25.09.2014

Wissenschaftskommunikation

Quine schreibt (in Die Wurzeln der Referenz):
Der Erkenntnistheoretiker wird also zu einem Verteidiger oder Schützer. Er träumt nicht mehr von einer Ersten Philosophie, besser fundiert als die Wissenschaft, auf die sich diese stützen könnte; er ist darauf bedacht, die Wissenschaft von innen her, gegen ihre Selbstzweifel zu verteidigen.
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Am 30. Juni und 1. Juli 2014 fand eine Tagung zur Wissenschaftskommunikation im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen statt. Im Eröffnungsbeitrag wurde von Frank Marcinkowski und Matthias Kohring die Frage gestellt, ob Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft nützt.

Eigenlogik der Wissenschaft

Unbestritten müssen Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen. Veröffentlichen heißt, so stellen dies die beiden Autoren dar, prinzipiell für alle, konkret aber für die Fachöffentlichkeit. Dies scheint aber eine zu enge Fassung des Begriffes Wissenschaftskommunikation zu sein. Dieser meint die Aufbereitung, eventuell sogar das Marketing, über die Fachöffentlichkeit hinaus. Der Grundgedanke hinter diesem breiten Begriff ist die Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft. Lassen wir den Begriff der Verantwortung selbst einmal ungeklärt.
Dann kann man immer noch einwenden, dass eine Wissenschaft nicht nach denselben Regeln funktioniert wie die Gesellschaft und dass deshalb der Wissenschaftler auf der Eigenlogik seines Faches beharren muss.
(Dazu werde ich weiter unten meine Gedanken äußern. Zunächst möchte ich nur referieren.)

Aufmerksamkeit

Die beiden Referenten sehen auch kritisch, dass die Wissenschaftskommunikation den Wissenschaftler zu sehr von seinem eigenen Fachgebiet ablenkt und zu viele Ressourcen absorbiert. Aufgabe des Wissenschaftlers sei es, zu forschen und nicht, andere Menschen von dieser Forschung zu überzeugen. Die Förderung der Wissenschaftskommunikation würde die Wissenschaftlichkeit, so darf ich hier mal salopp formulieren, ziemlich ins Schlingern bringen.

Gegenmeinungen?

Nicht wirklich. Rainer Korbmann, seines Zeichens Wissenschaftsjournalist, problematisiert auf seinem Blog Wissenschaft kommuniziert sowieso die Wissenschaftskommunikation, wobei es ihm allerdings mehr um spezifische Probleme geht, als um den Zweck von Wissenschaftskommunikation überhaupt. Und auch die Aussagen von Jens Rehländer, der die VolkswagenStiftung leitet, sind sehr differenziert.
Eine Herausforderung dabei ist, dass Popularität durch eine breite Öffentlichkeit entsteht, Popularität aber nicht mit Nützlichkeit oder gar mit Wahrheit verwechselt werden darf. Und insofern ist die Zuweisung von Forschungsgeldern nach dem Maße der Popularität schwierig, wenn nicht gar eine Fehlorientierung.
Andererseits ist natürlich die Aufgabe der Wissenschaft nicht nur die Forschung, sondern auch die Aufklärung. Aufklärung bedingt die Öffentlichkeit.

Die zentrale Frage

Muss sich Wissenschaft also populär machen? So könnte die zentrale Frage lauten. Und wenn man diese Frage mit Ja beantwortet, dann ist gleich die nächste Frage, auf welche Weise dies zu geschehen hat. Die beiden Autoren verleugnen nicht die Notwendigkeit der Wissenschaftskommunikation, aber sie befürchten, dass die gut begründeten Ergebnisse durch Meinungen aufgeweicht werden. Es geht also um den alten Streit zwischen Doxa und Episteme.

Asymmetrische Kommunikation

Die Problemstellung wird weiter verfeinert, wenn man sich auf die Suche nach der tatsächlichen Differenz zwischen den beiden Referenten und der Stellungnahme von Rehländer macht.
Nicht bestritten wird, dass die Kommunikation von Wissenschaft sich an den Ergebnissen der Wissenschaft orientieren muss. Doch das ist nur die eine Seite. Es gibt auch eine gegenläufige Tendenz. Diese findet man in den Begriff von der Verantwortung des Wissenschaftlers und der Zweckmäßigkeit der Ergebnisse.

Verantwortung

Bleiben wir bei der Problematisierung dieses Begriffs. Ich gestehe, dass ich mit diesem Begriff große Probleme habe. Die Verantwortung beruht auf der Annahme, dass es zuverlässige Kriterien gibt, wie Handeln in der Gesellschaft wirkt. Grundsätzlich muss man hier aber sagen, dass die Aufgabe der Wissenschaft die Erforschung von Zusammenhängen ist, seien diese auf der Ebene subatomarer Teilchen, seien diese auf der Ebene von Individualisierungsprozessen in Subkulturen bezogen. Zweckmäßigerweise muss die Wissenschaft, um Wahrscheinlichkeiten zu überprüfen, Laborbedingungen schaffen. Solche Laborbedingungen gelten auch für all die Prozesse, die man im Labor nicht ablaufen lassen kann, wie zum Beispiel Prozesse der Integration von Behinderten, Stigmatisierungen von jugendlichen Kriminellen oder Prozesse parteiinterne Entscheidungen.
Der Einfluss von Untersuchungen auf solche offenen Systeme ist schwierig zu kontrollieren.

Zweckmäßigkeit

Mit genau der gleichen Skepsis muss man dann die Zweckmäßigkeit von Forschung betrachten.

Grundlagenwissenschaft

Bedingt kann man hier eine erste Lösung durch die Trennung von Grundlagenwissenschaft und angewandter Wissenschaft postulieren. Die Grundlagenwissenschaft erforscht rein objektive Zusammenhänge. Die angewandte Wissenschaft sucht nach Wegen, dieses Wissen der Grundlagenwissenschaft fruchtbar zu machen.
Wenn ein Team aus Wissenschaftlern nach neuen Möglichkeiten sucht, Halbleiter-Legierungen auf Platinen aufzudampfen, dann werden sie zuallererst ihre Forschung an anderen, „grundlegenderen“ wissenschaftlichen Ergebnissen orientieren.

Die Transformation wissenschaftlicher Ergebnisse

Sinn und Zweck solcher neuen Techniken definieren sich aber nach ganz anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen. So kann ein positives Ergebnis einen ökonomischen Vorteil bringen. Der ökonomische Vorteil hängt aber nicht eine Sekunde von den physikalischen Bedingungen ab.
Genauso wenig kann man die Internet-Revolution als ein physikalisches Ereignis bezeichnen, auch wenn sie durch die Ergebnisse der Physik erst möglich geworden sind.
Anders gesagt: zwischen Verursachen und Ermöglichen besteht ein großer Unterschied. Er ist vermutlich immer qualitativer Natur.

Die Einheit der Kommunikation

Was haben die beiden Referenten getan, als sie der Wissenschaftskommunikation einen deutlichen Dämpfer erteilt haben? Sie haben daran gezweifelt, dass Wissenschaftskommunikation an sich gut sei. Aber die Antwort ist eigentlich klar: Nicht die Kommunikation ist schlecht (sie ist Bedingung für Gesellschaft), sondern bestimmte Formen der Kommunikation sind mehr oder weniger günstig. Jens Rehländer erinnert daran, indem er einen kurzen Streifzug durch die Landschaft der wissenschaftlichen Kommunikation, durch ihre Brüche und ihre Institutionalisierungen wagt.
Niklas Luhmann erinnert daran, wenn er die Kommunikation in ihrem grundlegenden Element auf eine einfache Unterscheidung zurückführt, daran aber dann seine umfassenden Untersuchungen anschließt, wie solche einfachen Unterscheidungen in einen Zusammenhang und damit in verschiedenen Formen gebracht werden.

Systemgrenzen

Folgen wir weiter der Systemtheorie von Niklas Luhmann, dann besteht eine differenzierte Gesellschaft aus verschieden differenzierten Kommunikationen; diese Kommunikationen bilden dann, sobald sie unter eine Leitdifferenz gebracht worden sind, verschiedene Funktionssysteme aus. Intimsysteme bilden sich nach der Differenz des Vorhandenseins/Nicht-Vorhandenseins individualisierten Sonderwissens (Tante Erna, das ist doch die, die als neunjährige mal einen Hund gebissen hat), Interaktionssysteme durch Anwesenheit (und dementsprechend durch Abwesenheit); besonders wichtig aber sind die großen Funktionssysteme der Gesellschaft, die Wissenschaft, die sich nach der Unterscheidung wahr/unwahr, das Rechtssystem (Recht/Unrecht), usw. gebildet haben.
Alle diese Systeme, von der flüchtigen Interaktion auf dem Flur bis hin zu einer Jahrhunderte alten Rechtstradition, bilden Grenzen in der Kommunikation. An solchen Grenzen bricht sich die Operationsweise eines Systems. Sie kann diese Grenze nicht überschreiten.

Paradoxien

Entlang solcher Grenzen entstehen dann Paradoxien. Was für die Wissenschaft nützlich ist, ist für die Politik vielleicht überhaupt nicht nützlich. Und wenn die Wissenschaft ein offenes Problem sieht, kann die Wirtschaft da noch lange nicht einen Gewinn erwarten, wenn dieses Problem gelöst ist.
Jedes System operiert intern und verweist gleichzeitig auf externe Informationen. An dieser Grenze kann man Turbulenzen, Brüche und, wenn man dies zusammenfasst, Paradoxien beobachten. Wenn nämlich das Wissenschaftssystem nur intern über die Unterscheidung wahr/falsch entscheiden kann, muss sie beständig möglicherweise wahre oder falsche Aussagen in ihr System hineinholen und damit operieren. Zugleich kann die Wissenschaft damit aber auch nicht unabhängig von der Umwelt operieren. Sie braucht die Umwelt, um überhaupt Materialen zu haben, über das sie entscheiden kann.

Das Fundament der Wissenschaft

Doch natürlich betreibt Wissenschaft sich nicht selbst. Dass die Wissenschaft ein Subsystem der Gesellschaft bildet, heißt noch lange nicht, dass sie auf Menschen verzichten kann. Kommunikation ist immer Kommunikation von irgend wem. Und auch wenn psychische Systeme (Bewusstseine, Seelen) zur Umwelt der Wissenschaft gehören, so gehören sie doch zur notwendigen Umwelt.
Zur Wissenschaft gehört aber auch die Interaktion. Ohne Interaktion hätte sich nie Sprache gebildet, keine Schrift, keine Werkzeuge. Interaktion ist eine grundlegende Voraussetzung für Gesellschaft und damit auch für die Wissenschaft.
Schließlich muss eine Gesellschaft, in der eine komplexe Wissenschaft möglich ist, Organisationen bereitstellen, die für die Disziplinierung von Interaktion zuständig sind. Organisationen trennen Interaktionen und bringen diese in Form; sie verbinden diese Interaktionen in komplexere Gefüge, sodass verschiedene Aufgaben von verschiedenen Menschen wahrgenommen werden können. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein forschender Mensch zugleich seine Finanzen und Kontakte regeln musste. Hinter jeder Forschung steckt auch ein Verwaltungsapparat. Das Zusammenspiel wird durch organisationsinterne Entscheidungen geregelt.

Wissenschaftskommunikation

Kehren wir zu diesem Begriff zurück, dann bezeichnet er im Prinzip eine Tautologie. Wissenschaft ist, sofern sie heute existiert, nur durch Kommunikation möglich. Sie ist eine Sonderform der Kommunikation und nimmt an anderen Sonderformen der Kommunikation teil.
Insofern ist es unsinnig, von der Wissenschaft mehr Kommunikation zu fordern. Das käme auf das gleiche hinaus, wie von einer Frau mehr Frausein zu fordern. Eine Frau ist eine Frau. Und wenn man von ihr mehr Frausein fordert, dann meint man damit etwas anderes.

Fazit

Ich benutze dieses Wort, also Fazit, gerne, wenn ich eine Diskussion abbrechen möchte. So auch diesmal. Es gibt zu dem Thema viele Aspekte zu diskutieren. Es gibt einiges, was im Argen liegt. Vor drei Jahren hatte ich kurzzeitig einen Kunden, mit dem ich einen recht intensiven E-Mail-Wechsel hatte. Daraus ist jetzt, in diesem Frühjahr und Sommer, bedingt allerdings, seine Diplomarbeit entstanden. Gelegentlich hat er mir, weshalb das Beispiel gerade für mich aktuell ist, Passagen daraus zugeschickt. Diese Arbeit behandelt ein sonderpädagogisches Thema. Der Kunde zeigt hier sehr deutlich, dass sozialwissenschaftliche Forschungen mit massiven Kommunikationsproblemen rechnen müssen. Das liegt nicht nur daran, dass die Opfer der Sozialwissenschaftler, also ihre Forschungsobjekte, gelegentlich eine eigene Meinung zu ihrem Zustand besitzen.
All das muss bedacht werden. Und je weiter sich eine Wissenschaft von einem „unkommunikativen“ Medium entfernt und stattdessen „kommunikative“ Medien untersucht, umso eher hat sie sich Rückkopplungen und seltsamen Schleifen einzulassen.
So ist auch die Aufregung der Wissenschaftskommunikatoren zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Vermittler von Wissenschaft plötzlich selbst zu Objekten werden und feststellen müssen, dass sie einer Paradoxie aufsitzen, die sich ohne sie gebildet hat und die ohne sie auskommen könnte.

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