04.01.2014

Krimisachen - Erzählperspektiven

In dieser Woche habe ich eine ganze Menge gemacht. Zum Schreiben bin ich allerdings nicht gekommen. Jedenfalls nicht dazu, etwas fertigzustellen.

Selbstverständlich bastle ich gerade weiter an den Möglichkeiten herum, Videos herzustellen. Ich bin insgesamt ganz beruhigt: die Videos wirken noch etwas hölzern und könnten mehr Abwechslung vertragen. Teilweise sind sie auch sehr kompakt, so dass man sie sich je nach Vorwissen wohl zweimal ansehen muss, vielleicht auch dreimal. Das ist ja immer problematisch, wenn man Sachen vorstellt, mit denen man sich seit langer Zeit beschäftigt hat. Man vergisst darüber die Schwierigkeit, sich in ein solches Gebiet einzuarbeiten.
Derzeit probiere ich meine WebCam aus und natürlich auch, wie ich diese für die Videos nutzen. Es wird aber wohl insgesamt darauf hinauslaufen, dass ich mir möglichst rasch eine ordentliche Videokamera besorge.

Krimis.
Derzeit lese ich wieder ganz viele „Thriller“ von selfpublishern. Meist lese ich sie nur an. Selten interessiert mich der Schreibstil. Vieles, was hier veröffentlicht wird, ist recht unsinnlich geschrieben. Ich habe gerade einen solchen weggelegt, der auf den ersten zehn Seiten mehr doziert, als dass er erzählt. Ich möchte, wenn ich lese, allerdings keine Belehrungen erhalten, sondern etwas nachvollziehen können. Und dazu gehört eben auch, dass ich mir bestimmte Handlungen aus einer Perspektive vorstellen kann.
Ich bin natürlich völlig einverstanden, dass es sehr schwierig ist, einen Serienkiller so zu schildern, dass diese Perspektive glaubhaft wirkt. Bei diesem letzten Thriller hat die Autorin zunächst eine „verkappte“ Ich-Perspektive gewählt (das erkläre ich gleich), die dann aber rasch von einer Art auktorialen Erzählsituation abgelöst wird. Dies geschieht an all den Stellen, an denen der Serienkiller psychologisch erklärt werden muss. Der Erzähler distanziert sich hier von der Innenperspektive und führt stattdessen eine Figur ein, die scheinbar objektiv und von außen ein psychologisches Märchen spinnt, nämlich eines, was erklären soll, wie der Serienkiller zum Serienkiller wurde.

Das verlangt einige weitere Erklärungen.

Bleiben wir zunächst bei diesem Begriff „verkappte Ich-Perspektive“.
Dazu muss man wissen, dass diese drei „berühmten“ Perspektiven, zwischen denen ein Autor angeblich wählen kann (Ich, personal, auktorial), überhaupt nicht so gemeint waren, wie dies heute viele (deutsche) Schriftsteller zu verfolgen meinen. Damit sind lediglich bestimmte Pole gemeint, von denen aus Erzählen möglich ist. Zwischen diesen Polen gibt es zahlreiche Zwischenstufen.
Die Ich-Perspektive erzählt eine Handlung nun so, dass die Erzählfigur im Kopf einer Romanfigur drinnen sitzt. Dabei ist die grammatische Markierung völlig nebensächlich. Grammatisch gesehen kann man hier das Ich oder das Er verwenden. Diese wird zwar heute gerne als personale Perspektive bezeichnet (oder als personaler Erzähler), doch ist dieser personale Erzähler jemand, der von außerhalb seiner Figuren erzählt und deshalb zum Beispiel keine Gedanken erfasst.
Völlig abstrus wird das ganze Schema allerdings dann, wenn man den auktorialen Erzähler vergisst. Der auktoriale Erzähler wird gerne als allwissender Erzähler bezeichnet, was wiederum eine sehr missverständliche Bezeichnung ist. Der auktoriale Erzähler steht außerhalb der Welt, von der er erzählt. Ein typisches Beispiel dafür, dass sich Welt an der Lebenswelt der Figuren orientiert und nicht an der Welt als ein quasi-religiöser Begriff, ist der Fall, wenn der Erzähler ein Manuskript findet, in dem die Geschichte einer Figur geschildert wird, wie dies ist zum Beispiel in Ecos Roman ›Das foucaultsche Pendel‹ der Fall ist.

Man muss diesen letzten Gedanken gründlich denken. Die Figur, die auktorial erzählt, muss nicht in einer komplett anderen Welt leben (im physikalischen Sinne), sondern nur in völlig anderen Lebensumständen. Ein typisches Beispiel dafür, dass sich der auktoriale Erzähler und der Ich-Erzähler in der selben Person „aufhalten“, ist der Doktor Faustus von Thomas Mann. Hier wird der Bruch der Lebenswelt durch die Machtergreifung Hitlers und der Kriegssituation bewirkt, die mit der Geschichte des Protagonisten nur noch wenig Berührungspunkte besitzt.
Ein weiteres Beispiel, dass zwischen diesen beiden Perspektiven nur ein fließender Übergang besteht, kann an den Jahrestagen von Uwe Johnson illustriert werden. Hier übernimmt die Sprache manchmal eine so dominante Funktion gegenüber der Erzählung selbst, dass hier eine sehr starke Ebene des Sinns entsteht, die sich deutlich von den handelnden Personen distanziert. Diese distanzierte zweite Ebene wird als ironisch empfunden. Und sie ist auch nicht für die Figuren gemacht. Diesen ist eine Reaktion auf den „zweiten Sinn“ überhaupt nicht möglich. Dem Leser allerdings schon. Wenn es eine gute und überraschende Ironie ist, lacht der Leser eben.

Kehren wir zu diesem Thriller zurück, so wirkt es peinlich, wenn man das Gefühl hat, dass die Autorin sich in diese auktoriale Erzählsituation flüchtet, weil sie ihre Figur nicht nachempfinden kann.
Solche Brüche lassen sich allerdings leicht umgehen. Ein typisches Rüstzeug dafür ist tatsächlich dieser Spruch »Show, don't tell«. Ich habe in den letzten Jahren relativ viele Möglichkeiten ausprobiert, wie man diesen Spruch interpretieren könnte. Schreibt man aus der Ich-Perspektive, dann bedeutet dieser Spruch nicht, dass man möglichst detailreich schildert, was passiert, sondern vor allem das, was sich der Person, aus deren Perspektive man erzählt, nachvollziehbar zeigt. Ich hatte letztes Jahr zum Beispiel eine Passage aus Sebastian Fitzeks Thriller Der Seelenbrecher angesprochen, die zunächst aus der Perspektive eines Folteropfers geschildert wird und die spätestens an der Stelle bricht, als ein Sanitäter hereinstürzt (ins Folterzimmer) und der Erzähler notiert, dass dieser Sanitäter einen ungewöhnlichen Ohrring am Ohr trage. Wer auf die übelste Art und Weise gefoltert ist, der nimmt solche Sachen wahrscheinlich nicht wahr. Ich bin auf jeden Fall an dieser Stelle schon komplett aus dem Erzählfluss ausgestiegen.

Bei der auktorialen Erzählsituation gibt es dann auch noch Feinheiten. So ist manchmal der auktoriale Erzähler als eine vom Autor getrennte Person benannt, manchmal nicht. Wenn zum Beispiel Walter Moers in seinen Büchern Lexikoneinträge über die Tier- und Pflanzenwelt aus seiner fiktiven Welt Zamonien zitiert, dann existiert hier kein wirklicher Erzähler. Es sind eben Lexikoneinträge, die als „objektiv“ gelten.
Und etwas Ähnliches passiert in Thrillern, wenn psychologische Abhandlungen in die Erzählung hineinrutschen. Diese stehen meist ohne eine bestimmbare Erzählfigur im Text, sind also insgesamt recht unpersönlich. Das wäre in Ordnung, wenn der Roman insgesamt eine unpersönliche Erzählsituation zu nutzen weiß. Doch genau das wollen ja die Thriller-Autoren nicht. Spannungsromane wollen, dass sich der Leser mit einer bestimmten, nämlich der erzählenden Figur identifiziert. Und dazu ist dieser unpersönliche Erzähler einfach ungeeignet. Natürlich gibt es hier auch wieder Romane, in denen das hervorragend klappt, zum Beispiel in Der Mann ohne Eigenschaften.

Ich habe den Kreis der Erzähltypen vor fast 20 Jahren kennen gelernt. Damals war das für mich ein Modell, mit dem ich relativ wenig anfangen konnte. Man musste das halt wissen, wenn man Literaturwissenschaft studiert. In den letzten vier Jahren ist mir dieses Modell allerdings immer wichtiger geworden und ein persönliches Arbeitsmittel. Ganz ausschlaggebend dabei war, dass ich mich mit Christa Wolf und Uwe Johnson auseinandergesetzt habe.

Diesem Modell werde ich in Zukunft wohl auch etwas häufiger nachgehen.

Heute wollte ich eigentlich etwas zu Logik in Krimis schreiben. Ich bin nun nicht dazu gekommen, weil mich eben die Erzählperspektive so abgelenkt hat. Die Logik in Krimis, die ich in den letzten Jahren ebenfalls sehr intensiv untersucht habe, hängt nun mit dieser Erzählperspektive wesentlich enger zusammen, als ich gedacht habe. Ich würde nun nicht behaupten, dass man die beiden Sachen nicht getrennt behandeln kann, aber zusammen ergeben sie doch wesentlich mehr Sinn. Auch das wird vielleicht zu einigen Artikeln auf meinem Blog führen.

1 Kommentar :

Unknown hat gesagt…

Ich überlege, welche Perspektive für einen Krimis gut ist und ob man die personale Erzählperspektive auch aus der Sicht verschiedener Charaktere in unterschiedlichen Szenen nutzen kann.
Leider hat mich Ihr Beitrag mehr verwirrt, als dass er mir Anhaltspunkte geliefert hat. Schade, ich frage mich, ob man das nicht einfacher und klarer ausdrücken kann.

Mit freundlichem Gruß
Eberhard