24.09.2013

Filmtheorie, Computerprogramme und ein verloren gegangener Max Frisch

Neulich habe ich eine ganz spannende Arbeit zur psychoanalytischen Filmtheorie betreut. Die ganze Sache war deshalb aufregend, weil die Kundin überhaupt nicht auf die Lacansche Psychoanalyse vorbereitet war, ja nicht einmal auf die grundlegenden Theorien von Freud. Thema des ganzen Seminars war ›Das Unheimliche in Buch und Film‹. In der Literaturliste wurde Sigmund Freuds Schrift ›Das Unheimliche‹ nicht erwähnt. Jene Studentin ist also erbärmlich schlecht auf diese Hausarbeit vorbereitet worden, was man ihr selbst gar nicht zum Vorwurf machen kann. Schreiben sollte sie über ›The shining‹ von Stephen King, bzw. dessen Verfilmung durch Stanley Kubrick.
Was ich nun wirklich überhaupt nicht leiden kann: wenn ich völlig verzweifelte Studenten am Telefon habe, deren ganzes Studium von so einer blöden Seminararbeit abhängt, und ich dann merke, dass ein Großteil dieser Verzweiflung einfach aus einer völligen Überforderung durch ein schlecht aufgebautes Seminar entsteht. Schon alleine der Arbeitsauftrag ist viel zu unstrukturiert gewesen. Zumindest hätte der Dozent Hinweise geben können, was die Studentin besonders beachten sollte. Ein paar Tipps für die Sekundärliteratur wären auch nicht schlecht gewesen. Ich kenne die Filmtheorie ja eigentlich nur am Rande, aber mir sind sofort ein paar Bücher eingefallen, die man beachten könnte.
Nun: im Wesentlichen haben wir den Arbeitsauftrag eingegrenzt auf die grundlegenden Mechanismen der Traumarbeit in Text und Film und wie diese sich bei King und Kubrick darstellen.

Sehr empfehlenswert ist das Buch ›Filmtheorie zur Einführung‹ von Thomas Elsaesser und Malte Hagener aus dem Junius-Verlag.

Zeitlich hat mich ein Auftrag sehr gebunden. Ich sollte eigentlich nur das Skript zu einer internen Schulung schreiben. Dann aber hatte der Programmierer, der für die Umsetzung verantwortlich war, einen Motorradunfall, was mich in das Vergnügen gebracht hat, die ganze Schulung selber zu programmieren. Das Programm dazu verlangte überhaupt keine Kenntnisse in irgendwelchen Computersprachen, sondern war intuitiv bedienbar. Also kein Problem!

Vor einigen Wochen habe ich mir die gesammelten Werke von Max Frisch bestellt, aus einem Antiquariat in Amerika. Letzte Woche sind diese nun angekommen, d.h. ein Paket. Es war das falsche Buch drin. Zwei kurze und sehr nette E-Mails mit dem Vertrieb. Nein, der Frisch ist nicht aufzutreiben. Man habe falsch etikettiert. Schade! Das andere Buch darf ich behalten; die Kosten habe ich zurückerstattet bekommen. Nett, und trotzdem bin ich etwas enttäuscht.

Seid ihr wählen gegangen? Ich schon. — Eigentlich wollte ich den Wahlkampf mit einigen rhetorischen Analysen begleiten. Stattdessen habe ich mich intensiver mit Aspekten der politischen Philosophie beschäftigt, insbesondere mit Hannah Arendt. Interessiert hat mich insbesondere die Verbindung zwischen der Politik als „Job“ und der politischen Haltung des Bürgers aus ethischen Gründen. Allzu viel kann ich dazu noch nicht sagen: zum einen hatte ich wenig Zeit und zum anderen kann ich kaum mehr als erste Wege ins Gehölz vorzeigen.
Ganz wundervoll sind die politischen Essais von Judith Butler, die sie in ›Gefährdetes Leben‹ veröffentlicht hat. Mit diesen muss ich mich ebenfalls intensiver auseinandersetzen. Und nebenbei habe ich mir Michel Foucault hervorgeholt. Hier habe ich zunächst aus dem Buch ›Diskurstheorien und Literaturwissenschaft‹ den Artikel ›Zum Diskursbegriff bei Foucault‹ von Manfred Frank durchgearbeitet und gerade im Moment von Claude Lévi-Strauss ›Die Struktur der Mythen‹ aus ›Strukturale Anthropologie I‹.

Was habe ich gewählt? Nun, das meiner Ansicht nach kleinste Übel der Opposition. Zum Schluss hat mich dieses ganze Theater nicht mehr interessiert. Nicht nur durch Hannah Arendt und Judith Butler, sondern auch durch Aristoteles, Kant und Foucault erscheint mir die Tagespolitik als immer befremdlicher und immer unwirklicher. Vielleicht sollten die Politiker einfach mal aufhören, dem Volk zu sehr aufs Maul zu schauen und das ganze lieber bei den Philosophen versuchen. Dem Volk würde übrigens eine solche Kehrtwendung auch nicht schlecht tun.

Moodboards und Neuro Response Design

Wir müssen das Moodboard so gestalten, dass das Neuro Response Design optimiert ist.
So sagte mir ein Mensch, mit dem ich neulich zusammengearbeitet habe.
Was denn ein Moodboard sei, fragte ich.
Na, so eine Seite, die Gefühle weckt.
Also, Sie zeigen mir gerade eine Seite, die in mir das Gefühl tiefster Ratlosigkeit weckt, erwiderte ich.
Jener Mensch lachte und meinte, dass Designer so reden.
Und was ist jetzt ein Moodboard? - In diesem Punkt wollte ich beharrlich bleiben.
Das sei eine für den User gestaltete Internet-Seite.
Aha! - Nächste Frage: Was ist Neuro Response Design?
Das ist, wenn die Botschaft beim User rüberkommen soll.
Also so etwas wie Tafelbild-Gestaltung, nur eben multimedial und ohne Lehrer?, fragte ich.
Lacht der Mensch schon wieder. Ja, so könne man das auch sagen. Aber als Designer müsse man auf seine Kunden achten.
Da musste ich dann daran denken, dass Lehrer das ja irgendwie auch machen. Aber das habe ich natürlich nicht gesagt. Gefragt habe ich, ob es dabei irgendwelche Besonderheiten gäbe.
Das Ganze ist ein bisschen komplizierter, sagte jener Mensch. Man würde jetzt auch das soziale Umfeld der User beachten, also den Freundeskreis und die Freizeitgestaltung.
Also eine möglichst ganzheitliche Schülerbeschreibung?, fragte ich. Mittlerweile war ich von dem kurzen Gespräch völlig erschlagen.
Ja, sagte jener Mensch, so könnte man die Fachsprache der Designer übersetzen. Er selbst sei ja "nur" Informatiker. Aber als er neulich auf einer Fachtagung für Neurotainment (sprich: Njurohtäinment) gewesen sei, hätten die dort alle so gesprochen. Die Hälfte habe er auch nicht verstanden. - An dieser Stelle seufzte ich vernehmlich auf, was ihn zu einem erneuten Heiterkeitsausbruch verleitete.
Und wo ist jetzt das Neuro vom Neuro Response Design?
Na, die haben alle behauptet, dass das Design durch das Gehirn gehen müsse.
Da musste ich dann auch mal herzlich lachen.

Wir machen unseren Kunden also nicht mehr ein Produkt schmackhaft, sondern bizzeln sie solange mit 0,7 Volt-Erkenntnissen, bis sie sich gezwungen sehen, das Produkt zu kaufen.

09.09.2013

Nachrichten aus der Zwischenwelt — Bücher, Bücher, Bücher

Sollte irgendjemand meinen, ich hätte mich zurückgezogen, muss ich ihm unrecht geben. Ich bin am Lesen.

Und am Arbeiten. Nachdem mein Blog im Juli deutlich unter 2000 Besucher im Monat abgerutscht ist, kann ich mich derzeit überhaupt nicht mehr beklagen. Mein Artikel ›Wie man immer noch ein erfolgreicher Schriftsteller wird‹ hat seit seinem Erscheinen vor etwa vier Wochen über 20.000 Besucher gehabt. Das ist geradezu irrsinnig!
Dass mein Blog über die Jahre hin doch einen gewissen Erfolg zu verbuchen hat, liegt mit Sicherheit nicht daran, dass ich dem typischen Marketing nachgebe: nämlich einen Blog über ein bestimmtes, eng begrenztes Thema zu führen. Vielmehr hat sich lange Zeit die Besucherzahl auf bestimmte Artikel konzentriert, zum Beispiel dem zum sinnentnehmenden Lesen oder dem zum Grammatikunterricht.
Hier haben sich nach und nach die regelmäßigen Besucher konzentriert, was meinem Blog insgesamt eine bessere Stellung bei Google verschafft hat. Ich musste mich eben in Geduld üben.

Jedenfalls kann ich im Moment nicht über Aufträge klagen. Ich suche mir die besten heraus. Und auch mal den einen oder anderen spannenden, den ich kostenlos erledigen muss, weil es schlichtweg unsinnig wäre, von diesem Menschen Geld zu verlangen. So hatte ich neulich eine Anfrage zu ein paar Sätzen aus Max Frischs Stiller und zwar von einer Studentin aus der Ukraine. Es ging um Feinheiten der Satzbedeutung. Recht nett war dabei auch, dass ich mich mit dieser Studentin dann über Skype unterhalten konnte, per Video, ganz kostenlos und, sieht man von einem gewissen Ruckeln ab, auch face-à-face. Thema war die Nachkriegsliteratur insgesamt; die Studentin hatte sich, was sinnvoll war, auf den Stiller beschränkt. Ihr hätte ich aber nur mit schlechtem Gewissen eine Rechnung stellen können. Wer sich mit knapp 100 € Monat durchschlägt, kann mich gewiss nicht bezahlen.

Vor einigen Wochen habe ich beschlossen, dass ich, wie ich es vor vier Jahren getan habe, mit einigen Kommentaren zum Wahlkampf und zu den Wahlprogrammen Stellung nehme. Genau dies aber ist nun nicht passiert. Als ich Ende April eine Arbeit zu Aristoteles vorliegen hatte, zur Nikomachischen Ethik, habe ich mich mit dieser gründlicher beschäftigt. Parallel dazu habe ich, für mich, die Dialektik der Aufklärung angefangen durchzukommentieren. Und schließlich wollte ich, ebenfalls als Privatvergnügen, eine Serie zu Judith Butler schreiben, um gewisse Voraussetzungen ihrer Philosophie allgemeinverständlich darzulegen.
All dies hat mich, parallel zu Max Frisch und Christa Wolf, zu all jenen Schriftsteller und Philosophen geführt, die die Nachkriegszeit intellektuell mitgestaltet haben. Uwe Johnson zum Beispiel, von dem ich bisher nur das dritte Buch über Achim kannte. Seit letzter Woche besitze ich die Jahrestage, ein ganz wundervolles Werk.
Ein anderes Werk, das ich begonnen habe, fleißig durchzukommentieren, ist ›Dimensionen des Autors‹ von Christa Wolf. Schließlich habe ich ›Der eindimensionale Mensch‹ von Herbert Marcuse mit einigen Anmerkungen "versorgt", von Negt und Kluge (wieder einmal) ›Geschichte und Eigensinn‹, von Georg Seeßlen und Markus Metz ›Blödmaschinen‹; dann: Hannah Arendt. (Und nicht: Wahlkampfkommentare!)

Hannah Arendt also!
Arendt ist mir bereits im Mai durch Judith Butler begegnet, in einem aufgezeichneten Gespräch zwischen Butler und Gayatri Chakravorty Spivak, einer indischen Philosophen. Dieses Gespräch nennt sich ›Sprache, Politik, Zugehörigkeit‹. Aktuell ist dieses Buch auch deshalb, weil es über die Zurichtung von Menschen zur Staatenlosigkeit handelt; aktuell zum Beispiel wegen Snowden. Die Erörterungen zur Hannah Arendt finden sich ab Seite 14.
Eine schöne Biografie zu Arendt hat Thomas Wild geschrieben, bei Suhrkamp erschienen in der Reihe Suhrkamp Basisbiografie. Abgesehen von einigen Sätzen, die mir zu schrill geraten sind, ein rückhaltlos schönes Buch. Genauso empfehlenswert, mit etwas weniger Pathos geschrieben, ›Hannah Arendt zur Einführung‹ von Karl-Heinz Breier.
Von Thomas Wild schließlich ist das Buch ›Nach dem Geschichtsbruch. Deutsche Schriftsteller um Hannah Arendt‹; dazu kann ich nun noch nicht genügend sagen, da ich es erst zu lesen begonnen habe. Einen leichten Stich der Enttäuschung hat es mir versetzt, da ich Max Frisch darin nicht gefunden habe. Hilde Domin, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann, Rolf Hochhuth und Hans Magnus Enzensberger. Auf diese bezieht sich Thomas Wild.
Zu Walter Benjamin bin ich schon vor längerer Zeit zurückgekehrt, wegen einiger Passagen aus den Tagebüchern von Max Frisch, jetzt aber auch wegen Hannah Arendt. Hannah Arendt ist auch die Herausgeberin der gesammelten Werke von Hermann Broch. Dessen Bücher habe ich nun seit Jahren im Bücherregal stehen, aber auch seit langer Zeit sehr unbeachtet.

Neulich habe ich Brochs ›Der Tod des Vergil‹ hervorgeholt. Aus einem ganz anderen Grund übrigens: es ging um die Sätze in ihrem textlichen Zusammenhang. Geleitet hat mich zunächst ›Leibhaftig‹ von Christa Wolf, dann ihre ›Kassandra‹. Parallel dazu die ›Philosophische Grammatik‹ von Wittgenstein.
Jedenfalls habe ich mir jetzt die anderen Bücher von Broch wieder hervorgeholt.

Name-dropping? Das also soll es gewesen sein, Herr Weitz?

Einmal wurde ich als Wühler bezeichnet. Diese leicht spöttische, aber ebenso freundliche Benennung mag ich zum Beispiel viel lieber akzeptieren als jene des Literaturkritikers, die mir vor zwei Tagen zugedacht wurde.

Wenn ich denn mal Zeit habe, besteht meine Arbeit, also eigentlich mein Vergnügen, darin, Texte frei durchzukommentieren und viel zu zitieren. All das wandert in meinen Zettelkasten. Beim derzeitigen Stand mag ich aber nicht zu all den politischen Vorgängen eine Meinung äußern. Dass Vieles im Argen liegt, muss man kaum weiter erläutern. Besorgter bin ich um meine eigene Position, die sich in den letzten 20 Jahren deutlich als eine liberale abgezeichnet hat. Mehr denn je möchte ich aber nicht nur reflektieren, sondern auch konstruktive Wege aufzeigen, jenseits der Selbstdarstellung als Opfer, den manche Intellektuellen so wundervoll pflegen können und die zugleich jegliche Handlungsunfähigkeit rechtfertigt.

Damit erspare ich euch auch sämtliche anderen Bücher aufzuzählen, die ich mir in den letzten Wochen antiquarisch zugelegt habe, teilweise für nur einen Cent. Es sind zahlreiche!

Ein Buch jedoch darf ich noch erwähnen, dazu auch einen Artikel ankündigen: David Baldacci: ›Bis zum letzten Atemzug‹, ein Thriller. Wahrscheinlich wird er die Grundlage für den Folgeartikel zu Thriller schreiben bilden. Und auch noch zu einigen weitergehenden Anmerkungen.

Eine dieser Anmerkungen wird die Erzählsituation betreffen. Baldacci ist nämlich ein gutes Beispiel dafür, dass die Erzählsituation (oder auch: Erzählperspektive) rasch wechseln kann und die Behauptung, man würde für ein Buch ausschließlich die personale Erzählsituation wählen, zwar für einzelne Werke treffen kann, aber weder für eine gute Qualität bürgt, noch realistisch ist.
Demnächst also genauere Erläuterungen zur Erzählsituation. Versprochen!

Seit einer Woche bin ich offizielles Mitglied bei Qindie, einem Zusammenschluss von Autoren, die ein Gütesiegel vergeben. Ich bin nun weiß Gott kein Freund dieser teilweise hanebüchenen Auseinandersetzungen um literarische Qualität. Zumindest aber konnte ich jetzt im Forum von Qindie feststellen, dass einige der Mitglieder eine sehr breite Basis an Leseerfahrung mitbringen und das stimmt mich doch äußerst hoffnungsvoll.

Gesundheitlich geht es mir hervorragend.

08.09.2013

Warum manche Frauen gute Schriftstellerinnen sind! oder: Irrtümer einer gewissen Logik

Da haben wir es wieder, diesen tollen Vorwurf: ich hätte in der mathematischen Logik mangelnde Kenntnisse, es bliebe, so ein gewisser Kai Sievers, der fade Beigeschmack der Ignoranz und es sei abenteuerlich, was einige Literaturkritiker meinen über Logik zu wissen.

Der Sachverhalt

Worum geht es?
Letzten Endes um den Unterschied zwischen einer bestimmten mathematischen Logik und dem Argumentieren im Alltag. Und in diesem Fall um meine Rezension zu einem Büchlein, das sich Argumentieren nennt.
Dazu gab es dann einen Kommentar (nachzulesen auf Amazon), der sich auf meine Kritik am Kettenschluss bezog und meinte, dass der Kettenschluss, den ich kritisiert habe, durchaus richtig sei.
In meiner Antwort habe ich dann darauf hingewiesen, dass ich die innere Form des Kettenschlusses gar nicht kritisiert habe, sondern die Einordnung in den umliegenden Gesamtzusammenhang.

Nun fühle ich mich seit zwei Tagen, nämlich genau, seit der Herr Sievers, in Reaktion auf die Kommentare zu meiner Rezension, seinen unsachlichen Kommentar geschrieben hat, dazu gedrängt, doch etwas zur Argumentationslehre zu sagen, was allgemeinerer Natur ist.
Obwohl manche Leser natürlich wissen, dass ich mich immer wieder auf bestimmte Logiken und Logikfehler beziehe, zum Beispiel mit sämtlichen Artikeln, die sich auf die Extrapolation beziehen, oder zum Beispiel mein Aufsatz zur Logik des Kriminalromans (mit noch deutlichen begrifflichen Unsicherheiten), schreibe ich immer noch ungerne über die Logik als Fachgebiet.
Das hat aber ganz andere Gründe, als meine komplette Unkenntnis auf diesem Gebiet.

Was Logik (auch noch) ist

Einer der Gründe, warum ich mich mit allgemeinen Darstellungen bisher zurückgehalten habe, ist, dass ich, als ich mich dann tatsächlich mit der philosophischen Logik beschäftigt habe, festgestellt habe, dass diese auf ganz anderen Ebenen ihren Streit austrägt, als eben auf dieser formalen Ebene der Schlüsse. So gehört zum Beispiel zu meinen neuesten Errungenschaften das unvollendet gebliebene posthume Werk ›Das Urteilen‹ von Hannah Arendt. Arendt spricht aber nun keineswegs von den Schlüssen, sondern von der Beziehung zwischen dem Urteil und der Politik und, soweit ich dies beim ersten Durchlesen verstanden habe, wie der Bürger durch seine Urteile an einer politischen Öffentlichkeit teilnehmen kann. Hier ist übrigens das Wort Politik nicht mit der Berufspolitik zu verwechseln, sondern mit den Formen des organisierten Zusammenlebens, unter anderem eben dem Staat, zu verstehen.
Dass es also in der Logik durchaus um ethische Grundfragen gehen kann, war mir nicht so ganz neu, damals, als ich mich damit zu beschäftigen angefangen habe, aber es hat vorher lange Zeit nur am Rande meiner Aufmerksamkeit als mögliche Idee gelebt.

Das ist der eine Grund für meine Zurückhaltung. Hier fehlt mir tatsächlich eine eigene Position und meine ganze Kritik, zum Beispiel an den Extrapolationen, basiert mehr auf der Grundhaltung, dass bestimmte Sachen nicht gehen oder zumindest angezweifelt werden müssen. Zu einer Darstellung fremder Logiken hat mir bisher auf der einen Seite die Lust und auf der anderen Seite die Übersicht gefehlt, ein Zustand, der wohl auch noch ein wenig andauern wird.

Verwirrung der Begriffe

Der andere Grund ist die komplette Verwirrung der Begriffe, die die Logik oder auch nur das praktische Argumentieren betreffen. Als eines der negativen Beispiele mag dann jenes von mir geschmähte Buch ›Argumentieren‹ bilden. So wird dort der Begriff Argument für das verwendet, was in der klassischen Logik als Schluss bezeichnet wird. Ein Schluss schließt nämlich aus zwei oder mehreren Beweisgründen oder Argumenten oder Prämissen auf eine daraus folgende Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit. Diese Folgerung nennt man deshalb auch Schlussfolgerung (oder Konklusion, manchmal auch: Konsequenz).
Wenn nun die beiden Autoren den Schluss als Argument bezeichnen, missachten sie zumindest den klassischen Gebrauch der Begriffe. Und das war ja eine meiner Kritiken an dem Buch: dass sie eben dem Leser nicht ermöglichen, zumindest nicht leicht ermöglichen, an andere Darstellungen der Logik anzuschließen.

Übrigens bezeichnen die Autoren dann den Kettenschluss als FullPower-Argument. Welchen Sinn diese Umbenennung haben soll, erschließt sich mir nicht.

Der Kettenschluss; oder: Frauen als Vögel

Man frage sich also, was überhaupt ein Kettenschluss ist.
Folgt man der Logik von Kant (Werkausgabe Bd. VI, Seite 417-582), so kann man dort folgendes lesen:
Ein aus mehreren abgekürzten und unter einander zu Einer Konklusion verbundenen Schlüssen heißt ein Sorites oder Kettenschluss, … (566)
Der aufmerksame Leser wird hier eine weitere Verunsicherung erfahren. Wir hatten eben noch von dem einzelnen Schluss gesprochen, jetzt von verbundenen Schlüssen, also doch wohl mehreren. Das ist richtig: ein Kettenschluss besteht immer aus mehreren Schlüssen. Das griechische Wort Soros kann mit Haufen übersetzt werden.

Formal gesehen ist eine Form des Kettenschlusses also folgende:
(a→b; b→c)→(a→c)
Ausformuliert:
Wenn Frauen intelligent sind, dann sind sie Vögel; wenn Vögel schreiben, dann schreiben sie gute Bücher; woraus insgesamt folgt: manche Frauen (nämlich die intelligenten) schreiben gute Bücher, sind also folglich gute Schriftstellerinnen.
Nun gibt es natürlich gute Schriftstellerinnen, womit mein Kettenschluss bewiesen wäre.

Enthymeme

Wenn man sich etwas besser mit der Logik auskennt, kann man bei dem Beispiel, das ich in meiner Rezension kritisiert habe, noch auf eine andere Art und Weise stutzig werden. Wird der Schluss (Syllogismus) entweder auf Wahrscheinlichkeiten gestützt (so die Peripatetiker) oder wird der Schluss abgekürzt, meist durch den Mittelsatz (so Quintilian), oder wird gar eine Schlusskette vorausgesetzt und deshalb weggelassen, also mehrere Syllogismen (eine Möglichkeit, die die Schule von Port-Royal zulässt) abgekürzt, spricht man von einem Enthymem.

Gegen ein Enthymem ist nichts zu sagen. Es hat zahlreiche Funktionen, zum Beispiel in einer Rede die Zuhörer nicht mit überflüssigen Details zu langweilen. Problematisch werden solche Enthymeme erst, wenn sie nur scheinbare Enthymeme sind, also gar nicht auf einem Syllogismus beruhen, sondern auf einem Trick oder einem Wortspiel.
Die Autoren des Buches ›Argumentieren‹ stützen sich in ihrem Beispiel (das ich in meiner Rezension kritisiert habe) auf die ersten beiden Formen des Enthymems:
Wenn wir es nicht schaffen, dass alle Abteilungen intensiv zusammenarbeiten, werden wir unser Umsatzziel nicht erreichen. (Seite 48).
Ausgelassen wird hier der Mittelsatz, den man wie folgt ergänzen kann: was intensiv zusammenarbeitet, erreicht das Umsatzziel. Und jetzt hängt alles davon ab, ob das Merkmal ›intensive Zusammenarbeit‹ notwendig zum Merkmal ›Umsatzziel erreichen‹ führt, dann wäre zumindest dieser Teil des Kettenschlusses tatsächlich absolut stichhaltig, oder ob er nur der Umstände halber zutreffen kann; dann aber stützt dieser Schluss die Konklusion nicht „hundertprozentig“ (wie die Autoren behaupten).
Natürlich gibt es einen starken Grund, die intensive Zusammenarbeit mit der Verbesserung des Umsatzzieles zu verknüpfen. Dieser Grund ist die Erfahrung, die man mit verbesserter Zusammenarbeit machen kann. Trotzdem entsteht dadurch kein notwendiger Schluss, sondern nur ein wahrscheinlicher. Wie so häufig im Leben.
Die formale Richtigkeit von Schlüssen ändert dann manchmal nichts an der Gültigkeit von der Schlussfolgerung. Jeder Mensch wird mir zustimmen, dass manche Frauen gute Schriftstellerinnen sind. Und ich nehme an, dass jener Mathematiker, mit dem ich mich im Anschluss an meine Rezension disputiert habe, auch der formalen Richtigkeit meines oben gelieferten Kettenschlusses zustimmen wird. Und trotzdem bleibt dieses Beispiel doch irgendwie irrsinnig.

Ein gewisser gestrenger Kritiker

Den letzten Absatz muss ich dann wohl meinem strengen Kritiker widmen. Wenn er mir mangelnde Kenntnisse in der mathematischen Logik vorwirft, so muss ich ihm — leider! — bedingt sogar Recht geben. Um ein Beispiel zu geben: die mathematische Logik muss mit Mengen umgehen, die notwendigerweise eine Einheit bilden. Quine gibt als Beispiel in seinem Buch ›Grundzüge der Logik‹ die zwölf Apostel und bemerkt dazu, dass ein Apostel zwar fromm sei und dies für jeden der zwölf Apostel gelte, dass aber kein Apostel das Merkmal Zwölfheit trage. Nun ist mir durchaus klar, dass es zwölf Apostel sind. Nicht verstanden dagegen habe ich, wie Quine daraus seine Schlussfolgerungen zieht, dass die zwölf Apostel nicht nur durch Gewohnheit zusammengehören, sondern wie dies formallogisch zu bestimmen sei; zumindest habe ich es nur zur Hälfte verstanden (das Beispiel findet sich ab Seite 295 ff.).
Sievers scheint mir aber vorzuwerfen, dass ich vom Kettenschluss keine Ahnung hätte. Nun basiert der Kettenschluss auf den Schlüssen und die Schlüsse an sich sind recht simple logische Verknüpfungen. Da ich gerade dies aber nicht kritisiert habe, sondern, wie ich schon in meiner Rezension dargelegt habe, eigentlich nur die Bezeichnung und die Tragweite der Schlussfolgerung, ist dieser Vorwurf natürlich unsinnig.
Denn selbst wenn ich hier falsch argumentiert hätte, hätte Sievers hier von einem Einzelfall (diese Beweisführung ist unlogisch) auf eine allgemeine Regel (Herr Weitz hat keine Ahnung von Logik) geschlossen, einen Beweis, den man durchaus im Auge behalten darf, der aber als einer der unsichersten in der Logik gelten darf. Was uns der Herr Sievers verschweigt. Oder, was auch eine Möglichkeit wäre, weil er selbst keine Ahnung von Logik hat.

Für ebenso unsinnig halte ich meine Benennung zum Literaturkritiker. Dazu müsste man erstmal klären, was Kritik ist. Wie viele Wörter, die im Alltagsleben als bare Münze genutzt werden, um dem Moloch des Konkurrenzdenkens zu huldigen, ist auch das Wort Kritik oft kein aufklärendes, sondern nur ein gewalttätiges Wort. Ähnlich übrigens dem Wort verstehen, von dem die meisten Menschen gar keine Definition liefern können, aber es doch in schönster Regelmäßigkeit gebrauchen, um sich aufzuspielen oder jemand anderen herunterzuputzen.
Aufschlussreich dazu ist übrigens das Kapitel ›Logik des Fanatismus — Geschlossene und offene Welt‹ im Buch: Weimer, Wolfgang: Logisches Argumentieren, Stuttgart 2005; dies kostet nur fünf Euro, ist wesentlich inhaltsreicher, benutzt die klassischen Begriffe und verweist sehr ordentlich auf weiterführende Literatur, im Gegensatz zum von mir geschmähte Argumentieren für fast neun Euro.

Würde ich diese Zuweisung nun zurückgeben wollen, müsste ich Herrn Sievers fragen, ob er denn Mathematiker sei und ihm ansonsten das Recht auf den richtigen Gebrauch logischer Schlussfolgerungen absprechen, da er ja nur ... was weiß ich auch immer sei.
Ich habe nun keine Ahnung, wer jener Kai Sievers ist. Und, das darf ich gestehen, es interessiert mich auch nicht. Ich habe seinen Kommentar deshalb auch nicht beantwortet, um mit ihm eine Diskussion zu führen, sondern "nur", um einige allgemeine Missverständnisse auszuräumen, was Logik ist und wo bestimmte Grenzen der Logik verlaufen. Und der eigentliche Hintergrund dazu ist, dass ich zum Beispiel neulich tatsächlich mal wieder in den Fernseher geschaut habe und zwar in eine Sendung von Markus Lanz, die (am 06.06., wie ich eben gegoogelt habe) mit Gregor Gysi und einigen anderen lief. Im Rahmen des Wahlkampfes ärgere ich mich gerade darüber, wie suggestiv die Reden unserer Politiker sind, wie wenig sie noch den Regeln einer guten Diskussion gehorchen. Lanz nun heizt dieses Klima des Nicht-Diskutierens auch noch auf. Und bietet dadurch ein schlechtes Vorbild, als Journalist und als Bürger.

Frappant ist auch die Unterstellung, dass man als Literaturkritiker nicht nur eine abenteuerliche Vorstellung von der Logik hat, sondern dass damit impliziert wird, die Literaturwissenschaftler hätten ja auch irgendwie nichts mit Logik zu tun. Wenn man sich aber ansieht, wie bestimmte Zweige der Literaturwissenschaft argumentieren, nämlich dort, wo sie sich mit zum Beispiel der formalen Logik berühren, dann muss man mindestens die Grundlagen der Aussagenlogik gut verstanden haben.
Aber selbst, wenn es nicht so wäre, selbst, wenn dies nicht ein Teil der Studiums wäre, heißt das noch lange nicht, dass sich ein einzelner Mensch nicht auch alleine darin einarbeiten könnte. Dazu gibt es ja eben Ratgeber, die einem die Grundlagen des guten Argumentierens beibringen können und die allgemeinverständlich geschrieben sind, ohne die ganze Komplexität der Logik auf ein bisschen Satzverknüpfung zusammenzudampfen.

Wäre mir nach Rachsucht zumute, könnte ich meinem Kritiker nicht nur eine fehlende Kenntnis betreffs der Argumentation/Logik, sondern auch der Literaturwissenschaft unterstellen und ihn, im Gegenzug, dazu auffordern, dass er das doch gefälligst anzumerken hat, wenn er mir schon einen solchen Kommentar schreibt. Ich könnte konstatieren, ganz ohne Verlaub, dass sein Kommentar den faden Beigeschmack der Ignoranz trage und es abenteuerlich sei, was irgend so ein aus dem Internet mir zugelaufener Leser meine, über Logik zu wissen und dazu noch über meine Kenntnis der Logik.
Nun ist mir leider die Logik als solche viel zu wichtig; jenes Buch von Hannah Arendt — ›Das Urteilen‹ — ist von einer solch, man möchte sagen: herzergreifenden Menschlichkeit und einer solch frappierenden Schärfe, dass es mich schmerzt, dass sie es nicht vollenden konnte und nur als Fragment vorliegt. So oder so ist es ein großes, geradezu ein enormes Buch. Und da bleibt für das bisschen Rachsucht gar keine Zeit. Den Spott jedoch habe ich mir gerne gegönnt und hoffentlich auch den ganzen Sachverhalt mit einigen neuen Informationen (beileibe nicht allen) versorgt.
Deshalb zum Abschluss einige Literaturempfehlungen zum Thema Logik:

Ein guter Ratgeber ist zum Beispiel:
Bayer, Klaus: Argument und Argumentation. Göttingen 2007

Ebenfalls empfehlenswert das bereits oben erwähnte Buch:
Weimer, Wolfgang: Logisches Argumentieren, Stuttgart 2005

In diesem Zusammenhang sehr lesenswert, wenn auch sehr kurz und ohne Beispiele:
Kant, Immanuel: Logik. in: Gesammelte Werke, Bd. VI, Frankfurt am Main 1977

Schließlich darf man aber auch von Aristoteles das Organon als erste systematisch dargestellte Logik empfehlen. Zwar muss man hier alle Abstriche machen, die ein solches Werk aus der Antike mit sich bringt; es bietet aber zumindest zwei Vorteile: es ist einfach und verständlich geschrieben (jawohl!), und es ist recht systematisch, was es von den unsystematisch verlaufenden Alltagsargumentationen wohltuend abhebt.