01.12.2013

Adventure Game Design

Eine der schöneren Sitzungen aus The future of storytelling war diejenige über Adventure Game Design. Und zumindest ist hier jemand aufgetaucht, den die langjährigen Leser meines Blogs kennen, ich hoffe nicht nur von mir: Roland Barthes.

Nicht ganz so glücklich empfand ich allerdings die Darstellung, die dann geliefert wurde. Sie betraf die integrativen und distributiven Elemente des Erzählens. Diese hatte Roland Barthes in seinem Aufsatz Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen dargelegt. Etwas ausführlicher, allerdings zu einem anderen Zeichenbereich, findet sich diese auch in Die Sprache der Mode.

Integrative Elemente tauchen in der einen Codierung auf, verweisen aber auf eine andere Codierung. Das sind zum Beispiel in Erzählungen ganz typisch Gesten. Diese verweisen auf die Codierung von Personenkonstellationen. Barthes gibt dazu ein treffendes Beispiel: James Bond telefoniert. Aber er telefoniert nicht einfach nur, sondern um dieses eine Telefon, das er benutzt, stehen weitere Telefone. Diese Telefone sind integrative Elemente. Sie verweisen auf James Bond als Stellvertreter einer machtvollen Organisation und damit weiter auf die moralische Codierung dieser Erzählung, die letztendlich auf der Opposition von Gut und Böse beruht.

Distributive Elemente dagegen verweisen auf Elemente der gleichen Codierung. So gehört es zu der grundsätzlichen Logik von Erzählungen, dass Gegenstände, die vorher in einer Erzählung auftauchen, später nochmal eine weitere Bedeutung bekommen. Der Kauf eines Revolvers zu Beginn einer Erzählung, so das Beispiel von Barthes, korreliert mit dem späteren Zeitpunkt, zu dem er benutzt wird.
Besonders häufig fällt einem das in den Büchern von Harry Potter auf. In jedem Buch dieser Reihe streut Rowling zu Beginn Hinweise auf Gegenstände ein, die später wichtig werden. Dies ist im ersten Band zum Beispiel das geheimnisvolle Päckchen, welches Hagrid aus den Verliesen von Gringotts holt. Und wenn man es genau nimmt, zieht dieses Päckchen geradezu korrelative Elemente an, zum Beispiel den Einbruch bei Gringotts am selben Tag, was Harry Potter später in der Zaubererzeitung liest.
Dasselbe geschieht aber auch über ganz weite Distanzen hinweg, zum Beispiel mit dem Motorrad, mit dem Hagrid gleich zu Beginn des Romans den kleinen Harry Potter zu den Dursleys bringt; oder mit den Zauberern, die sich willentlich in ein bestimmtes Tier verwandeln können, wie gleich zu Beginn die Katze, die eigentlich Professor McGonagall ist.

Insofern finde ich die Darstellung in dem Video zu den Adventure Games missverständlich, da sie das dahinterliegende linguistische Prinzip nicht erklärt. Integrative und distributive Elemente tauchen nicht nur in Erzählungen auf. So sind die grammatischen Markierungen innerhalb eines Satzes die integrativen Elemente für die Sätze, während die anaphorischen Elemente innerhalb von Sätzen integrative Elemente für den erzählten Raum und die erzählte Zeit sind. Distributive Elemente wiederum sind zum Beispiel alle Familienverhältnisse, die auf eine bestimmte Codierung der Familie verweisen. Diese Verweise müssen übrigens nicht realisiert werden. So erweist sich die simple Erwähnung eines Mannes in einer Erzählung als korrelativ zu anderen Männern, Frauen und Kindern oder auch Eltern. Dabei ist das Wort Korrelation sehr unspezifisch. Es wird durch eine Erzählung immer konkretisiert.
Werbung arbeitet ebenfalls mit solchen distributiven Elementen. Eine Nudelpackung, zu deren Füßen reife Tomaten, Zwiebeln und Oliven liegen, und im Slogan Sommer, Sonne, Sinnlichkeit verspricht, garniert mit einer italienischen Fahne, verweist auf die Codierung Italien. Und es macht überhaupt nichts, dass diese Codierung höchst mythisch ist. Sie funktioniert in einem gewissen kulturellen Kontext (nämlich in Deutschland) ganz hervorragend. Der Kitt dieser Codierung ist mit Sicherheit nicht auf langjährige Erfahrungen gegründet, sondern auf kurzfristige Urlaubsreisen.

Wenn man sich das Video anschaut, könnte man allerdings meinen, dass es Gegenstände sind, die auf Handlungen in anderen Szenen eines Abenteuer-Spiels verweisen. So findet der Avatar an einem Ort einen Apfel und an einem anderen Ort benutzt er ihn, zum Beispiel, um ein wildes Pferd zu zähmen, was für den weiteren Verlauf des Spiels wichtig ist. Korrelieren tut hier allerdings nicht der Apfel mit dem Zähmen, sondern der Apfel mit dem Pferd und das Finden mit dem Zähmen.
Und hier stoßen wir auf eine Schwierigkeit, zu der ich weder in der Literatur eine Lösung gefunden habe, noch selbst auf eine gekommen bin. Denn offensichtlich nutzt die Geschichte hier zwei Korrelationen aus zwei unterschiedlichen Codes, um diese zu integrieren. Etwas schlichter gesprochen: Sie stellt eine Analogie her, nämlich die Analogie zwischen Apfel-Pferd und finden-zähmen.

Nun wäre dieses Beispiel leicht hinzunehmen, wenn es sich nur auf solche Codierungen beschränkt, die alltäglich nachvollziehbar sind. Viel schwieriger wird es bei Codierungen, die sich auf deutliche Systemwechsel beziehen, wie zum Beispiel die Handlungsfolgen eines Romans und der Eindruck von Spannung bei dem Leser. Nicht nur, dass es äußerst gewaltsam erscheint, wenn solche Spannungselemente herausgefiltert werden (und zwar als die psychologische Seite der Spannung, nicht die Elemente einer bestimmten Schreibtechnik); es ist schon gar nicht klar, welche Codierung hier integriert und welche integriert wird. Und dann wird es schon fast dekonstruktivistisch: offensichtlich besteht hier am Ursprung der Spannungserzeugung ein anthropologisches Paradox.

Anthropologisches Paradox? Das verlangt nach einer Erklärung. Nun, ein anthropologisches Paradox ist zum Beispiel, dass die Souveränität des Menschen seiner Gemeinschaftlichkeit entgegensteht. Das ist eine Sache, die man an Hannah Arendt wirklich kritisieren muss. Nämlich, dass sie diese grundlegenden Paradoxien nicht gut herausgearbeitet. Und insofern ist der Ansatz, den Judith Butler vertritt, und der tatsächlich eine gewisse Nähe zu Hannah Arendt aufweist, deutlich interessanter, weil er deutlich ehrlicher ist. Politik ist, so mag man das schlagwortartig sagen, in einer Gesellschaft von Einzelwesen schwierig.
Es gibt auch andere anthropologische Paradoxien. Wer hier meisterhaft darauf hinweist, ist Niklas Luhmann. Der andere Mensch muss mir mit seinen Gedanken unzugänglich sein, damit er mir zugänglich wird. Zugänglich worüber? Über Kommunikation. Dass diese Zugänglichkeit über Kommunikation wieder neue Paradoxien schafft, liegt wohl in der Natur von dynamischen und autopoietischen Systemen. So jedenfalls kann man Luhmann lesen.

Auch die Paradoxie zwischen Handlungsstruktur und Spannungsempfinden scheint eine Paradoxie aufzuheben, nämlich die zwischen der Leere des Signifikanten und dem Lesen des vollen Sinns.
Vielleicht versteht der eine oder andere Leser, warum mir diese Ausformulierung so viel Mühe macht. Schließlich geht es darum, zwei Paradoxien zu würdigen (wenn es denn diese überhaupt sind) und sie zugleich in ein sich gegenseitig reduzierendes Verhältnis zu setzen.

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