12.02.2017

Deutschland mies machen

Irgendwie habe ich mich noch immer nicht beruhigt: Höckes Worte von der „Geistesverfassung und Gemütszustand … eines total besiegten Volkes“ ärgern mich mittlerweile nicht nur komplett, sondern entsetzen mich geradezu. Diese Behauptung erscheint mir so absurd, dass ich sie zunächst gar nicht so deutlich wahrgenommen habe. Ich frage mich, wo dieser Mensch lebt, und wie viel er überhaupt von Deutschland mitbekommt: doch eigentlich so gut wie gar nichts; oder er ist einfach nicht in der Lage, all die kulturellen Leistungen, die in den letzten Jahren den Deutschen zugesprochen wurden, zu verstehen und zu würdigen.
Wer also macht Deutschland mies? Das sind doch vor allem Björn Höcke und seine Kumpanen. Wie übrigens die erinnerungspolitische Wende um 180° bei den Rechtspopulisten und Rechtsradikalen aussieht, hat letztes Jahr der Stern zum Gedenktag der deutschen Einheit auf bitterste Weise festgehalten: Von diesem Tag der Deutschen Einheit wird sich Dresden lange nicht erholen.
Wie verwirrt AfD-Anhänger sind, merkt man auch an den Schildern, die auf dem Foto in diesem Artikel hochgehalten werden: „Bürger haben Urteilsvermögen und sind mündig“; damit ist der Begriff der Mündigkeit, so wie unser Grundgesetz ihn von Immanuel Kant übernommen hat, schon weitestgehend ausgehöhlt. Die Mündigkeit zeigt sich, und da darf jeder gerne noch einmal in Kants Aufsatz Was ist Aufklärung? nachlesen, in der Diskussion von Begriffen. Für diese Diskussion stellt Kant eine Logik bereit; die Logik beschreibe nicht, „wie wir denken“ (dafür ist die Psychologie zuständig), sondern „wie wir denken sollen“, mithin beschreibt sie Normen des guten Denkens. Zentral an dieser Logik ist die Gewichtung der Argumente, also welchen Platz einem Argument eingeräumt werden darf. Und ein Argument ist noch keine Verknüpfung, wie dies heute üblicherweise gebraucht wird, denn eine Verknüpfung der Argumente geschieht erst in den Schlüssen, die dann (was aber eben auch häufig verwechselt wird) zu Schlussfolgerungen führt.
Was ich hier in aller Kürze umrissen habe, zeigt vor allem eines: wie weit sich nicht nur das Fußvolk der AfD, sondern auch Höcke selbst von einer Idee der Mündigkeit entfernt hat.
Ich könnte das ganze jetzt auch noch einmal zum Urteilsvermögen durchbuchstabieren; das ist bei Kant nämlich keineswegs Garant für die Wahrheit oder Richtigkeit, sondern ebenfalls nur ein Ausgangspunkt.
Lest mehr Kant, schreibe ich so ungefähr einmal im Jahr in meinen Blog (wie übrigens auch Harald Lesch); und ich kann es nur wiederholen. Denn es ist doch klar, dass all diejenigen, die jetzt vor allem Deutschland, Deutschland schreien und vielleicht dahinter sogar so etwas wie Preußen, Preußen meinen, von unserem guten alten preußischen Philosophen allerhöchstens den Namen kennen: die schimpfen vielleicht nicht über Kant, wie sie dies zurzeit bei Merkel, Lammert oder Gauck machen, aber die Missachtung, diese deutliche Missachtung eines immer noch großen deutschen Denkers drückt sich hier in der Praxis des Protestierens mehr als randständig aus: sie ist der Kern dieses ganzen Protestes, gelebte Unmündigkeit von Pinseln.
Nietzsche hat einmal gesagt, dass die Deutschen ein „erstaunlich déraisonnables Volk“ seien; und es sieht so aus, als seien Pegida und AfD nur deshalb angetreten, um diesen polemischen Satz noch einmal wahr werden zu lassen.
Es sieht also so aus, als hätten wir den Osten Deutschlands ein zweites Mal und eigentlich ein drittes Mal, wenn man die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik mit einbezieht, an eine antiaufklärerische Diktatur verloren. Dass es sich dabei um eine Minderheit handelt, ist besonders bitter; ich halte Minderheitenschutz für ein wesentliches demokratisches Prinzip, doch hier beginne ich tatsächlich zu wanken. Man kann diese Leute ja nicht ausweisen. Wer will sie schon haben? Aber vielleicht könnte man ihnen eine Enklave schaffen, irgendwo, in einem still gelegten Salzstock. Dort soll die Luft ja besonders rein sein. - Und dann kämen auch wieder die Touristen in unser Elbflorenz, um die Schönheit des alten und die Freundlichkeit und Weltoffenheit des neuen Dresdens in der ganzen Welt zu verbreiten.

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