21.04.2014

Politische Korrektheit

Georg Diez hat einen wunderbaren Artikel verfasst: Hassbücher: Gebrauchsanleitung der Gewalt.

Und er schreibt einen Satz, den ich tatsächlich zweimal lesen musste, so eine hübsch verdrehte Ironie liegt ihm zugrunde:
Aber schon die von Martin Walser in den neunziger Jahren erfundene "Auschwitz-Keule" war eine Waffe, die niemand schwang, außer der Autor und Erfinder selbst, und als er sich selbst daran verletzte, fühlte er sich natürlich in seinem Wahn bestärkt - was letztlich nur mal wieder bewies, dass auch Paranoiker Feinde haben.

Lesen heißt analysieren

Bottom-up und Top-down

Den ganzen Tag über arbeite ich bereits an einem vielleicht etwas abstrus klingenden Problem, nein, schreiben wir mal: „Problem“, denn diesmal hat das Wort seine Gänsefüßchen wirklich verdient. Es geht um so genannte bottom-up- und top-down-Phänomene und deren Einteilung in Prozesse und Organisationen. In der Systemtheorien ist es ein weit verbreitetes und gut untersuchtes Gebiet, das sich zunächst aus einem Haufen benachbarter Phänomene bestimmte Organisationsstrukturen herausschälen.
Ab einem bestimmten Punkt kippen aber diese Organisationsstrukturen um und „versklaven“ ihre Elemente durch Abstraktion. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Organisation nicht mehr von unten herauf entstanden, sondern von oben herab aufgezwungen worden.
Man kann dies ganz gut bei Phänomenen der Aufmerksamkeit sehen. Und dabei bin ich gerade, nämlich das Buch Konzentriert euch! von der Daniel Goleman auf diese Prozesse hin durchzuarbeiten.

Versklavtes Lesen

Neulich hatte ich eine etwas unerquickliche Diskussion mit einem notorischen Fan von Sebastian Fitzek. Der drückte sich folgendermaßen aus: das erste Buch von Fitzek sei total spannend gewesen, und in der Folge hätte er nur weitere, hervorragende Bücher geschrieben. Ich habe nun nicht alle Bücher von Fitzek gelesen (und wie ihr wisst, mag ich ihn auch überhaupt nicht), habe dann aber einige Fragen zu den Büchern gehabt, bzw. mich mit diesem sich in der Schriftstellerei übenden Kollegen zu einigen inhaltlichen Fragen ausgetauscht.
Mir fiel nun auf, wie wenig jener Kollege vom Inhalt wiedergeben konnte und vor allem, dass er schlichtweg nicht in der Lage war, formale Elemente zu benennen. Seine eigenen Ideen kamen etwas roh daher. Beeindruckt hat ihn die Spannung und die wollte er nachahmen. Nun ist Spannung tatsächlich ein top-down-Phänomen, während die Schriftstellerei oftmals, leider aber nicht immer, ein bottom-up-Phänomen bleibt. Sprich: die Spannung eines Buches wird meist von einem Gesamteindruck aus gewertet, während man ein solches Buch Satz für Satz schreiben muss.
Bei dem Kollegen hat sich nun, wie ich das sehr oft erlebe, eine Versklavung all jener Elemente ergeben, die ein Schriftsteller beherrschen sollte. Er hat nämlich behauptet, dass das, was Fitzek schreibt, spannend sei, und das bis in die kleinsten Elemente hinein. Eine Diskussion der einzelnen Aspekte war gar nicht mehr möglich. Von dem Gesamteindruck „hervorragend“ hat sich das Merkmal bis in einzelne Teile des Werkes übertragen. Kurz gesagt: der Kollege war nicht mehr in der Lage, ein Buch von Fitzek auch nur andeutungsweise zu analysieren.

Gutes Lesen

Lesen muss man auch Satz für Satz. Ein gutes Lesen ist immer ein bottom-up-Phänomen. Es stellt sich nämlich heraus, immer wieder, dass all die Leser, die sich auf die Qualität eines Schriftstellers berufen, meist sehr schlampige Leser sind, die wenig von einem Werk erfassen, weil sie es unter der Versklavung durch eine herrschende Meinung gelesen haben, d.h. abstrakt und nicht konkret, von einem zu gewinnenden Gesamteindruck aus, nicht Satz für Satz.
Als ich neulich meine sehr positive Bewertung des letzten Buches von Zoe Beck, Brixton Hill, gegeben habe, habe ich mit heftigen Widerständen gerechnet. Ich bin nämlich von der gesamten Geschichte gar nicht so beeindruckt. Sie ist nett konstruiert, aber keineswegs überraschend. Was mich sehr überzeugt hat, das war die Sprache und die Komposition im Kleinen, also Sachen, die normalerweise bei den selfpublishern wenig Beachtung finden. Zumindest wird dies wenig diskutiert.
Insofern ist mein Lob auch unüblich ausgefallen.
Gerade habe ich den Newsletter von Kindle gelesen. Der erste Beitrag betraf das Lesen und den Einfluss des Lesens auf die schriftstellerischen Fähigkeiten. Das würde ich auch nicht bestreiten, wenn Lesen nicht eine so komplett heterogenen Fähigkeit wäre, die von einem höchst gründlichen, bohrenden Lesen bis hin zu einem solch versklavten Lesen, wie ich es eben geschildert habe, reicht.

Kill your darlings

Für den Schriftsteller gilt der Satz „Kill your darlings!“. Man solle, wenn man ein Werk redigiert, gerade auch seine schönen Stellen darauf hin überprüfen, ob diese in das gesamte Werk hineinpassen. Notfalls solle man diese streichen (obwohl ich hier empfehle, diese aufzuheben: für so etwas habe ich meinen Zettelkasten).
Dasselbe gilt allerdings auch für den schriftstellernden Leser: wer gut schreiben lernen möchte, muss sich gerade an seinen Vorbildern gründlichst wetzen.
Hier empfehle ich eigentlich (und fast ausschließlich) das Durchkommentieren. Ich nehme meine Bücher, die ich besonders gerne mag, und lese sie ein zweites und drittes Mal, möglichst Satz für Satz. Das habe ich sowohl mit populären Unterhaltungsromane gemacht (Stephen King, Joanne Rowling, Tolkien), als auch mit „Klassikern“ (zum Beispiel Max Frisch). Ein vielleicht etwas mühsames Geschäft. Aber durchaus sehr nützlich. In gewisser Weise tötet man damit tatsächlich seine Lieblinge. Ich kann Max Frisch heute nicht mehr so lesen, wie ich es vor zehn Jahren getan habe. Aber das ist ja nicht schlimm. Notfalls gibt es andere Schriftsteller, mit denen man sich vergnügen kann.
Und eine gute Analyse hat noch niemandem geschadet, außer den dummen Menschen.

19.04.2014

Ein Stern für Achselhaare

Schwitzig und verfilzt
Lieber Stern, du modebewusster Trendsetter!
In einem deiner neuesten Artikel beglückst du uns mit der Erkenntnis, Madonna wolle Achselhaare wieder in Mode bringen, eine Information, auf die wir heute überhaupt nicht verzichten konnten. Uns wundert nur, dass du dich nicht beschwert hast, warum gerade Madonna nun diesem Trend vorreiten solle, hast du doch mit Jörges seit Jahren das Fleisch gewordene Achselhaar als stellvertretenden Chefredakteur.
Für dieses Hilfreich-unter-die-Arme-greifen immer gerne bereit,
dein wachsamer Blogger

Auch eine Art von Krimi: Kindeswohl und Kindesmissbrauch

Hatte ich vor einigen Wochen geschrieben, dass ich Krimis nicht mehr so spannend finde, weil ich ihre Machart zu gründlich studiert habe? Nun, das stimmt auf zweierlei Weise nicht ganz. Ich lese durchaus immer noch Krimis, wobei ich mich gerne von einer außergewöhnlichen Sprache begeistern lassen, wie zum Beispiel bei Dashiell Hammett oder Zoe Beck.
Krimis allerdings sind auch manche Begrifflichkeiten und die Diskussion dieser Begriffe und Begriffsgefüge.

Kategorisierung

Ein nebenher laufendes Projekt ist, auch das hatte ich neulich schon einmal geschrieben, diese seltsame Annahme, ein Mensch sei irgendwann mündig, so aus heiterem Himmel. Aufgeschreckt hat mich übrigens Judith Butler mit folgender Passage:
Dahinter steht die vollkommen berechtigte Annahme, dass Kinder nicht die Last auf sich nehmen müssen, Helden einer Bewegung zu sein, ohne zu einer solchen Rolle ihre Zustimmung als Mündige geben zu können. In diesem Sinne ist die Kategorisierung angebracht und kann nicht auf Formen eines anatomischen Essentialismus reduziert werden.
Butler, Judith: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt am Main 2011, Seite 21
Diese Passage steht in einer Diskussion zum gesellschaftlichen Status von Intersex-Kindern, also jungen Menschen, die beiderlei Geschlechtsmerkmale besitzen. Zunächst hatte mich dieser Begriff der Kategorisierung aufmerken lassen. Doch hier ist Butler ziemlich klar. Sie argumentiert nämlich relativ zu der herrschenden Meinung, dass Menschen immer eindeutig männlich oder weiblich sein müssten. Das begrüßt sie natürlich nicht, aber sie schreibt eben, dass gerade solche Kinder, bei denen diese Zuordnung eindeutig nicht zutrifft, diesen Kampf trotzdem nicht ausfechten müssen.

Mündigkeit

Das eigentliche Problem an dieser ganzen Passage verläuft vollständig anders. Mündigkeit bezieht sich als Begriff auf ein vollständig entwickeltes Subjekt. So zumindest darf man das Kant unterstellen. Jene Aufklärung, die Kant postuliert, ist eine Aufklärung unter freien, sich einer Logik und einer offenen Aussprache bedienenden Menschen. Die Logik ist, wie man seit langer Zeit weiß, durch eine bestimmte Rhetorik korrumpiert. Man höre hieraus den vielleicht damals noch deutlich schärfer klingenden Missklang, als Nietzsche mit seinem Willen zur Macht die Bastionen einer protestantisch geprägten Vernunft erstürmte. Die offene Aussprache, die parrhesia, ist von den falschen Propheten und den Massenmedien so gründlich Lügen gestraft worden, dass man sich nur noch sehr vorsichtig aus diesem Bereich mit Informationen versorgt. Besser nennt man sie wohl Anregungen und prüft, welche Zeitung und welcher Reporter lange genug verlässliche und gründliche Aufarbeitung der Informationen bereitstellt.
So aber haben sich in den letzten 200 Jahren wichtige Begleiter jener Mündigkeit verabschiedet, auf die sich Butler hier bezieht. Deshalb erscheint dieser Begriff wie ein seltsamer Fremdkörper im ganzen Text. Butler lehnt zwar (zu Recht) den anatomischen Essentialismus ab, führt hier allerdings eine Art juridischen Essentialismus fort. Dass dieser ganze Passus tief in den Begriff des Kindeswohls eingreift, dürfte klar sein.

Kindeswohl

Wenn aber die Mündigkeit auf eine etwas seltsame Art und Weise gegeben wird, stellt sich natürlich auch die Frage, ob sie gerecht gegeben wird und was vorher passiert, was als mit dem Begriff des Kindeswohls aufgefangen und ausgedrückt werden soll.
Nun hat Kant selbst eine sehr starke Lösung eigentlich schon vorgegeben. Er definiert Aufklärung nämlich als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Und definiert weiter selbstverschuldet als auf Faulheit oder Feigheit beruhend:
Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. (Kant XI, 53)
In einem sehr groben Sinne kann man den Verstand als die Fähigkeit bezeichnen, Begriffe zu erschaffen und argumentativ zu überprüfen. Begriffe erschafft man aus der Sache heraus, nicht, indem man sich auf andere verlässt (auch wenn damit eine Art Unmöglichkeit bezeichnet wird angesichts der Komplexität der Welt). Und die argumentative Überprüfung bedeutet, dass man nicht wütend verteidigt, was man sich einmal erarbeitet hat, sondern sachlich überprüft, ob das eine oder andere Argument den Begriff eine deutlich andere Kontur gibt und man lieb gewonnene Überzeugungen aufgeben muss.

Es scheint mir, dass dort Kinder mündiger sind als mancher Erwachsene.

Kindesmissbrauch

Am Rande meiner Beschäftigung mit diesem Problem der Mündigkeit und auch dem Problem der Fürsorgepflicht und dem Kindeswohl tauchen immer wieder tagesaktuell Fälle von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch auf.
Der Fall Edathy ist noch in lebhafter Erinnerung. Ich habe mir zu diesem Fall nur eine vorsichtige Meinung gebildet, nicht, weil ich Kinderpornographie vielleicht doch noch irgendwie akzeptieren könnte (kann ich nicht), sondern weil ich die Unschuldsvermutung für ein wichtiges Prinzip des Rechtsstaats halte und diese nicht bei der ersten Unsicherheit über Bord werfen möchte.
Man erinnert sich vielleicht auch an die Odenwald-Schule. Hier hat es schon mehrfach deutliche Erschütterungen gegeben. Jetzt ist ein Lehrer fristlos entlassen worden, nachdem die Polizei seine Räumlichkeiten in der Schule wegen Verdachts auf Besitz von Kinderpornographie durchsucht hat. Es gibt im deutschen Gesetz zweierlei Strafmaß: einmal für Kinderpornographie bei Kindern unter 14 Jahren und einmal bei Kinderpornographie mit Kindern zwischen 14 und 18 Jahren. Ganz glücklich bin ich mit dieser Regelung nicht, halte sie aber für vertretbar, weil sich bei den älteren Kindern manchmal wirklich schlecht auf Augenschein das Alter feststellen lässt.
Trotzdem finde ich es bizarr, wenn sich ein Mann mittleren Alters an dem Geschlechtsverkehr mit einer deutlich jüngeren Person vergnügt, und sei es auch nur durch Darstellung.
Dem Lehrer ist nun gekündigt worden. Das finde ich auch sehr in Ordnung, weil Lehrer einer erhöhten Pflicht zur Fürsorge unterliegen und damit einer erhöhten Achtsamkeit gegenüber eigenen, womöglich in das Kindeswohl eingreifende Wünsche. Hier muss der Erziehende jeden Vollzug, aber auch jede Andeutung eines sexuellen Verhältnisses entgegentreten, auch wenn dieses von dem Zu-Erziehenden gewünscht wird. Ebenso ist es ein Recht der Eltern und Kollegen, solchen Andeutungen entgegenzutreten, damit sie nicht zu festsitzenden Meinungen werden.

Sehr viel krasser allerdings ist der Fall einer Schule in Florida, die bereits 2011 deswegen geschlossen wurde. Hier sind Kinder systematisch gedemütigt, gefoltert und missbraucht worden. Man hat in dem fast hundertjährigen Bestehen der Schule bisher 33 Fälle des gewaltsamen Todes vermutet. In der Aufarbeitung dieser Fälle wird mittlerweile die Zahl 57 genannt. Egal, wie hoch nun die Anzahl der Todesopfer tatsächlich ist, ist das eine extrem erschreckende Nachricht. Gerade in der Pädagogik sollte man sich doch klar darüber sein, dass eine gute Erziehung der Kinder nur in sehr außergewöhnlichen Fällen die Ausübung von Gewalt rechtfertigt. Ich denke hier an extrem verwahrloste Kinder, bei denen eine starke Strukturierung des Tages mit deutlich empfindlichen Strafen notwendig erscheint, auch wenn man dies immer kritisch überprüfen sollte, ob man hier im Sinne eines Kindeswohls gehandelt hat.
Doch diese letzten Fälle, bei denen ich im Zweifel wäre, dürften wohl pro Jahrgang ganz wenig Kinder betreffen. Mir selbst sind solche Kinder noch nicht vor die Nase gekommen, obwohl ich als Verhaltensgestörtenpädagoge eher mit solchen Kindern zu tun haben müsste.

Vielfältige Fragen

Vielleicht mache ich es mir bequem, wenn ich die aktuelle Regelung in Fällen des Kindesmissbrauchs für ausreichend und sinnvoll halte. Ich hatte mich bereits in der Vergangenheit oftmals damit beschäftigt. Für mich ist dieses Thema wichtig geworden, als ich mich mit 16 Jahren in eine Flötistin verliebt hatte, die ich am Klavier begleitet habe (zu der fantastischen Bauernsuite von Bela Bartok für Klavier und Blockflöte). Für meine damaligen Verhältnisse war dieses Mädchen komisch. Ich habe dann ihren Vater kennen gelernt und wie so oft festgestellt, dass man das Verhalten von Kindern nicht befremdlich finden sollte, solange man nicht die Eltern kennen gelernt hat. Der Vater war unglaublich autoritär. Vier Jahre später bin ich erneut auf ein solches Mädchen gestoßen. Und hier konnte ich mit meiner damaligen Freundin darüber reden, die dann (nicht zu Unrecht, wie ich denke) einen sexuellen Missbrauch innerhalb der Familie vermutet hat. Damals war ziemlich frisch das Buch Zart war ich, bitter war's auf den Markt gekommen und das habe ich für meine damaligen Verhältnisse gründlich gelesen.

Gute Erziehung

Heute, 20 Jahre später, haben sich für mich die Fragen nach einer guten Erziehung und nach einem guten Schutz vor Missbrauch von Kindern vervielfältigt. Es gibt zahlreiche Spannungslinien, wie zum Beispiel die Fürsorgepflicht der Eltern, die durchaus in die Mündigkeit der Kinder eingreifen darf und muss und wo alles auf die Frage hinausläuft, wie diese Mündigkeit sich entwickelt und welchen Raum man ihr geben muss. Dazu gehört auch der natürliche Umgang mit dem Körper und die Entdeckung der eigenen Sexualität, die sich manchmal sehr deutlich ebenfalls mit der Fürsorgepflicht schneidet. Ebenso empfinde ich meine Ablehnung der Kinderpornographie, aber meine Befürwortung der Unschuldsvermutung als einen solchen Missklang.
Und ein weiterer Missklang ist auch, dass ich den Schutz eines Kindes vor einer akuten Gefährdung oder einem akuten Missbrauch für sehr dringlich halte, also für eine Sache, die einer raschen Lösung bedarf, mir selbst aber das Recht herausnehmen, ein endgültiges Urteil immer wieder aufzuschieben und immer wieder neue Fragen aufzuwerfen.

G7 oder G8

Und die deutsche Schullandschaft. Das ist doch auch ein netter Aufreger. Beim Durchstöbern der Meinungen ist mir vor allem aufgefallen, dass es bloß Meinungen sind. Und dass hier die Verantwortung für die eigenen Kinder gleich auf ganz hohe Ebene verlagert werden soll. Für das eigene Kind immer nur das Mächtigste. Lokale Gottheiten? Mit sowas geben wir uns gar nicht erst zufrieden.
Es ist eine seltsame Mischung aus beschränkter Wichtigtuerei, ängstlichem Geraunze und esoterischem Pamphletismus, der bei den zunehmend lauteren Forderungen, die 13jährige Schullaufbahn wieder einzuführen, im Vordergrund steht. Wie schon bei der Einführung der G7 die Behörden versäumt haben, den Stoff entsprechend zu kürzen. Insofern stimmt es, dass hier die fehlende Einigung zwischen Eltern und Behörden auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wurde.
Nur wird das ganze Elend der deutschen Bildungslandschaft von einer überkommenen Idee der Bildung getragen, die die so wichtige pädagogische Forschung der letzten dreißig Jahre gerne außer Acht lässt: Methodenkompetenz, Modellkompetenz, Metakognition; das alles spielt eine viel zu geringe Rolle bei den Forderungen nach einer besseren Schulbildung.

Methodenkompetenz

Wie wichtig diese ist, erfahre ich in meiner Arbeit tagtäglich. Sammeln, ordnen, Modelle anwenden, skizzieren (ich skizziere in letzter Zeit sehr viel als halb räumliche, halb texthafte Aufzeichnungen), all das sind wichtige Verfahren, um sich einen Text, einen Sachverhalt anzueignen.
Methoden machen deshalb so viel Spaß, weil sie einen vorantreiben, einen ausprobieren und entdecken lassen. Ihr Vorteil liegt gerade auch darin, dass sie nicht inhaltlich gebunden sind. Man muss nur aushalten können, dass man auf Wege gerät, auf denen man (zunächst) nicht weiterkommt.

Modellkompetenz

Diese Kompetenz beschäftigt mich seit Jahren. Als ich vor einigen Jahren die Stufen der Lesefertigkeit veröffentlicht habe, kannte ich dieses Wort noch nicht. Aber im Prinzip waren die sechs Stufen nichts anderes als verschiedene Formen der Modellkompetenz, wenn auch nur auf das Lesen bezogen.
Die Modellkompetenz ist, und das gefällt mir außerordentlich gut, zugleich eine Fähigkeit, die streng an den empirischen Tatsachen arbeitet, bzw. dazu anleitet, aber zugleich sehr kreativ werden kann. Die Kreativität ereignet sich allerdings weniger durch ein Dazuerfinden, obwohl das auch möglich ist, als durch ein Ausfiltern oder Vermischen.
Seit vier Monaten schreibe ich mir mit einem Kunden, der sehr intensiv Deleuze liest. Deshalb habe ich mir auch, nebenbei, mal wieder die Einführungen zu Deleuze angesehen. In Bezug auf die Modellkompetenz/Methodenkompetenz lässt sich nun eine Passage aus der Einführung von Michaela Ott wunderbar zitieren:
Diesem unerschöpflichen Produktionsprozess denkerisch zu entsprechen ist das Ethos der deleuzeschen Philosophie. Aufgabe des Philosophen ist mithin die fortgesetzte denkerische Differenzierung des Gegebenen, genauer der vorgängigen Denkpläne in Begriffsarbeit und Plankonstruktion. Alte Denkpläne zerdehnen, um ihnen neue einzufügen, sie umbrechen auf in ihnen schlummernde Mikrostrukturen hin, die planimmanenten Zeichen und Begriffe verlängern auf andere Begriffe hin, diese flektieren, verkleinern, das differenzgenerierende Element aus ihnen herauslösen und erneut in sie injizieren — auf dass sie als anderes Denken erstehen. In diesem kreativen Sinn erweiterbar erscheinen die Immanenzebenen all jener philosophischen Ansätze, die nicht auf Universalien oder Urbildern basieren, im Denken nicht auf Repräsentation setzen, keinen Dualismus des Innen und Außen, keine immanenten Hierarchien und binären Unterteilungen vornehmen, keine Klassifikationen festschreiben und das Denken keiner Teleologie unterstellen. (S. 36 f.)

Metakognition

Mag ich nicht mehr erklären. Ich verweise auf meinen Artikel Gruppendenken und dumme Entscheidungen.

Gabriel Garcia Marquez

Nun ist er tot. Angekündigt hatte er das nicht. Zu erwarten war es aber angesichts seines fortgeschrittenen Alters. Irgendwie schade. Obwohl ich immer noch zu wenig von ihm gelesen habe, also mich noch lange an ihm erfreuen kann.

Schäuble und sein "Hitler"-Vergleich

Na, das ist jetzt wohl mal eine Aufregung. Schäuble fühlt sich bei der Annektion der Krim an die Annektion Sudetendeutschlands durch das nationalsozialistische Regime erinnert. Und sofort plärren einige, das sei ein unerhörter Hitler-Vergleich. Ist es nur leider nicht. Die Argumente, mit denen damals das Gebiet der Sudetendeutschen an das großdeutsche Reich angeschlossen wurde, sind tatsächlich dieselben. Schäuble hat nicht nur verglichen, sondern sogar mit einer positiven Bestätigung verglichen. Und drückt damit leider aus, wovor viele Menschen, auch ich, Angst haben: dass dieser Anschluss nur ein erster Schritt sein könnte.
Ich mag Schäuble nicht wirklich. Als Innenminister war er mir manchmal ein Gräuel. Aber erstens ist ein Vergleich auch deshalb erlaubt, weil er die Grundlage einer wissenschaftlichen, zumindest rationalen Auseinandersetzung ermöglicht, und zweitens ist der Vergleich, wie Schäuble ihn gezogen hat, deutlich undramatisch. Warum also die ganze Aufregung?
Ein Hitler-Vergleich jedenfalls war es nicht. Die Gleichsetzung von Putin mit Hitler ist eine Dazuerfindung bestimmter Massenmedien.

Mitten in der Nacht

Das war mal wieder so ein Tag. Irgendwie ist nichts passiert und trotzdem habe ich den ganzen Tag geschrieben. Die Menge meiner Schreiblaune rechne ich seit einigen Monaten dahingehend, wie oft sich der Speicher meines Spracherkennungsprogrammes gefüllt hat. Er beträgt 500 MB. Ist dieser voll, wirft mir Dragon NaturallySpeaking eine Warnung aus. Dann starte ich das Optimierungsprogramm. Vor zehn Minuten habe ich die vierte Optimierung meiner Sprachdateien veranlasst. Fleißig war ich, aber die Wortzahl kann ich nicht angeben. Es dürften etwa 20.000 sein.

16.04.2014

Nachrichten aus der Zwischenwelt: vom Schreiben und Leben

Sammeln und Produzieren

In den letzten zwei Tagen habe ich an einem Artikel geschrieben, den ich jetzt doch nicht veröffentlichen kann. Ich wollte meine Ergebnisse zur Charakterisierung von Figuren auf den neuesten Stand bringen. Nun ist meine Schrift so umfangreich geworden, dass ich mir überlege, ob ich daraus nicht ein Büchlein mache. Es sind immerhin 15.000 Wörter. Selbst wenn ich jetzt noch kürze, dürfte es die Länge eines für einen Blog erträglichen Artikels deutlich übersteigen.

Wer jetzt übrigens glaubt, man könne in zwei Tagen keine 15.000 Wörter schreiben, ohne unglaublich zu schludern, den mag ich beruhigen. Natürlich habe ich dabei auf jahrelange Vorarbeiten zurückgegriffen. Teilweise habe ich die Textteile vollständig aus meinem Zettelkasten übernommen, so dass ich Copy & Paste gespielt habe; vom Plagiat trennt mich lediglich, dass es sich tatsächlich um meine eigenen Texte handelt. Und insofern habe ich natürlich den Artikel nicht vollständig in zwei Tagen geschrieben, sondern lediglich die Bruchstücke ergänzt und zusammengestellt.

Computer und ihre Probleme

Ganz so schnell wird es allerdings mit einer Veröffentlichung nicht gehen. Seit ich meinen neuen Computer habe, habe ich auch ein anderes Mikrofon. Und obwohl es mittlerweile ganz gut mit meinem Spracherkennungsprogramm zusammenarbeitet, schleichen sich sehr viele Fehler ein: Endungen werden anders geschrieben, als ich sie gemeint haben, oder es werden gleich ganze Wörter verschluckt.
Vor drei Tagen hatte ich einen Artikel veröffentlicht, den ich nicht einige Stunden haben liegen lassen, wie ich es gewöhnlicherweise mache, wenn ich müde bin. Und der strotzte dann vor Fehlern. Erst einige Stunden später und nach einem längeren Spaziergang konnte ich so viel Distanz zu dem Text gewinnen, dass ich ihn durchkorrigieren konnte.

Parallel dazu schreibe ich an einem halblangen Artikel über Krimis weiter und für diesen habe ich mir eine neue Form der Veröffentlichung ausgedacht: ich werde ihn als PDF plus Videos herausgeben. Das wird noch einige Zeit dauern, zumal ich, so hoffe ich, nächste Woche die Zusage zu einem längeren Projekt bekomme, das mich am Anfang vermutlich sehr zeitlich einschränken wird.

Im Moment habe ich auch sehr viel Verwaltungskram zu erledigen.

Metzinger und Goleman

Meine beiden Bücher, die ich nun etwas gründlicher durchkommentieren wollte, liegen zuoberst auf meinem Lesestapel. Es handelt sich natürlich um den Metzinger (Der Ego-Tunnel) und den Goleman (Konzentriert euch!). Darunter liegt von Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. I. Ich fürchte, ich werde wieder nur den ersten Band lesen und dann nach einer einjährigen Pause von vorne anfangen müssen.

12 Years a Slave

Gestern Abend war ich mit meinem jüngsten Bruder in 12 Years a Slave. Ein ganz wundervoller Film mit verstörend langsamen Bildern und einem Ende, das so unvermutet und gewöhnlich daher kommt, wie es nur im Leben, eigentlich aber nie im Kino vorkommt. Dem Film fehlt eindeutig der Spannungsaufbau auf ein großes Finale hin. Was für eine Hollywood-Produktion eindeutig ein Fehler wäre, macht ja gerade die besondere Qualität des Films aus. Genau so erscheint er als realistisch.
Zudem fehlt dem Film die große, moralische Aussage am Ende. Von Anfang an ist klar, wie sich der Film zur Sklaverei positioniert. Von dort aus betreibt er eine Charakterstudie über die verschiedenen Menschen in diesem System.
So ist der ganze Film gegen das typische Hollywood-Kino gerichtet. Er ist zu langsam, von seinen Bildern her zu wenig aufpoliert, ohne Tricktechnik, ohne Manipulation der Zuschauer, ohne großes Finale. Und trotzdem ist es ein ganz wundervoller, ganz einfühlsamer und sehr ästhetischer Film, in denen die Hauptfiguren als Charakterdarsteller den Mittelpunkt der ganzen Geschichte bilden.

Heute Abend schaue ich mir mit meinem Bruder und meinem Onkel die Schachnovelle auf der Bühne an.

Vergöttlichte Wesenheiten — der Euro, die Frauen, die Schriftsteller

Zu den Krisenzeiten einer Gesellschaft gehören nicht unbedingt radikale Umbrüche und Kurswechsel, mit Sicherheit aber eine Schwemme an Propheten unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften.
Aus irgendwelchen Gründen habe ich mich heute Morgen auf der Internet-Seite eines besonders beliebten Prophetentums befunden: dem Untergang des Euro. Alexander Maguier vom Cicero hat dies in einem ebenso scharfen wie witzigen Artikel analysiert. Die Untergangspropheten des Euro stellen eine Währung so dar, als existiere diese wie eine außerweltliche Wesenheit, wie eine göttliche Existenz, die von außen in unsere Welt eingreift, mal als Schrecken, mal als Heilsbringer.

Gegner und Befürworter

Die Befürworter des Euro sind daran mit schuld. Wenn man sich zum Beispiel jene Talkshow ansieht, in der Lanz und Jörges auf Wagenknecht eingeschrien haben, dann ist hier die Europäische Union nicht in ihren Bedingungen erörtert, sondern als ein quasi-religiöses Ereignis verteidigt worden.
Beiden Arten des Prophetentums, ob dafür oder dagegen, ist aber eines gemeinsam. Es geht nicht mehr darum, etwas zu wissen, sondern etwas zu glauben. Ob man nun pro oder contra den Euro ist: auf diese Weise mit ihm umzugehen hat nichts mit Aufklärung zu tun. Ein rational denkender Mensch muss beides ablehnen. Er muss notwendigerweise zwischen beiden Stühlen sitzen.
Propheten etablieren einen Glauben auf Kosten der Aufklärung. Und es gilt Lenins Wort, dass Religion als Opium fürs Volk benutzt werde.

(Anti-)Gender-Propheten

Diese Hochkonjunktur an Propheten betrifft aber nicht nur den politischen Bereich. Wir finden ihn derzeit auch beim gender-Mainstreaming. Die manchmal dermaßen unsachlich geführten Attacken gegen die Gleichberechtigung oder die Homosexuellen wird von der Gegenseite mit teilweise ähnlich dümmlichen Positionen beantwortet. Wobei ich an dieser Stelle ein persönliches Bekenntnis loswerden möchte: als ich mich vor 20 Jahren mit der gender-Theorie zu beschäftigen begann, habe ich die gay-Theorie nicht sonderlich schätzen können. Ich fand sie zu selbstverliebt und zu sehr dem Essentialismus verhaftet. Mittlerweile hat sich diese Position deutlich umgekehrt. Vermutlich ist es hier die große Politik, die den vielen schönen Ansätzen des Feminismus den Garaus macht und die scharfen Analysen durch einen „Pragmatismus“ übertüncht.
Man kann an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass die gesellschaftliche Rolle einer Frau nicht die verdinglichte Position innerhalb einer Hierarchie ist. Ihre Position ist nur ein struktureller Effekt. Und der nicht-essentialistische Feminismus, wie er von Judith Butler vertreten wird, analysiert solche Positionen als Effekte, nicht als unabhängige Tatsachen. Deshalb sind erfolgreiche Frauen nicht gleichzusetzen mit feministischen Frauen. Und deshalb ist die Frauenquote, unabhängig davon, ob sie sinnvoll ist oder nicht, für die feministische Idee nur ein Herumbasteln an Effekten.

Selfpublisher

Ebenso geht es zurzeit bei Schriftstellern hoch her. Der Kulturverfall wird prophezeit, die Krise des Buches, der vollständige Umbruch der Märkte, der Tod des klassischen Verlags, die Revolution (jawohl!) und was man sich sonst noch so ausdenken kann, um ein wenig an der Skandalisierung und Sensationslust teilzuhaben. Auch hier wird wenig analysiert. Es geht um Glaubensbekenntnisse, um Zugehörigkeit zu religiösen Sekten. Es werden Zeitschriften veröffentlicht, denen lediglich die paradiesischen Bilder eines Wachtturms fehlen. Wer auf die vielfältigen Wege zu einem Buch, den vielfältigen Nutzen eines Buches (und nicht unbedingt nur den ökonomischen Nutzen) hinweist, wird schnell in die Ecke gestellt, gar nichts mehr zu wissen. Wer nicht den Weg zum Bestseller kennt, hat gleich keine Ahnung mehr von der Schriftstellerei und wer zufälligerweise einen Bestseller geschrieben hat, ist schon ein Meister der Literatur und wird aus diesen Gründen in seiner Meisterschaft wütend verteidigt, egal, was er noch so zu schreiben oder zu sagen hat.

Dogmatische Anfänge

Wenn wir zur Argumentationslehre übergehen, also diese ganze Situation ein wenig aus der Distanz eines Logikers betrachten, dann ist der Übergang von Wissenssystemen zu Glaubenssystemen immer durch unvollständige Argumentationen gekennzeichnet. Formal findet hier folgendes statt: eine Argumentation wird nicht mehr in ihrer vollständigen Länge entfaltet, sondern beginnt irgendwo mit einem dogmatischen Satz und schlussfolgert entweder eine Sensation oder einen schrecklichen Skandal. Dieser erste dogmatische Satz wird entweder als Expertenwissen oder als pure Tatsache behauptet. Im ersten Fall wird angedeutet, dass die Argumentation länger ist, man sie aber auf die wesentliche Schlussfolgerung zusammengefasst hat. Im zweiten Fall werden strukturelle oder ideelle Phänomene, wie zum Beispiel eine Währung oder die Qualität eines Buches, einfach behauptet. Sie liegen dann in der Welt herum wie Steine oder ausgespuckte Kaugummis. Sobald man auf sie tritt, kleben sie einem am Schuh fest.

Echte Experten und falsche Propheten

Für mich ist ein Experte ein Mensch, der über die Grenzen seines Wissens reden kann. Und es gibt für mich sehr eindeutige Anzeichen, wann ein Experte nicht mehr ein Experte, sondern nur noch ein falscher Prophet ist. Wenn zum Beispiel jemand ein strukturelles Phänomen (zum Beispiel eine Währung) zu einem Ding deklariert. In der Frankfurter Schule (Adorno, Marcuse, etc.) spricht man in einem solchen Fall von einem Fetisch. Ebenso eindeutig vorsichtig bin ich, wenn sich jemand selbst zu einem Experten benennt, hier aber keine langjährige Beschäftigung, keine öffentliche Auseinandersetzung vorweisen kann. Zwar sollte man dabei vorsichtig vorgehen, weil man damit alle Menschen, die sich am Rande eines Fachwissens bewegen und durchaus Kenntnisse und Ideen beizusteuern haben, auch mundtot machen kann. Zumindest aber sollte man versuchen, dieses Expertenwissen auf Herz und Nieren zu prüfen. So tummeln sich in der selfpublisher-Szene einige Menschen herum, die irgendetwas mit Marketing gemacht haben, und die angeblich wissen, wie man ein Buch schreibt. In Wirklichkeit wissen sie aber nur, wie man ein Buch verkauft. Vom Schreiben erfährt man von ihnen gar nichts. Oder nur sehr wenig.

Witzigerweise kann ich an dieser Stelle eingestehen, dass es kein wirklich gutes Wissen gibt, um diese falschen Propheten zu enttarnen. Möglicherweise bin ich zwar ein Experte der Argumentationstheorie (ich weiß es ehrlich gesagt nicht), aber zum Propheten der größeren Vernunft mag ich mich nun nicht deklarieren.
Mit diesem Schlenker auf mich selbst zurück muss dann dieser Artikel auch enden. Selbst weiterzudenken ist erlaubt, ja sogar erwünscht.

14.04.2014

Zweischneidige Diskriminierung - Frauen im Recht

Es ist manchmal schon recht seltsam, was unter der Bezeichnung ›Feminismus‹ abgelegt wird. In einer Fotostrecke wählt Spiegel-online sogar die Überschrift Sexismus in Jura, wobei dies alleine schon eine merkwürdige Überschrift ist, denn gemeint ist offensichtlich eine ungleiche Darstellung von Männer- und Frauenrollen in juristischen Schriften.

Im Zweifel für den Mann

Der Artikel zu der Fotostrecke lautet: Diskriminierung im Jurastudium: Im Zweifel für den Mann.
Damit wird die Meinung vorgebildet, dass es um eine ungleiche Behandlung von Männern und Frauen während des Jura-Examens gehe (aber nicht in der Rechtsprechung: davon sagt der Artikel nichts). In der entsprechenden Untersuchung, auf die sich dieser Artikel stützt, allerdings scheint diese eindeutige Aussage nicht mehr ganz so klar zu sein. Wie bei einer guten empirischen Untersuchung üblich werden die Grenzen der Untersuchung offen dargestellt. Zum Beispiel in diesem Zitat:
Wie bereits erwähnt, sind diese Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, weil es sich um eine sehr kleine Stichprobe handelt, bei der zudem der Selektionsmechanismus unklar ist. (16)
Wer sich wenig mit empirischen Untersuchungen auskennt, wird eine solche Aussage vielleicht als Beweismittel ansehen, dass die Wissenschaft vorwiegend unnütze Ergebnisse bringe. Genau das ist aber nicht der Fall. Manche empirischen Untersuchungen werden nur deshalb durchgeführt oder liefern eben auch nur dieses Ergebnis, dass eine betreffende Ansicht oder öffentliche Meinung so nicht haltbar ist, weil das Datenmaterial widersprüchliche Ergebnisse liefert. Daraus ergibt sich dann eine erweiterte und veränderte Forschungsfrage.

Vögel, die nicht fliegen können

Manchmal sind es eben genau diese Sackgassen, die die Wissenschaft hervorzuheben hat. So schreibt Michel Serres in seinem Buch Atlas:
In einer heute vergessenen Denkschrift an die Akademie in Dijon bewies d'Alembert sogar mit zwingenden Argumenten, dass sie [die Vögel] weder fliegen und gleiten können. In diesem Jahr gewann niemand den Preis, denn die Aspiranten, die einen Beweis für das Flugvermögen der Vögel beibrachten, irrten in ihrer Beweisführung, während die Kandidaten mit korrekter Argumentation bewiesen, dass sie nicht fliegen können.
Schlechte Wissenschaft dagegen beweist etwas auf Teufel komm raus. In diesem Fall ist es nur ein Artikel, aber das genügt ja schon manchmal, dass dieser fleißig nachgeplappert wird.

Diskriminierung

Ob Frauen nun im Examen diskriminiert werden oder nicht, dafür muss man wohl die Autoren selbst zitieren und sprechen lassen. Frauen schneiden nämlich im Jura-Examen trotz besserer Schulnoten schlechter ab. Und dazu geben die Autoren der Untersuchung folgendes wieder:
Überraschend für uns war, dass wir deutliche Geschlechtseffekte bei der Datenanalyse gefunden haben und zwar sowohl im universitären Klausurenkurs als auch im Examen selbst. Die sich hier aufdrängende Frage ist, ob Frauen im Examen diskriminiert werden. Diese Frage lässt sich mit unseren Daten nicht beantworten. Für eine Diskriminierung würde zunächst einmal sprechen, dass es keine offensichtlichen Gründe gibt, weshalb Frauen — die auch bessere Abiturnoten aufweisen — schlechtere Juristen sein sollten, dass sie aber gleichwohl bereits bei den verhältnismäßig diskriminierungsunauffälligen Klausuren signifikant schlechter abschneiden. Zwar werden die Klausuren unter einer Kennziffer geschrieben, so dass die Prüfer nicht über die Namen auf das Geschlecht der Kandidaten schließen können; allerdings könnte etwa die Handschrift entsprechende Hinweise liefern und unterbewusst wirken. Gegen eine Diskriminierung in diesem Bereich spricht eventuell, dass beim »Üben« im Klausurenkurs Frauen auch geringere Lernfortschritten (d.h. eine geringere Steigerung je Klausur) erzielen. (24 f.)
Am Ende stehen also zwei Hypothesen, die einander widersprechen. Keineswegs wird die Diskriminierung von Frauen von der Hand gewiesen. Sie wird aber auch nicht bestätigt.

Woher Diskriminierung kommen kann

Schließlich behauptet der Artikel auf Spiegel-online, Frauen würden im Jura-Examen diskriminiert. Folgendes Zitat lässt allerdings eine ganz andere Vermutung zu:
Im Gespräch mit Prüfer haben wir immer wieder gehört, dass die schlechtere Bewertung von Studentinnen in der mündlichen Prüfung damit zusammenhängen, dass sich diese aufgrund allgemein beobachteter geringerer Selbstsicherheit weniger aktiv am Prüfungsgespräch beteiligten und seltener (non-verbal) signalisierten, dass sie eine Frage beantworten wollen. (25)
Damit müsste man allerdings eine Diskriminierung, wenn, dann im Lebenslauf vorher suchen, nicht im Jura-Examen selbst.

Rabiate Fehlinterpretation

Spiegel online hört sich da etwas eindeutiger an. Wurde im Titel schon auf den Sexismus hingewiesen (und keineswegs „nur“ auf Diskriminierung), wird die Fotostrecke folgendermaßen angekündigt:
Frauen gehören an den Herd, kümmern sich um den Nachwuchs und sorgen sich vor allem um ihr Äußeres: So steht es in Übungstexten der bayerischen Juristenausbildung. Lesen Sie einige Beispiele.
Zitiert wird dann eine wissenschaftliche Referentin, die Juristin Daniela Schweigler, mit folgendem Fazit:
»Die Justizausbildung in Bayern hat ein Sexismusproblem.«
Ob Frau Schweigler dies tatsächlich so gesagt hat, sei dahingestellt. Denn offensichtlich hat der Artikel ein deutliches Interpretationsproblem. Es reicht eben nicht aus, den Sexismus zu benennen. Man muss ihn auch begründen können.

Die Opferrolle von Frauen

Gleich das erste Beispiel macht deutlich, dass hier die Verfasserin des Artikels nicht so ganz genau verstanden hat, was Sexismus ist. Ich dachte bisher, dass jemand, der sexistisch diskriminiert wird, ein Opfer ist. In der Zitatstrecke allerdings liest sich das nun in folgender Weise:
Frauen sind oft Opfer häuslicher Gewalt oder in anderer Weise hilflos, etwa hat die „43-jährige Hausfrau Brigitte M. […] keine Gelegenheit zur Gegenwehr“, wenn ihr durch den Täter von ihm der Autoschlüssel entrissen wird.
Im Strafrecht, schreibt Schweigler in ihrem Aufsatz, sei Frauen vor allem die Opferrolle zugewiesen.
Nun ist diese letzte Aussage durchaus zwiespältig. Beklagt die Autorin, dass Frauen immer die Opfer sind, oder beklagt sie, dass auch in den Prüfungsaufgaben Frauen immer nur als Opfer und nicht auch mal als Täter dargestellt werden? Das ist ein Unterschied. Denn im zweiten Fall würden Frauen zwar diskriminiert, aber in einem für sie positiven Sinne, nämlich dass sie durchgängig unschuldiger dargestellt werden, als die realen Verhältnisse das zulassen.
Dann aber müsste man eher von einer Diskriminierung der Männer sprechen.

Die Versorgung der Frauen

Auch das folgende Beispiel ließe sich komplett umdrehen:
Besonders wichtig war es beiden Mandanten, dass „die Ehefrauen versorgt sein [sollen], da auch bisher die jeweiligen Familieneinkünfte vor allem aus den Vollhaftbeteiligungen fließen“. Selbstverständlich hätten „meine Frau und meine Schwägerin kein Interesse daran, das Unternehmen selbst fortzuführen oder auch nur die persönliche Haftung zu übernehmen“, hieß es zur Begründung.
Von einer umgekehrt laufenden Sorge um die Versorgung wird hier allerdings nicht gesprochen. Damit kann man nun zweierlei vermuten. Auf der einen Seite wird immer noch als selbstverständlich genommen, dass die Frau sich nicht um die Versorgung der Familie zu kümmern hat. Auf der anderen Seite, dass sie sich um die Versorgung der Familie generell weniger kümmert, so dass diese Aufgabe an den Männern hängen bleibt. Im ersten Fall würde die Frau in ihren Fähigkeiten beschnitten, im zweiten Fall würde ihr (zu Recht oder zu Unrecht) unterstellt, dass sie die Sorge um die Familie weniger oder überhaupt nicht ernst nimmt. Im ersten Fall wäre die Frau unterdrückt, im zweiten Fall leicht bis schwer rücksichtslos oder narzisstisch.
Hier ist übrigens meine persönliche Erfahrung, dass dieses Argument „ich muss mich um meine Familie kümmern“ oder „ich kann mich nur alleine um meine Kinder kümmern“ häufig dazu benutzt wird, um gegen den Mann zu argumentieren. Das ist manchmal richtig, aber in Fällen, wo sich der Vater gerne um seine Kinder kümmert und auch viel für diese tut, dann ein Schein-Argument.

Die Tatsache oder die Darstellung der Tatsache

Nicht wirklich deutlich wird, ob in dem betreffenden Fall die Frau das Opfer ist, oder ob durch das Beispiel die Rolle der Frau als absonderlich dargestellt wird, wie zum Beispiel hier:
Dabei bekam Fräulein Mühlberger vom Kläger zweimal eine größere Mengen Wasser ins Gesicht, wodurch ihre frisch gelegte Frisur in Mitleidenschaft gezogen wurde und später neu hergerichtet werden musste.
Bei Diskriminierung ist das immer ein großes Problem. Da sich selbst eine sexistische Handlung immer auf eine gesellschaftliche Norm stützt und eine gesellschaftliche Norm sprachlich vermittelt wird, sind sexistische Handlungen nicht einfach so in der Welt vorhanden, sondern nur durch die Bewertung eines Beobachters. Diese werden dann als Zeugenaussagen wiedergegeben. Die Zeugenaussage selbst kann aber von anderen Textsorten nicht so unterschieden werden, dass man ihr eine eindeutige Wahrheit zusprechen könnte, und damit ist sie anfällig für Vermischungen, Listen, Finten, Betrügereien und ähnliche Sachen.

Zum Schluss kommt ein Rückzieher

Ganz am Ende wird der Artikel dann doch deutlich vorsichtiger. Geheischt wird mit dem Sexismus. Dann aber wird der Beweis für eine geschlechtsspezifische Diskriminierung doch infrage gestellt, mit den Worten der Forscher.
So muss man dem Artikel vor allem eine gewisse Unklarheit in der Darstellung der rhetorischen Mittel und narrativen Ebene vorwerfen. Zudem eine etwas zu sehr auf Sensationslust ausgelegte Eröffnung. Und dass mit keiner Zeile auf die Rolle der Männer Rücksicht genommen wird. Denn wo einem Mann Tätigkeiten und Fähigkeiten abgesprochen werden, die bisher als weiblich klassifiziert wurden, legt ja nicht nur eine Diskriminierung der Frau, sondern auch eine des Mannes nahe. Das allerdings will der Artikel nicht sehen.
Den entsprechenden Artikel findet ihr hier.

Ausgelassenheit folgt

Es gibt für die amerikanischen TV-Serien eine ganze Reihe an hübschen, griffigen Begriffen und Formeln. Einige davon finde ich äußerst witzig, zum Beispiel die Formel ›Hilarity ensues‹, die man mit ›Ausgelassenheit folgt‹ übersetzen könnte. Eigentlich meint das nur, dass eine Geschichte schließlich ein Happy End vorweisen muss. Ich nenne dies ganz gerne Idylle.

Das MacGuffin

Wundervoll ist immer wieder das MacGuffin. Damit wird ein Objekt bezeichnet, welches die Handlung vorantreibt, ohne selbst besonders wichtig zu sein. Ein solch typisches MacGuffin ist der Koffer mit dem ominösen Inhalt in Pulp fiction. Der Film stellt diesen Koffer zwar an eine exponierte Stelle, als sei dieser eine Rahmenhandlung. In Wirklichkeit aber bricht diese Handlung durch die Sprünge in der Zeit auf, so dass sich der Rahmen des Films nicht zu Beginn und zum Ende findet, sondern irgendwo in der Mitte.
Typische MacGuffins sind auch abwesende Ideale. Damit der Held seinen Sinn für Gerechtigkeit beweisen kann, muss er eine Reise abgeschlossen haben. Doch genau auf dieser Reise zeigt er schon sein starkes Gespür für Gerechtigkeit. Und so kann man sagen, dass das Ideal gar nicht abwesend ist, sondern nur als abwesend behauptet wird, um so die Geschichte zu legitimieren.
Hitchcock zum Beispiel war ein Meister des MacGuffin. In Der unsichtbare Dritte ist es ein Mann, der gar nicht existiert, durch den die ganze Erzählung strukturiert wird.

Die Notwendigkeit des Zufalls

Heute bin ich, übrigens zufällig, auf eine Seite gestoßen, wo jemand das Geflecht von Notwendigkeit und Zufall erklärt, übrigens erkenntnistheoretisch gar nicht richtig, aber für die Geschichte und ihren Erzähler sehr brauchbar.
Er hat es mit folgendem Beispiel verdeutlicht: es gebe da einen Ziegelstein, der locker säße. Und dieser Ziegelstein würde nun herunterfallen. Dieser Fall sei notwendig. Schopenhauer würde sagen, dass sich darin ein Naturgesetz ausdrücke. Dann gibt es dort einen Mann, der aus dem Haus zu einem öffentlichen Verkehrsmitteln läuft, weil er auf dem Weg zur Arbeit ist. In dieser Tätigkeit drückt sich nun ein Vertrag und seine Pflichten aus, in diesem Fall ein Arbeitsvertrag.
Jetzt kreuzen sich der Ziegelstein und der Weg des Mannes. Will sagen: der Ziegelstein fällt dem Mann auf den Kopf. Diese Begegnung nun ist zufällig. Der Ziegelstein hätte den Vorübereilenden auch knapp verfehlen können.
Das ist, wie gesagt, erkenntnistheoretisch nicht wirklich richtig. Als Zufall wird immer das wahrgenommen, was wir uns noch nicht erklären können, dessen Gesetzmäßigkeiten wir noch nicht verstanden haben. Für den Autor aber genügt diese Erklärung vollkommen. Sie zeigt nämlich, wie man zwei ganz plausible Handlungen zusammenbringt, um daraus ein recht ungewöhnliches Zusammentreffen und eine komplette Veränderung der Geschichte erreichen kann.

12.04.2014

Spaltungsirresein

So bezeichnete man früher die Schizophrenie.

Wladimir Putin, so lese ich soeben, hat ein Gesetz erlassen, welches den Aufruf zur Separation unter Strafe stellen soll. Eingeschränkt wird das ganze, dass es sich um einen öffentlichen Aufruf handeln muss. Wie allerdings ein nicht-öffentlicher aussehen soll, steht wohl in den Sternen. Geschweige denn, ob ein solcher Sinn macht.

Kognitive Dissonanz I

Jan Frederik Wienken von der Grünen Jugend bezeichnet dies als kognitive Dissonanz. Und verweist auf die Ukraine/Krim.
Nun haben wir hier eine Patt-Situation. Denn wenn es dieses Gesetz von Putin tatsächlich gibt, geschieht hier dreierlei: (1) die Krim selbst wurde, auch durch den öffentlichen Aufruf von Russland, von der Ukraine separiert; durch die zeitliche Nähe dürfte dieses Gesetz ohne Mühe ein wenig vorverlagert werden und damit die Annexion der Krim-Halbinsel als verfassungswidrig oder gesetzeswidrig bezeichnet werden; (2) dieses Gesetz ist insgesamt völkerrechtswidrig, da das Völkerrecht, egal ob es sinnvoll ist oder nicht, die Selbstbestimmung der Völker festgelegt ist; (3) und der Westen kann sich nur um den Preis eines moralischen Verlustes nun entweder gegen die Separation der Krim oder gegen das Gesetz von Putin und damit der Separation anderer Teile Russlands stellen kann, und dies zusätzlich zu dem moralischen Schaden, den sich der Westen selbst zugefügt hat, als er beim Auseinanderbrechen von Jugoslawien anders entschieden hat als neulich bei der Krim-Krise.

Kognitive Dissonanz II

Was aber bezeichnet nun eine kognitive Dissonanz wirklich?
Zunächst erscheint dieser Begriff in den fünfziger Jahren in der Kognitionspsychologie, etabliert durch den Psychologen Feininger, einen Widerspruch zwischen innerlichen Ansprüchen und äußerer Wirklichkeit. Meines Wissens war es dann Jerome Bruner, der eingewendet hat, es müsse sich bei der äußeren Wirklichkeit nicht um eine Realität handeln, sondern um eine Rekonstruktion der Realität als innere Wirklichkeit und damit sei die kognitive Dissonanz eigentlich zwischen zwei Verarbeitungsmustern zu suchen, nicht aber auf der Ebene zwischen System und Umwelt.
Kognitive Dissonanzen, so wird behauptet, rumoren nun im Hintergrund und bereiten dort Lösungswege für spätere Zeiten vor. Besonders dem Traum wird hier ein großes Potenzial zugesprochen, indem er sich an spannungsgeladenen Zusammenstellungen abarbeitet und so neue, „kreative“ Wege des Betrachtens und Handelns entdeckt.

Heureka und Allgemeinbildung

Ihr wird deshalb auch eine tragende Rolle beim so genannten Heureka-Effekt zugesprochen. Dabei handelt es sich um diese blitzartigen Einfälle, die scheinbar aus heiterem Himmel in unseren Sinn kommen. In Wirklichkeit aber sind solche Effekte vorbereitet worden. Ihre Vorbereitung ist uns bloß nicht bewusst.
Je mehr „Material“ ein Mensch zur Verfügung hat und je differenzierter dieses „Material“ vorliegt, umso eher scheint er für solche Heureka-Effekte empfänglich zu sein. Natürlich handelt es sich bei diesem Material um Gedächtnisinhalte und man könnte dies dann Umwelten und einfach als Allgemeinbildung bezeichnen, also als ein umfängliches, nicht unbedingt besonders tiefes Wissen in vielen Bereichen.
Das dürfte auch logisch sein: denn dieser Allgemeinbildung stellt viele Muster zur Verfügung, die sehr unterschiedlich funktionieren und begünstigt damit Übertragungseffekte zwischen diesen Mustern. Solche Übertragungen entwerfen dann wohl nach und nach mögliche Lösungswege. Und je flexibler hier ein Mensch gelernt hat, umso mehr wird er auf überraschende und neue Pfade geleitet.

09.04.2014

Meine geliebte Metonymie

Jetzt arbeite ich den ganzen Abend schon an zwei Präsentationen. Die eine Präsentation ist für mich. Hier fasse ich, relativ knapp, meine ganzen Ergebnisse zur Logik des Krimis zusammen. Das ist weniger eine Gedächtnishilfe, als ein Mittel, um zwischen verschiedenen Aspekten besser auswählen zu können. Es geht also um die Wichtigkeit und um die Konzentration auf bestimmte Teilgebiete.
Unterhalb der Geschichte selbst, also unterhalb des Krimis, liegen sehr unterschiedliche rhetorischen Figuren. Eine der wichtigsten ist dabei die Metonymie. Dazu hatte ich vor allen in den Jahren 2008 und 2009 zahlreiche Notizen gemacht. Und von dort aus bin ich dann weiter in die Argumentationslehre gegangen, bzw. auf der anderen Seite in andere rhetorischen Figuren, die in Texten ebenfalls eine Rolle spielen.

So weit, so privat.
Die andere Präsentation, die ich gerade erstelle, betrifft einen kleinen Teil dieser Forschung. Hier nutze ich sehr ausführlich das Präsentationsprogramm von Microsoft, um verschiedene Möglichkeiten darzustellen, wie die Metonymie mit einer spannenden Geschichte zusammenhängt. Ich bin nun nicht der große Experte für Zeitungsgestaltung. Trotzdem ist es sehr schön, was gerade entsteht. Und da ich es in Verbindung mit eigenen Skizzen, Filmbilder, Zitaten und Videos gestalten möchte, ist es sogar ein relativ modernes Lernmedium, eben multimedial. Und wahrscheinlich recht umfangreich.

Und gerade hier macht mir dann die ganze E-Book-Geschichte deutliches Kopfzerbrechen. Eine solche Gestaltung ist nämlich nicht mehr für die üblichen E-Book-Formaten tauglich. Ich werde diese ganze Sache nur verschenken können. Das ist nicht so schlimm. Zumindest im Moment nicht. Aber da ich jetzt schon seit fünf Tagen jeden Abend viele Stunden Arbeit darein stecke, wäre es doch nett, dafür auch Geld zu bekommen. Vor allem, weil es ja nicht nur die Gestaltung ist, die Zeit gekostet hat, sondern auch die vielen Jahre vorher, in denen ich auf diesem Gebiet gearbeitet und gelesen habe.
So plane ich dazu dann vielleicht doch noch eine separate Veröffentlichung eines E-Books. Eine Veröffentlichung, die nochmal etwas umfangreicher und ausführlicher den ganzen Inhalt darstellt. Mal sehen, ob ich in den nächsten Tagen Lust dazu habe.

Mittlerweile ist es 2:00 Uhr morgens. Ich gehe jetzt schlafen. Ich mache schon wieder viel zu viele Rechtschreibfehler. Glücklicherweise bin ich noch wach genug, um die meisten beim ersten Durchlesen nach der Veröffentlichung zu finden.

08.04.2014

Letzte Arbeiten

Nun bin ich fast fertig. Heute muss sich die letzten Programme einrichten. Dann kann ich, wie gehabt, weiterarbeiten.

Großes Lob noch einmal an den Kundenservice von Dragon NaturallySpeaking. Auch dort hatte ich Probleme mit der Installation (vermutlich wegen Windows 8: die wollen natürlich ihr Konkurrenzprodukt nicht dulden). Doch ein kurzer Anruf im Kundenservice, eine E-Mail und ein großzügiges Update hatten das ganze dann innerhalb von 10 Minuten gelöst. So unkompliziert kriegt man es heute eigentlich nur noch selten.
Obwohl: Papyrus, mein Schreibprogramm, war genauso unkompliziert. Dort hat es zwar etwas länger gedauert. Dafür haben sie aber meine Anfrage am Samstag Abend, eigentlich schon fast Mitternacht, bearbeitet. Und ich frage mich seitdem, wer zu dieser Zeit noch arbeitet. Das können nur Besessene sein.

Ein anderes Zeichen dafür, welche Krake Microsoft ist, sieht man daran, dass sie jetzt auch mein letztes Logitech-Produkt, mein Tischmikrofon, nicht mehr akzeptieren. Es lässt sich schlichtweg nicht installieren. So nutze ich jetzt das Mikrofon von meiner WebCam.

07.04.2014

Schmeißen Sie mit Pissoirs nach Feministinnen

Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan hat mal gesagt: Nicht nur der Bettler ist verrückt, der glaubt, er sei ein König. Auch der König, der glaubt, er sei ein König, ist wahnsinnig.

Nun, so viel sei wohl zu Pirincci gesagt. Er hört sich an wie ein italienisches Gebäck. Ist aber irgendwie Türke. Und hält sich für einen Deutschen. Wie viele Deutsche auch.
Aber Skandale sind auf jeden Fall etwas Feines.

Lacan sagte auch: Die Menschen glauben nicht mehr an die Wahrheit der Psychoanalyse. Viel schlimmer ist, dass es die meisten Psychoanalytiker auch nicht mehr tun.
Allzuoft kann man hier mittlerweile auch den Feminismus einsetzen. Ich finde die Anti-Feministen ja meist ziemlich bekloppt. Aber zum Davonlaufen ist, wenn man einer Feministin zuhört, die aus dem Feminismus nichts anderes gezogen hat als den Satz: Ich bin etwas Besseres.

Ebenso absurd: dass der Körper für das Geschlecht keine Rolle spielt. In dieser Dummheit vereinen sich mittlerweile Feministinnen wie Anti-Feministen. Nur sind die einen dafür und die anderen dagegen. Dummheit bleibt es hier wie dort.
Das beginnt schon damit, dass Gender angeblich nur besondere Formen der Sexualität sind. Diskursiv gesehen hat aber jeder Mensch eine Art Gender.
Und ebenso gibt es beim Gender nicht die Frauen und nicht die Schwulen. Der Horizont der Gender-Theorie ist, dass jeder Mensch sein eigenes Geschlecht hat. Deshalb fand ich die Nachricht, dass in Friedrichshain nun in öffentlichen Gebäuden Toiletten installiert werden sollen für all die, die nicht unter männlich oder weiblich aufs Klo gehen wollen, so absurd. Man schafft sich einfach nur ein weiteres Geschlecht, das genau so diszipliniert und kategorisiert werden kann, wie die beiden "natürlichen" auch. Ich möchte also nicht kategorisiert werden und verlange demnächst auf der Behörde meine eigene Toilette, nur für mich. Ansonsten fühle ich mich aber so etwas von unterdrückt.
Und im Ernst: Gender heißt doch grundlegend nur, dass ich an der Sichtweise auf mein eigenes Geschlecht nicht entmündigt werden darf und dass ich andere Menschen nicht wegen ihrer Sichtweise nicht entmündige. Das heißt aber nicht, dass sich unter dem Banner des Feminismus jeder Blödsinn behaupten ließe. Und auch nicht unter dem Banner des Anti-Feminismus.

06.04.2014

Immer noch am Einrichten

Ich bin immer noch am Einrichten meines Computers. Das wird wohl auch noch ein paar Tage so weitergehen.

Ich erledige die dringendsten Arbeiten. Alles andere bleibt liegen.

Papyrus ist irgendwie klasse. Ich hatte jetzt auf meinem neuen Computer den Download-Link nicht mehr, nur meine Kundennummer und den Schlüssel. Darauf hin hatte ich gestern morgen die Leute angeschrieben. Gestern Nacht (!) kam eine höfliche E-Mail mit dem Gewünschten. Das scheinen Computer-Nerds zu sein, dachte ich mir, die in der Pflege ihres Produkts voll und ganz aufgehen.

Ärgerlicher wird es wohl mit Dragon. Das habe ich immer noch nicht installiert bekommen. Und das wäre das letzte große Programm, auf das ich nicht verzichten möchte.

Sehr schön allerdings: Microsoft Office.
Ich habe mir gleich die online-Version geholt mit Word, Access, PowerPoint und vor allem Publisher. Ich hatte seit Jahren nicht mehr Publisher. Und habe das gestern Abend dazu genutzt, gleich ein paar schicke Arbeitsblätter und Übersichten zu entwerfen. In Verbindung mit einem Grafik-Tablett ist das Erstellen von Skizzen geradezu ein Kinderspiel. Und mit Publisher kann man dann im Handumdrehen ein hübsches Layout um seine Skizzen herumbasteln.

Nur wundern kann ich mich allerdings über die Spracherkennung von Windows: diese ist so schlecht, dass selbst das alte Dragon 7.0, mit dem ich angefangen habe, besser ist. Vor allem ist die Steuerung innerhalb von Dokumenten unbrauchbar. Wo Dragon mit raschen Befehlen irgendwelche Wörter sofort korrigiert, macht Windows Speech irgendetwas, wenn überhaupt.

05.04.2014

Spracherkennung mit Windows 8

Mein neuer Computer: Ich ärgere mich, weil ich zwar die meisten Programme installieren konnte, meine WebCam allerdings nicht so, wie ich es haben möchte; und mein gutes Dragon will auch noch nicht. Ansonsten bin ich mit dem Computer sehr zufrieden und nach einigen Anfangsschwierigkeiten finde ich Windows 8 sogar sehr gut.
Windows hat auch ein Spracherkennungsprogramm. Wenn ich etwas sage, erkennt es die tollsten Sachen, nur nicht das, was ich ihm diktiere. Da wird Microsoft noch ein wenig brauchen, um an die Qualität von Nuance Dragon heranzukommen.

04.04.2014

Warnung vor Visionen

Durch das ganze Mittelalter hindurch galt als das eigentliche und entscheidende Merkmal des höchsten Menschentums: dass man der Vision - das heißt einer tiefen geistigen Störung! - fähig sei. Und im Grunde gehen die mittelalterlichen Lebensvorschriften aller höheren Naturen (der religiosi) darauf hinaus, den Menschen der Vision fähig zu machen! Was Wunder, wenn noch in unsere Zeit hinein eine Überschätzung halbgestörter, phantastischer, fanatischer, sogenannter genialer Personen überströmte; "sie haben Dinge gesehen, die Andere nicht sehen" - gewiss! und dieses sollte uns vorsichtig gegen sie stimmen, aber nicht gläubig!
Nietzsche, Friedrich: Morgenröte. München 1988, S. 64
Ich liebe ihn!

Die Künstler und die vita contemplativa

... die Künstler, etwas seltener als die Religiösen, aber doch immer noch eine häufige Art von Menschen der vita contemplativa, sind als Personen zumeist unleidlich, launisch, neidisch, gewaltsam, unfriedlich gewesen: diese Wirkung ist von erheiternden und erhebenden Wirkungen ihrer Werke in Abzug zu bringen.
Nietzsche, Friedrich: Morgenröte. München 1988, S. 48
Irgendwie lese ich gerade wieder sehr schnell, sehr viel. Canto von Paul Nizon. Henri Bergson von Gilles Deleuze und zwei Kapitel aus Tausend Plateaus. Früchte des Zorns, zumindest die ersten 10 Abschnitte. In Brixton Hill von Zoe Beck erneut herumgeschmökert. Und Konzentriert euch! von Daniel Goleman ein Stück weit weitergelesen: aber ich musste, nach dem Kapitel über soziale Aufmerksamkeit, erst mal einen Umweg gehen.
Und freue mich, dass mein neuer Computer unterwegs zu mir ist. Ich hoffe, dass er heute noch kommt.

02.04.2014

Nebenwirkungen

In einem System gibt es keine Nebenwirkungen, sondern nur vorhergesehene und unvorhergesehene Wirkungen.
Goleman, Daniel: Konzentriert euch! München 2013, S. 182
Wieder ein tolles Zitat.

Kontrollsysteme

Von Luhmann aus gesehen macht das sogar sehr viel Sinn: ein System operiert nicht aus Hauptwirkungen und Nebenwirkungen heraus. Dies zu behaupten wäre schon deshalb Unsinn, weil ein System in seiner grundlegenden Unruhe nichts will. Es evoluiert, wie Luhmann schreibt. Und die Evolution will ja nichts, wie man bekanntlich weiß.
Anders ist es mit dem Kontrollsystem, dessen erste Aufgabe es ist, ein Abbild des Systems im System zu liefern. Es ist klar, dass dieses Abbild nicht das ganze System abbildet (sonst müsste es deckungsgleich mit dem System selbst sein), sondern nur ausgesuchte Teile. Luhmann spricht von einer Selbstsimplifikation in der Reflexion, einmal auch von einer Selbstverdummung. Die eine Alternative, es dann gleich ganz mit der Kontrolle zu lassen, hieße, sich einer kompletten Blindheit hinzugeben.
Die andere, die Kontrolle nach außen zu verlagern, misslingt daran, dass das andere System ersten wesentlich komplexer gebaut sein müsste als das zu kontrollierende und dass es einen direkten Zugriff auf das kontrollierende System haben müsste, was allerdings an der System/Umwelt-Differenz scheitert, deren Aufgabe es ist, zugleich das System zu konstruieren und es von direkten Einflüssen abzukoppeln. Eine komplette und direkte Kontrolle von außen hieße, das System zu zerstören.

Nebenwirkungen

Was spricht nun gegen den Begriff der Nebenwirkung?
Nun, ein System ordnet sich natürlich seine Wirkungen nach Wichtigkeit. Insofern kann man schon von Nebenwirkungen sprechen. Es ist aber bereits die Rekonstruktion seiner selbst, die einen solchen Begriff notwendig macht. Er ist eine Leistung der Reflexion.
Das System selbst dagegen wählt nicht nach Wichtigkeit der Operationen aus, sondern nach der Möglichkeit, Irritationen der Umwelt abzuarbeiten und trifft diese Wahl aufgrund interner Bedingungen und Strukturen. Es wirkt in sich selbst. Da nicht alle diese Wirkungen vom Kontrollsystem aus gesehen werden können, ist die Aufteilung in vorhergesehene und unvorhergesehene Wirkungen eine andere Art, dieses Wirken zu rekonstruieren. Während die Aufteilung in Haupt- und Nebenwirkungen die Wirkungen erfasst, die sich ordnen lassen und die vorhersehbar sind, ist die andere Aufteilung der Nicht-Kontrollierbarkeit der Kontrolle geschuldet.

Aufmerksamkeit und Liebe

Aufmerksamkeit ist mit Liebe verflochten.
Goleman, Daniel: Konzentriert euch! München 2013, S. 162
Und die ganze Stelle (wenig später zu dem, was ich oben zitiert habe):
Offensichtlich bestimmt also unsere eigene Einstufung auf der sozialen Leiter darüber, wie viel Aufmerksamkeit wir aufbringen: Wenn wir uns als Untergebene fühlen, sind wir wachsamer, als wenn wir uns für überlegen halten. Entsprechend aufmerksamer sind wir auch, je mehr uns an jemandem liegt - und je mehr Aufmerksamkeit wir aufbringen, desto mehr liegt uns am anderen. Aufmerksamkeit ist mit Liebe verflochten.
ebd.
Es ist seltsam, aber auf eine recht unterschwellige Art und Weise spricht aus dem Kapitel Soziale Sensibilitätin Golemans Buch eine große Wut - und eine große Enttäuschung. Mich erinnert es - von der Atmosphäre her - an John Steinbecks Früchte des Zorns.

Unpersonen - soziale Empathie

In einem Abschnitt über soziale Empathie schreibt Goleman sehr bedrückend davon, wie Menschen, dadurch, dass sie aus dem eigenen sozialen Raster herausfallen, der Ausbeutung und Unterdrückung anheimfallen. Er berichtet hier von einem mexikanischen illegalen Einwanderer. Offensichtlich ist es in Los Angeles Praxis, dass diese Illegalen morgens an bestimmten Orten stehen, dort von jemandem abgeholt werden, für diesen einen ganzen Tag arbeiten und abends dann mit dem versprochenen Lohn nach Hause gehen.
Miguel berichtete nun davon, dass er nach einem ganzen Tag Arbeit seinen Lohn komplett verweigert bekommen habe und war tief bestürzt:
Miguel stand am Rand der Bühne und sah schweigend zu, wie seine eigene Geschichte nachgespielt wurde. »Am Ende konnte er sich nicht einmal umdrehen und mit uns anderen darüber sprechen – er weinte«, berichtete Blair [ein Psychologe, der solche Erlebnisse im Psychodrama aufarbeitet]. »Miguel sagte, ihm sei nicht klar gewesen, wie unterdrückt er wirklich war, bis er sah, wie seine eigene Geschichte von jemand anderem erzählt wurde.«
Der Kontrast zwischen der Vorstellung der Frau von seiner Situation und seiner Realität machte deutlich, wie es sich anfühlt, wenn man nicht gesehen, nicht gehört und nicht gefühlt wird – wenn man eine Unperson ist, die jeder ausbeuten kann.
[…]
Dabei [bei seiner Arbeit] ist Blair auf eine unterschwellige Kraft gestoßen, die Menschen anhand ansonsten unsichtbarer Anzeichen von sozialer Stellung und Machtlosigkeit trennt: Die Mächtigen hören den Machtlosen häufig nicht zu, und das tötet die Empathie ab.
Goleman, Daniel: Konzentriert euch! München 2013, S. 158-159
Hervorhebungen von mir
Das ist ziemlich bedrückend.
Vor einigen Jahren habe ich einen ähnlichen Artikel zu einer gewissen Form der Soziopathie und Gefühlsblindheit gelesen. Dort wurde diese Manager-Krankheit genannt.

Seltsamerweise kenne ich diese Gefühlsblindheit vor allem bei Frauen. Gut, gefühlsblinde Männer kenne ich auch, aber weniger. (In dem Beispiel, in dem Miguel seinen Lohn verweigert bekommen hat, handelt es sich auch um eine Frau.)

Siehe auch zu Horst Arnold: Dreimal gender, nein eigentlich zweimal: Michael Kausch, Horst Arnold

Gruppendenken und dumme Entscheidungen

Sensibilität

Ich bin ja immer noch fasziniert von der Talkshow, in der Jörges und Lanz, ohne einander zu verstehen, aus reiner Oberflächlichkeit, ein so krudes Benehmen gegenüber Sarah Wagenknecht an den Tag gelegt haben. In der Zwischenzeit habe ich diesen ganzen Abschnitt der Sendung gründlicher rhetorisch analysiert. Nennenswerte Neuigkeiten sind dabei allerdings nicht entstanden, allerhöchstens eine größere Sensibilität, die man allerdings nur erreicht, wenn man selbst mit den Begriffen arbeitet. Man kann Sensibilität nicht beibringen. Man kann nur Menschen dazu ermutigen, über einen solchen Prozess, eine Arbeit mit Begriffen, sich eine solche selbst zu erweitern (es gibt auch keinen Abschluss der Sensibilität: sie ist im Prinzip immer offen für Neues).

Massenwahn und die déformation professionelle

Zwischendurch habe ich dann auch ein wenig an den Theorien von Massen, großen Menschenbewegungen, weitergearbeitet. Seit letztem Jahr besitze ich die Massenwahntheorie von Hermann Broch. Allerdings konnte ich sie bisher nur ganz flüchtig lesen. Ebenso fehlt mir Canetti. Sekundärliteratur? Pustekuchen.
Anknüpfungspunkte gibt es allerdings viele. Ich hatte ja vorletztes Jahr Die Gesetze der Nachahmung von Gabriel Tarde gelesen und dann auch gründlicher studiert. Von dort aus, so war mein Projekt, wollte ich mich mit Tausend Plateaus von Deleuze/Guattari beschäftigen, insbesondere mit den späteren Kapiteln und deren Theorie der Staatsformen. Mit sind dann Christa Wolf, Hanna Arendt und neuerdings Karl Jaspers dazwischengekommen.
Aber gut. Gerade werde ich wieder an diesen liegengebliebenen Faden erinnert. Daniel Goleman berichtet in seinem Buch Konzentriert euch! von solchen "wahnhaften" Gruppenprozessen. Diese basieren zunächst auf den Selbstüberschätzungen einzelner Menschen (S. 97 f.). Wenn solche Selbstüberschätzungen ganze Berufszweige oder Tätigkeitsbereiche ergreift, dann entstehen blinde Flecken im Gruppenprozess. Selfpublisher und Coaches sind dafür zum Teil sehr unangenehme Beispiele.
Max Frisch schreibt in seinem Homo faber von der déformation professionelle (Homo faber, S. 142). Mehr aber noch zeigt er, dass sich Walter Faber und Hanna Piper nicht verstehen, weil sie auf sehr unterschiedlichen Gebieten argumentieren. Sie können ihre Argumente nicht gegenseitig aufnehmen.

Metakognition

Ich erinnere immer wieder daran, wie wichtig die Metakognition ist. Goleman unterstreicht diese Wichtigkeit, diesmal aber nicht als ein zunehmendes Selbstbewusstwerden beim Lernen, sondern als Remedium gegen Selbst- und Gruppenblindheiten:
Um ans Licht zu bringen, was eine Gruppe in einem Grab aus Gleichgültigkeit oder Unterdrückung beerdigt hat, bedarf es der Metakognition - in diesem Fall des Bewusstseins für unser fehlendes Bewusstsein. Klarheit beginnt damit, dass wir erkennen, was wir nicht wahrnehmen - und dass wir nicht wahrnehmen, dass wir nicht wahrnehmen.
Goleman, Daniel: Konzentriert euch!, München 2013, S. 101
Metakognition ist nun
  1. metakognitives Wissen, also das Wissen um Denk- und Lernprozesse und um die Komponenten dieser Prozesse, also zum Beispiel Emotionen, Bedürfnisse, Formen der Aufmerksamkeit, die Entstehung von Motiven, Gedächtnisleistungen, etc.;
  2. metakognitive Fähigkeiten, also Handlungen, die uns beim Denken und Lernen helfen: dies kann ganz unterschiedliche Handlungen betreffen, wie zum Beispiel das Malen von Utopien, um uns unserer Ziele bewusst zu werden (und ebenso das Tagträumen), das free-writing, um uns besser unseres Gedankenstroms erinnern zu können, das Anlegen von Zettelkästen, um unsere Ideen zu ordnen, unsere Interessen zu systematisieren und eine gewisse Sättigung eines Themas zu erreichen, das zu komplex ist, um uns alle einzelnen Aspekte zu merken;
  3. metakognitive Erfahrung, die aus dem metakognitiven Wissen und seiner Umsetzung in die Praxis entsteht: dabei ist Erfahrung ganz klassisch zu nehmen als Erfahrungen mit Begriffen machen: diese betreffen uns selbst als kontrolliert und reflektiert werdende Denker und Lerner.
In Gruppen muss noch das Wissen um gruppendynamische Prozesse hinzukommen.

Umständliches Betrachten

Eine andere Sache, die ich häufig kritisiere, ist die fehlende Sammlung von Argumenten, bzw. die fehlende Anschauung, je nachdem, ob ich gerade in den Gefilden der Logik oder eher denen von Kant mich herumtreibe. Eine der Paralogismen, die aus solchen Mängeln entstehen, ist die Extrapolation. Zu der hatte ich schon oft hier auf diesem Blog geschrieben (links oben findet ihr ein Feld, in den ihr Suchbegriffe eingeben könnt: ich mag gerade keine Referenzartikel heraussuchen, da dieser Computer zu langsam ist).
Auch dazu schreibt Goleman:
Eine kluge Risikobewertung [er bezieht sich auf Finanzmanager] stützt sich auf eine weitgefasste, umfangreiche Datensammlung, die am Maßstab des Bauchgefühls überprüft wird; dumme Entscheidungen bauen auf einer zu schmalen Datenbasis auf.
S. 101

Controlling und risk points

Eine meiner allerersten Arbeiten als Textcoach (und in diesem Fall mehr als Ghostwriter) hatte eine Arbeit zum Controlling als Thema. Abgesehen davon, dass der betreffende Mensch durch Abwesenheit rechnerischer/mathematischer Fähigkeiten glänzte (aber dann schreibt man keine Arbeit über Controlling), verlangte er von den Zahlen, dass sie eine eindeutige Entscheidungshilfe böten. Die Zahlen müssen eindeutig sein, sagte er mehrmals.
Das allerdings ist ein ziemlicher Irrsinn. Im Controlling werden Daten so zusammengefasst, dass man auf Tendenzen schließen kann. Sie vereinheitlichen Werte, bei denen gerade Ausreißer signifikant werden können. Insofern bieten sie keinerlei Basis für eindeutige Entscheidungen. Ebenso wenig besagt eine aktuelle Folge von Zahlenwerten mit einer Tendenz, dass diese Tendenz sich in die Zukunft verlängert. Der Manager muss immer noch abschätzen können, wie wahrscheinlich es ist, dass hier beeinflussende Variablen eine Umkehr bewirken können. Dem wird auch eigentlich Rechnung getragen durch die Theorie der risk points, auch als risk tresholds oder influence tresholds bekannt.

Dominanzwechsel

Übrigens finden sich ähnliche Anmerkungen auf für historische und ontogenetische Prozesse. Bei historischen Prozessen könnte man Michel Foucault zu Rate ziehen. Bei ontogenetischen Prozessen hat die kulturhistorische Schule umfangreiche Analysen zu bieten. Dort heißt das übrigens Dominanzwechsel.
Damit wird jener Moment bezeichnet, in dem ein Phänomen innerhalb eines Prozesses dort seine hauptsächliche Bedeutung verliert und nun in einem bisher nebensächlichen Prozess eine sehr viel stärkere Rolle spielt. Man kann das sehr gut bei der Alphabetisierung beobachten. Oft geschieht es, dass Kinder noch am Zusammenziehen von Buchstaben sind und sich so Wort für Wort mühsam erlesen. Dann, von einem Tag auf den anderen, kippt dieser ganze Prozess um und das Wort wird nun von der Wortbedeutung her erfasst. Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht mehr auf das Wort als Ergebnis sondern als Ausgangspunkt des Lesens.

Plurale Freundschaft

Ehrliche und ungewöhnliche Freunde

Schließlich plädiert Goleman dafür, auf ehrliche Art befreundet zu sein:
Aufrichtige Rückmeldungen von Menschen, denen wir Vertrauen und Respekt entgegenbringen, schaffen eine Selbstwahrnehmung, die uns vor einseitigen Informationen und fragwürdigen Annahmen schützen kann.
S. 101
Er erweitert diesen Vorschlag sofort durch eine Maxime:
Ein anderes Gegenmittel gegen das Gruppendenken lautet: Erweitere deinen Bekanntenkreis über die Zone des Angenehmen hinaus und schütze dich vor der Abschottung der Gruppe, indem du dir einen großen Kreis von außenstehenden Vertrauten schaffst, die ehrlich mit dir umgehen.
S. 101

Funktionalisierung

Das finde ich ganz wunderbar. Ich habe mich doch Anfang des Jahrtausends zu sehr von der Paranoia meiner Ex-Frau anstecken lassen. Die hat immer nur dann Freundschaften gesucht, wenn sie ihr nützlich waren. Manchmal waren das auch einfach Freundschaften, die deshalb funktioniert haben, weil diese Menschen mit ihr gelitten haben, dass sie gerade mal wieder das Opfer ist. Was dabei entstanden ist? Ich glaube nicht, dass es dieser Frau jemals gut gehen wird. Ich denke, dass sie implizit weiß, auf welchem Mist sie sich ihren "guten" Ruf aufgebaut hat. Und dass sie Angst davor hat, dass jemand diesen "guten" Ruf durchlöchern könnte.
Daher kommen vermutlich auch diese ganz paradoxen Haltungen ihrerseits: mich einerseits komplett aus ihrem Leben und ihren Entscheidungen herauszuhalten und andererseits verzweifelt bei mir anrufen und mir quasi zu befehlen, ihr zu helfen.
Ich kenne andere Menschen, die genauso ticken. Die nur mit Menschen befreundet sind, weil sie dort Ideen abgreifen können. Und die dann mit einem nichts mehr zu tun haben wollen, wenn sie eine solche als ihre eigene verkaufen. Vor ein paar Jahren war ich mal auf einem Trainertreffen, wo eine hingeschmissene Bemerkung über Paul Valéry dazu geführt hat, dass einige Monate später einer der Teilnehmer mit einer neuen Methode auftauchte, die sich auf Valéry berief. Er hatte sie sich patentieren lassen. Abgesehen davon, dass dies nur ein lächerlicher normierter Fragebogen war, den dann Manager zum Ende der Woche immer ausfüllen durften, fand ich diese Funktionalisierung ziemlich fragwürdig. Ich habe mich übrigens nicht missbraucht gefühlt, denn es war eine dieser Ideen, die mir an guten Tagen zu mehreren Dutzend kommen. Aber um den guten Valéry tut es mir echt leid.

Innen/außen

Es ist jenes alte Spiel zwischen innen und außen. Sagen wir es psychologischer: zwischen verinnerlichen und veräußerlichen. Was wir uns aus der Umwelt angeeignet haben, wandeln wir um, machen es uns als eine "natürliche" Basis zu eigen und nutzen es dann für unser Handeln, unsere Ausdrucksweisen. Darin unterscheiden sich persönliche Erlebnisse ebenso wenig wie wissenschaftliche Modelle und künstlerische Techniken.
Es dürfte auch klar sein, dass die Funktionalisierung auf einer falschen Einteilung beruht: sie verkauft als Inneres, was eigentlich außen ist. Eine andere Bezeichnung dafür ist: sich mit fremden Lorbeeren schmücken.
Das Heilmittel ist auch klar: es heißt Differenzierung. Wie der Controller oder Manager seinen Datenbestand differenziert, so müssen wir für unser Selbst vielfältige Freundschaften pflegen, um uns differenziert betrachten zu können. Und freilich: man darf dies nicht so nutzen, dass man diese Vielfalt dazu missbraucht, selbst eine Vielfalt vorzutäuschen.
Eine wichtige Fähigkeit in diesem Prozess ist die Metakognition. Diese schätzt ab, inwiefern wir uns in einem Gebiet auskennen, wo offene Lücken, Stellen des Unwohlseins liegen und wie wir diese beheben können. Auch Metakognition baut man mit Hilfe von Freundschaften auf, bzw. erweitert sie.
Der Massenwahn, den Goleman postuliert (und den ich in solchen Erscheinungen wie der Isolation und Vereinheitlichung nachgegangen bin), scheint ein erfahrungsloser Prozess zu sein. Wir lassen uns nicht mehr berühren, nicht mehr verunsichern, nicht mehr zum Nachdenken zwingen, sondern nutzen nur noch "Sachen" (und sei es Menschen). So etwas dürfte auch die beiden Herren Jörges und Lanz getrieben haben, dies auch den Herrn Matussek.