23.11.2014

Kleine Faszinationen und gewollte Dialektik

Ich komme nicht zum Schreiben, oder vielmehr: Alles, was ich schreibe, ist mit einem so persönlichen Ton versehen, dass ich es so nicht veröffentlichen mag. Das ist die eine Seite meines Schaffens, die eine Veröffentlichung nicht erlaubt. Und der persönliche Ton betrifft weniger die Rücksicht auf mich selbst als die Rücksicht auf meine Schüler, die gerade sehr viel Platz in meinem Denken einnehmen. Einen sehr schönen, sehr produktiven Platz übrigens.
Die andere Seite, die mir die Veröffentlichung versagt, ist meine sehr sprunghafte Arbeitsweise. Innerlich, von mir aus gesehen, erscheint sie mir sehr kohärent; und trotzdem dürfte sie nach außen hin verwirrend sein. Mir stürzt gerade alles durcheinander. Einige Kommentare, die ich vor fast zwei Jahren zu Max Raphael gemacht habe und die den ästhetischen Dialog mit dem Material (in diesem Fall der Bildkomposition einiger Impressionisten, zum Beispiel Cezanne) betreffen, dazu meine Notizen zu Hannah Arendt und darüber wiederum zu Christa Wolf, was, immer über die Umwege zu Erlebnissen in meiner Klasse, zu einem fruchtbaren Austausch über die Notwendigkeit einer Ästhetik und der politischen Freiheit geführt hat.
Und ihr merkt schon, dass alleine diese kryptischen Anmerkungen ein wenig von dem Tohuwabohu widerspiegeln, mit dem meine Kommentare durcheinander gehen.

Ästhetische Hohlformen

Vielleicht aber doch einige konkretere Anmerkungen, auf welchen Leitlinien mein Denken sich gerade bewegt; es ist auch nichts wirklich Neues, vielmehr ein Aufleben einer Beschäftigung, der ich vor allem zum Beginn meiner Beschäftigung mit Michel Foucault nachgegangen bin, der Frage nach der Ästhetik der Existenz.
Der Gedanke ist also folgender: wenn man von Kant ausgeht, dann objektiviert sich die subjektive Form in der Wahrnehmung und erscheint so, als wäre sie Natur und nicht die Gestaltungskraft eines Menschen. Wir sitzen also der Spontanität unseres Schöpfertums auf und verfallen diesem, ohne es willentlich nutzen zu können. Jeder Mensch ist ein Künstler, sagt man so leicht hin, aber ein Künstler, der um sich nicht weiß und auch nicht um die Unwahrheit, die einem solchen Künstlertum innewohnt. Denn ein solcher Künstler sieht immer nur diejenige Seite des Objekts, die er sich selbst zurecht gebogen hat, nie aber das Objekt selbst. Und da er dem Objekt kein Eigenleben zugestehen kann, verliert er die Fähigkeit, dieses von sich selbst zu trennen. Genauso, wie er seiner Gestaltungskraft verfallen ist, ist er dem Material verfallen, das er gestaltet.
Darum kann sich ein Mensch nicht einfach so von seinem Schöpfertum trennen. Wenn er nicht auf diese Art und Weise gestaltet, wenn er sich von seiner momentanen Gestaltungsweise lossagt, erlangt er nicht ein objektives Stadium, sondern nur ein anderes subjektives. Und auch von diesen mag er sich lossagen, verlässt es aber wiederum nur für eine andere Gestaltungsweise, und so weiter.
In diesem Prozess ist das einzelne Stadium notwendig, aber nicht ausschlaggebend. Erst in seiner Gesamtheit, wenn jede Möglichkeit der Gestaltung eines Objekts durchmessen worden ist, wenn es an einem Objekt nichts mehr zu entdecken gibt, was die Geschichte nicht bereits erprobt hat, dann liegt dieses Objekt gleichsam in einer Art ästhetischer Hohlform vor, deren Wände durch die je einzelnen Gestaltungen geschaffen wurden.

Objektivieren und subjektivieren

Unschwer lässt sich hier eine Parallele zu den historischen Koordinaten finden, die Christa Wolf beschwört. Während aber die historischen Koordinaten die objektive Form des Subjekts betreffen, enthüllen die Gestaltungsweisen die jeweils subjektive Form des Objekts. Damit verknüpfen sich diese beiden Positionen innig.
Gerade weil der Mensch seine Objekte ›automatisch‹ erkennt, misshandelt er diese. In der Kunst, in der ästhetischen Freiheit der Gestaltung, erprobt er andere Möglichkeiten des Erkennens und damit andere Möglichkeiten, der Welt Bedeutung zu verleihen. Gerade durch dieses ›subjektive Spiel‹ objektiviert er [also der Mensch] die sachlichen Zusammenhänge. Der Künstler erprobt im Dialog (oder: der Dialektik) die Reichweite dieser subjektiven Formen und die Grenzen, an denen diese subjektiven Formen in einen Unsinn übergehen.
Auf diese Pendelbewegung setzt sich eine zweite dialektische Bewegung auf: diese resultiert aus dem unterschiedlichen Empfinden einer solchen Grenze zwischen Sinn und Unsinn der jeder Mensch hier wahrscheinlich eine andere Art des Erlebens hat, entsteht ein Widerspruch der Erkenntnismöglichkeiten, der dann durch Argumentation ausgehandelt und vermittelt wird. Der Subjektivismus wird also gerade dadurch überwunden, dass die Kunst die subjektive Produktion in den Vordergrund stellt, ihr ›egomanisches Wesen‹ betont, aber gerade in dem Moment betont, da es Bewegung ist und damit bereits ein Verlassen eines stabilen Zustandes. Dem Dogmatismus des spontan erkennenden Subjekts wird die Dialektik des experimentierenden Subjekts entgegengestellt: wobei das experimentierende Subjekt sich diese Dialektik selbst erschafft.

Dialektik und Experiment

Erst das Experiment erschafft solche Zustände des Oszillierens. Die Dialektik ist kein Schicksal, dem der Mensch unterworfen ist, sondern ein produktiver und gewollter Zustand.

Historischen Koordinaten und Machtschwellen

Die historischen Koordinaten, in die sich ein Subjekt eingebunden sieht, erarbeiten diese Vielstimmigkeit seines Zustandes und damit die Möglichkeiten dialektischer Prozesse. Gehen wir davon aus, dass diese historischen Koordinaten nie ohne Widersprüche und Spannungen existieren, dann ist die autobiografische Arbeit für die Teilnahme an der Gesellschaft eine notwendige (Mit-) Bedingung.
Ins Praktische gewendet: die Koordinaten, die zum Beispiel Christa Wolf in Kassandra analysiert, verorten das Subjekt nicht in einem leiblichen Raum, sondern in einem symbolischen, der vom leiblichen Raum Besitz ergreift und diesen in ein Gefüge aus Differenzen der Macht einspannt.
Nicht der Raum als solcher, sondern die Interpretation dieses Raumes, die Schwellen der Bedeutung, sind der Ort, wo die Koordinaten des Subjekts zu suchen sind. Deshalb lassen sich diese Schwellen auch nicht wegerklären: es gibt keinen machtfreien Raum. Es gibt nur soziale Räume, in denen eine automatisierte Macht in eine ausgehandelte Macht übergeht, in der das Politische seinen Naturzustand verlässt und zu einem Vertrag zwischen Menschen wird.

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