19.12.2015

Geschlechterneutrale Sprache

Menschen, die sich wie Inter- oder Transsexuelle keinem eindeutigen Geschlecht zuordnen können, sind aus der deutschen Sprache ausgeschlossen. Auch viele Frauen fühlen sich vom Deutschen ignoriert. Genderneutrale Sprache würde das Problem lösen, eine Sprache, in der alle Geschlechter vorkommen.
Diese Behauptung ist aus mehreren Gründen falsch und gefährlich.

Eindeutige Geschlechter

Sprache vereinheitlicht und abstrahiert. Sie macht es immer; ihr ist eine Ordnungsleistung immanent, die nicht auf Abbildung, sondern auf Struktur abzielt. Sprache teile die Welt nicht mit, schreibt Niklas Luhmann, Sprache teile die Welt ein. Gäbe es ein eindeutiges Geschlecht, so nur als Position in der Sprache. Dies ließe sich wiederum nur durch eine Verallgemeinerung erreichen, und damit durch eine Abstraktion von welchen Merkmalen auch immer. So geschieht es dann auch für sämtliche Formen der Sexualität, so geschieht es auch für das Körperselbstbild (mit und ohne Sexualität).
Wollte man hier also tatsächlich eine Art Gerechtigkeit einführen wollen, müsste man für jeden Menschen, eventuell auch für einzelne Phasen seines Lebens, ein je eigenes Geschlecht erfinden. Das allerdings wäre ein mühsames Geschäft.

Weit reichende Behauptungen

Jemanden auszuschließen ist eine räumliche Metapher. Ich hatte schon mehrmals die Problematik eines solchen sprachlichen Ausdrucks angesprochen: man kann sich auf vielerlei Weise in einer Gruppe befinden, aber hier geht es eben nicht um Räume, sondern um in irgendeiner Weise getragenen Handlungen, um Teilhabe und Teilnahme (obwohl auch diese Begriffe räumliche Metaphern sind). Dass die deutsche Sprache nicht nur spezifisch, sondern regelhaft die Sexualität ausschließt, ist auch den Begriffen geschuldet. Diese bezeichnen eben nicht immer zugleich irgendetwas Sexuelles mit.
Jemanden auszuschließen, aus der Sprache auszuschließen, bedeutet doch vor allem, seine Geschichten, seine Erlebnisse ungehört zu machen, ihn (oder sie) als politische Person auszulöschen, als jemand, der eine Meinung hat. In dem oben zitierten Artikel hört es sich aber so an, als sei die gesamte politische Person unwirksam gemacht, wo es eben nur um die sexuelle Orientierung geht, die durch besondere Wörter nicht berücksichtigt wird.

Neutralität

Widersinnig finde ich allerdings die Zusammenstellung der These, es müsse eine Sprache geben, die auf Intersexuelle und Transsexuelle Rücksicht nehmen solle, aber zugleich „neutral“ sei. Widersinnig ist vor allem die Behauptung, dass eine Sprache, die keinerlei Geschlecht mehr bezeichnen würde, zugleich ermöglichen würde, dass alle Geschlechter darin vorkommen.
Die Frage ist, was und wie Sprache abbildet, und ob sie überhaupt zu einer Neutralität fähig ist.

Wittgenstein, Nietzsche, van Quine, Luhmann

Sowohl Wittgenstein, als auch Nietzsche, van Orman Quine und Luhmann sehen als ein Problem der Grammatik an, dass diese das Subjekt als den Träger von Prädikaten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stelle. Alle vier Denker kritisieren auf sehr unterschiedliche Art und Weise den mythischen, „un“wissenschaftlichen Charakter der Grammatik.
Indem dem Subjekt des Satzes eine solch zentrale Position zugewiesen wird, übt der Satz zugleich eine produktive wie auch repressive Wirkung auf das Subjekt aus, wodurch das Subjekt dem Satz untergeordnet wird; zugleich aber behauptet der Satz die zentrale Stellung des Subjekts und verbirgt damit seine eigentlichen Mechanismen. Indem der Satz dem Subjekt bestimmte Eigenschaften zuspricht, erzeugt er dieses Subjekt zuallererst und schließt andere Formen der Subjektwerdung aus.

Machtwirkungen in der Sprache

Natürlich übt die Sprache Macht aus. Sie teilt ein, sie betont und hebt hervor bis hin zur krassen Übertreibung, sie spricht Handlungsmöglichkeiten zu und ab. Dies aber tut sie aufgrund sehr viel verborgeneren Effekten als eines grammatisch markierten Genus. Auf diese Wirkungen kommt es an.
Von den eindeutigen Pejorativen (dem hate speech) über die Ungewohnheit mancher semantischer Verbindungen (wie zum Beispiel vor 30 Jahren die Verbindung von Frauen und professionellem Fußball oftmals nur ein geringschätziges Lächeln hervorgerufen hat) bis hin zu Begriffsnetzen, die nur im Gesamt ihre produktive Wirkung entfalten, zeitigt die Sprache ganz andere Probleme als auf der Ebene der Morphologie.
Sollte man jemals eine solche wie oben postulierte geschlechterneutrale Sprache finden oder etablieren, hätte man damit die wirklichen produktiv-restriktiven Mechanismen der Sprache trotzdem nicht behoben.

Individualität heißt auch Selbstbeschränkung

Der eine spielt Klavier, der andere besucht Jazzkonzerte, ein dritter liest Niklas Luhmann und ein vierter schwedische Thriller. Unsere Gesellschaft bietet zu viele Möglichkeiten, um alle zu verwirklichen. In dem Sinne ist sie pluralistisch; wobei der Pluralismus nie ein vollständiger ist, sondern ein durch die historische Entwicklung begrenzter Pluralismus, und auch ein durch Zugänglichkeit begrenzter. Vor 30 Jahren hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, sich ein schnurloses Telefon zu kaufen, heute dagegen ist es schwierig, ein Telefon mit Schnur zu erwerben. Ähnlich dürften sich heute manche gesellschaftlichen Rollen von denen vor 30 Jahren deutlich unterscheiden, zum Beispiel bei Politikern, Priestern oder Lehrern. Jeder Mensch kann in die Politik gehen; aber nicht jeder wird es zum Parteivorstand schaffen, und seine eigene Politik zu machen bedeutet nicht, dass man sich nicht beschränken müsse.
Gesellschaften sind eben keine zwangfreien Räume. Sie sind kein Selbstbedienungsladen, auch wenn man dies gelegentlich bedauern möchte. Ich klage ja auch nicht herum, dass mir noch niemand eine Professorenstelle angeboten hat, obwohl ich dies durch meine Intelligenz (haha!) durchaus gerechtfertigt fände.

Mangelhafte Sprache

Sprache als solche erzeugt Mängel. Man könnte hier, wenn schon, einen Satz von Bert Brecht paraphrasieren, dass es nicht um die gerechte Verteilung von Reichtum, sondern von Armut gehe; und so könne man für die Sprache anführen, dass es nicht um die gerechte Verteilung der richtigen Bezeichnungen gehen, sondern um eine gerechtere Verteilung an einschränkenden Wirkungen der Sprache.
„Sprache sei entscheidend für die Sichtbarkeit und die Akzeptanz“, wird Andreas Kraß, Mitglied im Berliner Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien, zitiert. Aber es läuft immer wieder auf das gleiche Paradoxon hinaus: eine geschlechterneutrale Sprache macht eben nicht sichtbar, sondern verbirgt. Eine Differenzierung der Sprache könnte man bis zur kompletten Individualisierung betreiben, es ließe sich trotzdem in ihr nur annäherungsweise erläutern, was ein einzelner Mensch in seinem Leben erfährt, sei dieser nun heterosexuell oder intersexuell. Zudem ist die Sprache vielschichtig: eine Änderung der Morphologie zum Beispiel durch den gender Gap ändert zu geringfügig oder gar nicht oder nur unbeherrscht das semantische Feld oder die pragmatische Verkettung.

Grenzgänger

Bernd Höcke möchte eine Sichtbarkeit des normalen Geschlechts entsprechend der Verteilung in der Gesellschaft. Ihm seien „abseitige“ Lebensentwürfe zu überrepräsentiert. Ja und nein möchte man dazu sagen. Eine Demokratie setzt sich in gewisser Weise zugleich aus ihrer Mehrheit und ihren Grenzgängern zusammen. Sie lebt zugleich von den Menschen, die sich einfach auf die kulturellen Gewohnheiten verlassen, und all denen, die die Möglichkeit von Lebensentwürfen innerhalb demokratischer Spielregeln erweitern. Gerade solche Grenzgänger sind für die Demokratie besonders wichtig, weil sie die Möglichkeiten zur Korrektur sozialer und politischer Prozesse offen halten. Damit sind nicht nur „sexuelle“ Grenzgänger gemeint, sondern auch andere Spielarten, wie zum Beispiel in der Kunst, aber auch in der politischen Meinung oder der religiösen Orientierung. Vermutlich sind solche Grenzgänger auch deshalb wichtig, weil sie zeigen, ob eine Demokratie mit ihrer Verfasstheit und ihrer Verfassung noch aufklärerisch umgehen kann, d.h. argumentativ und wissenschaftlich. Obwohl ich an dieser Forderung gelegentlich verzweifle, da das Attribut wissenschaftlich erstens zuweilen recht wahllos verwendet wird, um bestimmte Assoziationen und Verbindungen ein- oder auszuschließen, und zweitens Wissenschaftlichkeit noch keine Wahrheit garantiert. Abgesehen davon spielt die Wahrheit beim Zusammenleben von Menschen eher eine untergeordnete Rolle. Deshalb haben ja schon die alten Griechen zwischen der Episteme und der Doxa unterschieden. Für das Zusammenleben braucht man nur die gute Meinung.

Ich als Mann

Während meines Studiums erdreistete sich ein Kommilitone mich mit der Frage zu nerven, ob ich mich eher als Mann oder als Frau fühlen würde. Aber was ist denn das für eine Frage? habe ich ihm entgegnet. Ich möchte doch behaupten, dass kein halbwegs vernünftiger Mensch auf diese Frage eine andere Antwort wüsste als die Gegenfrage nach der Vernunft des Fragenden. Hätte der Schreiber des oben angeführten Zitats recht, dann hätte ich diese Frage rasch und unkompliziert beantworten können. Tatsächlich ist diese Frage, dieser Wille zur Eindeutigkeit, eine einzige Katastrophe, ein Disziplinierungsmechanismus und Terrorinstrument. Die eindeutige Sprache ist die Sprache der Dogmatiker, der Fanatiker, der Terroristen.
Sprechen wir lieber von einer gewissen „Familienähnlichkeit“ (im wittgensteinschen Sinne): dann bin ich tatsächlich gerne ein Mann, rein biologisch, aber auch kulturell. Von bestimmten Formen des Mannseins distanziere ich mich trotzdem ganz ausdrücklich.

Sichtbarkeit

Macht Sprache sichtbar? Ja, aber nicht durch Bezeichnungen, sondern durch Kontraste und Oppositionen: Sie orientiert durch Differenzen und sie insistiert durch Wiederholungen. Um Differenzen zu verdeutlichen sind Übertreibungen von Nöten. Solche Übertreibungen liefern die Massenmedien durch ihren Hang zur Skandalisierung und Sensationalisierung. Deshalb bilden Massenmedien, und das sieht man am Beispiel der ganzen gender-Debatte, die Gesellschaft in ihrer realen Verteilung nur schlecht ab. Deshalb treffen sich eine Conchita Wurst und ein Bernd Höcke auch in einer Talkshow, und nicht der von linksliberalen und christlichen Ideen geprägte CDU-Politiker und die „ganz normale“ Hausfrau. Solche Sichtbarkeiten bekommt man dann eher im „normalen Leben“ zu sehen; und hier natürlich auch nicht die gesamte Bandbreite dessen, was in einer begrenzt pluralen Gesellschaft möglich ist.
Sichtbarkeit einzufordern ist eine gefährliche Sache. Gerade jene Menschen, die sich für eine kritische Gesellschaftsanalyse und für eine Aufhebung von diskursiven Machteffekten einsetzen, sollten doch so viel Ahnung von Michel Foucault haben, dass sie einen neutralen Blick oder eine machtlose Sichtbarkeit für eine unmögliche Forderung halten.

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