21.03.2017

Kollektive Identität

Seit anderthalb Wochen "bastle" ich an der Analogie herum. Hintergrund ist dreierlei: (1) Ich habe mich längere Zeit mit der Analogie beschäftigt, deren grundlegende Erklärung allerdings auf einem Portal veröffentlicht, welches seit zwei Jahren offline ist. Deshalb erschien es mir sinnvoll, diesen Artikel herüberzuholen. (2) In den letzten Jahren habe ich mich, wenn auch nicht zentral darauf bezogen, mit der Analogiebildung beschäftigt. Dazu gehören solche Gebiete wie: Didaktik der Arithmetik und Geometrie, Programmieren, Modellieren. Dabei hat sich meine Sichtweise deutlich verschoben. Dem müsste ich sowieso Rechnung tragen. (3) Über das Programmieren und Wittgenstein bin ich in den letzten Wochen wieder sehr intensiv mit der Analogiebildung beschäftigt gewesen.
Hier sind nun einige Notizen, die eher in den Bereich der Wissenschafts- und Ideologiekritik gehören, zumindest Vorstudien zu einer solchen sein könnten.

Kollektive Identität als durch Analogie gewonnener Begriff

Straub nennt den Begriff der ›kollektiven Identität‹ eine analogisierende Übertragung, die er „alles andere als unproblematisch“ (83) bezeichnet. Später (96) kritisiert er, dass der Begriff des ›Kollektivs‹ und der ›kollektiven Identität‹ ähnlich oder identisch gebraucht werden.
Als weitere Problematisierung macht Straub geltend, dass kulturelle Praktiken an der personalen Identität mitwirken (97). Damit kann zweierlei gesagt werden: dass personale und kulturelle Identität sowieso nicht voneinander abgrenzbar sind; oder dass hier eine Verwechslung vorliegt, die Merkmale der personalen Identität, oder auch dessen Genese, mit denen der kulturellen Identität ungebührlich vermischt und gerade durch die Analogie nicht zu einem besseren Verständnis von kulturellen Identitäten kommt.
  • Straub, Jürgen: Personal und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. in Assmann, Aleida/Friese, Heidrun (Hrsg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität Bd. 3. Frankfurt am Main 1998, S. 73-104

Personale Identität

Aber die personale Identität kann aus vielerlei Aspekten bestehen; und der vielleicht schlechteste Aspekt ist der grammatische, also jenes ›Ich-Sagen‹.
Man kann die personale Identität auch darin suchen, wie sich die Kohärenz eines Weltbildes herausbildet, und dieser gegenüber dann auch die Kohärenz des Selbsts. (Aber eine solche Auffassung setzt natürlich voraus, dass das Selbst aus dem Weltbild abgeleitet wird.) — Und hier muss man dann auch verstehen, dass Kohärenz ebenfalls ein grammatisches Phänomen ist, allerdings ein ganz anderes, als an die Subjektstelle des Satzes ein ›Ich‹ zu setzen.

Nachahmung und Modell

Die Analogie ist eine Übertragung einer Struktur, nicht einer Ähnlichkeit.
Diese Behauptung kann man allerdings nicht ganz so einfach stehen lassen: wenn ich sage, dass sich die Beine eines Hundes zu dem Hund selbst wie die Räder eines Autos zu dem Auto verhalten, dann handelt es sich um eine Verbalmetapher, die durchaus eine gewisse „Ähnlichkeit“ impliziert. Es ist eben eine ähnliche Bewegung. Und ich kann die Ähnlichkeit dadurch deutlich machen, dass ich sage: Der Hund ist von Ort A zu Ort B mithilfe seiner Beine gelangt; und ebenso ist das Auto von Ort C zu Ort D mithilfe seiner Räder gefahren; beides war ein Ortswechsel, und wie die Qualität dieses Ortswechsels war, das ist an dieser Stelle nicht so interessant.
Und was ist daran anders, als wenn ich das Modell unseres Sonnensystems auf das Modell des Atoms übertrage, oder wenn ich den Uroboros auf den Benzolring anwende?
Denn offensichtlich sind sich die beiden Modelle jeweils immer ähnlich; und wie das Atom und der Benzolring aussehen, weiß ich immer noch nicht. Dazu fehlt mir die sinnliche Wahrnehmung des Originals.
Kann man dann überhaupt etwas aus dieser Analogie schließen? Nun, offensichtlich liegt ja ein Erklärungswert darin, und darauf kommt es wohl an.

Der Weg der Analogie

Was aber bedeutet nun ›übertragen‹? Denn dabei handelt es sich offenbar um eine Metapher, so als würde ich eine Wahrnehmung von einem Ort zu dem anderen transportieren (und meine Erinnerungen sind dabei das, was für den Hund die Beine sind).

Die Gleichheit fühlen

Kann man das vielleicht so sagen, dass man eine Gleichheit fühlt, z.B. zwischen einer Metapher und dem eigentlichen Wort? Und wer diese Metapher nicht versteht – und es gibt ja Menschen, die bestimmte Metapher nicht verstehen – ist in diesem Sinne eben gefühlsblind.
Aber was wäre das für eine Art von Fühlen? Und wäre dieses Fühlen eher rezeptiv, eine Gleichheit erkennend, oder produktiv, eine Gleichheit herstellend? Hier gibt es eine ganze Menge an Fragen! – Warum z.B. hat man eine Gleichheit vorher nicht erkannt, und erkennt sie jetzt (wenn die Gleichheit als rezeptiv angenommen wird)? Oder was ist das für eine Gleichheit (zwischen zwei Elementen), wenn ich diese erst herstellen muss? Hier scheinen mir ganz viele Probleme in einem winzigen Stück Welt zusammengeballt zu liegen (die Metapher ist das Symbol für allerlei Sprach- und Verständnisprobleme).

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