ich im Folgenden die rhetorischen Mittel darlegen, die der Autor benutzt.

Isotopien, Konnotationen und die Rhetorik

Rhetorische Figuren im Text

Ein Fehler ist es zu glauben, dass man, wenn man eine rhetorische Figur benutzt, einfach nur den Text schmückt. Zwar heißt diese Teildisziplin der Rhetorik im griechischen ornatus, was Schmuck bedeutet, ist deshalb aber trotzdem bedeutsam. Selbst eine Alliteration, also der Gebrauch von Wörtern, die mit dem gleichen Buchstaben oder der gleichen Silbe beginnen, ermöglicht, einen Zusammenhang zu hören. Ein Gedicht von Rilke mag das erläutern:
Daraus, dass Einer dich einmal gewollt hat,
weiß ich, dass wir dich wollen dürfen.
Wenn wir auch alle Tiefen verwürfen:
wenn ein Gebirge Gold hat
und keiner mehr es ergraben mag,
trägt es einmal der Fluss zutag,
der in die Stille der Steine greift,
der vollen.

Auch wenn wir nicht wollen:
Gott reift.
Rilke, Rainer Maria: Das Stunden-Buch. in: Rilke: Die Gedichte. Frankfurt am Main 1986, Seite 208
Rilke benutzt sehr häufig Lautgleichheiten, also die Alliteration (gleiche Laute am Wortbeginn), Binnenreime oder Assonanz (gleiche Laute in der Mitte des Wortes) und Reim (gleiche Laute zum Wortende).
In diesem Gedicht finden wir zum Beispiel die Alliteration in den Worten "es ergraben" und "Stille der Steine". Besonders auffällig allerdings ist, dass Rilke bestimmte zentrale Wörter mit dem gleichen Laut anfangen lässt, nicht nur in diesem Gedicht. "Gebirge", "Gold" und "Gott" verknüpfen sich so zu einem unterhalb der ersten, oberflächlichen Bedeutung liegenden Muster, das diese Wörter zwar nicht deutlich, aber zumindest in Anspielung (also konnotativ) zusammenbringt.
Da Rilke dies sehr bewusst macht, dürfen wir das bei der Interpretation seiner Gedichte nicht übersehen. Normalerweise wird die Alliteration als phonologische Figur (also die Laute betreffend) bezeichnet. Doch ihre Leistung ist auch, bestimmte Wörter durch den Gleichklang in Zusammenhang zu bringen, also eine Frage der Gruppierung der Wörter, eine Frage der Assoziation, und eben nicht nur der Gefälligkeit und des sprachlichen Schmucks.
Ich gehe jetzt nicht tiefer auf Rilke ein. Sein Symbolismus erstreckt sich aber, das habe ich hoffentlich deutlich gemacht, nicht nur auf die Wörter, sondern auch auf die Laute. Dies führt dazu, dass das lyrische Ich (im Stunden-Buch) inhaltlich ständig nach einem verbindenden Band zu Gott sucht, dieses aber rhetorisch zerreißt. Dogmatisch gesagt: die Sprache ermöglicht und verhindert den direkten Kontakt zu Gott. Zumindest bei Rilke.

Isotopien

Isotopien sind Ebenen der Bedeutungsgleichheit. Um eine Isotopie festzustellen, muss man bestimmte Merkmale eines Wortes in einem Text bei anderen Wörtern ebenfalls feststellen. In unserem online-Artikel wird das Projekt Flughafen mit der Isotopie "unerwünscht" versehen: "Debakel", "Gratiseinladung zu Hohn und Spott", "dilettantisch", "gutsherrisch", usw.
Selbst in der Wendung "Kür der umstrittenen Flugrouten" wird diese Isotopie bedient, da sie ironisch ist und eben nicht eine besondere Glanzleistung bezeichnet, sondern das genaue Gegenteil.
In diesem Fall, in dem der Autor eine ganz klare Opposition aufbaut, kann man vor allem zwei Isotopien finden: den "Freund" und den "Feind". Ganz sicherlich findet sich der Autor auf der einen Seite wieder und selbstverständlich soll sich der Leser auf dieselbe Seite stellen. Es handelt sich also um einen Meinungsartikel. Im konkreten Fall eben: das dort sind die Regierenden und wir, wir sind die Bürger.

Rhetorische und argumentative Aspekte der Isotopie

Isotopien werden auf doppelte Weise getragen, einmal durch den sprachlichen Schmuck und einmal durch die Argumente. Die Wendung "Mosaik des Scheiterns" ist eine Genetivmetapher und gehört deshalb zu den rhetorischen Figuren. Dagegen präsentiert der Halbsatz "Es ist den engagierten und politisch klug agierenden Bürgerinitiativen gegen die Flugrouten zu verdanken …" zwei Argumente: einmal die Bürgerinitiativen, die mit den Attributen "engagiert" und "politisch klug agierend" versehen werden, also eindeutig positiv sind; und zum anderen die "Flugrouten", die zuvor als "umstritten" bezeichnet werden, also negativ.
So können auf doppelte Weise Isotopien aufgebaut werden. Zum einen finden sich die schlussfolgernden Zusammenhänge, die Argumente dafür und dagegen, die relativ offen im Text stehen und rasch zu lesen sind. Und auf der anderen Seite spielen die rhetorischen Figuren auf Bedeutungsunterschiede an, indem sie zum Beispiel über Metaphern Teile eines Textes mit einem negativen Bereich oder einem positiven verbinden. Dasselbe kann man übrigens bei Rilke finden, nur nicht so platt als Freund-/Feind-Denken. In seinen Gedichten ist die Identität von Gott eng verknüpft mit seiner Stummheit/Sprachlosigkeit. Das wäre nun nicht die erste Assoziation, die bibelfesten Christen einfallen würde. Rilke allerdings führt die Verknüpfung aus, indem er zum Beispiel Gott als einen Stein bezeichnet (eine Metapher) oder ihn als stumm bleibend darstellt (ein Argument). Dies führt dazu, dass die Isotopie "Stummheit/Sprachlosigkeit" auf Gott verweist. Es führt auch zu der Opposition zwischen Mensch und Gott, denn der Mensch spricht, Gott nicht; also eine Opposition von Merkmalen.

Konnotationen

Unser Autor benutzt zum Beispiel das Wort "gutsherrisch". Das ist ein Neologismus, also eine Wortneuschöpfung. Ebenso ist es eine Metapher. In der klassischen Metapherntheorie behauptet man, dass die Metapher ein Merkmal in einen anderen Bereich überträgt, also in diesem Fall von dem Bereich "Gutsherren" auf den Bereich "Regierende". Nun stellt uns allerdings diese konkrete Metapher vor ein großes Problem: der Bereich "Gutsherren" ist kein üblicher.
Wenn Metaphern in der Form von "dann lass uns mal dieses Problem beleuchten" auftauchen, fällt es uns wesentlich leichter, diese rhetorische Figur zu erläutern, weil sowohl Probleme als auch das Licht (worauf das Wort beleuchten hinweist) vertraute Bereiche des alltäglichen Lebens sind.
Fachlich gesehen sind Gutsherren Männer, die ein Gut, also ein größeres Stück Land, besitzen und bewirtschaften (lassen), üblicherweise mit einem größeren Gebäude als zentralen Ort (das Gutsgebäude). Historisch gesehen ist dieser Beruf ausgestorben. Landwirtschaftsbetriebe haben ihn übernommen und wer heute ein Gutsherr ist, macht dies nicht aus wirtschaftlicher Notwendigkeit oder pflegt zumindest nur noch sehr selten die landwirtschaftliche Tätigkeit.
Die fachliche Beschreibung hilft uns also nicht weiter. Wir müssen auf die kulturelle Bedeutung zurückgreifen und, das wird aus dem Kontext klar, auf eine negative. Nehmen wir also einfach mal das Wort "despotisch" oder "tyrannisch"; oder, wenn man das lieber hat: "vor allem auf sich selbst Rücksicht nehmend". Selbstverständlich ist das keine notwendige Eigenschaft von Gutsherren, sondern eine gelegentliche; sie ist nicht substantiell, sondern akzidentiell. Doch dies scheint der Autor nun tatsächlich zu meinen, wenn er die Aussagen der EU zitiert oder paraphrasiert, das Projekt sei "gutsherrisch betrieben" worden.
Dies nennt man dann eine Konnotation. Im Gegensatz zu Isotopie, die sich auch auf konkrete Merkmale stützt, steht die Konnotation zwischen den Zeilen. Der Halbsatz "würde Deutschland im Geld schwimmen" konnotiert die "Eurokrise". Diese wird nicht benannt, lässt sich aber leicht (mit)lesen.
Die Konnotation als Mittel der Interpretation lässt sich nur schwer definieren. Mal ist es eine Zusammenfassung, mal eine Anspielung, mal eine Idee. Steht zum Beispiel in einem Text "er hatte stumpfe, dunkle Augen, die tief in ihren Höhlen lagen" und "sein langer Umhang blähte sich wie Fledermausflügel auf", so konnotieren diese beiden Beschreibungen "Krankheit", "Verderbtheit" oder auch "Vampirismus". Man muss diese Worte nirgendwo finden und trotzdem legt uns ein Text solche Assoziationen nahe. Die Konnotation unterscheidet sich von der Assoziation dadurch, dass sie kulturell ermöglicht wird. Zwar stellt sich hier die Frage, ob es überhaupt Assoziationen geben kann, die nicht kulturell sind; im Gegensatz zur Assoziation ist die Konnotation allerdings keine psychische, sondern eine kulturelle "Leistung", die sich dann natürlich dem einzelnen Menschen auch einprägt. Mit anderen Worten: die Assoziation kann rein individuell gemeint sein, während die Konnotation sich zwar am einzelnen Menschen "beobachten" lässt, aber auch anderswo in der Kultur aufgefunden werden kann.

Metonymie und Konnotation: vorbereitende Anmerkungen

Nehmen wir ein letztes Beispiel. Der Journalist schreibt: "zur Freude jener Provinz, die den Moloch im brandenburgischen Sand nie mochte". Zur Erklärung: zunächst ist nicht wirklich klar, was mit "jener Provinz" gemeint ist. Die Provinz steht jedenfalls in einem Gegensatz zu der vorher erwähnten Hauptstadt. Hier verweist der Autor wohl auf Brandenburg. Diese rhetorische Figur ist eine Periphrase, also eine Umschreibung. Da das brandenburgische Umland von Berlin zumindest von den Berlinern auch gerne als Provinz bezeichnet wird, es sich also hier um eine Art geflügeltes Wort handelt, ist es auch eine Antonomasie. Die Antonomasie ersetzt einen Begriff durch einen Namen oder umgekehrt einen Namen durch einen Begriff. So kann ich Greta Garbo als die Göttliche bezeichnen und der eine oder andere Mensch kennt sogar diese Bezeichnung noch. Einfacher ist es bei Kohls Mädchen, die zumindest eine Zeit lang auf Angela Merkel verwiesen hat. Umgekehrt kann man Judas statt Verräter sagen oder Tempo statt Papiertaschentuch.
Das Wort "Moloch" wird wohl kaum im biblischen Sinne benutzt. Dort bezeichnet es (ich zitiere nach Wikipedia) "phönizisch-kanaanäische Opferriten, die nach der biblischen Überlieferung die Opferung von Kindern durch Feuer vorsahen". Die Konnotation von "Schrecken" und "Unmäßigkeit" ist aber geblieben. Moloch ist also eine Metapher (in diesem Text), die auf den Flughafen übertragen wird. Diese rhetorische Figur reiht sich in die Isotopie "Feind", bzw. "Verantwortungslosigkeit" ein.

Metonymie und Konnotation: der brandenburgische Sand

Brandenburg ist nicht wegen seines Sandes berühmt. Aus dem Erdkunde-Unterricht wissen wir aber, dass in der Eiszeit das Gebiet großflächig mit (ich zitiere wiederum Wikipedia) Geschiebemergel und Schmelzwassersanden bedeckt wurde. Sand gehört also als Teil zu Brandenburg. Doch eigentlich spielt er für die Argumentation keine Rolle. Er wird als Metonymie eingesetzt, als Teil für ein Ganzes.
Zugleich aber konnotiert das Wort Sand so etwas wie "Bodenständigkeit" und wirft dann die Frage auf, was dort ein Moloch (also der Flughafen) zu suchen hat. Wohl mit Bedacht setzt der Journalist die konkreten Beispiele bürgerlichen Erfolgs, die Bürgerinitiativen und die Start-Ups, den eher abstrakten (und negativen) Leistungen der Regierenden gegenüber. Nun ist das ein altbekannter rhetorischer Trick: das Positive wird konkret, das Negative abstrakt, unklar oder kaputt dargestellt.
In einer Rede, in dem Angela Merkel vor dem Bundestag Stellung zur außenpolitischen Gesprächen mit Obama nimmt, spricht sie des Öfteren davon, dass man die Sachen bei Licht betrachten müsse, bzw. ähnlichen metaphorischen Wendungen. Die Metapher des Lichts konnotiert Klarheit, allerdings auch Vollständigkeit. Was nicht vollständig ist, lässt sich auch nicht klar beurteilen und das ist natürlich schlecht. Dasselbe findet man in mancher Darstellung von Frauen: Frauen müssten einheitlich sein, damit es gute Frauen sind (und hier fällt unseren Pseudo-Biologen nichts besseres ein, als dass die Ganzheit der Frau in ihrer Mutterrolle bestehe); die heterogene, vielfältige Frau scheint auch heute noch ein Skandal zu sein, eine Chimäre, ein Flickwerk aus Mensch und verschiedenen Tieren.
Jedenfalls ist Sand ein sehr konkretes Objekt, während viele Menschen wohl das Wort Moloch nur noch als Andeutung kennen. Es ist ein "unangenehmes" Wort.

Zusammenfassung der rhetorisch-argumentativen Betrachtung

  • rhetorische Figuren müssen in ihrem Gesamtzusammenhang, in diesem Fall also im Text und der Kultur betrachtet werden;
  • die Isotopie definiert sich über ein gemeinsames, im Text verteiltes Merkmal;
  • Isotopien bestehen sowohl aus Argumenten und Schlussfolgerungen, als auch aus rhetorischen Figuren; (vgl. auch: Isotopien (Ilse Aichinger: Kleist, Moos, Fasane))
  • die Konnotation ist eine Anspielung, die zwischen den Zeilen steht und nicht ausdrücklich benannt wird;
  • Unterschiede: der Kontrast ist ein sinnlicher Unterschied, die Opposition ein rein gedanklicher oder begrifflicher Gegensatz; unterschiedlich sind allerdings auch Liebe und Freude, ohne in Opposition zu stehen;
  • ein Merkmal ist dann substantiell, wenn es notwendig zu einem Gegenstand, einem Vorgang oder einer Idee gehört;
  • ein Merkmal ist akzidentiell, wenn es nur der Umstände halber auftritt.
Zudem eine Liste der rhetorischen Figuren, die ich in diesem Artikel verwendet habe:
  • Alliteration: bezeichnet die wiederholte Verwendung von Wörtern mit gleich Lauten am Anfang
  • Antonomasie: die Vertauschung von Begriff und Namen
  • Binnenreim oder Assonanz: der wiederholte Gleichlaut innerhalb von Wörtern
  • Metapher
  • Metonymie
  • Neologismus: ein Wort, das es bisher noch nicht gab
  • Periphrase: die Umschreibung

Zum Schluss: die Intention des Autors

Zunächst muss ich den Autor loben. Sein Artikel zeugt von journalistischem Können und auch wenn es vor allem ein Meinungsartikel ist, informiert er doch oder fasst zumindest nochmal die Informationen gut zusammen. Er ist polemisch, aber auch amüsant. Und natürlich möchte er Klaus Wowereit und Matthias Platzeck schlecht machen; doch ohne dabei Namen zu nennen, wird auch die Opposition kritisiert. Da sie fehlt, könnte man jetzt spotten, lässt sich auch niemand beim Namen nennen.
Viel wichtiger allerdings ist, dass die Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen deutlich aufgewertet wird. Wenn die Regierenden wie selbstgefällige Könige handeln und die Opposition gar nicht, dann sind es eben die Bürgerinitiativen, die Entscheidungen erzwingen, die auf der Grundlage des Gesetzes beruhen. Und selbst das sonst so bürokratische und kleinkarierte Brüssel trifft mal eine Entscheidung, die sich nicht um das Normmaß von Ölkännchen dreht. Der Autor will uns also deutlich machen, dass politische Entscheidungen durchaus vom Bürger beeinflusst werden können und dass es sich lohnt, in politischen Initiativen (und nicht nur in Parteien) aktiv zu werden.
Das ist bei der sonstigen Lobhudelei für Angela Merkel und die Bundesregierung doch mal ein neuer Ton, den die Welt-online anschlägt. Vor allem aber ist es, und das ist bei der Welt selten geworden, ein Artikel ohne Rechtschreibfehler, ohne seltsame Zeichensetzung und vor allem mit gekonnt platzierten stilistischen Mitteln. Angeblich bin ich in den letzten Jahren ja ganz schön konservativ geworden und wäre ein potentieller Welt-Leser. Doch in den letzten Monaten habe ich sie mir kaum antun können, alleine schon aus ästhetischen Gründen.
Jedenfalls wird Ulf Poschardt in Zukunft öfter von mir aufgesucht, denn dieser Mensch versteht sein Handwerk und erscheint insgesamt auch das Herz auf dem richtigen Fleck zu haben, eher linksliberal als neokonservativ-scheinliberalistisch.