19.12.2016

Gauland in der Prinzessinenwelt

Es gibt wunderbare Bücher, die einen ganz gefangen nehmen; und derzeit lese ich ein solches. Dann aber schaut man sich die Nachrichten an, und es bleibt doch einige Ernüchterung zurück, manchmal mehr, manchmal weniger. Heute war es wieder einmal mehr.
Grund dafür sind Aussagen von Alexander Gauland, dem stellvertretenden AfD-Vorsitzenden. Abgesehen davon, dass er Unsicherheiten so interpretiert, dass sie klar werden, vergleicht er auch auf eine Weise, die vollkommen hinkt.

Angela Merkel und die wachsende Aggressivität

Woher die zunehmende Aggressivität kommt, sollte eigentlich hinreichend unklar sein. Man könnte hier von einer „Multi-Problem-Konstellation“ sprechen (obwohl ich dieses Wort überhaupt nicht mag: aber ich habe es in einem Zusammenhang kennengelernt, indem es als Ausrede dafür benutzt wurde, dass man eh nichts ändern kann).
Gauland allerdings weiß, dass Angela Merkel daran schuld ist. Entweder ist diese Aussage doof oder heuchlerisch: selbst wenn Gauland nicht dumme Sprüche gerissen hätte (Boateng!), so hört man es doch allenthalben und immer wieder aus seiner Partei; und ansonsten empfehle ich Gauland einfach mal einen Blick auf Facebook und wer da so alles für die AfD ist. Dass sich Rassisten und Faschisten in ihren Begründungen bei der AfD reichlich bedienen, dürfte dann augenfällig sein.
Aber natürlich kann man der AfD auch nicht alleine die Schuld geben. Multi, d. h. eben viel, und hier gibt es viele Probleme, die zusammenwirken. Zum Teil können es auch alte Traditionen sein; ich habe mich einmal Zuge meiner Auseinandersetzung mit Christa Wolf auch mit Tagung des Zentralkomitees der DDR 1965 beschäftigt, die für die Künstler der DDR einschneidend und zum Teil schwer beschränkend war. Diskussionen um dieses Ereignis herum erinnern mich immer wieder an Diskussionen mit AfD-Mitgliedern und an Aussagen von AfD-Politikern. Und es mag sein, dass die AfD hier die Stasi mehr beerbt hat, als man es den Linken jemals vorwerfen kann. Dass sich solche Diskussionsregeln nach evolutionären Regeln verfestigen, also in gewisser Weise auch etwas Zufälliges darstellen, erschwert eine Verantwortungsübernahme. Häufig sind die Betreffenden selbst besonders blind dafür.

Eine politisch-„philosophische“ Diskussion

Dann kommt Gauland noch mit einem Vergleich. Zunächst sagt er sehr richtig, dass „Karl Marx nicht verantwortlich ist für die Verbrechen Stalins“. Das liegt unter anderem daran, dass wesentliche Unterdrückungsinstrumentarien, wie sie zu Zeiten des Stalinismus angewandt wurden (Gulag, Schauprozess, staatliche Zensur) von Marx nicht propagiert wurden. Das liegt aber auch daran, dass Marx 1883 gestorben ist, also etwa 35 Jahre bevor die ersten Pflänzchen stalinistischen Terrors ihre Blüten trieben (das Veröffentlichungsverbot für Bachtin wurde, wenn ich mich recht entsinne, 1928 ausgesprochen).
Rein sachlich lässt sich damit ein Vergleich zu Aussagen der AfD zur Flüchtlingssituation nicht in solcher Stärke ziehen. (Ich drücke das deshalb so vorsichtig aus, weil man natürlich immer alles mit allem vergleichen kann, und weil jeder Vergleich erlaubt ist: nur manchmal fällt das Ergebnis eines Vergleichs deutlich auf die Seite des ›nicht gleich‹. Ich mag also den Satz ›Das kann man doch nicht vergleichen‹ nicht, besonders dann nicht, wenn ein Vergleich naheliegt.)
Ich wiederhole: die Schriften von Karl Marx entstanden in großer zeitlicher Distanz zum Stalinismus, zudem gab es gravierende inhaltliche Differenzen. Erinnern wir uns daran, dass Teile des politisch-ökonomischen Manuskripts in der UdSSR zensiert waren; erinnern wir uns auch daran, dass Rosa Luxemburg die Art und Weise, wie Lenin die kommunistische Revolution in einen Staat fortsetzen wollte, heftig kritisiert hat -, dass also Karl Marx keineswegs den Stalinismus determiniert hat.
Die Aussagen der AfD sind dagegen als gleichzeitig zu der Hetze gegen Asylanten zu werten. Zudem wird aus den Reihen der AfD zum Teil Verständnis für diese Hetze aufgebracht, zum Teil wird sie stillschweigend geduldet, zum Teil mit Argumenten beliefert. Das ist umso bitterer, als viele dieser Hetzereien auf dem untersten intellektuellen Niveau stattfinden, einem Niveau also, welches von Seiten eines Sarrazin gerade auch arabischen Flüchtlingen unterstellt wird (also das Niveau, nicht die Hetzereien selbst). Hat sich jemals ein AfD-Mitglied abfällig über Brandstiftung bei Asylantenheimen oder Gewalt gegen Ausländer geäußert?

Die Spaltung der Gesellschaft

Oder nehmen wir die Proteste gegen das gender Mainstreaming. Wie bereitwillig sind diese aufgenommen worden, wie bereitwillig werden diese jetzt als unwissenschaftlich dargestellt, wie sehr werden auch gewisse Plärrer (z.B. der Pirinçci) nicht in ihre Schranken gewiesen. Die Schärfe des Problems wird erst klar, wenn man sich mit der gender-Theorie etwas gründlicher auseinandersetzt. Tatsächlich ist der Begriff als solcher nicht nur wissenschaftlich, sondern sogar biologisch plausibel (dass diese Plausibilität ausreichen muss, liegt daran, dass sich Gehirne in vivo nur bedingt untersuchen lassen und es damit keine ausreichenden empirischen Daten zu konstruktiven Leistungen einzelner Gehirne gibt: allerdings betrifft diese Einschränkung alle psychologischen Begriffe, z.B. auch die Intelligenz – ein Höcke will aber nicht, zumindest nicht auf dem Papier, die Intelligenz abschaffen).
Zur Kritik, also auch zur Kritik der gender-Theorie, gehört, die Reichweite eines Begriffs zu diskutieren; unkritisch ist dagegen, diesen aufgrund von Mythen oder mythischen Behauptung abzulehnen, oder ihn - das ist das Gegenteil - unkontrolliert und für alles tauglich durchzuwinken. Man kann die deutsche Debatte um das gender Mainstreaming nun keineswegs zum Bravourstück erklären, wohl auf beiden Seiten nicht. Dass durch einige schrille Töne auf der einen Seite und noch krudere Missdeutungen auf der anderen ein Begriff unwissenschaftlich sei, ist lästig. Wird dies zur Parteienpolitik erhoben, so wie die AfD dies tut, wird der Gedanke der Aufklärung vollends aufgegeben.
Es ist also augenfällig, dass die AfD etwas zu häufig auf „die da“ und „wir hier“ Bezug nimmt, mithin also ein ausgeprägtes Freund/Feind-Denken pflegt. Und dies ist wohl die Grundlage für jegliche Spaltung.
Niemand sollte an dieser Stelle denken, dass ich mit der Bundesregierung glücklich bin. Kritik ist notwendig. Es gibt aber Kritik, die alles verschlimmert; das ist z.B. eine Kritik, an deren Horizont die Vernichtung von Menschen ahnbar wird, die angeblich an allem schuld sind.

Ein Stinktier auf dem Weg nach Disney World

Eine Sache, so muss ich ja gestehen, hat mir auch großes Vergnügen bereitet, wenn auch ein sehr zynisches: Gauland erdreistet sich doch tatsächlich, die Diskussion um die Flüchtlingsströme und die Flüchtlingskrise als philosophisch zu bezeichnen. Ich muss nun stark annehmen, dass er damit auch seine eigene Partei meint. Eine solche Einordnung ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Was da aus den Reihen der AfD kommt, lässt sich nun mal nicht veredeln. Das lässt sich auch nicht mit Adorno veredeln, den Gauland ebenfalls herbeizitiert. In der Philosophie wird argumentiert, aber auch provoziert. Dass Philosophie keine Wirkung habe, wäre wohl auch eine Absage an die Philosophie: sie würde zu einer „schönen Kunst“. Adorno jedenfalls hat sich nie positiv über die Studentenproteste geäußert; einmal soll er sogar die Polizei gerufen haben, als Studenten seinen Hörsaal besetzten, um eine aktuelle Diskussion zu erzwingen. Wirkung allerdings wollte Adorno schon haben; hier und da in seinem Werk äußert er sich auch dazu, welche Wirkung er sich wünscht. Wenn aber ein Werk eine Wirkung auslösen sollte, die dem Verfasser des Werkes widerspricht, so muss dieser sich äußern, sofern er es noch kann. Marx konnte nicht dem Stalinismus widersprechen; Luther aber konnte den Fehldeutungen seiner Schriften widersprechen, und hat es getan, Adorno ebenso. Die AfD könnte es (ob das, was sie von sich gibt, nun philosophisch ist oder nicht), aber sie tut es nicht. Von Gauland kommen keine mahnenden Worte, dass diejenigen, die die Gewalt ausüben, sich vielleicht um ein besseres Benehmen bemühen; im Gegenteil: Merkel trage die alleinige Schuld, als ob sie jetzt persönlich Ausländer verprügeln und Asylantenheime anstecken würde.
Gaulands Argumentation hinkt also vorne und hinten. Sie entlastet die Gewalttäter, sie konstruiert ein Feindbild, das sich auf Merkel zusammendampft, und sowieso scheint dieser „gute Mensch“ ein recht schlichtes Gemüt zu haben. Es wird wohl, zumindest in der Fantasie Gaulands, ein happy-end in Pastellfarben geben. In Amerika nennt man so etwas disneyfication.

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