30.04.2016

Erbärmlich

Abschreiben für die Logik-Blase

Wenn ich mich gerade mal wieder auf politischen Seiten herumtreibe, dann nicht allzulange. Pirinçcis neues Buch Umvolkung wird von rechtsradikalen Seiten fleißig bekakelt. Was mich anwidert, ist nicht nur, dass sich das journalistische Handwerk auch hier oftmals darauf zu beschränken scheint, voneinander abzuschreiben, ohne zu prüfen, was der faktische Gehalt ist.
Dies ist leider eine Gepflogenheit, die sich bis in die Universitäten hinein finden lässt: man zitiert nur noch Bestimmtes, dem Professor Angenehmes, weil dies in die logische Blase des Betreffenden passt. Man findet dies in der Kriminologie, im Feminismus, in der Pädagogik. Obwohl hier gelegentlich noch die Selbstkorrektur greift.
Wenn sich dann die "Rechten" (eine eigentlich recht heterogene, gerade zu "multikulturelle" Mischung) ihre Einheit nur noch dadurch geben können, dass sie voneinander abschreiben, dass sie Spekulationen mit Tatsachen verwechseln, dass sie ihre winzigen Ausschnitte für die Welt insgesamt halten, dann schüttelt es mich nur noch.

Auf der Suche nach der verlorenen Tugend

Ich war gestern Abend dabei, den Begriff der Tugend und den Begriff der kulturellen Evolution zu vermitteln. Nicht allzulange, denn mich hat eine Magen-Darm-Grippe (oder etwas ähnliches) ziemlich niedergeschmissen.
Geärgert hat mich, wie unvorsichtig, geradezu abgrundtief dümmlich (mal wieder) sehr zufällige Ergebnisse der kulturellen Evolution als Mittelpunkt einer Moral gesetzt werden, wie die moderne Familie, die die AfD so gerne stärken möchte, obwohl es sich sichtlich um ein sehr marginales Modell handelt. Nun ist natürlich das Gegenteil, die Ablehnung dieses Familientypus oder gar die Behauptung, der moderne Mensch läge außerhalb der evolutionären Entwicklung, genauso falsch. Der Grund für diesen Streit ist im verkürzten Verständnis der Evolution zu suchen, der die verschiedenen Parteigänger heimsucht.
Nun interessiert mich hier gerade besonders Nietzsche, denn bei ihm lese ich eine gewisse Möglichkeit heraus, die Tugend mit der kulturellen Evolution gegen die kulturelle Evolution in Stellung zu bringen, mithin eine Art Paradoxie herauszuarbeiten, die die - von Nietzsche so attribuierten "aristokratischen" - Tugenden als Evolution anti-evolutionärer "Fragmente" begreift. Ein wichtiger Begriff in dieser Argumentation ist mir derzeit der Begriff der Epiphanie: die Tugend erscheint (sie entwickelt sich nicht).
Doch im Moment merke ich, dass meine Versuche, die Idee einer modernen Tugend innerhalb einer modernen Politik zu greifen, immer wieder auf weitere Fragen stoßen, meist auf große Lücken, auf Seltsamkeiten, auf weitere Spielräume, die es zu bedenken gilt. - Und insofern schreibe ich nicht und beklage nur.

Rechtsintellektualismus

Das ist nun wohl der bescheuertste Begriff, den ich in den letzten Wochen gelesen habe. Hier wird nicht einmal mehr verheimlicht, dass die Allseitigkeit aus dem (wissenschaftlichen, philosophischen) Denken herausgehalten wird. Das ist ein noch dümmlicherer Begriff als der der Umvolkung.
Was die Umvolkung angeht, so hat der gute Pirinçci offensichtlich noch nicht gemerkt, dass diese längst stattgefunden hat: die internetlosen Deutschen sind, qua technischer Evolution und Revolution, durch internetbenutzende Deutsche ausgetauscht worden. Der Wechsel findet immer noch statt. Dementsprechend ist die Zeit unruhig, die Welt voller kleinerer und größerer Experimente (man skyped z. B. um drei Uhr nachts mit einer Studentin aus Australien, um sich über Christa Wolf zu unterhalten). Der Bruch zu der (deutschen) Kultur Anfang der achtziger Jahre jedenfalls ist augenfällig, aber schwer, wenn nicht unmöglich in Kausalitäten und Wirkfolgen zu bringen. (Und überhaupt: Pirinçci vermischt ständig die Kultur mit den Genen, eine Art mythischem Genpool mit den ästhetischen und politischen Gepflogenheiten einer Region. Wie Sarrazin. Zum Begriff des Genpools lese man Ökologie von Thomas und Robert M. Smith: leider ist dieses Buch nicht ganz so einfach zu lesen (zu wissenschaftlich), um von den Parteigängern der AfD oder seltsamen Feministen verstanden werden zu können.)
Nicht weniger Unruhe bringen die Veränderungen der politischen Landschaft in der ehemaligen UdSSR mit sich. Man mag von der Annexion der Krim halten, was man will, von der politischen Lage in der Ukraine, von der neuen Rolle der Türkei, vom "Palästina"-Konflikt, etc. - Zumindest wird man doch die Unruhe konstatieren dürfen, die sich in die gesamte politische und wirtschaftliche Landschaft ausstrahlt.
Was von den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kräften vergessen wird, sind diese massiven Umbrüche, die keineswegs den Deutschen und seine "deutsche Kultur" unberührt gelassen haben. Hier mit konservativen Begriffen zu kommen, ist durchaus erlaubt, müsste aber ganz anders entwickelt werden, als durch bloßes Konstatieren. Das ist nämlich nicht intellektuell, und schon gar nicht rechtsintellektuell, sondern nur doof und dogmatisch. In gewisser Weise beerben diese Kräfte die Ideologie des SED-Kaders, nicht inhaltlich, aber doch formal. So jedenfalls sieht das zur Zeit für mich aus.

25.04.2016

Manchmal ...

... erschrecke ich mich über mich selbst. Aber nur ein wenig. Und eigentlich bin ich stolz. Weswegen?
Nun, heute hatte ich wenig Zeit. War in der Bibliothek, und das nach einem langen Tag (sechs Stunden, danach Konferenz). Dann "kurz" hingelegt, was etwa anderthalb Stunden waren, dann an meinen Vorbereitungen für morgen herumgearbeitet. Schließlich: etwas Entspannung, was bedeutet hat: JavaScript.
In JavaScript habe ich mittlerweile ganz umfangreiche Sachen ausprobiert, nicht so, wie früher, dass ich mal drei, vier Zeilen Code eingetippt habe. Im Gegensatz zu Java ist JavaScript eine ganz schlichte Sprache, die nur dadurch so mächtig wird, weil man sie mit HTML, CSS, SQL und PHP verbinden kann. Der Zusammenhang all dieser Sprachen ist mir noch unsicher, aber ich komme voran.
Heute habe ich also, in etwa 20 Minuten, eine kleine Webseite eingetippt, auf der der wesentliche Inhalt durch ein kleines JavaScript ausgetauscht wird. Den Inhalt bekommt die Seite aus einer Datenbank. Nicht die Webseite, die nett ist, sondern die Geschwindigkeit, mit der ich meine Idee umsetzen konnte, hat mich dann über mich selbst erstaunen lassen.
Nun gut.

Mein Kurs für HTML/CSS ist weitestgehend fertig. Gelegentlich tausche ich noch einzelne Videos aus. Aber bisher bin ich ganz zufrieden. Noch findet mich kaum jemand. Aber das ändert sich sicherlich in den nächsten Wochen. Jetzt müsste ich den JavaScript-Kurs durchplanen. Allerdings bin ich noch auf der Suche nach einem guten Aufbau. Sofern mir kein Heureka kommt, werde ich mir auch damit Zeit lassen.
Gestern habe ich eine Reihe älterer Videos (noch aus den Osterferien) veröffentlicht, die zu den Listen in HTML. Heute noch eines, das ebenfalls aus den Osterferien stammt, zu den Tabellen. Wie bei den Listen ist dies aber nur das erste von mehreren Videos, weil Tabellen recht komplex werden können.

17.04.2016

Matthias Richling

Matthias Richling ist mal wieder großartig. Er parodiert Frauke Petry, aber zu beachten ist vor allem auch der Hintergrund. Links sieht man Schilder für Toiletten, Männlein und Weiblein eben, rechts ein Schild für den Notausgang. Richlings Text dagegen gehört wohl eher zu den schwächeren.

Ein seltsamer Nachmittag

Ein seltsamer Nachmittag war das. Und mal wieder stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass ich gleichzeitig viel und viel zu wenig getan habe.

Jan Böhmermann und die Satire

Klar: zu Jan Böhmermann musste ich einiges lesen. Ich habe in letzter Zeit nicht mehr allzu viel politische Artikel kommentiert, aber zumindest fiel es mir heute leicht, einen genaueren Blick in bestimmte Gebiete zu werfen. Neben der Semiotik der Satire, zu dem ich meinen letzten Post veröffentlicht habe, habe ich mir mal wieder das Grundgesetz und seine Kommentierung vorgenommen.
Irgendjemand hat, recht altklug, getwittert, plötzlich fühle sich jeder in Deutschland als Verfassungsrichter. Ganz so hoch würde ich das bei mir nicht einschätzen; und ich bezweifle, dass die meisten anderen Menschen das tun würden. Aber in einem gebe ich Xavier Naidoo recht: das Grundgesetz sollte man dicht an seinem Herzen tragen. Und, wo wir gerade dabei sind, und in dem vollen Wissen, dass ich kein religiöser Mensch bin, die Bibel, möglichst die Luther-Übersetzung.
Ich war also fleißig, fleißig wie schon lange nicht mehr, auch wenn ihr vieles nicht veröffentlicht sehen werdet. Erdogan hat mich beschäftigt, die Befreiung von Palmyra, das geplante Verbot „sexistischer“ Werbung und, im Gegenzug dazu, der Sexismus gegen Männer. Und wo wir gerade bei Sexismus sind, so hatte ich gestern ein interessantes Telefonat mit einer nahestehenden Frau, die das jugendliche Kokettieren eines Mädchens für bezaubernd hielt.

Mathematikdidaktik

So penibel bin ich schon lange nicht mehr gewesen. Jede gute Unterrichtseinheit beginnt mit einer Sachanalyse. Theoretisch gesehen. In der Praxis macht das natürlich niemand, vielleicht in den höheren Klassen. Was man in der Grundschule zu unterrichten hat, erscheint denkbar einfach: die Minuten und Stunden auf der Uhr, zum Beispiel.
Dummerweise ist es dann doch nicht ganz so einfach, denn wenn man sich tatsächlich an eine Sachanalyse macht, hat man es ja nicht mit dem Wissen von Grundschüler zu tun, sondern mit dem Wissen, aus dem man das zu vermittelnde Wissen für Grundschüler herausarbeitet. Und ich erinnere mich nur herzlich gerne daran, dass ich eine Einführungsstunde zu dem Buchstaben P gehalten habe, und bei der Sachanalyse ewige Zeit daran gesessen habe zu erklären, wie dieser Laut durch die besondere Mundstellung gesprochen werden kann.
Nun gut, ich habe es mir auch etwas schwerer gemacht, als man dies normalerweise tut: ich wollte meine Fantasie darin schärfen, was beim Erlernen der Uhrzeit alles so falsch gehen kann. Meine Arbeit war zum Teil also recht spekulativ.

Videos für Programmiersprachen

Dann hatte ich noch vor, weitere Videos zu drehen. Das habe ich aber sein gelassen: ich hatte einfach keine Zeit. Auch die, die ich bisher schon hergestellt habe, habe ich nicht hochgeladen. Ein bisschen Luft möchte ich mir schon lassen, und eine Erfahrung von meinem Blog ist, dass eine zu rasche Veröffentlichung nicht hilfreich ist. Die nachfolgenden Videos verdecken die davor veröffentlichten.
Gut: auf YouTube ist das etwas anders. Über die Playlist kann man das Interesse der Zuschauer in eine gute Reihenfolge bringen. Aber gerade der HTML-Kurs zeigt mir, dass ich es hier, anders als bei Python, mit einer starken Konkurrenz zu tun habe. Meine Videos werden nicht gefunden.
Eigentlich wusste ich das schon vorher. Und da es ganz hervorragende Tutorials gibt, wollte ich eigentlich auch gar keine Filme drehen. Zwei Sachen haben mich allerdings umgestimmt: zum einen habe ich gemerkt, wie oberflächlich mein Wissen über das Internet ist und mich deshalb einer radikalen Umorientierung, weg von der grafischen Darstellung innerhalb von Anwendungen (also Spielen) hin zu dem Austausch über das World Wide Web, unterzogen.
Hintergrund ist auch, dass ich eigentlich ein Tutorials über die Programmierung mit Python und dem Modul Django drehen wollte, und mir dabei eben mein mangelndes Wissen aufgefallen ist. Obwohl mir HTML und CSS leicht fallen.
Der andere Grund, warum es jetzt gerade ein Kurs zu HTML und CSS sein muss, waren natürlich meine Schüler. Die haben mich mit bestimmten Fragen durchlöchert, auch zur Programmierung von Websites. Und wenn man dann so gebauchpinselt wird, kann man auch nicht Nein sagen; jedenfalls mir fällt das schwer.

Mein Zettelkasten

Lange Zeit war mein Zettelkasten das Herzstück meiner Arbeit. Der eine oder andere mag sich noch daran erinnern, dass ich darüber geklagt habe, wie sehr ich mit dem Einpflegen meiner Kommentare in den Zettelkasten hinterherhinke. Mittlerweile aber lichtet sich das Problem. Sehr sporadisch, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit habe ich es jetzt geschafft, fast meine gesamten Blog zu übertragen. Die letzten vier Artikel fehlen mir noch. Dies wollte ich schaffen, bevor ich meine Notizen zu Hannah Arendt übertrage. Sicherlich noch die über Nietzsche, obwohl ich mit dieser neuen Auseinandersetzung gerade erst begonnen habe. Aber da verpflichte ich mich auf mehr Mut zur Redundanz. Und wenn ich damit halbwegs fertig bin, dann wäre mal wieder eine Arbeit mit meinem Zettelkasten, ein Durchkommentieren eine eigenen Notizen, ein Ordnen und Neuschreiben angesagt.
Bücher muss ich mir jedenfalls gerade keine kaufen. Diese Arbeit habe ich noch die nächsten zwei, drei Jahre zu tun. Dann könnte ich schon langsam über meine Rente nachdenken.

Backen

In letzter Zeit backe ich wieder recht viel. Vor allem Brötchen. Gelegentlich muffelt meine Küche vom Sauerteig. Aber das ist in Ordnung, solange das Ergebnis schmeckt.

Ordnen

Und wo wir gerade beim Ordnen sind: auch meine ganzen Notizen zu meinen Schülern und zu den geplanten Unterrichtseinheiten müsste ich ordnen. Am Freitag hatte ich ein Gespräch mit meiner Rektorin, und da ist mir noch einmal ganz schmerzhaft bewusst geworden, dass ich zwar viele Sachen tief durchdenke, dass mir aber die Ordnung fehlt, um damit etwas Strukturiertes anzufangen. Ich habe mich also diszipliniert, und habe meine ganzen Aufzeichnungen durchgesehen, in Reihenfolgen gebracht, Sachen ausgeklammert, andere ausgearbeitet, usw.

Ziegen vor Gericht: Böhmermann in Satiristan

Die Causa Böhmermann zeigt, was Satire leistet. Satire ist ein Text, dem (zunächst) ein eindeutiger Interpretant fehlt. Ist dieser zu rasch zuhanden, gilt Satire als schmerzlos und witzfrei und lau. Bleibt der eindeutige Interpretant dagegen aus, dann hat man wohl das, mit dem Deutschland zur Zeit umgeht: eine Causa Böhmermann.

Der Interpretant

Feindseligkeit

Witze und Comedy bräuchten immer einen Feind, einen Gegner. Dass dieser Gegner nicht eine fremde Person sein muss, sondern auch eine Idee oder der Teil einer Person, lässt sich rasch zeigen. In solchen Fällen handelt es sich um Archetypen, entweder um Personen, die pointiert für eine Idee stehen, oder für Verhaltensweisen und Denkmuster, die für eine Idee typisch sind. Typisch für Comedy und Satire ist allerdings auch, dass sich dieser Feind zwar nicht sofort, aber doch relativ schnell fassen lässt. Manchmal beruht die Verzögerung auf einem ungewöhnlichen Bild, einem überraschend neuen Ausdruck, einer neuen Gedankenverbindung, aber immer scheint es dieser kurze Moment des Nicht-interpretieren-Könnens zu sein, der das Lachen begleitet.

Texte interpretieren

In Interpretationen scheint es immer eine gewisse Menge an Zeichen zu geben, an die der Interpret nicht rühren mag. Wer meinen Blog kennt, kann sich vielleicht an die Beispiele erinnern, die ich zum Homo Faber und zum Verhältnis von Evolutionstheorie und Gender-Mainstreaming gegeben habe. Dieser Ausgangspunkt der Interpretation, der nur schwer hinterfragt werden kann, weil an ihm die ganze Interpretation hängt, heißt Interpretant. So ist die Interpretation des Homo Faber seit langer Zeit unter der Deutungshoheit der Frauenfeindlichkeit Fabers gelesen worden, mit dem Inzest und der Schuld als Neben-Interpretanten. Dass man dies auch ganz anders sehen kann, habe ich gezeigt. Dasselbe gilt für das kulturelle Geschlecht: die Akzeptanz des kulturellen Geschlechts ist nicht die Akzeptanz konkreter sexueller Orientierungen; Akzeptanz muss nicht gleich Sichtbarkeit bedeuten, und ob eine Idee, die meiner Ansicht nach explizit politisch ist, in Institutionen gehört, in denen noch nicht mündige Bürger Kulturtechniken lernen, halte ich für fraglich.

Die Lächerlichkeit

Interpretanten werden dann lächerlich, wenn man sie von außen betrachtet. Wir kennen das: wir kennen die verschrobenen Ansichten bestimmter Minderheiten, wir kennen die seltsamen Figuren, denen wir an unserem Arbeitsplatz, im Supermarkt oder in einer Behörde begegnen. Dort, wo der andere anfängt zu interpretieren, ist nicht unser Ausgangspunkt. Unsere Argumentation, so müssten wir uns lesen, fängt von einer anderen Stelle aus an. Und im Prinzip ist genau das das, was die Lächerlichkeit ausmacht. Wir haben uns in unserer Welt einen logischen Zusammenhang zurecht gebastelt; jetzt treffen wir auf einen anderen logischen Zusammenhang, der zu unserem nicht passt, und wir beginnen zu lachen. Vielleicht haben die Psychoanalytiker nicht so unrecht: dass hinter der Angst vor der Lächerlichkeit die Angst vor der Selbstentfremdung steht.

Lachende Gemeinschaften

Nichts verbinde so sehr wie der Humor, sagt der Volksmund. Doch dahinter steckt leider ein ganz anderes Prinzip: nichts verbindet so sehr wie der gemeinsame Feind. So ist der Spruch vielleicht doch nichts anderes als eine Auslegung des Spruches: der Feind meines Freundes ist auch mein Feind. Gemeinschaft, und das steht zur Zeit mehr denn je infrage, ist wohl mehr oder weniger kultiviert eine Frage der gut ausgewählten Fremdenfeindlichkeit. Mithin auch eine Frage nach dem, was in einer Kultur nicht angetastet werden darf, was unter einem Berührungsverbot steht und heilig ist.

Böhmermann

Vielstimmigkeit

In gewisser Weise ist Böhmermann das „Gegenereignis“ zu den Anschlägen in Paris. Wie diese zu verstehen sind, dazu gibt es einen Grundkonsens. Der fehlt bei Böhmermann. So solidarisiert sich Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender bei Springer, mit dem deutschen Satiriker. Er nennt das Gedicht (samt seinem Drumherum) „ein Kunstwerk. Wie jede große Satire.“ In der Freien Welt gibt es von Ramin Peymani andere Worte zu lesen: das Gedicht sei ein „tumber Tiefschlag“, ein „Bärendienst“ für alle, „die von der islamischen Welt ein klares Bekenntnis zu Toleranz und Meinungsfreiheit fordern“. Schließlich, als eine dritte von vielen Stimmen, geistert durch die Medienwelt, was Bernd Lucke als Schlussfolgerung und Sentenz seiner Argumentation angehängt hat: „Böhmermann ist eine feige Drecksau.“

Das fragile Geflecht

Ich möchte nun nicht versuchen, die richtige Meinung herauszuarbeiten, obwohl mich das durchaus reizen würde. Ich möchte aber einige Schritte vor einem solchen Ergebnis stehen bleiben, und zunächst verstehen, warum sich ein so widersprüchliches Bild über den sei es nun satirischen oder nicht-satirischen Beitrag Böhmermanns aufgebaut hat. Dies scheint mir im Wesentlichen aus zwei Komponenten zu bestehen, die einander kreuzen und selber als höchst problematisch angesehen werden. Die eine Komponente besteht aus dem Status der Massenmedien selbst und der Frage nach der Pressefreiheit und den journalistischen Pflichten, angefangen von der Kritik an der medialen Überdrehtheit und der Anbiederung an ein Unterhaltungspublikum bis hin zu den Pöbeleien a la Lügenpresse auf der einen und dem Vorwurf der Volksverhetzung auf der anderen Seite. Die zweite Komponente kann man der politischen Idolisierung zurechnen. Erdogan macht sich mit seiner Politik gerade in Deutschland wenig Freunde, weil es eben auch um Pressefreiheit, aber auch seltsame nationalstaatliche Gelüste geht. Um es vorsichtig auszudrücken. Und auf der anderen Seite steht Angela Merkel, deren Rückzieher von den Besserwissern hämisch kommentiert wird, von den bisher Gutgläubigen enttäuscht aufgenommen wird. Und dort hinein kommt dann dieser seltsame Vertrag, der gegen viel Geld den weiteren Zuzug von Flüchtlingen begrenzen soll. So ist die gesamte Situation unklar, problematisch, zerbrechlich, und, wie man aus manchen Wortmeldungen lesen darf, bis zum Zerreißen gespannt.

Wen veralbert Böhmermann?

Worüber sich die Interpreten nicht einig werden können, ist, wen Böhmermann dort eigentlich angreift. Es gibt kein eindeutiges Feindbild, weder bei Böhmermann, der das Schmähgedicht innerhalb eines Rahmens vorgetragen hat, was man eben nicht tun dürfe und was strafbar sei (eben jenes Gedicht selbst); aber auch die Kultur gibt kein eindeutiges Feindbild mehr her. Manche Menschen haben Angst vor den Flüchtlingsströmen, ohne die Menschen als solche abzulehnen, ja ohne ihnen die Einreise untersagen zu wollen. Es gibt jene Menschen, die mit einem diffusen Deutschtum in der Tasche sich dazu bemächtigt fühlen, in unflätiger Sprache und mit nicht haltbaren Unterstellungen über das Leben fremder Menschen entscheiden zu dürfen. Und es gibt, man kann es gar nicht aufzählen, noch zahlreiche andere Meinungen mehr. Der Feind, der dem einen oder anderen vor Augen schwebt, ist so vielgestaltig die Meinungen selbst.

Die Kunst der Satire

Ob Satire eine Kunst ist oder nicht, bleibt dahingestellt. Von den antiken Musen hört man dazu ebenso wenig, wie von den septem artes liberales. Und von den letzteren vielleicht insofern doch noch, als die Rhetorik auch die Kunst der Verdrehung sein kann, und eines ihrer bevorzugten Mittel dabei die Hyperbel ist. Eines aber kann man mit den Mitteln der Semiologie sagen: Satire wird dann einvernehmlich wahrgenommen, wenn es einen gemeinsamen Interpretanten gibt. In einer Situation, in der die europäischen Werte, von der Meinungsfreiheit bis zum „Kosmopolitismus“, in Frage stehen, in der sich Deutschland selbst nicht mehr über seine Werte so richtig im Klaren ist, muss ein solches Gedicht den instabilen Zustand der politischen Landschaft offenbaren.

Satire und Meta-Satire

Es folgt, was folgen muss. Der Streit, selbst wieder ein politisches Ereignis, wird von der Satire aufgenommen und weiterverfolgt. Und auch darin erweist sich Böhmermann mit seinem Beitrag als das genaue Gegenstück zu den Anschlägen in Paris. Wenn Peter Fuchs den Terror als ein kommunikatives Ereignis bezeichnet (also auch als ein kommunikatives Ereignis, nicht nur), welches dazu dient, die Kommunikation auf eine Art und Weise zu unterbrechen, dass danach mehr Kommunikation möglich wird, dann ist die Satire, wie sie Böhmermann gemacht hat, die Weiterführung in die Unverständlichkeit der Kommunikation, die die Kommunikation anheizt.

Was ich mir wünsche

Zum Schluss darf ich vielleicht doch noch meine eigene Meinung loswerden. Vor zwei Tagen habe ich gelesen, dass die Entscheidung der Bundesregierung richtig sei, Erdogan den Weg über die deutschen Gesetze und die deutsche Gerichtsbarkeit zu ermöglichen: so werde er vielleicht mal mit den Ideen und Möglichkeiten eines demokratischen Rechts konfrontiert. Das wäre mal die umgekehrte Meinung zu dem, was derzeit eher mitschwingt: dass man Böhmermann bereits preisgegeben habe, als eine Art Bauernopfer. Ich wünsche mir keine Verurteilung Böhmermanns. Erdogan muss einen solchen Spott aushalten lernen. Das Gedicht selbst ist nicht gut, aber der Rahmen, in dem es steht, durchaus zu würdigen (einer zweideutigen Inszenierung dessen, was Satire eben nicht darf). Sehr fragwürdig finde ich, dass sich Angelegenheiten der Massenmedien und des politischen Systems vermischen, und dass diese Vermischung von Erdogan auf diese Weise betrieben wird. Ich wünsche mir zudem, dass die Zensur eines zweideutigen Beitrages zurückgenommen wird. So wenig ich die Zensur eines Akif Pirinçci gut heiße (obwohl jeder wissen darf, dass ich seine Meinungen abscheulich finde), so wenig darf die Sendung Böhmermanns der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Das muss diskutiert werden. Darum muss gestritten werden. Schließlich gibt es in dem ganzen Streit eben doch noch einen Aspekt, der beachtet werden muss: dass vermutlich jeder die Sendung nach einigen Tagen vergessen hätte, wenn Erdogan darum nicht so viel Wirbel gemacht hätte. Doch vermutlich muss es so sein. Und ein wenig darf ich auch gestehen, genieße ich das Ganze. Für rhetorische Analysen bietet die Debatte reichlich Stoff. Und ein Analytiker politischer Rhetorik hat deshalb viel zu tun. Das Zentrum für politische Schönheit jedenfalls hat von drei Kronzeugen ein Foto ins Netz gestellt. Sie werden gegen Erdogan aussagen. Es handelt sich um Ziegen.

16.04.2016

CSS mit Blogger

Und abgesehen von seltsamen Telefonaten: ein gewisser Sascha rief mich an und wollte wissen, ob ich der Frederik Weitz wäre. Bin ich es? Ich habe es mich gefragt. Wenig geholfen hat, dass er mich in Potsdam verortete: was ich mit Potsdam zu tun habe? Nun, wenig. Meine Schule liegt in Potsdam, mehr nicht.

CSS in blogger

Nun, eine andere Sache habt ihr gerade hoffentlich wohlwollend bedacht: mein Blog bekommt ein neues Design. Diesmal keines von der Stange, denn ich gestalte die einzelnen Elemente selbst. Peinlich daran ist, dass mir HTML seit Jahren geläufig ist, auch CSS, was selbstverständlicherweise dazugehört. Aber ich habe mich bisher nicht überwinden können, dies auch für meinen Blog zu nutzen.
Nun habe ich mir einige Vorlagen entworfen, die ich mit einigem Fleiß auf einige Artikel übertragen habe. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich damit zufrieden bin. Da ich diese Vorlagen aber an einer zentralen Stelle verändern kann, wird sich auch die ganze Darstellung des Blogs ändern, wenn ich Lust dazu habe.
Jedenfalls schreibe ich einiges um, lese mich selbst, während ich die Artikel umändere, und komme hoffentlich demnächst auch mal wieder dazu, hier umfassender zu schreiben. Denn all meinen Videos zum Trotz schreibe ich. Über die Bücher, die ich lese, über meine Schüler, über mein Leben. Seit einiger Zeit (einem Jahr etwa) aber wieder zuerst auf's Papier, dann erst in den Computer. Obwohl ich lange kein Arbeitsbuch mehr geführt habe, bzw. nur aus einer alten Pflicht, komme ich davon nicht weg. So toll mein Spracherkennungsprogramm auch ist.

Kreatives Schreiben

Eine mir sehr wichtige Sache ist das Herumwandern an den Grenzen des Bedeutsamen. Dazu hilft mir das Spracherkennungsprogramm nur wenig. Manchmal schon. Meist aber fühle ich mich freier, wenn ich einen Stift in der Hand und ein Papier vor der Nase habe. So habe ich zu Pirincci geschrieben, und meine (halbe) Mindmap ist ideenreicher als das, was ich in den letzten Monaten geschrieben habe.

Umvolkung

Pirincci wird ein neues Buch herausbringen. Es nennt sich Umvolkung.
Wieder einmal stellt sich die Frage, ob ich das lesen will. Die Ankündigung des Verlags jedenfalls war weinerlich genug.

01.04.2016

Schwarm-Demenz und NSU

Petra Pau hat eine schöne neue Vokabel ins Spiel gebracht: die Schwarm-Demenz. Das ist leicht nachzuvollziehen, wenn man sich facebook anschaut: nicht, dass es nicht viele kluge Stimmen dort gäbe. Aber ganz hartnäckig halten sich dort auch die Menschen, die nicht argumentieren können.
Nun, Petra Pau war, zusammen mit Dorothea Marx, auf einer Podiumsdiskussion, die von Hans-Ulrich Jörges geleitet wurde. Thema war die NSU, und eigentlich nicht die NSU selbst, sondern warum die Aufklärung der Umstände, dass die NSU jahrelang trotz Fahndung unter uns leben konnte, nicht so richtig gelingt. Marx äußert den "Verdacht des betreuten Mordens".