02.12.2013

Radikale Instabilitäten — die Kategorie der Frau und Männlichkeit

Zumindest heute Nachmittag konnte ich mich mal wieder meiner eigenen Literatur zuwenden, jenseits von der Notwendigkeit, etwas ökonomisch sinnvolles zu tun.

Intertextualität

Zwischendrin, auch um mich immer wieder daran zu erinnern, lese ich natürlich Judith Butler. Die leitende Idee dahinter ist die der Intertextualität. Julia Kristeva schreibt dazu:
"Écrivain autant que "savant", Bakthine [Bachtin, FW] est l'un des premiers à remplacer le découpage statique des textes par un modèle où la structure littéraire n'est pas, mais où elle s'élabore par rapport à une autre structure. Cette dynamisation du structuralisme n'est possible qu'à partir d'une conception selon laquelle le "mot littéraire" n'est pas un point (un sens fixe), mais un croisement de surfaces textuelles, un dialogue de plusieurs écritures: de l'écrivain, du destinataire (ou du personnage), du contexte culturel actuel ou antérieur."
Kristeva, Julia: Le mot, le dialogue et le roman. in: dies.: Semeiotike. Recherches pour une sémanalyse, Édition du Seuil 1969, p. 83.

Feministische Elite

Das fantasmatische Wir des Feminismus

Ich spinne also den Faden von Judith Butler in andere Bücher hinein und wieder zurück. Dabei geht es weniger um die eigentliche Bedeutung, sondern um das Spiel der Doubles.

So fand ich es neulich fast schicksalhaft ironisch, als ich durch Hannah Arendt wieder einmal zu Nietzsches Schrift Schopenhauer als Erzieher kam und von dort aus zu den Aphorismen zur Lebensweisheit von Schopenhauer selbst. Wo ich dann über recht ähnliche Formulierungen zur Sexualehre des Weibes in Bezug auf das fantasmatische Wir des Feminismus bei Judith Butler stieß. Ich berichtete davon: Vom Schreiben und Erzählen.

Radikale Instabilität des feministischen Wirs

Nun: am Freitag schreckte mich kurz nach dem Mittagessen ein Anruf aus meiner Versunkenheit, ich weiß gar nicht mehr in was. Jemand war über meinen Blog gestolpert und die erste Frage war, ob ich denn auch Ahnung von hegemonialer Männlichkeit habe. Was er denn wissen wolle, fragte ich zurück. Nun, er habe Probleme mit der Aussage, hegemoniale Männlichkeit sei stets prekär, instabil und sozial offen. Das nun war der Moment, in dem ich endgültig wach wurde. Ich fühlte mich sofort an eine Aussage von Judith Butler erinnert. Diese schreibt in Das Unbehagen der Geschlechter:
Das feministische »Wir« ist stets nur eine fantasmatische Konstruktion, die zwar bestimmten Zwecken dient, aber zugleich die innere Vielschichtigkeit und Unbestimmtheit dieses »Wir« verleugnet und sich nur durch die Ausschließung eines Teils der Wählerschaft konstituiert, die sie zugleich zu repräsentieren sucht. Freilich ist der schwache oder fantasmatische Status dieses »Wir« kein Grund zur Verzweiflung — oder besser gesagt: nur ein Grund zur Verzweiflung. Die radikale Instabilität dieser Kategorie stellt die grundlegende Einschränkungen der feministischen politischen Theorie in Frage und eröffnet damit andere Konfigurationen, nicht nur für die Geschlechtsidentitäten und für die Körper, sondern auch für die Politik selbst. (209)

Männliche Kontingenz

Ich habe also pflichtbewusst erstmal darauf gepocht, dass ich jetzt natürlich eine Dienstleistung anbiete, bzw. anbieten kann. Und dass ich natürlich begründete Interessen daran habe, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da es für mich ein Selbstgänger war, konnte ich sogar einen sehr humanen Preis anbieten. Ich habe dann das entsprechende Zitat von Judith Butler zugeschickt und in einem weiteren Telefonat auseinander gepflückt und mit dem Zitat, das der Kunde vorliegen hatte, parallelisiert.

Sein Zitat lautete dann vollständig folgendermaßen:
»Das Soziale wie auch das Diskursive werden als radikal kontingente Räume begriffen, die allerdings zeitweise über Diskurse und hegemoniale Machtbeziehungen strukturiert werden« … Obwohl Kontingenz das Soziale kennzeichnet, wird dennoch für die Konstitution von Hegemonien ein letzter gemeinsamer Grund behauptet. Auf Männlichkeit übertragen bedeutet dies nicht selten einen Rekurs auf eine vermeintlich ähnliche Natur aller Männer. So wird die universelle Geltung von Normen legitimiert und damit das Einverständnis der Beherrschten gesichert. Hegemoniale Herrschaft — und so Heilmann weiterführend auch hegemoniale Männlichkeit — beruhen auf einem unauflösbaren (logischen) Widerspruch zwischen der Postulierung einer universalen Bezugsebene und einer faktischen Kontingenz von Machtverhältnissen, in denen sich partikulare Interessen aktuell als dominant durchsetzen. Hegemoniale Herrschaft und hegemoniale Männlichkeit sind somit »stets prekär, instabil und sozial offen« …
Scholz, Sylka: Männlichkeitssoziologie, Münster 2012, 24

Extrapolation

Die Kritik, die die Autorin an dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit übt, basiert also auf dem Unterschied zwischen einer idealtypisch gedachten Herrschaft der Männer und einer im Einzelfall realen Machtstellung des Mannes. Genauer gesagt kommt hier, wie die Autorin ausdrücklich sagt, eben jener Paralogismus zum Vorschein, um den ich mich in den letzten Jahren so intensiv gekümmert habe: die Extrapolation.
Gerade in den letzten Jahren wurde deutlich, dass der Mann, aber auch der Vater in Bezug auf das Kind, eine zunehmend schwierigere gesellschaftliche Stellung zugewiesen bekommt, je mehr er sich um das Kind zu kümmern wünscht, dies aber gesellschaftlich unterbunden wird. Der Kunde nannte dann den Titel eines Buches, der Entsorgte Väter lautete und, seinen Angaben nach, recht wissenschaftlich gehalten sei (was man ja manchmal in dieser Väterdebatte vergeblich sucht).

Soziale Evolution, Restabilisierung und Elitebildung

Jedenfalls war die verblüffte Aussage des Kunden dann: dann würde sich der Feminismus gar nicht von der hegemonialen Männlichkeit unterscheiden!
Nun, nicht ganz. Der Feminismus ist natürlich nicht automatisch schon eine Hegemonie. Genauso wenig ist Männlichkeit automatisch hegemonial. Deshalb gibt es ja diese Zusammensetzung, schon auf der verbalen Ebene. Hegemonie ist eben, und das ist das Problem, nicht von Subjekten initiiert, sondern entsteht aus der sozialen Evolution heraus und stabilisiert sich dann über (versuchte) Elitenbildung. Das einzelne Subjekt gerät also in eine Elite hinein und stabilisiert diese dann aus Eigeninteresse, wodurch sich Eliten dann gerne auch mal „nach unten“ abschotten.
Das lässt sich meiner Ansicht nach auch beim Feminismus beobachten. Auch hier haben sich mittlerweile Formen von elitären Bündnissen gebildet, die sich gegenüber anderen Frauen verschließen und zwar mit der gleichen Geste, die von denselben Frauen den Männern vorgeworfen wird. Und auf der anderen Seite lassen sich diese subkulturellen Eliten wieder sehr gerne von Eliten absorbieren, die man, so war neulich ein „verrückter“ Einfall von mir, Super-Eliten nennen könnte: dazu gehört das Bündnissystem innerhalb der Wissenschaft, insbesondere der Sozialwissenschaft, aber auch Wirtschafts-Eliten oder politische Eliten.

Relative Stabilitäten, Exklusion am Rand

So stellt sich die Frage, ob der derzeitige Umbau der Gesellschaft entlang des gender-Diskurses tatsächlich Ungerechtigkeiten abbaut oder nur anders verteilt. Derzeit beobachte ich die ganze Situation eher mit einem gewissen Stirnrunzeln. Vielleicht spielt dabei der Feminismus nur eine sehr geringe Rolle, aber auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft sind wir weißgott nicht. Und wo sich der Feminismus nicht nach unten marginalisiert, so marginalisiert er sich dann nach oben.

Man kann hier, ganz im Sinne von Gabriel Tarde, von »Plateaus« sprechen, die »instabile Gleichgewichtszustände« seien. Und man kann hier eine doppelte Instabilität postulieren. Auf der einen Seite sind solche Plateaus in sich instabil. Und auf der anderen Seite erlangen sie eine relative Stabilität, indem an ihren Rändern beständig instabile Elemente ausgesondert werden. Dies würde die konflikthaften Erscheinungen innerhalb der Gesellschaft erklären, wie man sie ja auch beim Feminismus kennt. Und dies würde auch erklären, warum es trotz der inhaltlichen Unterschiede durchaus Ähnlichkeiten mit dem Kampf um die „christliche“ Familie gibt: Dynamisch, also der schwankenden (De-)Stabilisierung nach, sind sich diese beiden gesellschaftlichen Strömungen durchaus ähnlich.

Feind = Freund; eine Ununterscheidbarkeit

Genauso parallelisiert sich dann auch die mal latente, mal manifeste Frauenfeindlichkeit Schopenhauers zu der angeblichen Frauenfreundlichkeit des Feminismus. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn egal ob es sich um ein Ideal oder ein Anti-Ideal handelt: in Bezug auf die empirische Aussage gerät man schnell in Paralogismen hinein, und derzeit ist es mir noch gar nicht klar, ob es tatsächlich eine solche umsichtige Argumentation gibt, die solche Paralogismen vermeiden kann. Ich habe meine Zweifel.

Wilde Strukturen

Damit kommen wir zu dem Zitat von Julia Kristeva zurück. Auch hier bin ich mir nicht wirklich sicher. Aber man könnte doch die Beziehung zwischen verschiedenen Strukturen in einen produktiven und bedingt auch wilden Prozess setzen. Wie sähe ein solcher Prozess aus? Vom Standpunkt des subjektiven Bewusstseins aus? Derzeit spiele ich wieder, angeregt durch Hannah Arendt, mit der Idee, dass sich anhand von (bestimmten) Tatsachen zahlreiche Erzählfäden kreuzen dürfen und müssen. Dann ist die Tatsache, die so lange in den Vordergrund gerückt wurde, tatsächlich nur noch der Knotenpunkt, an dem sich die Differenz der Erzählungen am deutlichsten zeigt und am ehesten verhandeln lässt.

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