28.11.2014

Glück, der Durchbruch ist geschafft

Sollte man Matthias Pöhm, den gefeierten Rhetorik-Trainer (vor allem von sich selbst gefeiert), als ein Kleidungsstück darstellen, nähme er notwendigerweise die Gestalt einer Kittelschürze an. Es wäre nicht irgendeine Kittelschürze, sondern eine solche mit Stiefmütterchen bedruckten, unpassend zu einem mopsblauen Hintergrund. Matthias Pöhm ist die Erma Bombeck der Trainer-Literatur. Wenn meine Welt voller Phrasen wäre, was machte ich mit den Trainern?

Hegemoniale Mopsigkeit

Möpse, dies hatten auf unterschiedliche Art und Weise Loriot und Russ Meyer erkannt, sind die quasi natürliche Bedingung des Erfolgs, Verzeihung!, des Glücksdurchbruchs. So jedenfalls könnte man Pöhms letztes Werk lesen, ein Doppelband, dessen sinnvollste Erkenntnis bisher war, dass der zweite zum ersten Band gehört und der erste Band zuerst gelesen werden sollte. Der erste Band bietet eine wertvolle Aussicht auf das sich ausdünnende Haar des erfolgreichsten Rhetorik-Trainers Europas. (Der zweite Band zeigt Blümchen.)
Möpse sucht man bildlich vergebens. Sie haben sich in und zwischen die Zeilen verkrochen. Die von Loriot wie die von Meyer. Was mich in gewisser Weise an den Begriff der hegemonialen Männlichkeit erinnert, wieso, weiß ich allerdings nicht. Es ist über das Glück, zwei Bücher geschenkt zu bekommen, in die Tiefen des nebligen Berliner Novemberwetters verschwunden.

Pöhms polnische Post

Nie hätte ich damit gerechnet. Nie hätte ich geglaubt, was ich jetzt greifbar vor mir liegen habe. Ich besitze zwei weitere Bücher von Matthias Pöhm. Wieso? Wieso, lieber Gott, tust du mir das an? Mein Leben war bisher halbwegs angenehm sinnentleert verlaufen. Ich wusste nichts mit mir anzufangen, habe meinen Körper eine Zeit lang auf die Couch eines Psychoanalytikers gelegt und mich heimlich über ihn lustig gemacht, bin genauso neurotisch aufgestanden und dann gleich in die nächste Kneipe, um mit irgendwelchen Jungs ein Bier zu trinken und Frauen doof zu finden. Es hätte ewig so weitergehen können.
Da erreichte mich vor einigen Tagen eine Mail. Man habe erfahren, dass ich auf meinem Blog Matthias Pöhm erwähnt habe. Erwähnt! Dies mache mich zum idealen Rezensenten. — So schnell geht das.

Ein erster glücklicher Gedanke durchzieht mich

Nach dieser ersten Mail habe ich lange mit mir gehadert, ob ich tatsächlich auf das Angebot eingehen sollte. Die Post kam aus Polen. Das Deutsch war schauderhaft. Ganz ganz unglückselige Gedanken durchzogen mich. Ich stellte mir vor, dass ich, wenn ich dieses Buch bestelle, gleich auch einige Eheverträge mit russischen und afrikanischen Frauen unterschreiben würde, oder zumindest ein langjähriges Abonnement des Sterns, inklusive der Videos von Joerges, aufgedrückt bekäme. All das ließ mich zurückschrecken. Andererseits: wann habe ich schon jemals einem Buch widerstehen können, diesem leisen Knistern der Seiten, diesen flackernden Buchstaben, wenn man es durchblättert, diesem Geruch nach Leim, in dessen Grundfarbe sich ein Hauch von Maschinenöl mischt?
Und was soll ich sagen? Bisher ist alles glücklich verlaufen. Seit drei Tagen liegt die Benachrichtigung von DHL auf meinem Schreibtisch. Heute habe ich, dank eines flexiblen Ferientages, endlich die Post abholen können.

Bombeck

War dies schon der glückliche Gedanke? Keineswegs! Der glückliche Gedanke entstand, als ich die ersten Zeilen las, zwischen einem zweiseitigen Inhaltsverzeichnis und der drängenden Frage: Warum sind wir auf dieser Welt? Ich hätte mich nun gerne hingesetzt und Herrn Pöhm eine ausführliche Antwort geschrieben, doch er weilt derzeit auf einem Seminar, auf dem er Managern beizubringen versucht, das Glück durchzubrechen. Wir müssen uns also mit Hausfrauen begnügen. Und die gibt es bei Pöhm haufenweise, zum Beispiel hier:
Einer jungen Mutter kommt beim Wäsche Aufhängen in der Waschküche plötzlich der Gedanke:
„Ich habe doch alle Erwartungen erfüllt, die man an mich hatte. Wo ist das versprochene Glück?“
Aber wer hat dir denn das Glück versprochen? wollte ich da rufen. Ich unterließ es. Das Papier und der Kopf von Herrn Pöhm trennten uns. Ich werde niemals zu dieser jungen Mutter kommen und sie beglücken.

Anonyme ältere Herren

Mir ist noch nie das Glück versprochen worden. Darin unterscheide ich mich wohl von jungen Müttern. Zumindest aber löst dies ein Rätsel, das mir die Welt lange Zeit aufgegeben hat: man sieht in Berlin des Öfteren adrett gekleidete ältere Herren herumlaufen, deren Namen man nicht erfährt. Es sind wohl jene Herren, die im Auftrag des Glücksversprechens unterwegs sind, und die, ich verstehe das sehr gut, ihre Versprechen am liebsten bei jungen Müttern loswerden. Ob sie etwas mit Ursula von der Leyen zu tun haben, konnte ich allerdings bisher nicht in Erfahrung bringen. Es ist zu vermuten. Schließlich muss unsere Weramtsbevollmächtigte ihre Attraktivitätsinitiative unter feministisch unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen ausstreuen.

Neue und alte Volkskrankheiten

ADHS, lange Zeit der unwillige Helfer zappelnder Kinder in der Pädagogik, ist mittlerweile dermaßen im bürokratischen Filz korsettiert worden, dass man eine relativ präzise Diagnose der Bewegungsunfähigkeit stellen kann. Dass es immer noch ADHS gibt, ist wahrscheinlich dieser institutionellen Ironie zu verdanken, die einen zumindest leicht schmunzeln lässt. Die neue Kinderkrankheit Nummer eins dagegen ist das Asperger-Syndrom, eine Spielart des Autismus. Sobald ein Jugendlicher mehr als 10 Minuten auf seinem Handy herumtippt, kann ein Psychiater oder Neurologe treffsicher diese Diagnose stellen.
Früher war dies alles ganz anders und sowieso viel besser.
Doch darum soll es hier gar nicht gehen. Die neue Volkskrankheit Nummer eins ist die Depression. Gelegentlich wird sie vom Herzinfarkt und der Fettleibigkeit überholt. Gegen die Fettleibigkeit nun tritt Matthias Pöhm an. Und zeigt hervorragend, wie dies geht: Statt Depression (mein Leben macht keinen Sinn!) die Logorrhoe.

Der Durchbruch

Ja, ihr habt richtig gelesen. Bei einem Durchbruch kann so einiges fließen, je nachdem, ob der Damm oder der Darm gemeint ist. Und beim Glücksdurchbruch sind es wohl die Worte, die ungehemmt in das Tal der Ahnungslosen fließen. Es ist ja auch alles egal, solange das Leben Sinn macht. Und wenn das Leben erst Sinn macht, dann müssen es die Worte nicht mehr tun. Sagt und handelt danach: der Matthias Pöhm, Europas teuerster Rhetorik-Trainer.
Jedenfalls bin ich jetzt, nachdem ich das erste Buch durchgelesen habe, so von der Notwendigkeit befreit, dieses Buch weiterzulesen, dass der Rest meines Lebens geradezu überquillt an Sinnhaftigkeit. Ganz in der Tradition der neueren Postmoderne theatralisiert Pöhm die Wege der Erkenntnis.

Das materialisierte Leid

Pöhm redet also von dem Leiden des modernen Menschen. Er hat die Rede darüber geradezu entdeckt, ihr Bahn gebrochen und zum Durchbruch verholfen. Der moderne Mensch ist unglücklich. Er leidet. Pöhm schreibt:
Das Leid, das ich meine, ist diese ständige subtile Unzufriedenheit mit dem, was ist, dieser ständige rastlose Begleiter unter der Oberfläche, das nie zur Ruhe kommende, unter der Oberfläche köchelnde Unbehagen.
Ja, möchte ich an dieser Stelle rufen: Herr Pöhm, Sie haben so recht. Seit ich Ihr Buch in den Händen halte, spüre ich es deutlich, dieses Unbehagen, das wohl nichts anderes ist als das Unbehagen in der Kultur, wortgewandt in Worte gefasst, wie Freud selbst es nicht vermocht hatte.

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