03.07.2016

Neues aus dem Hinterland

Kinnerchens, das war ein Wochenende.
Ich weiß mal wieder gar nicht, wo ich anfangen soll bei dem, was ich nicht geschafft habe.
Immerhin haben zwischendurch zwölf Bücher meinen Schreibtisch besucht und dann wieder verlassen, zwölf Nicht-Computer-Bücher.

Immanuel Kant

Immanuel Kant war dabei, die Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Was ja auch noch so ein unvollendetes Projekt von mir ist. Irgendwann mal, vor ca. fünf Jahren, wollte ich mal sämtliche Stellen, die ich nicht verstanden habe, herausschreiben und mit Fragen versehen. Nach gefühlten 1000 Seiten habe ich diese Aufgabe abgebrochen. Empirisch gesehen waren es dann aber doch nur 70 Seiten. Komischerweise, denn ansonsten bin ich doch eigentlich ein recht hartnäckiger Leser. Ich glaube, dass ich aus lauter Ehrfurcht zum funktionellen Analphabeten mutiere.

Hannah Arendt

Sehr viel mehr Spaß dagegen macht mir Hannah Arendt. Nicht, dass ich dieses Projekt nicht auch immer wieder aufschieben würde. Sie beginnt ihr letztes großes Werk, Vom Leben des Geistes, mit einigen für mich sehr zentralen topoi, dem Drang zur Selbstdarstellung, dem Leben als Bühne, dem Schein, der Verdopplung des Denkers im Denken. Schließlich sind die beiden Teilwerke (der Band umfasst Das Denken, und Das Wollen, während der dritte Teil, Das Urteilen, leider nicht mehr fertig gestellt wurde) voller wunderbarer Metaphern des Lesens, was wir mal wieder beweist, dass das Lesen theatralisch ist.

Autobiografisches

Autobiografeme

So nennt Roland Barthes die Fragmente, die jemand aufschreibt, um sein Leben, ja was? Darzustellen? Zu rechtfertigen? Nun, jedenfalls ist die Autobiografie ein Mythos, solange sie der Einheit des Subjekts aufsitzt. Das Andersartige schreibt sich doch ein drückt sich aus.

Drang zur Selbstdarstellung

Dieses Thema ist schon viele Jahre alt, und eigentlich habe ich mich auch weniger mit dem Drang zur Selbstdarstellung beschäftigt, als mit deren Pathologien. Damals, ich muss 21 gewesen sein, war es Leon Wurmser, der mich sehr beschäftigt hat. Ich habe sein Buch Die Maske der Scham nicht nur durchkommentiert, sondern als Anregung genommen, alles mögliche aufzuschreiben und zu „durchleuchten“. Einmal in meinem Leben habe ich meine ganze Kindheit und Jugend zu Papier gebracht, nicht, um das zu veröffentlichen, sondern um zu klären, was überhaupt passiert ist.
Es war, möchte ich auch behaupten, mein erstes Buch, was ich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell, grammatisch, nach übergeordneten Relationen gelesen habe, und auf der anderen Seite in einer sehr konnotativen Art und Weise kommentiert habe. Weshalb mir später Roland Barthes so rasch ans Herz gewachsen ist.

Scham und Schuld

In diese Zeit fällt auch meine Auseinandersetzung zu Scham und Schuld. Ich erinnere mich gar nicht mehr genau, was ich damals alles dazu gedacht habe. Ich weiß nur, dass sich die Gedanken noch jahrelang weiter gesponnen habe, und dass sie heute immer noch mein Denken prägen.
Wurmser zergliedert verschiedene Formen von Scham und Schuld, und zeigt sowohl an Fallbeispielen aus seiner psychoanalytischen Praxis wie auch an der Literatur, dass hinter den Phänomenen von Scham und Schuld sehr unterschiedliche pathologische Prozesse stehen können. Er spricht über eine ganze Reihe von Phänomenen, die mit dem Sehen und Gesehen-werden tun haben, von gefräßigen Augen, von Verschleiern, Enthüllen und Überwachen. Immer wieder habe ich während meiner Unizeit diese Themen aufgesucht.

Das Leben als Bühne

Dieser Topos gehört direkt zu Scham und Schuld dazu. Und natürlich ist es ein Thema der Literaturwissenschaft, Calderón etwa, aber auch die Bühnenstücke von Hofmannsthal und Horvath. Nicht zu vergessen Shakespeare und Cechov, den wunderbaren Sommernachtstraum, die Möwe.

Lesen

Recht spät ist dies dann für lange Zeit zentrales Thema geworden, fast bis ans Ende meiner Unizeit. Im Gegensatz zu den anderen Themen war dies aber kein inhaltliches Thema, sondern ein methodisches. Es ging um Strategien des Lesens, auch um die Produkte, die daraus entstehen. Ich habe alles ausprobiert, die Analyse, das Kreative, die lose und die strenge Konstruktion. Das war die Zeit meiner großen Textexperimente. Ich musste noch einmal alles zerstören und vom Grunde auf aufbauen, was sich bis dahin erfahren und erlebt habe. Das war eine gute Zeit.
Es war eine Zeit der zahlreichen Sprachen. Leider ist mir vieles abhanden gekommen. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht liegen ja einige meiner Uniordner noch bei meiner Exfrau, und vielleicht macht sie das, von dem ich vermute, dass sie das am besten kann: abschreiben und sich mit fremden Federn schmücken.
Na gut, ich soll nicht lästern.
Was habe ich heute gemacht? Also, was habe ich noch gemacht? Ich habe, wenn auch in aller Eile, Abschnitte von Kant, Nietzsche und Arendt miteinander verglichen. Dabei sind die Fragen nur so aus meinem Stift geflossen. Wenn man bei einem Text völlig auf dem Schlauch steht, ist es hilfreich, verwandte Texte zu lesen, die inhaltlich einfacher sind.
Das Programmieren ist zu kurz gekommen.

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