29.12.2017

Farbskalen

Elgin weist darauf hin, dass das Denken aktiv an der Wahrnehmung beteiligt ist, so wie umgekehrt (Goodman/Elgin: Revisionen. Frankfurt am Main 1993, S. 19). Aus diesem Grund bestimmen Erfahrungen die Art und Weise der Wahrnehmung mit. Sie sind kulturspezifisch – wobei kulturspezifisch hier nur heißt, dass sie von der Kultur beeinflusst werden, nicht dass sie sich einer bestimmten Kultur, etwa der deutschen, zuordnen lassen.

Farbtöne

Nun lassen sich Sinnesdaten nicht direkt vergleichen und daher auch nicht direkt aufeinander abstimmen. Bei Farben zum Beispiel nutzt man Muster und verschiedene Bezeichnungen, um verschiedene Farbtöne gegeneinander abzugrenzen, wie etwa grasgrün und französischgrün. Ohne solche Muster aber ist der Vergleich schwer. Und die Erfahrung zeigt, dass ein bestimmtes Grün von dem einen noch zur Farbe Grün, von einem anderen bereits zur Farbe Blau zugeordnet wird.

Projezieren

Wittgenstein schreibt (Bd. IV, Abschnitt 49), dass eine geometrische Figur durch eine Projektionsmethode kopiert werden kann, also durch eine Abmachung, wie diese Figur zu verändern sei. Genau dann kann ich aber die umgekehrte Projektion mit sehen oder eben die Projektion, anders gesagt, im Geiste rückgängig machen. Das ermöglicht mir die Sichtweise auf die Ähnlichkeit oder eben Gleichheit.

Geometrisieren

Davon zu unterscheiden ist die regelhafte Verschiebung auf einer Farbskala. Denn eine Farbe ist wohl evident. Wir sehen sie. Eine geometrische Figur dagegen ist nur mittelbar evident, denn zunächst sehen wir nur Linien und Punkte. Erst daraus erzeuge ich eine geometrische Figur. Wollte man also Farben für eine ähnliche Weise der Betrachtung gebrauchen, dürfte man nicht die Projektion von Farben auf eine andere Farbe ins Auge nehmen, sondern deren Position auf einer Farbskala.

Die Farbskala

Erst die Farbskala ermöglicht eine gewisse Möglichkeit, mit Farben zu operieren und diese in einen komplexeren Bezug zueinander zu setzen. Denn die Farbskala besteht eben nicht nur aus Farben, sondern auch aus einem Raum, bzw. einer Strecke (oder, im Falle des Farbkreises, aus einem Kreis und einem zyklischen Übergang). Eine Farbskala wird demnach nicht nur durch die Farben, sondern durch ihre räumliche und damit bedingt messbare Anordnung zu einer Farbskala. Und vergleiche ich dann die Farben oder vergleiche ich die Anordnung auf der Skala?

Farben vergleichen

Wie aber vergleiche ich Farben?
Ich kann zum Beispiel sagen: »Dieses Blau ist heller als jenes.« Dann aber vergleiche ich die beiden Blaus in Bezug auf die Farbe Weiß. Ich nutze eine „eindeutige“ Referenzfarbe. Weiß und schwarz sind eben auf der Skala der Helligkeit die äußersten Pole. Ein Blau, das weiß ist, kann nicht noch „hellblauer“ werden.
Oder ich kann sagen: »Dieses Blaugrün ist grüner als jenes Blaugrün.« Dann nutze ich aber ein gedachtes Grün als Referenzfarbe. Und der andere mag mir zustimmen, egal welches Grün für ihn nun die Referenzfarbe ist, solange er zum Vergleich die Referenzfarbe Blau mit hinzunehmen kann und dazwischen die beiden Arten des Blaugrüns platzieren kann.
Problematisch wird nur, die genaue Referenzfarbe zu bestimmen. Man könnte also fragen: »Liegt dieses Grün eher auf der gelben oder eher auf der blauen Seite deiner Referenzfarbe Grün?« und würde bei unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Antworten bekommen. Und in dem einen Fall vergleiche ich auf der Grundlage einer Evidenz, und in dem anderen Fall auf der Grundlage einer (vermutlich erlernten) Skala.

Mischen: Farben oder physikalische Größen

Bei den Skalen handelt es sich um erlernte Verhältnisse. Auch wenn ich Farben durch Mischen immer auf dieselbe Art und Weise verändern kann, muss ich in einem Blau doch die Möglichkeit sehen, es zu einem Grün zu mischen, wenn ich Gelb hinzufüge. Das Grün-werden des Blaus ist nicht sinnlich gegeben. Es ist nicht evident.
Die Skala von Blau nach Gelb über Grün entsteht durch ein Mehr oder Weniger des Hinzumischens, also wiederum nicht durch die Farbe selbst, sondern durch eine Quantität. Die Quantität spielt für die farbliche Evidenz zwar keine Rolle, dafür aber für die Konstruktion einer Skala. Das projektive Verhältnis stützt sich, wie bei der projizierten geometrischen Figur, auf eine abstrakte Quantität (denn dem gelben Farbklecks, den ich dem Blau hinzufügen möchte, ist seine Quantität – in Bezug auf die Farbe – nicht eigen).

Fazit

An den Beispiel zeigt sich sehr schön, wie unabhängig die Farbskala von der konkreten sinnlichen Wahrnehmung der Farbe ist und sich auf ein Projektionsverhältnis von Mengen auf eine Fläche stützt.

17.12.2017

Geometriedidaktik

Der letzte freie Sonntagnachmittag vor den Ferien. Und ich: lese zur Geometriedidaktik, bzw. schreibe dazu; und um das Ganze dann (kreativ) auszuprobieren, liegen das Geodreieck, der Cutter, Klebestift, drei Scheren verschiedener Größe, buntes Papier, Filzer und ein Falzbein griffbereit.
Entstanden sind ein Turm, der beim Auffalten schief und bauchig aus dem Papier herausragt, ein Schnappmaul mit "glühenden" Augen und einer gerollten Zunge, eine Winkehand vor einem dreidimensional aufragenden "Weihnachtsgeschenk". So macht Geometrieunterricht Spaß (naja, hin und wieder ist es dann doch mühsam und "fisselig"), und man müllt seinen Schreibtisch mit mehr oder weniger nützlichen Modellen voll. Weniger nützlich ist dabei tatsächlich, dass ich alle Modelle mit Notizzetteln aus Notizzettelblöcken erstellt habe. Für den Unterricht sind diese ungeeignet, weil viel zu klein.
Lustig ist es aber allemal, und nebenher entstehen Ideen zu Lernhilfen, die man zusammenklappen und in den Schrank stellen kann, die aber für den Unterricht aufgeklappt auf dem Tisch stehen können. Mal sehen, ob sich damit was Attraktives bauen lässt (dazu gibt es wohl die Weihnachtsferien).
Weil ich auch mit dem Gedanken herumspiele, wie sich die erahnte Verbindung zwischen geometrischem Denken und Programmierlogik verbinden lässt, entstehen auch kleine Computerprogramme. Gut; erstens ist die Verbindung längst nicht so vage, dass man sie erahnt nennen darf: alleine fehlt mir das System, mit dem sich ein sinnvoller Überblick dafür geben ließe und genau dies ist bei mir in Arbeit (seit über einem Jahr übrigens, da mir auch oft die Zeit oder die Muße fehlt); zweitens macht das Programmieren auch wegen meines so fixen neuen Computers wieder ausgesprochen viel Spaß, und ich probiere nebenher neue Python-Bibliotheken aus (pyglet und cocos2d).
Fazit des Ganzen: ich bräuchte weniger Schule, um mehr Schule machen zu können.

11.12.2017

Plotmuster

Und noch einmal für alle: ich habe mir einen neuen, ziemlich üppigen Computer gekauft. Das Einrichten hat mich fast die ganze Woche gekostet, aber eben auch nur diese ganze Woche, und nicht, wie bei meinem letzten, noch funktionierenden Computer zahlreiche Tage. Zudem ist mein Spracherkennungsprogramm fast wieder auf dem alten Stand. Und das Diktieren macht echt viel mehr Spaß, weil es doch einen Tick schneller geht.
Schülerinnen und Schüler sind deshalb so spannend, weil sie einen vom einem Thema zum anderen treiben. Aus recht aktuellen Gründen habe ich mir fest vorgenommen, in den Weihnachtsferien von Leon Wurmser Die Maske der Scham wieder einmal gründlich zu lesen. Das letzte Mal habe ich mich vor fast 26 Jahren mit diesem Buch beschäftigt. Damals hat es mich sehr geprägt, vor allem in meiner Art und Weise, mein eigenes Lesen zu hinterfragen, etwa ähnlich stark wie Die Strukturen der Lebenswelt von Schütz und Luckmann. Letzteres Buch allerdings war für mich eher ein objektives, das von Wurmser ein sehr subjektives Erfahrungsfeld.
Außerdem arbeite ich an einer kleinen Hobbit-Geschichte. Eigentlich ist ja die Mathedidaktik ein hauptsächliches Anliegen. Das schon mehrmals erwähnte Buch von Sybille Krämer allerdings stellt ein so weites Gebiet unter theoretische Beobachtung, dass auch die Schreibprozesse mit ihren vielen kleinen Modellen in meinen Blick geraten. Grundlegend ist das auch gut. Schließlich war es über Jahre hinweg mein Hauptarbeitsgebiet.
So habe ich nach langer Zeit auch wieder die Masterplots von Ronald B. Tobias hervorgeholt. Ich habe das bereits erwähnt. Drei Fragmente dazu verorten noch mal, welche Position ich diesen im Schreibprozess „zugestehe“:

Plotmuster

Der ewige Streit um Plotmuster (oder nicht) bei selfpublishern ist aus vielerlei Gründen witzlos. Plotmuster reduzieren nichts (denn aus diesen sollte ja erst die Geschichte entstehen). Aber die Aufzeichnung sorgt dafür, dass man begründeter annehmen oder ablehnen kann; weit wichtiger scheint mir allerdings zu sein, dass man mehrere Plotmuster miteinander vermischen kann: Sie sind also Keime, die miteinander interagieren.
Man kann solche weiteren Plotmuster entweder zur Differenzierung des großen Plots, für Sequenzen oder für Parallelhandlungen nutzen.

Plotmuster: normalisierte (und nivellierte) Strukturen

Plotmuster sind nicht Ausdruck von Vorschriften, sondern Muster der Normalisierung: da ein Plotmuster zugleich weit entfernt vom Endergebnis ist, ist es eher eine Strukturierungshilfe, die weder die Qualität einer Erzählung ermöglicht, noch die Kreativität einschränkt.
Es gibt auch keine Vorschriften, was mit dem Plotmuster zu tun ist (man könnte die Erzählung infolge auch ganz gegen den Strich bürsten).
Das Problem scheint also zu sein, wie man Plotmuster versteht. Sie dienen zunächst der Bewusstwerdung, der bewusst gestalteten Erzählung. Sie sind keine Vorschriften, können aber als solche aufgefasst werden.

Plotmuster: Erzählung und Überarbeitung

Geht man davon aus, dass Erzählungen aus einer Folge von Überarbeitungen entstehen, dann sind Plotmuster sehr frühe „Operatoren“, die eine Idee in eine erste Struktur gießen.
Freilich: die Folgen der Überarbeitung sind nicht formalisiert, auch wenn es bestimmte notwendige Schritte gibt. Aber diese Schritte sind insgesamt auch untereinander nicht formell angeordnet. Es gibt natürlich günstige Vorgehensweisen, vor allem zeitsparende.

04.12.2017

Plotmuster

Vor vielen Jahren - 2005 um genau zu sein - habe ich die Masterplots von Tobias meinen Bedürfnissen angepasst. Darin sind diese auf der einen Seite etwas formalisierter, auf der anderen aber auch differenzierter. Sie bestehen aus Tabellen mit zentralen Strukturelementen; aber eine ganze Reihe dieser Strukturelemente können weggelassen werden. Mit Hilfe solcher Plotmuster lassen sich innerhalb kürzester Zeit zwanzig Geschichten entwerfen, also etwa eines Nachmittags.
Nun gab es immer wieder Kunden und andere kritische Stimmen, die dieses Vorgehen als Tod der Kreativität, als Tod der kulturellen Relevanz, als Ursache für hölzerne Geschichten gezeiht haben.
Das mag alles richtig sein, wenn denn die Masterplots mehr als nur ein kleiner Baustein in der großen Praxis des Schreibens wären.
Aber sie sind nur ein kleiner Baustein. Man kann mit ihnen beginnen, wenn man eine Erzählung plant. Aber das Ende der Planung, bevor es um die Schönheit von Wörtern, den ersten Satz, die ganze rhetorische und poetische Konstitution der Geschichte geht, sollte sich ein Schriftsteller schon so weit von der grundlegenden Struktur entfernt haben, dass der Masterplot so erweitert wurde, dass er ganz und gar überwuchert von der eigentlichen Geschichte erscheint.
Nun, wie auch immer. Dies war nicht unbedingt das, was ich erzählen wollte. Wichtiger ist mir doch, dass ich mit meinen Schülern eine neue Form des Geschichten-Schreibens ausprobiere. Statt dass die Schüler schreiben und ich das dann lektoriere, werde ich schreiben und meine Schüler lektorieren. Thema der ersten Geschichte: die Reise eines Hobbits in Mittelerde.
Jedenfalls habe ich mich mal investiert und zahlreiche mögliche Plots entworfen. Alles grobe, zum Teil so nicht ausführbare Ideen. Die meisten, wenn nicht alle, werden konventionellen Strukturen von Geschichten gehorchen, also jenen Masterplots. So etwas braucht man in Zeiten eines redundanten Überangebots wohl nicht zu veröffentlichen. Aber das ist ja auch nicht meine Intention.

Ich habe auch fleißig über die diagrammatischen Funktionen der Plotmuster nachgedacht, weiterhin mit dem schönen Buch von Sybille Krämer. Mittlerweile ergänzen zwei Kapitel aus Goodman/Elgin Revisionen meine Diskussion. Wie auch meine "Erforschungen" der Mathedidaktik. - (Es ändert sich wohl nie was.)
(Und ich habe tatsächlich mal wieder ein bisschen was programmiert.)